05.10.2017

Eine tickende Zeitbombe?

Mit dem USD-Tether hat ein Privatunternehmen einen Quasi-Dollar für die Blockchain geschaffen. Das ist praktisch und erfolgreich - könnte aber zu einem massiven Problem für Bitcoin und den ganzen Kryptosektor werden.
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(c) NicoElNino - fotolia.com

Schritt für Schritt tastet sich die Wall Street an Bitcoin heran. Zuerst kam Jamie Dimon, Chef von JP Morgan. Er hält die Kryptowährung für einen „Betrug, schlimmer als Tulpenzwiebel“. Dann kam Loyd Blankfein, Chef von Goldman Sachs. Er kann sich noch nicht so recht entscheiden, ob er Bitcoin nun gut oder schlecht findet. In jedem Fall ist seine Investmentbank vorne mit dabei, was das Thema betrifft. Die Analysten erstellen seit dem heurigen Sommer Analysen zum Thema. Und jetzt wird laut „Wall Street Journal” sogar überlegt, einen eigenen Trading-Desk einzurichten. Die jüngsten Kommentare kommen von Larry Fink, Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock. „Ich glaube stark an das Potenzial dessen, was Kryptowährungen tun können“, sagte Fink. Er sehe „große Möglichkeiten“. Aber die aktuelle Atmosphäre rund um Bitcoin sei „sehr spekulativ“. Und damit hat er sicherlich recht. Auch die Verfechter von Bitcoin bestreiten nicht, dass sich der Markt für Crytowährungen noch immer in der Wild-West-Phase befindet – auch wenn mehr und mehr Regierungen versuchen, ihn zu regulieren.

Ein Schrecken für die Anleger

Was aber angesichts der spektakulären Kursgewinne von Krypto-Spekulanten gerne übersehen wird, ist das sehr reale Risiko für massive Rücksetzer, die durch reale Events ausgelöst werden. Genauso wie an den traditionellen Märkten die Katastrophe von 2008 längst vergessen ist, haben auch die Bitcoin-Fans die Ereignisse rund um den Zusammenbruch der japanischen Börse Mt. Gox verdrängt. Dieses Ereignis hat Anfang 2014 einen jahrelangen Bitcoin-Bärenmarkt ausgelöst.

Nun wissen wir freilich nicht, ob so etwas wieder passieren wird und in welcher Form. Es gibt aber eine Geschichte, die Bitcoin-Anlegern zumindest einen Schrecken einjagen sollte. Das ist die Geschichte von Tether. Da sind gleich mehrere potenzielle Zeitbomben vergraben, deren Explosion die Bitcoin-Welt ordentlich durchrütteln könnte. Eine Gefahr, die der Blogger Bitcrypted in einer Serie von Artikeln ausführlich dokumentiert hat. Auch Izabella Kaminska von der „Financial Times“ hat Tether bereits ausführlich beleuchtet. Und hier findet sich eine Zusammenfassung der Situation von Bitcoin.com Der vorliegende Artikel soll eine deutschsprachige Einführung in das Thema geben.

Was ist überhaupt Tether?

Ein Tether, oder genauer USD-Tether, ist technisch gesehen eine Kryptowährung. Aber anders als bei anderen derartigen Assets, wird der Preis für einen Tether nicht von Angebot und Nachfrage am Markt ermittelt, sondern ist immer gleich: ein Tether entspricht einem US-Dollar.
Die Idee an sich ist einfach und sogar genial: Der Handel zwischen Krypto- und Papierwährungen ist mühsam und auf den Börsen oft mit hohen Gebühren verbunden. Dazu kommt, dass bei derartigen Trades in vielen Ländern zusätzliche Steuern anfallen, weil man sich von einer „Welt“ in die andere bewegt. Aber dank Tether gibt es jetzt eine Alternative: Was unter dem Kürzel USDT firmiert ist nichts anderes, als ein Krypto-Dollar. Was hier geschaffen wurde, ist genau das, wovon die Zentralbanken bisher nur reden: eine staatliche Fiat-Währung auf der Blockchain.
Aber Moment! Hier sehen wir schon das erste und wohl auch größte Problem mit Tether. Der USDT ist nämlich keine staatlich Währung. Er wird von einer privaten Firma herausgegeben. Das alleine sollte jedem Investor zu Denken geben, egal ob er selbst Tether verwendet oder nicht.
Während der Umgang der Notenbanken mit Kryptowährungen an sich noch etwas unbeholfen ist und offen scheint, wie sie reagieren, sollte die zu erwartende Reaktion der US-Notenbank Federal Reserve auf USDT niemanden überraschen, wenn sie einmal kommt. Offiziell gibt es dazu zwar noch nichts – aber es ist nicht davon auszugehen, dass die Fed diesem Treiben ewig zusehen wird. Um es in einem Satz zusammen zu fassen: Da druckt jemand Dollars auf der Blockchain. Wie lange, bis der Staat oder die Notenbank da eingreift?

