04.09.2023

GoStudent-Vision für die Schule 2050: Orwell lässt grüßen

Kommentar. Gemeinsam mit der Zukunftsforscherin Tracey Follows zeichnet GoStudent ein sehr Technologie-lastiges - und -abhängiges - Bild der Zukunft des Lernens. Mit dystopischem Potenzial.
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GoStudent Vision 2050 - Orwell lässt grüßen
(c) Porträt: Magdalena Schauer-Burkart; Hintergrund: (c) pololia | Adobe Stock
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Wer sich oberflächlich mit dem heimischen Schulsystem beschäftigt hat, weiß, dass sich in den vergangen Jahrzehnten systemisch nicht viel geändert hat. Wer sich etwas genauer damit befasst hat, weiß, dass diese Stagnation eigentlich sogar schon mehr als ein Jahrhundert andauert. Im Hintergrund steht – wie in vielen Bereichen, in denen in Österreich so gar nichts weitergehen will – ein politischer Dauerkonflikt zwischen schwarz und rot.

Doch in den kommenden Jahrzehnten soll es nun zu einer radikalen Wende kommen. Zumindest wenn es nach dem Bericht “Das Ende der Schule, wie wir sie kennen: Bildung im Jahr 2050” des Wiener Unicorns GoStudent und der Zukunftsforscherin Tracey Follows geht. Möglich machen soll das der technologische Fortschritt.

GoStudent skizziert konkreten Technologie-Fahrplan für die kommenden Jahrzehnte

Im Bericht wird ein recht konkreter Fahrplan für die kommenden Jahrzehnte skizziert, in dem Technologie zu einer immer stärkeren Individualisierung des Lernens führt und die aktuellen Methoden nahezu komplett ersetzt. Noch dieses Jahrzehnt werde sich u.a. durch KI-Unterstützung die “Kommunikation weg vom geschriebenen Wort hin zu einer stärker visuellen und verbalen Kommunikation” entwickeln.

In den 2030er-Jahren werde die Künstliche Intelligenz “eine Agentenrolle übernehmen und im Namen von Menschen arbeiten, um Aufgaben auszuführen und zu kommunizieren”. In den 2040ern werde das Metaverse endgültig die breite Masse erreichen. “Immersive Lerntechnologien finden bereits Anwendung, aber in diesem Jahrzehnt werden mehrere durch Computercodes erschaffene Welten vollständig immersive Bildungserlebnisse bieten”, heißt es dazu im GoStudent-Bericht.

GoStudent-Vision für 2050er: Wissen ins Hirn herunterladen und “Kollektivgeist-Modus”

Das Bild, das Follows und GoStudent für die 2050er-Jahre zeichnen, wirkt dann von Vorstellungen aus der Science Fiction inspiriert: “Dieses Jahrzehnt wird das Versprechen von Gehirn-Computer-Schnittstellen erfüllen. Dadurch wird das Wissen direkter und unmittelbarer zugänglich – vielleicht, indem man es einfach direkt ins Gehirn herunterlädt. Im ‘Kollektivgeist’-Modus wird das Wissen nicht mehr individuell, sondern kollektiv gehalten, was zu einem unmittelbareren Wissenszugang für alle führt”, heißt es im Bericht.

Das physische Klassenzimmer werde es dann nicht mehr geben. Schüler:innen würden dank immersiver Technologien “Astronomie auf einem Raumschiff, Paläontologie auf einer Dinosaurierinsel [lernen] und Meereslebewesen unter Wasser [entdecken]”. Die Beurteilung der Lernfortschritte werde nicht punktuell sondern kontinuierlich mittels KI erfolgen.

Ferienzeiten seien dann nicht mehr standardisiert, sondern würden “anhand der Nachverfolgung der psychischen Gesundheit des/der einzelnen Lernenden personenbezogen eingerichtet und so programmiert, dass sie dann stattfinden, wenn jene:r einzelne Schüler:in flexible Pausen benötigt”. Dazu würden die genannten Gehrin-Computer-Schnittstellen auch rechtzeitig Burnout-Anzeichen erkennen. Und Lehrer:innen würden bei all dem “in eine Persönlichkeits-Coaching-Rolle wechseln”.

Vielleicht doch eine Dystopie?

