17.05.2021

Game-Changer “Entscheidungsökonomie”

In seiner aktuellen Kolumne beschäftigt sich Mic Hirschbrich damit, wie der Übergang von der Datenökonomie zu einer Entscheidungsökonomie.
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Mic Hirschbrich über Entscheidungsökonomie
brutkasten-Kolumnist Mic Hirschbrich | Hintergrund: (c) Adobe Stock / Evgenia

Wir haben uns in der letzten Kolumne angesehen, wie Technologie unser Verständnis von Ökonomie und Staat verändert. War das Problem “zentraler Planung” bisher mitunter auch eines zu großer Datenmengen und Komplexität (“socialist calculation debate”), scheint dies mit Technologie zunehmend lösbar zu sein, staatlich wie privat.

Dies ist auch ein Erklärungsversuch, weshalb China etwas schaffte, was wir bislang für undenkbar hielten: ein kommunistisches Einparteiensystem mit starker zentraler Planung und Regulierung mit kapitalistischen Mechanismen erfolgreich zu vereinen.

Durch Big Data, Machine Learning und nicht zuletzt IoT (Internet of Things), erhalten wir immer exaktere Abbildungen der Realität und schaffen damit die Voraussetzungen für immer bessere (auch automatisierte) Entscheidungen. Dies ist zunächst ein neutraler Befund, was Technologie leisten kann. Es ist keine (ideologische) Wertung, ob irgendeine Art zentraler Planung innerhalb von Ökonomien unter diesen neuen Voraussetzungen überhaupt anzustreben sei.

In den USA gehen zahlreiche KI-Initiativen auf Private zurück, die einen großen Anteil globaler Daten auf sich vereinen. In China hat man 2017 zentral die politische Doktrin ausgegeben, die globale Führungsmacht in Sachen Künstlicher Intelligenz werden zu wollen. Dieser klaren strategischen Ansage folgten Entscheidungen, große und aggregierte Datenmengen für gemeinsame (staatliche) Ziele und KI-Programme zu nutzen.

Das zentrale zur Verfügung haben der passenden Datenquellen, quantitativ wie qualitativ, eint also die aufstrebenden KI-Mächte. Die verfolgten Ziele aber könnten unterschiedlicher nicht sein.

Quo vadis, Europa?

Europa scheint bei diesem Thema sinnbildlich zwischen den beiden Welten zu stehen. Wir regulieren Technologie mehr als die USA und positionieren uns sogar damit am Weltmarkt (siehe auch DSGVO), lehnen aber zu starke staatliche Eingriffe ab und glauben an sich frei entfaltende Unternehmer*innen und deren Wirkung.

Aber was tun bei tatsächlichem und schwerem Marktversagen? Kommt dann dem Staat eine stärkere Rolle zu? Die Frage, wie viel Staat und wie viel privat es in dieser Industrie braucht, ist vielschichtig. Aus technologischer Sicht könnten wir am Ende sogar beides brauchen, mehr privat und mehr Staat.


Auf dem Weg zur Entscheidungsökonomie

Als “Entscheidungsökonomie” bezeichne ich ein wirtschaftliches System, in dem private Teilnehmer und der regulierende Staat zunehmend auf die Optimierung ihrer digitalen “Entscheidungssysteme” mittels Hochtechnologie setzen. Wir sehen uns gleich an, was das bedeutet.

Die Entwicklung der Ökonomien war und ist bestimmt vom Wissen über sie, die verfügbaren Daten sowie die Entscheidungen, die man darauf basierend trifft. Wir stehen am Übergang von der Datenökonomie in die Entscheidungsökonomie. Zu Beginn der digitalen Revolution begannen wir, analoge Prozesse zu digitalisieren. Die Referenzen dabei waren fast immer physischer Natur. Dementsprechend fragil und schwach waren deshalb diese ersten digitalen Anwendungen in der Ära Web 1.0 und 2.0. Später lösten sich vereinzelte Anbieter von den analogen Referenzen und entwickelten, auch mithilfe von Web 3.0-Technologien und immer größeren und hochwertigeren Datenquellen (Big Data), intelligentere Anwendungen und Plattformen. Die Nutzenstiftung digitaler Technologien wuchs jetzt massiv, denn anders als in der ersten Phase der “Digitalisierung”, begann man jetzt, mittels neuer Datenmodelle die Kunden besser zu verstehen und Produkte mächtiger zu designen.

Und während der eine Teil der Welt noch immer am Beginn der Datenökonomie steht und versucht, seine analogen Prozesse zu digitalisieren, positionieren sich innovative Stürmer schon inmitten der neu entstehenden Entscheidungsökonomie. In ihr werden nicht mehr nur aufwendig Daten analysiert, sondern sie werden genutzt, um hoch-effiziente Entscheidungs-Maschinen damit zu trainieren. Das Ziel ist es, die schnellsten und besten Entscheidungsmaschinen zu entwickeln, die es je gab. Wir nennen diese Technologie Künstliche Intelligenz (KI).


Haben wir einen Plan für unsere KMU?