Nicht die ersten, die „Dollars“ schaffen

Izabella Kaminska vergleicht Tether mit dem so genannten „Eurodollar“-Markt. Das ist ein Konzept aus der traditionellen Finanzwelt, das zwar weitgehend missachtet und schlecht verstanden wird, dessen Bedeutung aber gar nicht überschätzt werden kann. So war der Kern der Finanzkrise 2008 am Ende nicht mehr eine Krise des US-Immobilienmarktes und auch nicht mehr des US-Bankensektors – trotz Lehman. Der harte Kern der Krise war in Europa zu finden, in eben diesem „Eurodollar“-Markt. Als Eurodollar wird in der Regel eine in Dollar nominierte Verbindlichkeit bezeichnet, die nicht direkt den Regeln der US-Regierung und der US-Notenbank unterworfen ist.

Um es so simpel wie möglich zu machen: De facto schaffen ausländische Banken in diesem Eurodollar-Markt zusätzliche Dollars, weil eben diese Verbindlichkeiten am Markt wie Dollars gehandelt werden. Das war jahrzehntelang auch kein Problem, weil der Markt sich selbst reguliert hat. Wer seine Verbindlichkeiten nicht bedienen konnte, wurde in Zukunft gemieden und musste sich ändern oder in Konkurs gehen. So ist der Eurodollar-Markt gewachsen und gewachsen und hat auch die Börsen auch nach oben getrieben. Aber als 2008 alle Banken untereinander plötzlich das Vertrauen verloren, stand die Federal Reserve vor einer schwierigen Entscheidung: Schickt sie „echte“ Dollars, um die „falschen“ im Eurodollar-System zu ersetzen – oder riskiert sie einen totalen Zusammenbruch der Finanzmärkte, ausgelöst vom Kollaps eben dieses Eurodollarmarktes? Sie hat sich für Option A entschieden und die Notenpresse angeworfen: Quantitative Easing nannte sich das.

Es gibt Präzedenzfälle

Aber auch wenn die Funktionsweise ähnlich ist: Im Fall von USDT auf den Kryptomärkten wird die Fed sich sicher nicht zu einer Rettungsaktion hinreißen lassen. Warum auch? Hier geht es nicht um ein ganzes System, das langsam zu großer Bedeutung für die Finanzwelt angewachsen ist, sondern um nur eine Firma mit Sitz in Hong Kong, die Dollars für die Blockchain druckt. Je populärer der USDT ist, desto eher werden die Behörden sich etwas einfallen lassen müssen. Gleichzeitig erhöht eine wachsende Popularität von USDT auch die Fallhöhe. Tether hat im übrigen auch Euro-Tether im Programm und will in weitere Währungen expandieren, etwa den japanischen Yen.

Redaktionstipps

Aber noch ist der USDT mit großem Abstand das wichtigste Produkt der Firma. Während in USDT derzeit rund 440 Millionen Dollar stecken, sind nur Euro-Tether im Wert von rund 1600 Euro im Umlauf – da kann man aus Sicht der EZB also noch vernachlässigen.
Die Gefahr für Tether kommt also am ehesten von den US-Behörden: Es gibt auch durchaus Präzedenzfälle dafür, was den Tether-Erfindern droht. Etwa das Schicksal der so genannten „Liberty Reserve“, die ebenfalls digitale „Dollars“ verkauft hat. Sie wurde im Mai 2013 von den US-Behörden unter Anwendung des Patriot Act dicht gemacht. Dann gab es da auch den „Liberty Dollar“. Dessen Erfinder Bernard von NotHaus wurde 2011 wegen Geldfälschung verurteilt, weil er Münzen hatte produzieren lassen, die dem echten Dollar zu ähnlich waren.

