07.10.2024
KOFFEIN UND BURNOUT

Freshly brewed and overworked: Peter Buchroithner über seine Kaffeesucht

Wie der Startup-Veteran Peter Buchroithner seine Kaffee-Sucht in den Griff bekam und sein Gründerleben umkrempelte.
/artikel/freshly-brewed-and-overworked-peter-buchroithner-ueber-seine-kaffeesucht
Peter Buchroithner sprach mit brutkasten über seinen Kaffee-Konsum (c) Sledgehammer Studio

Dieser Beitrag erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe unseres Printmagazins – “Kettenreaktion”. Eine Downloadmöglichkeit findet sich am Ende des Artikels.


23.257 Tassen. Nein, wir sprechen nicht von der in Österreich monatlich getrunkenen Menge an Kaffee. Auch nicht von der Anzahl jener Tassen, die ein Otto-Normal-Kaffee-Trinker in seinem gesamten Berufsleben hinunterstürzt.

Es geht um jene Zahl an Kaffee-Tassen, die der Serial-Founder Peter Buchroithner insgesamt zwischen den Jahren 2015 und 2021 getrunken hat. An Spitzentagen waren es täglich nämlich bis zu dreizehn Tassen Kaffee in unterschiedlichster Form.

Wohl angemerkt tat Buchroithner dies nicht täglich und schon gar nicht non-stop bis heute, sehr wohl aber in seiner “Swelly-Zeit”, also beim Aufbau seines ersten US-Startups in Los Angeles.

Jeder Mensch weiß, was gut ist. Gesunde Ernährung, Sport und Sonnenlicht. Das kannst du alles machen. Oder du trinkst Kaffee.

Peter Buchroithner, Seriengründer

Heute stuft der Startup-Veteran seinen damaligen Koffein-Überkonsum als schädlich ein. Und setzt einige Schritte, um Konsum, Arbeitspensum und seinen Lebensstil zu regulieren. Kaffee war zwar nicht der ausschlaggebende, aber ein nicht unwesentlicher Grund, warum der in Österreich geborene und heute in Kapstadt lebende Entrepreneur sein Leben umkrempelte. Aber zum Anfang:

Der Founder und Bruder des Vresh-Gründers Klaus Buchroithner ist bekannt für extravagante Projektideen und Startups, die zeitnah nach ihrer Gründung Schlagzeilen schreiben. So auch 2022: Buchroithner startete gemeinsam mit David Pflügl das Unternehmen Orgn Inc. in den USA. Kurz darauf legte man mit der Instant-Kaffee-Marke Stardust los.

Peter Buchroithner (c) Sledgehammer Studio

Das Ziel: Einen Kaffee mit einer geringen Menge Koffein pro Dosis zu kreieren und damit Koffein-Mengen tracken zu können. Und schließlich positive Effekte auf Stress, Schlaf, Wohlbefinden und die körperliche und geistige Gesundheit zu erzielen. Ein Stardust-Kaffee – abgepackt in kleinen Säckchen – enthält nämlich nur etwa 60 Milligramm Koffein und damit nur ein Drittel so viel wie eine Tasse Filterkaffee.

Marke und Produkt genossen positive Resonanz. Schließlich stand der Longevity- und Gesundheitstrend bereits in vollem Gange. Auch heimische Investoren sprangen in den Stardust-Cup: So gewann man unter anderem Business Angel Hansi Hansmann als Anteilseigner, der bereits bei Buchroithners Startup Swelly an Bord gewesen war.

Mittlerweile hat sich Buchroithner operativ von Stardust zurückgezogen. Gut so, denn ein nächstes Projekt steht im Rampenlicht, das dem Gründer – ähnlich wie Stardust – ein persönlich großes Anliegen ist.

Frisch im Frühjahr 2024 gründete Buchroithner das Startup Rakun – zu finden unter rakunfriends.com. Mit der ähnlich benannten App “Rakun Card” hat der Serial Founder einen digitalen Ausweis für spezielle Bedürfnisse entwickelt. Damit soll neurodivergenten Menschen geholfen werden, sich durch stressige Situationen beim Reisen oder im Alltag zu manövrieren und sich bei Bedarf Hilfe von außen zu holen.