Wenn das Rückgrat einer Ökonomie überwiegend aus kleinen und mittleren Unternehmen besteht und man zudem Standortnachteile bei hochskalierenden Technologien und deren Finanzierung hat, tun sich selbige mit KI naturgemäß schwer. Die Entwicklung dieser Technologie ist besonders aufwendig, kostenintensiv und riskant. Unsere kleinteiligen Wirtschaftsstandorte haben obendrein den harten Wettbewerb in ihrer DNA. Mit wenigen Ausnahmen. Da und dort kennen wir erfolgreiche Genossenschaftsmodelle und in manchen Branchen (etwa Automobil oder Kunststoff) bündeln wir Interessen zu Clustern. Aber bringen Sie einmal einem starken europäischen Mittelständler bei, seine wichtigsten Daten für ein gemeinsames KI-Projekt zu teilen. Aber genau das braucht es jetzt bei vielen Anwendungen. Strategische Partnerschaften und Kooperationen von in harter Konkurrenz befindlichen Marktteilnehmern.

Um aus der Datenökonomie in die viel mächtigere Entscheidungsökonomie zu kommen, braucht es also schnellen Zugang zu aggregierten Daten, die sich zum Trainieren diverser KI-Systeme eignen. Eine in vielen Fällen benötigte Daten-Kooperation muss einen (auch monetären) Ausgleich unter jenen schaffen, die diese Daten sicher zur Verfügung stellen sowie die KI-Entwicklungen daraus finanzieren.

Eine kürzlich erschienene Studie aus Deutschland hat gezeigt, dass Unternehmen, die auf KI setzen, im Durchschnitt einen um 25 Prozent höheren Gewinn verzeichnen. Aber nicht einmal zehn Prozent der Unternehmen haben diesen Schritt gewagt.

Der Staat kann hier eine wichtige Aufgabe übernehmen und zur sicheren “Clearing-Stelle” werden, denn offensichtlich haben wir in diesem wichtigen Innovationsbereich ein folgenschweres Marktversagen, lassen doch rund 90 Prozent der Unternehmen den anstehenden Technologiesprung ungenutzt vorbeiziehen.

Die USA gründen eine Agentur, Europa schreibt ein Papier

In den USA hat man für die KI-Zukunft einen konkreten Plan erstellt. Die “National Artificial Intelligence Initative” ist eine KI-Agentur, die im Jänner diesen Jahres ihren Dienst aufgenommen hat. In Ihrem Zentrum steht die zentrale Koordination aller KI-Aktivitäten, um die Chancen aus dieser Technologie – sicher und ethisch – nutzen zu können.

Die digitale Strategie der EU, die vor kurzem das Licht der Welt erblickte, ist mal in Papierform erschienen. Sie klingt aber nicht unähnlich. Mit einer Ausnahme. Wie beim Datenschutz glaubt die EU auch hier, dass die Regulierung dieser Technologie ein globaler Wettbewerbsvorteil sein kann. Am Markt wiederum wünscht man sich ein hoch wettbewerbsfähiges Framework, in dem Sicherheit und Ethik selbstverständlicher Bestandteil sind, aber nicht zum alleinigen Produkt werden. Die selbstverständliche Sicherheit steht also im Zentrum, ob das Ding funktioniert oder den bestmöglichen Nutzen für die Bürger*innen stiftet, scheint weniger bedeutsam zu sein, zumindest wird dieser Eindruck da und dort geweckt.

Fairerweise liest sich das jüngste Dokument zur KI-Strategie besser als frühere Entwürfe, aber Europa scheint bei vielen Technologiefragen im Schwitzkasten der Angst-Industrie zu stecken.

Haben wir einen Plan für unsere KI-Wirtschaft?

Wir brauchen KI, die kompatibel zu unseren europäischen KMU ist. Die Fähigkeit aus (unseren) Daten auch die besten Entscheidungen zu treffen und damit ökonomisch erfolgreich zu sein, darf nicht den Großen überlassen werden. Nicht den großen Staaten und nicht den großen (nicht-europäischen) Unternehmen. Europas Zukunft in der Datenökonomie wird dadurch entschieden, ob KI seiner kleinteiligen Wirtschaft zugänglich gemacht werden kann oder nicht. Ob hunderttausende europäische Groß- und Einzelhändler selbst KI-basierte Nachfrage-Vorhersagemodelle entwickeln können, Logistik- und Produkt-Optimierungen, etc. darf bezweifelt werden. Und ob “der Markt” das abseits von Amazon und Shopify selbst in der Breite schafft, ist ebenso mehr als fraglich. (Die Situation ist aber von Industrie zu Industrie unterschiedlich zu bewerten.)

Wir können heute technologisch viele Industrie-Anforderungen in Core- und Backend- sowie in App- und Frontend-Bereiche unterteilen. Erstere könnte sich bei KI (ähnlich zu Energie oder Verteidigung) zu einer Art “Basis-Technologie” entwickeln, die bei besonders hohen Komplexitäten staatlich oder mittels PPP-Modellen zur Verfügung gestellt wird. Dies sollte nur dort geschehen, wo der Markt versagt und die Konsequenzen daraus für uns untragbar sind. Aber dort könnte es der rettende Strohhalm werden. Im Anwendungsbereich, also dem obersten Layer, kann der Wettbewerb toben und seine Ressourcen unternehmerisch einsetzen.