Der „falsche“ Dollar als sicherer Hafen

Das ist also das Problem Nummer eins für Tether: Ein Eingriff der Behörden, der alle im Umlauf befindlichen Tether-Token von einem Moment auf den anderen wertlos machen würde. Denn anders als bei Bitcoin oder anderen Cryptowährungen ist der Wert eines Tether nur garantiert durch das Versprechen der Tether-Muterrfirma, mit Sitz in Hong Kong, den Wert bei genau einem Dollar zu halten. Was wird aus diesem Versprechen, wenn die Behörden eingreifen und Tether etwa zu „gefälschten Dollars“ erklären – oder einen anderen juristischen Grund finden, den Laden dicht zu machen?

Jetzt sagen sich viele Anleger natürlich: „Ok, aber das interessiert mich nicht, ich verwende USDT ja gar nicht.“ Die Reaktion ist verständlich. Aber leider ist die Sache nicht so einfach. Denn USDT ist inzwischen ein nicht mehr wegzudenkender Faktor im Cryptosektor. Das geht sogar so weit, dass USDT tatsächlich die Rolle des Dollars übernimmt und in Krisenzeiten als „sicherer Hafen“ fungiert. Es ist auch nicht überraschend: Warum in den „echten“ Dollar flüchten, wenn der Weg in USDT einfacher und günstiger ist? Eine plötzliche Entwertung dieser Tokens würde den Markt massiv durchrütteln. Alle großen Börsen wären betroffen, weil sie Tether-Pairs anbieten.

Binnen weniger Monate um 4300 Prozent rauf

Wie groß die Bedeutung von Tether inzwischen ist, kann man auf Coinmarketcap nachlesen. Dort wird USDT aktuell auf Platz 19 der am höchsten kapitalisierten Assets gelistet – rund 440 Millionen Dollar sind derzeit geparkt. Wirklich dramatisch wird es aber, wenn man sich die Charts anschaut.
Nun ist die Preisentwicklung für Tether weder überraschend noch spektakulär, sondern so wie sie sein sollte: stabil bei einem Dollar. Aber anders als Bitcoin ist Tether beliebig vermehrbar. Und die privaten Eigentümer der Tether-Zentralbank haben in diesem Jahr die Notenpressen angeworfen wie nie zuvor. Anfang Jänner waren nur Tether im Umfang von 10 Millionen Dollar im Umlauf. Seitdem ist die Marktkapitalisierung um 4300 Prozent in die Höhe gegangen.

Es kommt nur aufs Vertrauen an

Hier liegt der zweite Hund in Sachen Tether begraben: Bitcoin hat die Idee etabliert, dass es keine zentrale Stelle braucht, um Vertrauen zu erzeugen – dass die Blockchain das übernehmen kann. In der aktuellen täglichen Realität der Kryptomärkte wird dieses Prinzip bereits untergraben, weil der allergrößte Teil der Anleger sich auf zentralisierte Börsen verlassen muss. Aber immerhin: Wenn die Coins erstmal in der eigenen Wallet sind, muss man auch auf eine Börse nicht vertrauen. Und mehrere Projekte suchen nach Lösungen für dieses Problem, nach einem Weg auch den Handel zu dezentralisieren.
Aber bei Tether ist das unmöglich. Ja, aktuell werden die Token natürlich auch direkt um den Preis von einem Dollar pro Stück gehandelt. Aber das basiert nur auf dem Versprechen der Firma, immer einen echten Dollar pro Tether-Token bereit zu halten. Der Blogger „Bitcrypto’ed“ bezweifelt stark, dass das der Fall ist.