Im Lichte der Instant-Kaffee-Marke Stardust soll es in den kommenden Zeilen allerdings um Kaffee gehen. Denn für Buchroithner – selbst erst 2024 mit Autismus und ADHS diagnostiziert – entwickelte sich die Beziehung zu Kaffee zu einer Abhängigkeit, die im Burnout endete. Eine Kombination aus Perfektionismus, körperlicher und geistiger Überlastung sowie dem daraus resultierenden unkontrollierten Kaffeekonsum waren dafür ausschlaggebend.

All das begann im Jahr 2015 – mit der damals frisch gelaunchten App Swelly, mit der Buchroithner ein hochgestecktes Ziel verfolgte: Swelly sollte groß und am besten das nächste Instagram werden. Und dafür tat Buchroithner alles.

Um Druck und Perfektion standzuhalten, trank der Gründer in Hochzeiten seine besagten dreizehn Tassen Kaffee pro Tag. Nicht viel später sagte Buchroithners Körper “Stopp”. 2020 erlitt er ein Burnout. 2022 gründete er nach einer Pause sein Startup Stardust. Mitunter auch als Mittel zur Selbstkontrolle.

Wohl angemerkt sei hierbei: Burnouts passieren nicht des Kaffees wegen oder umgekehrt. Dennoch erkannte der Gründer, dass übermäßiger Kaffeekonsum und die anregende Wirkung des Koffeins zum Kontrollverlust zwischen An- und Entspannungsphasen führten.

Ohne Kaffee hätte es keine industrielle Revolution gegeben.

Peter Buchroithner

Wenn auch Kaffee eigentlich mit der gegenteiligen Intention in unserer Gesellschaft vorgestellt wurde: Das schwarze Gold schaffte es schon deutlich vor der industriellen Revolution – nämlich im Jahr 1554 durch venezianische Kaufleute – nach Europa. Doch es begünstigte eben diese, meint Buchroithner. Ihm zufolge hätte die Industrialisierung ohne Kaffee nämlich nicht in diesem Tempo stattfinden können:

“Ohne Kaffee hätte es keine industrielle Revolution gegeben. Menschen können täglich nicht einfach acht bis zwölf Stunden durcharbeiten. Es braucht einen Energiegeber, ein Stimulans. Und Koffein hat genau diese energiegebende Wirkung, um auch an schlechten Tagen Leistung zu erbringen. Koffein begünstigt Glücksgefühle, Energie und Motivation, damit wir bei der Arbeit bleiben. Es hilft uns zu fokussieren, ja, es ist ein bisschen ein Anti-Depressivum.”

Koffein ist ein bisschen ein Anti-Depressivum.

Peter Buchroithner

Unrecht hat Buchroithner damit nicht. Die anregende Wirkung des gebrühten Energiegebers ergibt sich insofern, als dass das darin enthaltene Koffein den Blutdruck erhöht und den Kreislauf anregt. Dadurch fühlen sich Kaffee-Trinker:innen meistens wacher und energiegeladener. In unserem Gehirn blockiert Koffein außerdem die Rezeptoren des Müde-Macher-Botenstoffs Adenosin. Solange Koffein in diesen Rezeptoren sitzt, fühlen wir uns weniger müde.

Ich kam in der Früh kaum aus dem Bett, aber zumindest zur Kaffeemaschine.

Peter Buchroithner

Von der anregenden Wirkung machte Buchroithner Gebrauch: “In meiner Swelly-Zeit habe ich alles dafür getan, dass ich das körperlich durchhalte. Koffein und Zucker waren unabdingbar. Ich habe diese legalen Substanzen in mich reingehaut, damit ich mehr leisten kann. Ich kam in der Früh kaum aus dem Bett, aber immer zumindest bis zur Kaffeemaschine.”

Auch für Laien lässt sich die von Buchroithner geschilderte Situation als “Überkonsum” einstufen. Vor allem angesichts der Tatsache, dass die empfohlene Tagesdosis bei maximal 400 Milligramm Koffein – umgerechnet rund vier 125-Milliliter-Tassen Filterkaffee – liegt. Mit dreizehn Tassen und einer Vorliebe für Filterkaffee übertrat der Gründer Grenzen.

Mit fortschreitendem Konsum blieb die stimulierende Wirkung langsam aus. Der Gründer verlor Energie. Denn: Obwohl Koffein den Kreislauf in Schwung bringt und aufputschend wirkt, können sich Kaffee-Trinker:innen an dessen aufputschenden Effekt gewöhnen, ergo: Menschen, die viel Kaffee trinken, brauchen für denselben Effekt auf Dauer mehr.

