18.11.2021

EnliteAI: Wiener AI-Startup schafft es bei weltweiter Stromnetz-Blackout-Challenge unter die Top 3

Der französische Stromnetzbetreiber RTE hat die L2RPN “learning to run a powergrid” Challenge ins Leben gerufen, damit internationale Forscherteams AI-basierte Ansätze zur Vermeidung von Stromausfällen erarbeiten. Das Wiener Startup EnliteAI rund um Clemens Wasner schaffte es auf den dritten Platz und erzielt nun in der Branche für seine Lösung ein internationales Echo.
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v.l.n.r. Matthias Dorfer Clemens Wasner, Marcel Wasserer von EnliteAI | (c) LinkedIn-Profile & EnliteAI

Schwankungen im Stromnetz bis hin zu regionalen Blackouts entwickeln sich weltweit zu einem immer größeren Problem. Grund dafür ist die steigende Komplexität der Stromnetze. Zudem nimmt auch die Volatilität durch den vermehrten Einsatz von Wind- und Sonnenenergie im Strommix zu. Klassische Systeme von Netzbetreibern stoßen daher an ihre Grenzen und können oftmals nur durch manuelle Interaktion die nötige Stabilität erzielen.

Internationale Forschungs-Challenge

Um diesem Problem zu begegnen und den Herausforderungen dezentraler Netze künftig gerecht zu werden, hat der französische Strombetreiber Réseau de Transport d’Electricité (RTE) bereits im Jahr 2017 die sogenannte L2RPN “learning to run a powergrid”-Challenge ins Leben gerufen. Im Rahmen des Wettbewerbs waren internationale Forscherteams dazu aufgerufen, Lösungen zur Optimierung von Stromnetzen zu entwickeln.

Aufgrund der Dezentralisierung steigen auch die Anforderungen an die Stromnetze | (c) AdobeStock

Reinforcement Learning als Lösung

Als einer der vielversprechendsten Ansätze in diesem Bereich gilt dabei Reinforcement Learning (RL). Dabei handelt es sich um eine Machine-Learning-Methode, die sich darauf konzentriert, intelligente Lösungen auf komplexe Steuerungsprobleme zu finden. Ziel war es, basierend auf einer realistischen Simulationsumgebung AI Agenten zu trainieren, bis sie entlang von vordefinierten KPIs optimale Strategien gegen einen etwaigen Blackout finden. Im Rahmen der Challenge diente das kalifornische Stromnetz als digitale Simulationsumgebung – ein Netz das in der Realität als besonders störungsanfällig gilt.

EnliteAI erzielt internationalen Erfolg

Als einziges österreichisches Unternehmen beteiligte sich das Wiener Startup Enlite AI rund um Clemens Wasner, Marcel Wasserer, Johannes Stumtner und Mattthias Dorfer an der Challenge. Das Startup arbeitet bereits seit mehr als zwei Jahren an einem sogenannten RL Framework namens Maze, das bereits erfolgreich in der Logistik zum Einsatz kommt. Wie Wasner erläutert, wurde das Framework im Rahmen der Challenge um spezifische Komponenten für Powergrids erweitert.

Und das mit Erfolg: “Die Competition ging vorletzte Woche zu Ende und der von uns entwickelte, auf AlphaZero inspirierter RL-Ansatz erzielte mit dem dritten Platz eine Top-Platzierung auf den offiziellen Testszenarien”, so Wasserer. EnliteAI war übrigens das einzige westliche Team, das es zu einer Top Platzierung geschafft hat – hinter Tencent & Baidu und noch vor dem Team von Chinese National Powergrid. Mehr über die Ergebnisse der Challenge könnt ihr hier nachlesen.

(c) EnliteAI

Internationales Echo für EnliteAi

Wie die Gründer weiters ausführen, wurde im Rahmen der Challenge der Grundstein für ein AI-gestützte Assistenz Tool für Stromnetzbetreiber gelegt. Zudem sei der französische Stromnetzbetreiber und Veranstalter der Challenge RTE an einer Forschungskooperation interessiert. Auch erste Anfragen von deutschen Strombetreibern hätte es bereits gegeben. Parallel dazu läuft auch ein Patentantragsprozess, um sich künftige IP-Rechte zu sichern. Nähere Details dazu sollen laut Wasner aber noch folgen.

Sofern es dem Wiener Startup gelingt, die Lösung erfolgreich an Stromnetzbetreiber zu vermarkten, könnte das verhältnismäßig kleine 15-köpfige Team von EnliteAI einen internationalen Coup erzielen. Wie Wasner abschließend ausführt, würden Betreiber nämlich jährlich Millionen an Euro dafür ausgeben, um die Netze vor etwaigen Ausfällen zu schützen. Dazu zählen unter anderem der Zukauf von Kapazitäten oder Redispatching-Maßnahmen, um Netzengpässe zu vermeiden. Als geeignetes Geschäftsmodell für den sehr limitierten aber lukrativen Markt nennt Wasner ein Value-Based Business Modell, das sich an den Kosten etwaiger Stromausfälle orientiert.

Dass derartige Blackouts nicht nur Stoff für einen apokalyptischen Kinofilm sind, bewies übrigens der 8. Jänner 2021. An diesem Tag ist der europäische Kontinent knapp an einem Blackout vorbeigeschrammt. Schuld daran waren automatische Abschaltungen in Südeuropa aufgrund von fehlender Netzreserven. Im Schnitt bleiben Grids derzeit laut RTE nur zirka eine Stunde ohne manuelle Interaktion stabil. Die Lösung aus Wien könnte hierfür künftig eine Abhilfe schaffen.


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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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