Der lästige Blogger

In Folge seiner Artikel hat die Firma hinter Tether erst kürzlich das Memorandum eines Wirtschaftsprüfers veröffentlicht, das beweisen soll, dass man tatsächlich über das Geld verfügt. „Bitcrypto’ed“ hat seinerseits sofort Zweifel an der Aussagekraft dieses Dokuments angemeldet – vor allem, weil die Bankverbidungen ausgeschwärzt sind. Tatsächlich sind aber genau diese Bankverbindungen entscheidend, denn nur mit Zugang zu frischen „echten“ Dollars kann Tether glaubhaft versichern, dass man wirklich über genügend Reserven verfügt.
Solange die Behörden untätig bleiben ähnelt die Situation bei Tether jener einer Währung, die an Goldreserven gebunden ist. Am Ende kommt es auf das Vertrauen der User an: Solange die daran glauben, dass sie sich auf die Stabilität von Tether verlassen können – oder dass sie sicher sind, weil sie ohnehin nur kurzfristig in dieses Asset investiert sind – solange kann das System weiterlaufen wie bisher. Diese Situation ist für traditionelle Anleger, die inzwischen staatliche Währungen, Regulierungen und staatliche Einlagensicherungen gewohnt sind, sicherlich unerträglich. Aber im Grunde ist daran nichts auszusetzen. Der Markt kann entscheiden. Und Bitcoin-Investoren müssen ohnehin eine dicke Haut haben. Bis jetzt funktioniert es ja.

Down the rabbit hole

Aber „Bitcrypto’ed“ hat noch eine Reihe weiterer Vorwürfe im Köcher. Er hat eine ganze Theorie gesponnen, die (sofern sie sich bestätigenden sollte) tatsächlich dramatische Folgen für den Bitcoin-Markt haben könnte. Das gesamte Material ist auf seinem Medium-Account nachzulesen und
hier wird von Fabian vom CryptoCircle auch auf Deutsch gut erklärt
.Die Theorie geht so: Tether und die Börse Bitfinex gehören zusammen. Dieser Umstand wird von beiden nicht wirklich geleugnet und auch von der „Financial Times“ so akzeptiert. Hier findet man eine Illustration der angeblichen Firmenstruktur.

Das Problem: Bitfinex – und damit Tether – hat schon vor Monaten den Zugang zum US-Bankensystem verloren. Gleichzeitig ist die Ausgabe neuer Tether plötzlich massiv in die Höhe gegangen. Unterm Strich wirft „Bitcrypto’ed“ Bitfinex und Tether nicht nur vor, sich über die Schaffung neuer Tether-Tokens Zugang zu echten Dollars zu verschaffen – sondern auch, durch fragwürdige Trades (Spoofing) auf der eigenen Plattform den Bitcoin Preis nach oben zu treiben . Auch eine Verbindung zur mittlerweile von den US-Behörden in Kooperation mit Griechenland geschlossenen Börse BTC-E, die für Geldwäsche bekannt war, wird angedeutet. Diese Vorwürfe sind Extrem schwerwiegend und zwischen dem Blogger und Bitfinex/Tether ist inzwischen ein regelrechter Informationskrieg entstanden, der sich auf Blogs und auf Twitter abspielt. Aus unserer Sicht ist es nicht möglich, die Vorwürfe im Detail zu überprüfen – man kann nur zur Vorsicht raten.

Fazit: Keine langfristigen Positionen

Zusammenfassend läßt sich sagen, dass die Verwendung von US-Tether für Crypto-Trader viele Vorteile bringt – aber auch, dass die Struktur von US-Tether aus mindestens zwei Gründen problematisch ist: Weil die US-Behörden eingreifen könnten um das Treiben zu stoppen. Und weil das Vertrauen der User verloren gehen könnte, was einen Bankrun auslösen würde. Sollten sich die zusätzlichen Vorwürfe des Bloggers „Bitcrypto’ed“ bewahrheiten, droht nicht nur den Haltern von US-Tether der Totalverlust ihres dort investierten Vermögens, sondern auch eine massive Korrektur im ganzen Crypto-Markt – angeführt von Bitcoin. Es kann aber auch in die andere Richtung gehen. Tether könnte die Transparenz weiter erhöhen und die Anleger dadurch beruhigen.

Aber selbst wenn alles gut geht und Tether seine Position weiter ausbauen kann, bleibt die Frage: Was wird aus USDT-Token, wenn einmal offizielle Fiat-Währungen auf der Blockchain verfügbar sind? Selbst wenn die Fed oder andere US-Behörden nicht direkt gegen US-Tether vorgehen, könnte ein offizieller US-Dollar auf Blockchain-Basis den Tether von heute verdrängen. Es scheint deshalb ratsam, zumindest auf langfristige oder allzu große Positionen in Tether zu verzichten – um das Risiko einer bösen Überraschung zu minimieren.