Bei GoStudent sieht man die skizzierte Entwicklung (die, wie eingangs angemerkt, erst einmal politisch durchgesetzt werden müsste) sehr positiv. Das ist wenig überraschend, arbeitet das Wiener Unicorn doch auf technologischer Seite schon jetzt an einigen der beschriebenen Technologien. Die Frage, ob es sich dabei aber aus pädagogischer Sicht tatsächlich um eine Utopie, oder nicht doch eher eine Dystopie handelt, muss aber gestellt werden.

Zweifelsfrei wird das – wie erwähnt – restlos veraltete Schulsystem weder den Erkenntnissen der Lernpsychologie der vergangenen Jahrzehnte, noch jenen der der technologischen Realitäten der Gegenwart gerecht. In dem im GoStudent-Bericht skizzierten Szenario würde dafür eine Sache, die die Schule recht gut hinbekommt, im Metaverse verpuffen: das Lernen von der Gemeinschaft. Individualisierung ist zurecht ein positiv besetztes Schlagwort in der Pädagogik. Sie sollte aber nicht zur Vereinzelung führen.

Assoziationen zu Orwell

Die kontinuierliche Beurteilung durch eine KI würde Schüler:innen wohl nicht den Prüfungsdruck nehmen, sondern zu einer emotionalen Dauerbelastung führen. Und der “Download” von Wissen ins Hirn über Schnittstelle böte ein ausgesprochen gefährliches Missbrauchspotenzial. Die Idee des “Kollektivgeist-Modus” in Verbindung damit erinnert an orwellsche Totalitarismus-Szenarien.

Zwar hofft man bei GoStudent, gerade durch den erleichterten Wissenserwerb durch KI “werden andere Fähigkeiten in den Vordergrund treten, wie Zusammenarbeit, kritisches Denkvermögen und Kreativität”. Bei Betrachtung der vorgestellten Ideen wirkt diese These aber wenig haltbar. Denn die drei genannten Punkte, die ohne Zweifel zentrale Ziele jedes Bildungssystems in einer Demokratie sein müssen, sind ureigenste menschliche Kompetenzen. Um sie auszubilden, spielt der zwischenmenschliche Austausch eine enorme Rolle, Technologie dagegen kann hier nur assistieren.

Warum müssen wir überhaupt die Effizienz unserer Kinder steigern?

Damit soll an dieser Stelle keine Technologiefeindlichkeit propagiert werden. Die im GoStudent-Bericht erläuterten naturwissenschaftlichen Metaverse-Lernerlebnisse etwa können gewiss viel mehr Interesse und einen erheblich größeren Lerneffekt erzielen, als das Lesen von zwei Seiten in einem Schulbuch. Und der Einsatz von KI bietet – die entsprechende Kompetenz vorausgesetzt – auch im Schulbereich enorme Möglichkeiten.

Nochmal: Das aktuelle System bedarf definitiv einer gründlichen Überarbeitung, in der auch der technologische Fortschritt eine wichtige Rolle spielen muss. Sich mit wehenden Fahnen in eine komplette Technologieabhängigkeit im Bildungssystem zu stürzen, kann aber nicht der richtige Weg sein. Das beschriebene Szenario würde wohl die “Effizienz steigern”. Aber warum müssen wir überhaupt die Effizienz unserer Kinder steigern? Und welchen Preis hätte das?

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Heuer präsentierte ein wissenschaftliches Team von der Central European University (CEU) und dem Complexity Science Hub (CSH) einen Durchbruch: Sie können Armut auf Landkarten sichtbar machen.

Konkret nahmen sich die Forscher:innen dafür Sierra Leone und Uganda vor. Die beiden Staaten in Subsahara-Afrika zählen zu den ärmsten der Welt. Das Wiener Forscherteam entwickelte dazu das interaktive Online-Tool Poverty Maps, mit dem User:innen die Wohlstandsentwicklung in beiden Ländern vergleichen können. Sogar einen Ausblick auf die Zukunft können die Karten geben. Unmengen abstrakter Daten werden damit auf einen Blick zu aussagekräftiger Information.

Vom Taxiverhalten zu Armutskarten

“Die Idee wäre, dass politische Entscheidungsträger:innen, die Menschen unterhalb der Armutsgrenze helfen möchten, diese Art von Instrumenten nutzen können. Um zu verstehen, wo die Menschen sind, die wirklich Hilfe brauchen”, erklärt Lisette Espín-Noboa im brutkasten-Interview.