Ob der Staat bzw. die EU sich hier stärker engagieren wird, wir werden es sehen.

Fazit

Chinas ökonomische Zukunft liegt offenbar in einer “datenbasierten Planwirtschaft plus reguliertem Kapitalismus”. Der amerikanische “Plan” umfasst starke und autonome Private, überlässt die KI-Zukunft aber auch nicht diesen und bündelt alle strategischen Fragen in einer ordentlich ausgestatteten Agentur mit weitreichenden Befugnissen. Europas Plan für die KI-getriebene Entscheidungsökonomie steht jetzt mal auf einem Papier. Darin war einiges erwartbar und manches ermutigend. Frei nach Goethe möchte man nun zurufen: Nun lasset den Worten Taten folgen!


Zum Autor

Mic Hirschbrich ist CEO des KI-Unternehmens Apollo.AI, beriet führende Politiker in digitalen Fragen und leitete den digitalen Think-Tank von Sebastian Kurz. Seine beruflichen Aufenthalte in Südostasien, Indien und den USA haben ihn nachhaltig geprägt und dazu gebracht, die eigene Sichtweise stets erweitern zu wollen. Im Jahr 2018 veröffentlichte Hirschbrich das Buch „Schöne Neue Welt 4.0 – Chancen und Risiken der Vierten Industriellen Revolution“, in dem er sich unter anderem mit den gesellschaftspolitischen Implikationen durch künstliche Intelligenz auseinandersetzt.

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GitHub Accelerator
Foto: Adobe Stock

Mit künstlicher Intelligenz (KI) und Open Source ist es so eine Sache. OpenAI trägt den Anspruch der Offenheit zwar im Namen. Kritiker:innen – zu denen auch Elon Musk gehört – stellen sich aber die Frage, wie viel davon bei dem Unternehmen rund um CEO Sam Altman noch davon übrig ist. Und in der KI-Community ist es eine durchaus heiß diskutierte Frage, inwiefern es überhaupt wünschenswert ist, Modelle auf Open-Source-Basis zu veröffentlichen.

Gegner:innen argumentieren beispielsweise, dass frei zugängliche Modelle von “bösen” Akteur:innen für ethisch verwerfliche Zwecke eingesetzt werden können. Befürworter:innen des Open-Source-Ansatzes befürchten dagegen, dass die Tech-Riesen mächtige Modelle entwickeln, die für niemanden mehr nachvollziehbar seien.

Eine der wichtigsten Plattformen für OpenSource-Code ist jedenfalls GitHub. Seit 2018 gehört das bekannteste Tool für Versionsverwaltung zu Microsoft. GitHub unterhält auch einen eigenen Accelerator, mit dem Software-Projekte gefördert werden. In diesem Jahr dreht er sich ganz um das Thema KI – und zwar konkret, um Open-Source-KI. “Wir suchen nach Menschen und Projekten, die KI-basierte Lösungen mit einer Open-Source-Lizenz und einer Community entwickeln, um die Welt zu verbessern”, hieß es dazu im Aufruf des Unternehmens.

Projekt HackingBuddyGPT von TU-Forscher:innen für GitHub Accelerator ausgewählt

Am Freitag präsentierte GitHub nun die elf Siegerprojekte. Zum Zug kam dabei auch ein Projekt aus Österreich: HackingBuddyGPT möchte Forscher:innen im Bereich der IT-Security dabei helfen, große Sprachmodelle (LLM) dafür zu nutzen, um neue Angriffsvektoren ausmachen zu können – ohne dass dafür mehr als 50 Code-Zeilen nötig sein sollen.

Hinter dem Projekt stecken Forscher:innen der Technischen Universität Wien, es ist Teil des Interactive Programming & Analysis Lab. Der PhD-Student Andreas Happe ist der ursprüngliche Autor der Software, ebenfalls mit dabei sind Associate Professor Jürgen Cito sowie die Master-Studierenden Diana Strauß und Manuel Reinsperger.

Weiteres Projekt mit Österreich-Bezug in GitHub Accelerator

Österreich-Bezug hat auch noch ein weiteres Projekt im GitHub Accelerator: Bei LLMware.ai rund um US-Gründerin Namee Oberst ist der Österreicher Stefan Bachhofner an Bord. Er war in der Vergangenheit laut LinkedIn-Profil unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Wien sowie an der Wirtschaftsuniversität (WU) tätig.

Die ausgewählten Projekte erhalten Unterstützung im Gegenwert von fast 400.000 US-Dollar. 40.000 Dollar sind dabei Finanzierung von GitHub-Sponsoren. Zusätzlich können die Projekte im GitHub Accelerator bis zu 350.000 US-Dollar an Technologie-Leistungen von Microsoft abrufen, etwa in Form von Credits für Microsofts Cloud-Plattform Azure, mittels derer auch Zugang zu führenden KI-Modellen ermöglicht wird.

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