Ich war so fokussiert auf Leistung, dass ich alles ignoriert habe, was mein Körper mir gesagt hat.

Peter Buchroithner

“Ich war so fokussiert auf Leistung, auf das Schaffen und Weiterbringen, dass ich alles ignoriert habe, was mein Körper mir gesagt hat.” Der Koffeinkonsum eskalierte, Überarbeitung war die Norm. Kopf und Körper waren von der Kombination aus energiegebendem Stimulans und energieraubender Arbeit überlastet.

“Wenn man Mitte bis Ende 20 ist, hält der Körper viel aus. Und wenn man mental stark ist, kann man viele Signale ignorieren. Vor allem mit Substanzen wie Koffein bin ich konstant über diese Barrieren gegangen, die mein Körper eigentlich als Schutzschild aufgebaut hat.” Richtig realisiert habe er seine stetige Überarbeitung allerdings nicht an ihrem Peak, sondern erst ein paar Jahre später.

“Das Problem ist: Jeder Mensch weiß, was gut ist. Nämlich gesunde Ernährung, viel Sport, Sonnenlicht und Pausen. Natürlich kannst du das alles machen, um zu performen. Oder, du trinkst einfach Kaffee. Leute, die faul sind, Stress oder Zeitdruck haben, werden dann wahrscheinlich zum Koffein greifen. Bei mir war damals auch eher letzteres der Fall.”

Damit beschreibt Buchroithner vermutlich einen Zustand, der mehreren Gleichgesinnten bekannt vorkommt: “Viele Gründer wissen ja gar nicht, wie es ihnen geht. Vor allem dann, wenn sie in einer Phase sind, in der sie mit allen Mitteln versuchen, irgendwas weiterzubringen, Deadlines einzuhalten und die ganze Zeit Gas zu geben.” Häufig werde dies mit Stimulanzien wie Kaffee, Zucker oder Energy Drinks kompensiert. Oder dem Griff zu anderen Suchtmitteln wie Nikotin.

Viele Gründer:innen wissen ja gar nicht, wie es ihnen geht.

Peter Buchroithner

Die Folge: Energieschübe mit enorm hohen Schwankungen, oder wie Buchroithner es nennt: “Ein extremes Auf und Ab.”

Im Jahr 2020 zog der Startup-Veteran die Handbremse: Buchroithner wollte aus dem Hamsterrad der Koffeinsucht und Überarbeitung ausbrechen. Um Energie-Schwankungen zu glätten, sich vom Burnout zu erholen und wieder Normalität herzustellen, tat der Gründer genau das, was ihm in die Wiege gelegt wurde: “Wenn mich ein Thema interessiert, dann lerne ich alles darüber – ich kann nicht anders. Und nach meinem Burnout war das Thema meine Gesundheit.”

Buchroithner besuchte folglich “jeden Arzt und Spezialisten, den er finden konnte” und betrieb intensives Fitness- und Schlaftracking. “Mit meinem Team haben wir dann einen Chatbot entwickelt, der meine Fitness- und Schlafdaten auswertet, um mir Gesundheitstipps zu geben.”

Eineinhalb Jahre lang suchte Buchroithner nach dem perfekten Gleichgewicht. Er führte ein Selbstexperiment durch – mit der Erkenntnis: “Schlaf ist das Wichtigste. Nur Schlaf kann dein Immunsystem wieder aufladen. Nur Schlaf kann dir wirklich helfen, wenn du ein Problem hast. Und eine essentielle Rolle im Rahmen der Schlafoptimierung spielt der Kaffeekonsum.”

Nur Schlaf kann dir wirklich helfen, wenn du ein Problem hast.

Peter Buchroithner

Also begann der Gründer mit der Selbstoptimierung. Allen voran: Das richtige Timing der Koffeinzufuhr. “Wir tendieren dazu, unkontrolliert Koffein zu trinken. Oft auch als erstes Getränk am Morgen. Eigentlich sollte man erst etwa 90 Minuten nach dem Aufwachen Koffein konsumieren, weil der Körper sich in dieser Zeit selbst reguliert. Wenn du drei bis vier Tassen Filterkaffee trinkst, hast du bis zu 400 Milligramm Koffein intus. Das baut sich nicht schnell ab, denn Koffein hat eine Halbwertszeit von vier bis acht Stunden. Wenn du also zu spät Kaffee trinkst, bleibt noch eine große Menge an Koffein in deinem Körper, bis du ins Bett gehst. Und das beeinflusst deine Schlafqualität.”