Und dann gibt es noch ein unangenehmes Detail: Das gerade im deutschen Sprachraum sehr beliebte Krypoasset IOTA, das sich als Backbone des „Internet of Things“ etablieren will, kann aktuell nur auf einer einzigen Börse gehandelt werden: auf dem umstrittenen Bitfinex. Auch hier gilt: Vorsicht ist besser als Nachsicht.

Zum Autor:

Nikolaus Jilch ist seit 2011 Redakteur im “Economist” der Tageszeitung “Die Presse”. Als Experte für Geldpolitik, Währungen und Edelmetalle beschäftigt er sich seit 2012 auch mit Bitcoin und der Blockchain. Seine Kolumne “Wertsachen” erscheint jeden Samstag in der “Presse”. Twitter: @JilNik

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v.l. Die beiden Founding Partner Laurenz Sim- bruner und Lukas Püspök | (c) Tina Herzl

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Ein Link zum Download findet sich am Ende des Artikels.

Spätestens mit dem Sieg von Donald Trump bei den US-Wahlen und der angekündigten Rückkehr seiner „America First“-Politik ist die Debatte über die Technologiesouveränität in Europa neu entfacht. Unter dem Motto „Drill, baby, drill!“ hat Trump zudem angekündigt, die Förderung fossiler Energieträger wie Öl und Gas massiv ankurbeln zu wollen. Gleichzeitig ist Europa in zentralen Industrien wie der Solar- und Batterietechnologie stark von China abhängig. Angesichts dieser Herausforderungen stellt sich die Frage, welche Marktchancen europäische Climate-Tech-Startups im geopolitischen Spannungsfeld zwischen den USA und China künftig haben.

Diese Frage beleuchten wir aus Investorensicht im Gespräch mit Lukas Püspök und Laurenz Simbruner – sie sind Founding Partner des Wiener Venture-Capital-Fonds Push, der gezielt in Health-Tech- und Climate-Tech-Startups investiert. Püspök leitet zudem das gleichnamige Familienunternehmen, das einer der größten Windkraftbetreiber Österreichs ist.


Wie schätzt ihr die aktuelle Finanzierungslage für Startups aus Investorensicht ein?

Laurenz Simbruner: Die erwartete deutliche Verbesserung bei Dealchancen blieb 2024 aus. Viele hatten die Hoffnung, dass der Markt wieder stärker anzieht, aber das war eher eine vorsichtige Prognose als Realität. Stattdessen erlebten wir ein Jahr, das stark im Zeichen selektiver Investments stand – Flight to Quality und ein klarer Fokus auf Unit Economics und den Weg zur Rentabilität. Besonders Top-Teams und Serial Entrepreneurs hatten es beim Fundraising leichter. Im Bereich Climate-Tech war weiterhin Finanzierung da, vor allem von neueren Fonds, die bereits 2021 und 2022 geraist wurden. Doch auch hier gab es erste Anzeichen von Ernüchterung.

Wie äußern sich diese Anzeichen der Ernüchterung im Climate-Tech-Sektor?

Lukas Püspök: Noch vor zwei Jahren waren die Erwartungen hoch – viele Pitch Decks gingen von extremen Energiepreisen aus, und selbst kleine Einsparungen durch Softwarelösungen wurden als äußerst wertvoll angesehen. Heute sind die Energiepreise in Europa zwar leicht erhöht, aber weitgehend normalisiert. Das führt zu einer gewissen Normalisierung der Nachfrage nach spezifischen Lösungen. Doch der Megatrend Climate-Tech bleibt intakt: Lösungen im Kampf gegen die Klimakrise sind weiterhin dringend notwendig, und das Potenzial für neue Technologien ist groß. Besonders Boom-Technologien wie Batterien bleiben gefragt. Allerdings erschweren die wirtschaftliche Situation in Europa und der geopolitische Druck zwischen China und den Vereinigten Staaten die Entwicklungen in der Clean-Tech- und Climate-Tech-Branche.

Der Megatrend Climate-Tech bleibt intakt.

