21.09.2021

“Durch Agiles Arbeiten wird die Organisation sicher nicht effizienter”

Was kann agiles Arbeiten und was kann die Methode nicht? Beim Innovation.Network.Talk vergangene Woche gab es einen Blick hinter das Buzzword.
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Heike Mensi-Klarbach über agiles Arbeiten
Heike Mensi-Klarbach | (c) brutkasten / Magdalena Schauer Burkart
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Es ist kundenzentriert und soll dank seiner Anpassungsfähigkeit schneller, bessere Ergebnisse liefern: das agile Arbeiten. Inzwischen heften sich sehr viele Unternehmen auf die Fahnen, die Methode zu nutzen. Ob diese Behauptung tatsächlich stimmt hängt auch davon ab, wie genau man es mit der Definition nimmt. Denn die aus der IT stammende Arbeitsweise basiert auf einem Manifest, das genaue Regeln enthält. “Das ist eine relativ strikte Methodologie. Man setzt cross-funktionale Teams zusammen und folgt einem Schema X – immer und immer wieder”, erklärt Raiffeisenbank International (RBI)-HR-Chefin Heike Mensi-Klarbach in ihrer Keynote beim Innovation.Network.Talk vergangene Woche.

Gibt es agiles Arbeiten nur in der IT?

Agiles Arbeiten führe zwar im Output zu Flexibilität, “aber es ist nicht willkürlich, es ist nicht alles möglich. Es muss tatsächlich sehr stark getaktet und sehr genau organisiert sein”, so Mensi-Klarbach. Zwar seien etwa 20 Prozent der rund 1000 Leute, die in der RBI in agilen Teams arbeiten, nicht IT-Fachkräfte. Doch auch diese würden als Teil der typischen cross-funktionaler Teams nur an IT-Projekten arbeiten. In anderen Bereichen arbeite man also nicht agil im eigentlichen Sinne. Doch es gelte: “Wir können sehr viel vom Agile-Ansatz lernen und wenden es in Elementen auch schon in anderen Bereichen an. Damit können wir etwa die funktionalen Silos, die es normal in großen Unternehmen gibt, ein Stück weit aufbrechen”.

Der gesamte Innovation.Network.Talk:

Ähnlich und doch begrifflich nicht ganz so eng sieht es Erste Group Österreich-HR-Chefin Sabine Mlnarsky in der Podiumsdiskussion des von Sanofi und Club Alpha veranstalteten Events. Im IT-Bereich arbeite man sehr nahe am ursprünglichen Konzept des agilen Arbeitens. Sonst gelte aber: “Die Erste Bank macht ihr eigenes agil. Wir haben viele Elemente übernommen und ich glaube, dass viele Kolleginnen und Kollegen gar nicht wissen, dass diese Elemente ursprünglich aus dem agilen Arbeiten kommen”. In einigen Bereichen würde das Prinzip mit seinen schnellen Iterationen auch gar nicht passen, meint Mlnarsky, etwa in ihrem eigenen, der HR. “Wir entwickeln nicht unentwegt neue Produkte. Wenn ich alle paar Wochen ein neues Feature bringen würde, würden meine Kunden wahnsinnig werden. Die wollen meist einfach, das alles funktioniert”.

Sabine Mlnarsky über agiles Arbeiten
Sabine Mlnarsky | (c) brutkasten / Magdalena Schauer Burkart

Auch für Heike Mensi-Klarbach ist klar: “Das agil immer die richtige Lösung ist glaube ich nicht. Man kann einzelne Elemente in anderen Bereichen anwenden, aber auch nicht immer und überall. Dort wo man etwa auf Standardisierung und Wiederholung setzen muss, macht agil gar keinen Sinn”. Ein Beispiel für die gelungene Anwendung es Prinzips auf andere Bereiche sieht Barbara Sladek, Gründerin des HealthTech-Startups Biome Diagnostics, in ihrem Unternehmen: “Wir verwenden die Methoden auch in Sales und Marketing – und das überraschend erfolgreich”. Dabei räumt sie ein, dass man nicht alle Teile der Methode nutze. Sie sieht agiles Arbeiten als “strategischen Prozess”, mit dem eine schnelle Umsetzung der Ziele gelinge. “Und es macht Spaß”, so Sladek.

Barbara Sladek | (c) brutkasten / Magdalena Schauer Burkart

“Man muss seinen Perfektionismus ablegen”

Für Klaudia Bachinger, Gründerin des auf die Jobvermittlung älterer Arbeitnehmer:innen spezialisierten Startups WisR ist agile “vielmehr ein Mindset als eine Methode”. “Man muss wirklich seinen Perfektionismus ablegen – das ist mir am Anfang sehr schwer gefallen”, so die Gründerin. Sabine Mlnarsky steuert dazu eine Anekdote bei: “Ich habe auch einmal etwas in der HR agil entwickeln dürfen – das mache ich nie wieder”. Doch obwohl es für sie ein sehr fordernder Prozess gewesen sei, habe er sich als die richtige Wahl herausgestellt. Heike Mensi-Klarbach sieht in der Annahme, dass Agiles Arbeiten sich für jeden eignen würde, einen Mythos: “Agil zu arbeiten ist nicht leicht – es ist unendlich aufwändig. Man muss es lernen und auch mögen. Es gibt Menschen, die wollen nicht jeden Tag die Verantwortung für einen End-to-End-Prozess übernehmen”. Und auch diese brauche man – in anderen Bereichen.