Dabei geht es nicht nur um das Einschlafen: “Melatonin ist unser Schlafhormon. Koffein aber unterbindet dessen Ausschüttung. Und was viele Menschen nicht wissen: Melatonin hilft dir nicht nur beim Ein-, sondern auch beim Durchschlafen. Morgens erinnert man sich meist nicht an die Aufwachphasen in der Nacht, aber mittlerweile weiß man: Je mehr Koffein und je weniger Melatonin in deinem Körper ist, desto öfter wachst du in der Nacht auf, ohne dich daran zu erinnern – und desto erschöpfter bist du am nächsten Morgen.”

Um Situationen wie diese zu vermeiden, entwickelte der Seriengründer routinierte Richtlinien. Eine davon: Nach dem Aufwachen geht es nicht direkt zum Kaffee, sondern zuerst mit Bewegung ins Sonnenlicht. Ist der erste Punkt erledigt, setzt sich der Gründer in seinen Lieblings-Coffee-Shop in Kapstadt und betreibt Journaling. Daneben gibt es eine Tasse Kaffee, aber reguliert:

“Routinen wie diese geben mir Halt im Alltag. Ich zum Beispiel wäre unheimlich gerne Raucher, wenn Zigaretten nicht so schlecht wären. Ich mag das Gefühl von Kontrolliertheit. Und genauso mögen Menschen regelmäßig Koffein. Diese Routine müssen wir regulieren, um von Koffein unabhängig zu werden. Dafür ist Tee super, oder Vitamin-Drinks wie Biogena ONE. Wasser wäre ein guter Ersatz, aber das schmeckt komischerweise vielen Menschen nicht gut genug. Gerade in Österreich ist es ein bisschen zu selbstverständlich, Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, weshalb es als Ritual nicht wirklich zählt.”

Ich wäre unheimlich gerne Raucher.

Peter Buchroithner

Nach jahrelangem Ausprobieren und Adaptieren hat Buchroithner nun die für ihn optimale Kaffee-Ratio gefunden – als Teil einer Routine: “In der Früh trinke ich eine Tasse von dem, was ich wirklich will. Das ist meistens Filterkaffee. Und dann Decaf oder Stardust – und das ist auch okay für mich. Mein Limit sind vier Tassen am Tag. Und daneben versuche ich, Bewegung so gut es geht in meinen Alltag zu implementieren. Das heißt: drei Mal die Woche Laufen und möglichst 10.000 Schritte am Tag.”

Einer reibungslosen Routine steht allerdings eine Hürde im Weg: Buchroithners ADHS- und Autismus-Diagnose, die er im Jahr 2024 erhielt. Denn Koffein und ADHS vertragen sich, Buchroithner zufolge, eigentlich nicht: “Wenn du ADHS hast, solltest du eigentlich überhaupt kein Koffein zu dir nehmen. Wenn ich Koffein trinke, beruhigt mich das. Also mein Hirn wird nicht schneller, sondern langsamer und fokussierter”, erklärt der Gründer.

“Grundsätzlich könnte man meinen, das ist gut. Aber das ist nicht mein normaler Geisteszustand. Koffein wirkt sich also noch intensiver auf meinen natürlichen Schlafrhythmus aus”, erklärt der Founder und appelliert in dieser Thematik einmal mehr an mehr Achtsamkeit unter Founder:innen:

“Einer von fünf Menschen ist neurodivergent. Unter Gründer:innen sind die Zahlen nochmal massiv höher. Das heißt: Alle, die sehr viel Koffein trinken und glauben, dass sie das zur Konzentration brauchen, sollten sich vielleicht einfach mal die Frage stellen: Warum brauchen sie das wirklich?”

Ich glaube, das Problem, das viele Founder haben, ist Perfektionismus.

Peter Buchroithner

Buchroithners neue Routine hört sich nach einer balancierten Ratio zwischen Bewegung, Sonnenlicht und Koffein an – und schließlich auch nach etwas mehr Achtsamkeit: “Ich glaube, das große Problem, das viele Founder haben, ist Perfektionismus. Entweder wir gehen 90 Minuten laufen oder wir machen gar nichts. Auch schon 15 Minuten leichte Bewegung erzielen einen positiven Effekt auf Körper und Seele. Genauso wie die täglichen 10.000 Schritte. Das Gehen ist Meditation, es regt den Körper an und hält die Herzfrequenz niedrig. Laufen ist gezieltes Training. Und beides in Kombination ist wichtig.”