Laurenz Simbruner: Interessant ist auch die Entwicklung bei den Investitionsvolumina: Nach einem Anstieg über drei Quartale gab es zuletzt wieder einen Rückgang. Besonders Deals im Bereich künstliche Intelligenz ziehen hier Aufmerksamkeit auf sich, da viele Mega-Rounds ein Drittel des Investitionsvolumens in Anspruch nehmen. Unsere beiden Bereiche Klima und Gesundheit bleiben jedoch noch immer unter den Top-Verticals. Der Fokus im Climate-Tech-Bereich verschiebt sich hin zu echten Herausforderungen der Energiewende und Industrie. ESG-Monitoring oder reine Energiemonitoring-Lösungen reichen nicht mehr aus – es geht darum, die großen Probleme anzugehen. Beispielsweise spielt die Steuerung zwischen Energieproduzenten, Speichern und Abnehmern eine zentrale Rolle, und hier kann Software Effekte erzielen.

Lukas Püspök: Die Komplexität im Energiebereich steigt enorm, die neue Energiewelt ist wesentlich vielschichtiger und dynamischer als früher. Das schafft ein ideales Umfeld für neue Technologieunternehmen, die mit ihrer Agilität und Innovationskraft Lösungen bieten können, die traditionelle Akteure oft nicht schnell genug umsetzen. In diesem Feld ergeben sich fast zwangsläufig große Wachstumschancen für neue Technologieunternehmen. Die Herausforderungen und Möglichkeiten sind so groß, dass es fast nicht anders kommen kann.

Welche Chancen bestehen für Startups im Energiebereich angesichts der dominanten Marktposition Chinas im Hardwarebereich?

Lukas Püspök: Ja, tatsächlich sind die meisten wesentlichen Technologien mittlerweile fest in chinesischer Hand. Bei Wärmepumpen könnte Europa noch eine kleine Chance haben, aber auch hier zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei den Wechselrichtern: Vor einigen Jahren hatten auch die europäischen Hersteller noch eine gewisse Relevanz am Weltmarkt, heute spricht jedoch fast jeder nur noch über Huawei und ein paar andere, die ihre Dominanz klar ausbauen konnten.

Diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren nicht einfach aufhalten lassen. China hat ein enormes Production-Know-how aufgebaut. Die Unternehmen dort sind in Forschung und Entwicklung sowie im Bau großer Produktionsanlagen extrem stark geworden. In Europa wird es sehr schwierig, dieses Niveau schnell zu erreichen.

Die USA gehen einen anderen Weg: Mit dem Inflation Reduction Act fließt viel Kapital in den Aufbau von Produktionskapazitäten, was den USA möglicherweise Vorteile verschafft. In Europa fehlen vergleichbar starke Investitionsanreize und langfristige Strategien, wie sie in China und den Vereinigten Staaten umgesetzt werden.

Historisch gesehen sind industrielle Erfolge eng an günstige Energiepreise gebunden.

Das bedeutet jedoch nicht, dass es für europäische Startups im Energy-Tech-Bereich keine Chancen gibt. Es gibt zahlreiche Felder, in denen sie erfolgreich sein können – von der Ausgleichsenergie über das Energiekostenmanagement bis zur Batterieoptimierung und Implementierung, um nur ein paar zu nennen. Hier bieten sich viele Möglichkeiten zur Wertschöpfung.

Wenn jedoch jemand in Europa eine neue Solarzelle entwickeln möchte, ist Skepsis angebracht, ob eine solche Entwicklung hier wirklich konkurrenzfähig in die Massenproduktion gehen kann. Deshalb liegt unser Fokus ohnehin nicht auf Hardware. Sie kann zwar eine Rolle spielen, aber der Hauptwert sollte immer aus der Softwarekomponente kommen – auch wenn das im Energy-Tech-Bereich manchmal herausfordernd ist.

Welchen Investitionsfokus verfolgt Push im Energiebereich?

Lukas Püspök: Unser Fokus liegt immer auf Asset-Light-Ansätzen, selbst bei Projekten mit Hardwarekomponenten. Wir sind offen, auch Hardware anzusehen, aber der wesentliche Wert wird in Europa öfter durch Software geschaffen, seltener durch herausragende Hardwareentwicklung und Produktion.

Laurenz Simbruner: Das liegt auch daran, dass wir als Tech-Investoren darauf achten, wie leicht Folgefinanzierungen gesichert werden können. Bei reinen Hardware-Investments stoßen wir auf Widerstände: Rund drei Viertel der potenziellen Investoren sagen bei „Hardware only“ Nein. Das erhöht das Risiko, dass eine Anschlussfinanzierung scheitert oder man alternative Finanzierungsquellen wie strategische Investoren oder Family Offices anstreben muss.