Die aus Ecuador stammende Computerwissenschaftlerin ist extra für das Projekt nach Wien gekommen. Sie ist Expertin für Predictive Analytics, Netzwerkanalysen und Machine Learning. Davor arbeitete sie vor allem mit Mobilitätsdaten, auf deren Basis sie Prognosen für die Zukunft erstellte. Espín-Noboa erforschte unter anderem, wie sich Taxis in der Metropole New York verhalten.

Wiederverwendbare ML-Modelle

“Sie gaben mir dieses Projekt und ich hatte die Freiheit, zu schauen, wie es funktioniert”, sagt die Computerwissenschaftlerin. Sie entwickelte ein eigenes Framework für drei Machine-Learning-Modelle. Damit visualisieren die Forscher:innen die Wohlstandsentwicklung auf Landkarten. Am Beispiel von Sierra Leone und Uganda bewies das Team bereits, dass es möglich ist.

Espín-Noboa erklärt, dass sie die Modelle nun auch für andere Länder verwenden. Dafür müsse nur die sogenannte Ground Truth für jedes Land anhand einer eigenen Datenbasis neu in das Modell gefüttert werden. Ground Truth ist die genaue und verlässliche Referenz, anhand derer die Richtigkeit von Daten oder Vorhersagen bewertet wird.

Wie viele Antennen, welche Toilette?

Für die beiden afrikanischen Länder verwendeten die Forscher:innen Umfragedaten als Basis. “In Afrika werden Umfragen zum Haushalt oder Lebensstandard durchgeführt. Diese Fragebögen ermitteln, wie viele Zimmer Ihr Haus hat, welche Art von Toilette Sie benutzen, wie Sie an Ihr Wasser kommen, ob Sie ein Auto habe oder ob Sie eine Haus- und Sanitäranlage haben”, erklärt die Computerwissenschaftlerin. Mit dem Internationalen Wohlstandsindex (IWI) wurden auf dieser Basis dann Grundwerte errechnet.

Hinzugefügt wurden in der Folge weitere Daten, die etwa von Satellitenbildern oder Social-Media-Postings stammen. Daraus konnten Espín-Noboa und ihre Kolleg:innen schließen, wie viele Menschen in einer Region ein iPhone besitzen oder wie viele Antennen sich in einem Gebiet befinden. “Wir dachten: Wenn der Ort viele Antennen hat, bedeutet das wahrscheinlich, dass er wohlhabend ist. Wenn er keine Antennen hat, ist er wahrscheinlich arm”, so Espín-Noboa. Daten aus OpenStreetMap würden wiederum verraten, wie weit die nächste Straße oder Schule entfernt ist.

Zukunftsvorhersagen auch für Europa

Nun versuchen Espín-Noboa und ihr Team diese Karten auch für Österreich und Ungarn zu erstellen. Noch fehlen ihr aber die dafür notwendigen Daten für ihre Modelle. Sie ist deshalb auf der Suche nach Organisationen, die Daten zur Verfügung stellen.

“Wir können nicht einfach die gleichen Daten verwenden, weil die Standards unterschiedlich sind. Etwa fragt man in Ungarn nicht, welche Art von Toiletten jemand benutzt”, erklärt Espín-Noboa. Stattdessen sei in etwa Ungarn aussagekräftiger, wie viel Immobilien kosten. Für jedes Land müsse deshalb eine eigene “Ground Truth” ermittelt werden, dann könnten die entwickelten Modelle für verschiedene Länder verwendet werden, glaubt die Expertin.

Bessere Entscheidungsgrundlage

Das Projekt ist ein Novum, denn bisher verließen sich Entscheidungsträger:innen vor allem auf Volkszählungsdaten, wenn es um den Umgang mit Armut ging. Die Karten stellen die Entwicklung jedoch viel detaillierter dar. “Mit der Ground Truth haben wir Armut vorhergesagt, aber Sie können alles vorhersagen. Wenn Sie fundierte Fakten zum Thema Bildung haben, können Sie etwa auch Bildung vorhersagen”, sagt Espín-Noboa. Sie hofft, dass künftig mehr Tools für politische Entscheidungsträger:innen zur Verfügung stehen – damit diese bessere und zielgerichtete Entscheidungen treffen können.

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