Peter Buchroithner (c) Sledgehammer Studio

Unverkennbar hat Peter Buchroithner wahrlich eine Achterbahnfahrt hinter sich. Im Interview zeigt sich der Startup-Veteran entspannt lächelnd nach dem zweiten Kaffee des Tages. Er weiß, dass sich Überkonsum nicht lohnt, und die damit einhergehenden Strapazen noch weniger. Schon gar nicht mit Autismus und ADHS:

“Ich bin privilegiert, dass ich mein Leben relativ normal leben kann. Normal ist das Gründerleben zwar nie, aber ich kann sehr viel machen, ich kann mit meinen Problemen ganz gut umgehen. Viele oder die meisten mit ähnlichen Diagnosen können das nicht. Und denen möchte ich – unter anderem mit Rakun – helfen.”

Mit reguliertem Koffein-Konsum, einem routinierten Alltag und einem neuen Startup hat sich Buchroithner ein realistisches Ziel gesteckt, das er balanciert erreichen möchte. Zufrieden lächelnd wirft der Gründer kurz vor Interview-Ende schließlich noch einen Fakt in die Kamera: “Ach ja, und heute steh ich gerade bei zwei Tassen Kaffee: Einen Filterkaffee in der Früh und dann einen Decaf. Und ganz ehrlich: Damit bin ich an den meisten Tagen wirklich happy. Das wäre früher undenkbar gewesen.”

Sichere dir das brutkasten-Magazin in digitaler Form!
Trag dich hier ein und du bekommst das aktuelle brutkasten-Magazin als PDF zugeschickt und kannst sofort alle Artikel lesen! Du erhältst mit der Anmeldung künftig auch Zugang für unseren Startup-Newsletter, den wir drei Mal pro Woche verschicken. Du kannst dich jederzeit unkompliziert wieder abmelden.
Deine ungelesenen Artikel:
18.12.2024

“Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?”

Am diesjährigen Global Leaders Summit haben wir mit der dänischen Founderin Ida Tin gesprochen. Wie sie zur Mother of Femtech wurde und warum sie glaubt, Europa fehle die Vision.
/artikel/wenn-wir-uns-kaputtarbeiten-was-bleibt-dann-vom-leben-uebrig
18.12.2024

“Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?”

Am diesjährigen Global Leaders Summit haben wir mit der dänischen Founderin Ida Tin gesprochen. Wie sie zur Mother of Femtech wurde und warum sie glaubt, Europa fehle die Vision.
/artikel/wenn-wir-uns-kaputtarbeiten-was-bleibt-dann-vom-leben-uebrig
Ida Tin, Co-Founderin von Clue (c) Valerie Maltsev

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Ein Link zum Download findet sich am Ende des Artikels.

Bunte Hosenanzüge, gepaart mit hohen Absätzen, Sneakers, langen Locken und eleganten Kurzhaarschnitten – beim diesjährigen Global Leaders Summit, organisiert von the female factor und unterstützt von der Stadt Wien, gleicht das Publikum einem bunten Bällebad. An diesem ungewöhnlich warmen September­donnerstag füllt sich das Wiener Rathaus mit über 500 weiblichen Führungskräften aus 50 Nationen.

Is this how a leader looks like?

Mittendrin ragt die dänische Founderin Ida Tin aus der Menge. In einem grau-weiß gestreiften Blazer und mit elegantem Hair-Updo setzt sie kontrollierte Schritte auf den roten Teppich, der Besucher:innen den Weg ins Rathaus markiert. Links und rechts stehen weiß bezogene Stehtische, vor einer türkisen Fotowall tummeln sich Hosenanzüge. „This is how a leader looks like“ steht auf der Fotowand.

„Schriftstellerin“ ist die Berufsbezeichnung, die aus diverser Berichterstattung rund um die dänische Gründerin hervorgeht. In ihrem ersten Buch schrieb sie über Motorradreisen. In Dänemark wurde es zum Bestseller. Ihre Geschichte ist eine, die von vielen gehört und gelesen gehört – denn Ida heißt heute „Mother of Femtech“.

Mother of Femtech

Ida wurde im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro geboren und war einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Lebens auf dem Motorrad unterwegs. Mit ihren Eltern und ihrem Bruder hat sie so mehrere Länder der Welt bereist.