Klaudia Bachinger | (c) brutkasten / Magdalena Schauer Burkart

Dennoch übernehme man bei der RBI das Prinzip der Verflachung der Hierarchien auch in anderen Bereichen des Unternehmens – mit “Folgeproblemen”, wie Mensi-Klarbach sagt: “Dass es die agile parallel zu einer hierarchischen Struktur gibt, bringt ungeklärte Fragen, etwa wer die direkte Ansprechperson für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist und von wem sie gesehen werden, um ihre Karriere weiter zu verfolgen”. Denn weil die Steuerung agiler Teams nicht durch einen Team-Lead erfolge, sondern in der Produktvision liege, sei die nächste vorgesetzte Person oft für so viele Mitarbeiter:innen verantwortlich, dass sie diese klassischen Führungskräfte-Aufgaben nicht mehr bewältigen könne.

Agiles Arbeiten als “das Zurückdrehen der Bürokratisierungsmaschine”

Doch dabei sieht die RBI-HR-Chefin durchaus Sinn im hierarchischen Prinzip. Die starke Zentralisierung bestimmter Funktionen führe in großen Unternehmen schließlich zu mehr Effizienz, etwa weil Synergien genutzt werden können. “Das sind die klassischen Economies of Scale. Aber die andere Seite ist: Je stärker eine Organisation strukturiert ist, desto langsamer ist sie”, so Mensi-Klarbach. Daraus leitet sie einen weiteren “Mythos” ab: “Agil macht die Strukturen schlanker und effizienter – das würde ich sehr in Frage stellen. Eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall. Agil ist das Zurückdrehen der Bürokratisierungsmaschine. Man löst das Zentralisierte wieder auf und schafft damit auch Redundanzen. Die Organisation wird dadurch sicher nicht effizienter. Aber wir wissen auch, dass Innovation nicht dort passiert, wo alles durchgetaktet ist, sondern wo es einen Freiraum gibt, sich anderen Dingen zu widmen”.

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Tractive
(c) Tractive - (v.l.) Wolfgang Reisinger, COO/CFO bei Tractive und Founder Michael Hurnaus.

Was im Mai 2024 – siehe hier – angekündigt wurde, ist nun wahr geworden. Damals hatte Tractive CEO Michael Hurnaus gesagt, man bewege sich noch heuer auf über 100 Millionen Euro ARR (Annual Recurring Revenue – eine wichtige Kennzahl für Startups mit Abo-Modellen) zu. Nun ist dieser Milestone geschafft.

Tractive erreicht Ziel, das nur wenigen Abonnementunternehmen gelingt

Wie der Gründer auf Linkedin beschreibt, haben er und sein Team nach zwölf Jahren harter Arbeit, Hingabe und der Verbesserung des Lebens von Millionen von Haustiereltern ein lang angestrebtes Ziel erreicht: “100 Mio. € ARR bei Tractive – etwas, das nur sehr wenige Abonnementunternehmen jemals erreichen”.

Er sagt: “Wir sind besonders stolz darauf, dass wir dieses Niveau erreicht haben, während wir Hunde- und Katzenbesitzern helfen, indem wir Produkte entwickeln, die das Leben unserer Kunden wirklich zum Besseren verändern – und das mit viel Spaß.”

Das Abo-Modell

Damit Abo-Modelle wie jene von Tractive funktionieren, müsse man, laut Hurnaus Worten aus dem Spätfrühling, “dem Kunden zuerst erklären, dass es Sinn macht, ein Abo abzuschließen, und dass das nicht reine Abzocke ist”. Nach Erfahrungswerten bot das Scaleup schließlich ein Monats-, Jahres- und Zweijahres-Abo an – jeweils in einer Basic- und Premium-Variante.

Damit, so hieß es damals, gewinne man deutlich mehr Nutzer:innen für das Jahresabo – konkret um 20 Prozent mehr. Schließlich falle der Monatspreis mit der Abo-Dauer. Bezahlt wir das Abo im Voraus.

“Unser ständiges Bemühen, Produkte zu entwickeln, die in ihrer Kategorie führend sind, zahlt sich aus”, so Hurnaus auf Linkedin weiter. “Wir haben das Unternehmen fast aus dem Nichts aufgebaut und benötigten im Laufe der Jahre nur sehr wenige Finanzmittel.”

Tractive: USA als Erfolgstreiber – das Valley aber nicht als Vorbild

Das Tractive-Team hat während seiner gesamten Reise jeden einzelnen Euro in die Verbesserung ihrer Produkte, in die Einstellung von Mitarbeiter:innen aus der ganzen Welt und in den Aufbau der Unternehmenskultur investiert.

“Unser Team besteht aus rund 270 talentierten Mitarbeiter:innen und wir wachsen weiter. Wir sind auch weiterhin auf der Suche nach den besten Talenten und werden noch selektiver vorgehen, um nur die außergewöhnlichsten Mitarbeiter einzustellen, die wir finden können”, so Hurnaus weiter.

Seit knapp dreieinhalb Jahren ist das Pet-Tech auch in den USA vertreten. Im Vorjahr konnten die Staaten sogar Deutschland bei der Anzahl der Tractive-Kunden überholen. Hurnaus dazu: “Die USA sind nach wie vor unser am schnellsten wachsender Markt, und wir werden dieses Wachstum weiter vorantreiben.”

Nach zwölf Jahren erwartet Tractive, dass sich diese Dynamik fortsetzt, und prognostiziert ein Wachstum von rund 40 Prozent im Jahr 2025. “Ein gesundes Wachstum, das heißt: nachhaltig, ohne Massenkündigungen oder übermäßige ineffiziente Marketingausgaben”, erklärt Hurnaus abschließend. “Das ist der österreichische Weg, im Gegensatz zum Silicon-Valley-Ansatz (der für viele Unternehmen funktioniert, aber nicht unser Stil ist)”.

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