Was muss Europa tun, um im Energiebereich Technologiesouveränität zu erlangen?

Lukas Püspök: Europa kann nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn es langfristige, klare Policies ähnlich wie die anderen großen Wirtschaftsräume umsetzt. China hat mit seinen Fünfjahresplänen schon vor Langem begonnen, grüne Technologien und Batterien strategisch zu fördern, und unterstützt seine Unternehmen auf vielen Ebenen. Die USA setzen auf den Inflation Reduction Act, der klare Impulse für die Industrie bietet. Im Vergleich dazu wirkt Europa mit seinen Initiativen wie dem Green Industrial Deal fast zurückhaltend und politisch fragmentiert, was große Schritte erschwert.

Wir brauchen diese Klarheit in der europäischen Politik, um unsere Industrie zu halten und wettbewerbsfähige, günstige Energie zu sichern. Historisch gesehen sind industrielle Erfolge eng an günstige Energiepreise gebunden, und auch für Europa ist der massive Ausbau erneuerbarer Energien alternativlos. Manche Stimmen sprechen sich zwar für mehr Kernenergie aus, aber der gänzlich fossilfreie Ausbau bleibt das Ziel; besonders, da Europa keine großen natürlichen Ressourcen besitzt. Wir müssen so viel wie möglich selbst in Europa erneuerbar produzieren.

Der Fokus im Climate-Tech-Bereich verschiebt sich hin zu echten Herausforderungen der Energiewende und Industrie

Donald Trump hat die US-Wahlen gewonnen und setzt sich für fossile Energieträger ein. Inwiefern ist das eine Gefahr für den europäischen Climate-Tech-Sektor?

Lukas Püspök: Die aktuellen Entwicklungen in den USA stellen für den europäischen Climate-Tech-Sektor aus meiner Sicht keine allzu große Gefahr dar. Wenn die USA erneut aus dem Klimaabkommen austreten und die Schiefergas- und Schieferölproduktion steigern, wird dies zwar Auswirkungen haben, doch Europa wird weiterhin konsequent auf Zukunftstechnologien setzen. Diese klare Haltung stärkt das europäische Ökosystem und zeigt eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber globalen politischen Veränderungen. Insgesamt halte ich den Wahlausgang für die Klimabemühungen für sehr bedauerlich – für die Chancen der europäischen Climate-Tech-Unternehmen aber nicht für eine fundamentale Gefährdung.

Laurenz Simbruner: Viele Climate-Tech-Lösungen dienen primär der Kostenreduktion und der Produktivitätssteigerung. Der Kundennutzen steht dabei im Vordergrund, z. B. durch geringeren Verbrauch oder höhere Effizienz. Die Entscheidung für solche Innovationen ist oft wirtschaftlich motiviert und nicht rein ideologisch. So spielt auch in den USA der wirtschaftliche Nutzen eine entscheidende Rolle – und erneuerbare Technologien wie Photovoltaik setzen sich langfristig durch, wenn sie wirtschaftlich sinnvoll sind.

Lukas Püspök: Letztlich zeigt sich: Technologien setzen sich dauerhaft nur dann durch, wenn sie einen entsprechenden Kundennutzen bringen. In vielen Fällen sind aber Anschubfinanzierungen notwendig, um Technologien wie Photovoltaik zu etablieren und günstige, nachhaltige Lösungen weltweit zu fördern. Der große Photovoltaikboom auf österreichischen Dächern begann weniger aus Umweltgründen oder weil plötzlich jeder grünen Strom wollte; vielmehr wollen wir uns im Lichte der hohen Kosten und der Abhängigkeit von Importen wirtschaftlich absichern. Dieses Prinzip zeigt sich auch in den USA: Zwar könnte man mehr Öl und Gas fördern, und in gewissem Umfang wird das leider auch passieren, aber in vielen Fällen ergeben andere Energieformen wirtschaftlich mehr Sinn. Auch die USA werden PV, Windkraft und Batterien weiter stark ausbauen, hauptsächlich, weil sie in der Stromproduktion zu fast konkurrenzlos günstigen Technologien geworden sind.


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