Zusammen mit ihrem Vater ­arbeitete sie später für Moto Mundo, einen ­ Motorrad-Reiseveranstalter. In den frühen 2000ern organisierte sie Motor­radtouren durch Vietnam, die USA, Kuba, Chile oder die Mongolei; 2009 erschien ihr besagtes Buch „Direktøs“, in dem sie von ihren Reiseerfahrungen erzählt.

Weil auf Reisen kein Tag ist wie der andere, stand Ida vor einem Problem: Woher weiß sie, wann ihre Monats­blutung kommt? Händisch mitzuschreiben ging nicht, am Motorrad war kaum Platz. Sie brauchte etwas Handliches; etwas, das immer dabei ist. Und etwas, das selbst mitdenkt.

Ida kam auf eine Idee – ­ wenige Jahre später startete sie eine der weltweit ersten Tracking-Apps für Frauengesundheit. Ida gründete Clue als App für menstruierende Personen im Jahr 2012 in Berlin, gemeinsam mit Hans Raffauf, Moritz von Buttlar und Mike LaVigne. Über die Jahre wurde Clue zu einer der berühmtesten Apps unter Menstruierenden. Damit schuf Ida eine technologische Lösung zur Verbesserung von Frauengesundheit – eine Femtech-Lösung.

Forgive me, but I think there is a little bit of a lack of vision for Europe.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Zurück am Global Leaders Summit höre ich Ida zu, wie sie auf der Global Stage des Großen Festsaals im Wiener Rathaus spricht. Ida setzt ihre Worte gezielt; im Trubel des Summits sticht sie nicht mit Lautstärke hervor, sondern mit Präsenz. Ohne ihre Stimme zu heben, finden Idas Worte ihren Weg durch die Geräuschkulisse des Festsaaltreibens. Sie spricht von einer Reform unseres Ökosystems.

„Let’s invite men into our world“ und „Sense your body, pay tribute to your mental health“ sind nur zwei der Aussagen, die man selten von Gründer:innen im Business-Kontext hört. Mit dem Aufbau ihres Unternehmens hat sie den Begriffen „Gründung“ und „Unternehmensführung“ eine neue Bedeutung verliehen. Sie hat sie menschlicher gemacht.

Nach dem Panel bleibt Zeit für ein kurzes Interview. Wieder schafft es Ida, mit bewusst gesetzten Wortkombinationen eine wichtige Message zu kommunizieren: „Wir müssen aufpassen, was wir als erfolgreich betrachten. Früher war Erfolg Geld, ein hoher Return on Investment; noch größere Finanzierungsrunden. Doch wenn wir ehrlich sind, ist der eigent­liche Reichtum unsere Gesundheit.“

Wie ein System funktioniert

Unverkennbar geht es in unserem Gespräch nicht nur um Geld: „Mehrere Studien zeigen, dass Investitionen in die Gesundheit von Frauen die Wirtschaft ankurbeln. Erst dieses Jahr hat McKin- sey einen Report herausgebracht, der zeigt: Wir würden uns jedes Jahr eine Billion Dollar sparen, wenn die Gesundheitsbedürfnisse von Frauen an- gemessen erfüllt würden.“

Ida zeigt in unserem Interview, dass sie das Thema bewegt: „Frauengesundheit ist teuer, gar keine Frage. Aber wir wissen mittlerweile auch: Wenn es Frauen gut geht, geht es ihren Unternehmen gut, ihren Familien und schließlich auch der Gesellschaft. Viel­fältige Teams begünstigen integrative Unternehmen, bringen weniger Voreingenommenheit und tatsächlich bessere Geschäftsergebnisse.“

Als ob das nicht schon selbsterklärend genug wäre, betont Ida mit einem Kopfnicken: „Wenn wir also Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.“

“Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und engstirnig.”

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Gesundheit!

Dass das in der Corporate-Bubble schwierig umzusetzen ist, weiß Ida. Auch alle bunten Hosenanzüge, die sich zum Global Leaders Summit im Wiener Rathaus versammelt haben, wissen es. Dass nicht tatenlos zugesehen werden darf, wie Frauen, ihre Gesundheit und ihr Potenzial im Unternehmertum vernachlässigt werden, weiß auch jede vor Ort.

„Wir wissen doch alle, dass man mehr Perspektiven in Führungsebenen bringt, wenn man Frauen dort reinsetzt. Wenn man sie einfach machen lässt und niemanden zu formen versucht. Wir leben in einer Kultur, vor allem in der Tech-Szene, in der wir Menschen formen. Du stellst jemanden an, du formst dir deine Arbeitskraft so, wie du sie willst, drückst sie in interne Strukturen. Du etablierst Arbeitsmodelle, die sich nach 40 Wochenstunden richten und Menschen gesundheitlich belasten. Und nicht selten endet das im Burnout. Ich denke, wir müssen uns in dieser Hinsicht mehr am Gesundheitsaspekt unserer Arbeit orientieren. Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“, so Ida.

Wenn wir Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Langsam lasse ich mir Idas Worte durch den Kopf gehen. „Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“ Ja, der Satz kommt wahrlich aus dem Mund einer der erfolgreichsten Founder:innen unserer Zeit. Das ist das Mindset jener Unternehmerin, die mit ihrer Tracking-App den Begriff Femtech prägte und den Grundstein für eine ganze Branche schuf. Sogar Apple war von Idas Technologie begeistert und bat um Zusammenarbeit.

Idas Mindset kommt nicht von irgendwo: „Meine Eltern waren ein Beispiel für Menschen, die genau das taten, was sie wirklich gerne machten; auch, wenn das in den Augen mancher als verrückter kleiner Traum schien. Mit ihrem Traum haben sie sich immerhin ihren Lebensunterhalt verdient. Und ich denke, wenn einem als Kind die Chance gegeben wird, die Welt zu sehen, bekommt man ein Gefühl dafür, wie viele Realitäten es da draußen gibt; und wie viele Dinge miteinander verknüpft sind.“

Der Mangel an Vision

Stichwort Verknüpfung: Sollten wir nicht zuerst anfangen, auf nationaler Ebene zu denken, bevor wir uns die ganze Welt vorknöpfen? Ida sieht das anders:

„Wie soll ein kleines, noch so starkes Land in einem schwachen Europa überleben? Wenn es zu politischen Unruhen auf europäischer Ebene kommt, sind wir alle verwundbar. Wenn die Wirtschaft in Europa zusammenbricht, werden auch einzelne Staaten zusammenbrechen. Es macht keinen Sinn, in nationalen Einheiten zu denken. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns in Zukunft versorgen können. Wir müssen ein bisschen mehr an unseren Planeten denken. Ich glaube, es mangelt an einer Vision für Europa; und an gutem Storytelling.“

Der neue Erfolg

Ida redet Klartext über Tatsachen, die eigentlich jeder kennt, aber niemand wirklich wahr­ haben möchte. Mit einem weiteren Kopfnicken teilt sie Lösungsansätze:

„Wenn wir unsere Wirtschaft in etwas Nachhaltiges verwandeln wollen, müssen wir Erfolg neu definieren. Zurzeit feiern wir Investments, wir feiern finanzielle Rendite. Wir feiern Unicorns. Aber die Welt verlangt nach einer mehrdimensionalen Vorstellung von Erfolg.“

Ida meint: sich selbst nach eigenen Maßstäben als erfolgreich zu bezeichnen; Gesundheit als Erfolg zu bezeichnen. Und: „Unternehmen aufzubauen, in denen Menschen gesund sein können, in denen Menschen offen queer sein können, in denen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenkommen; in denen man sie nicht zwingt, Alkohol zu trinken – und in denen eine integrative Kultur geschaffen wird.“

Wir brauchen weniger

Mit Clue hat Ida genau das versucht, und zwar mit einem der wohl umstrittensten New-Work-Themen unserer Zeit: der Vier-Tage-Woche. „Wir haben gesehen, dass unsere Leute an vier Tagen in der Woche genauso viel geleistet haben wie an fünf.“

Ida bot ihrem Team neben vier Arbeitstagen damit auch drei freie Tage, die Möglichkeit für Side Projects und mehr Zeit für Sport, Familie und Ruhe. „Viele hatten das Gefühl, dass ihr Leben eine ganz neue Qualität gewonnen hat. Und zusätzlich gibt es auch eine Menge an Studien und Daten, die zeigen, dass das funktioniert“, so Ida.

Wie in Island

So wie in Island, wo seit 2020 51 Prozent der Arbeitnehmenden reduzierte Wochenarbeitszeiten von 35 bis 36 Stunden bei gleichem Lohn wie zuvor hatten. Heute soll der Anteil noch etwas höher liegen, heißt es von einer Studie des britischen Autonomy Institute und der isländischen Association for Sustainability and Democracy (Alda). Im vergangenen Jahr soll die Wirtschaft Islands um fünf Prozent gewachsen sein – damit verzeichnet der Staat eine der höchsten Wachstumsraten in Europa.

In Idas Office gab es an den vier Arbeitstagen außerdem schuhfreie Zonen, einen Meetingraum ohne Tisch sowie Schwimm- und Fitnessstunden für ihre Mitarbeiter:innen. „Es sind die kleinen Dinge, die die Leute zusammen und zum Lachen bringen. Irgendwann hatten wir sogar eine Vorstandssitzung im tischlosen Raum.“

Kannst du acht Stunden am Tag sitzen?“ Ida reißt mich aus meinem kurzen Tagtraum. „Ich kann es nicht!“, wirft sie hinterher. „Auch jeder Sportler weiß, dass man Erholung braucht, um Höchstleistung zu erbringen. Warum sollte man das als arbeitender Mensch also vernachlässigen?“

Die Planeten-Perspektive

Nach fast 40 Minuten werden wir von zwei bunten Hosenanzügen unterbrochen. Die Zeit für das Interview ist um, das nächste steht an. Eine Frage fehlt uns aber immer noch: Wie lässt sich unsere Gesellschaft nun nachhaltig umbauen?

„Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und sie macht uns engstirnig. Niemand auf diesem Planeten muss exorbitant viel besitzen. Alles über einem bestimmten Betrag könnte in Klimafonds fließen, in Sozialprojekte, in die gerechte Verteilung von Vermögen. Die Monopolisierung von Reichtum schafft ein großes demokratisches Problem; und schließlich auch ein Problem für Innovation.“

Was uns Ida sagen will: Man kann keine Gesellschaft aufrechterhalten, in der zu wenige zu viel und zu viele zu wenig haben. „Ich wünsche mir, dass wir an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Manchmal frage ich mich: Warum haben wir nicht eine gemeinsame Marke für unseren Planeten? Einen gemeinsamen Plan mit einer gemeinsamen Perspektive. Das wäre etwas, das uns in unserem Tun sicherlich einiges an Klarheit und Ambition geben würde.“

Sichere dir das brutkasten-Magazin in digitaler Form!
Trag dich hier ein und du bekommst das aktuelle brutkasten-Magazin als PDF zugeschickt und kannst sofort alle Artikel lesen! Du erhältst mit der Anmeldung künftig auch Zugang für unseren Startup-Newsletter, den wir drei Mal pro Woche verschicken. Du kannst dich jederzeit unkompliziert wieder abmelden.
Toll dass du so interessiert bist!
Hinterlasse uns bitte ein Feedback über den Button am linken Bildschirmrand.
Und klicke hier um die ganze Welt von der brutkasten zu entdecken.

brutkasten Newsletter

Aktuelle Nachrichten zu Startups, den neuesten Innovationen und politischen Entscheidungen zur Digitalisierung direkt in dein Postfach. Wähle aus unserer breiten Palette an Newslettern den passenden für dich.

Montag, Mittwoch und Freitag

AI Summaries

Freshly brewed and overworked: Peter Buchroithner über seine Kaffeesucht

AI Kontextualisierung

Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen hat der Inhalt dieses Artikels?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Freshly brewed and overworked: Peter Buchroithner über seine Kaffeesucht

AI Kontextualisierung

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat der Inhalt dieses Artikels?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Freshly brewed and overworked: Peter Buchroithner über seine Kaffeesucht

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Innovationsmanager:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Freshly brewed and overworked: Peter Buchroithner über seine Kaffeesucht

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Investor:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Freshly brewed and overworked: Peter Buchroithner über seine Kaffeesucht

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Politiker:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Freshly brewed and overworked: Peter Buchroithner über seine Kaffeesucht

AI Kontextualisierung

Was könnte das Bigger Picture von den Inhalten dieses Artikels sein?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Freshly brewed and overworked: Peter Buchroithner über seine Kaffeesucht

AI Kontextualisierung

Wer sind die relevantesten Personen in diesem Artikel?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Freshly brewed and overworked: Peter Buchroithner über seine Kaffeesucht

AI Kontextualisierung

Wer sind die relevantesten Organisationen in diesem Artikel?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Freshly brewed and overworked: Peter Buchroithner über seine Kaffeesucht