29.03.2021

Die Gründe für die “Remote-Erschöpfung” und wie wir sie umgehen können

In seiner aktuellen Kolumne beschäftigt sich Mic Hirschbrich mit dem Phänomen der "Remote-Erschöpfung". Zudem liefert er Lösungsansätze, wie wir digitale Online-Meeting-Tools verwenden können, damit sie uns unterstützen und nicht überfordern.
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Remote-Meeting
(c) Adobestock

Sie erinnern sich bestimmt an den Beginn dieser Pandemie! Es sei die Chance, über gesellschaftlichen Wandel und neue Werte nachzudenken, hieß es da zum Beispiel von manchen Zukunftsforschern. Zusätzlich führe die Pandemie dazu, eine völlig neue Arbeits-Kultur zu etablieren. Home-Office sei nun bewiesenermaßen gut umsetzbar, auch dank neuer digitaler Video-Konferenz-Tools.

Und tatsächlich hat sich bestätigt, dass man nicht immer den mühsamen Weg in das Büro antreten muss und man auch gut von zuhause aus arbeiten kann. Etliche Arbeitgeber haben gelernt, dass sie ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen vertrauen können und erkennen selbst die Vorteile vom Home-Office.

Die digitale Erschöpfung nimmt zu

Gleichzeitig aber haben viele einfach genug davon, am umfunktionierten Küchentisch und dem unbequemen Sessel ihre Arbeit zu erledigen und ständig Video-Telefonate führen zu müssen, während sie womöglich zeitgleich ihre Kinder schulisch betreuen. Das kinderlose Paar mit großzügigem Haus im Grünen, in dem jeder ein eigenes Büro eingerichtet hat und wo man gemütlich vom Frühstück aufsteht und entspannt mit dem Zweitkaffee zum ersten Konferenz-Call geht, ist eben die Ausnahme, nicht die Regel.

Und so ist der Befund nach einem Jahr Corona durchwachsen. Die Menschen sind heute vor allem müde. Die Lust auf gesellschaftlichen Wandel ist dem Kampf um die Existenz gewichen oder zumindest der Sehnsucht nach dem alten Leben, der alten Freiheit. Worüber aber jedenfalls viel zu wenig gesprochen wird, ist unsere digitale Erschöpfung, vor allem von den vielen Video-Konferenzen.

Studie zeigt Gründe für „Zoom Fatigue“.

In einer neuen Studie der Universität Stanford analysiert Professor Jeremy Bailenson die negativen Konsequenzen des Zoom-Booms und meint damit alle heute etablierten Video-Konferenz-Tools. Neben den offenkundigen Vorteilen dieser Applikationen wird nämlich immer häufiger eine „Remote-Erschöpfung“ wahrgenommen, die in der Community als “Zoom Fatigue” bezeichnet wird.

Die 4 Ermüdungs-Gründe im Detail:

Ständiger Augen-Kontakt kann überfordern

In physischen Gesprächen würde man sich bei Meetings Notizen machen, den Blick im Kreis schwenken und Abwechslung fürs Auge suchen. Bei Video-Konferenzen aber starren wir alle tendenziell permanent auf einander und fordern damit implizit ein anderes, deutlich anstrengenderes Gesprächs-Verhalten ein. Der Augenkontakt bei Online-Meetings wird laut Messungen deutlich intensiviert im Vergleich zu physischen Treffen. Helfen kann hier, den Fullscreen-Modus regelmäßig abzuschalten und, wenn möglich, die Video-Übertragung auch mal zu pausieren. Dies sollte kulturell unbedingt akzeptiert werden.

Das permanente Selbstbild strengt zusätzlich an.

Zwar mag es einem Sicherheit geben, sich selbst zu sehen, nur es ist unnatürlich und das menschliche Gehirn ist es zudem nicht gewohnt. Hier empfiehlt es ich die Eigenansicht regelmäßig zu deaktivieren.

Eingeschränkte Mobilität

Dass viele von uns zugenommen haben während der Pandemie ist mittlerweile bekannt. Dass Video-Konferenzen sich aber besonders negativ auf unsere Mobilität auswirken, hat selbige Studie nun gezeigt. Früher ging man am Telefon manchmal stundenlang herum. Bei physischen Treffen galt es vor einem Treffen eine Distanz zu überwinden, sei es innerhalb eines Gebäudes oder oft weiter. Für die Psyche waren diese Wege genauso erholsam und wichtig wie für den Körper, auch wenn etliche Reisen das Klima sicher unnötig belasteten.

Professor Bailenson empfiehlt hier, bei Video-Calls seine oder die Zweitkamera in einer größeren Distanz aufzustellen und sich zu erlauben, ähnlich wie bei physischen Treffen, zwischendurch ein Getränk zu holen oder im Stehen oder Gehen zu sprechen.

Die kognitive Beanspruchung ist viel größer

Bei Online-Konferenzen fallen non-verbale Kommunikationselemente praktisch völlig weg. Ob unbewusst oder nicht, sind diese aber wichtig. Wir kompensieren unbewusst nämlich diese fehlenden Signale durch eine erhöhte Konzentration auf das Gegenüber. Auch hat man festgestellt, das gewisse Gesten online anders interpretiert werden als physisch. Hier kann nur helfen, sich ab und an eine „Audio-only“-Pause zu gönnen und sich bewusst vom Bildschirm wegzudrehen.

Besser richtig digitalisieren statt analoge Meetings zu kopieren!

Forscher warnen davor, die oben beschriebenen Defizite zu ignorieren. Diese führten zum Beispiel zu einer starke Reduktion wichtiger Hormone, wie dem Oxytocin, zuständig für unser Belohnungssystem, das bei physischen Kontakten ausgeschüttet wird. Ein weiterer Nebeneffekt sei, dass wir uns bei digitalem Meetings die anderen Menschen weniger gut merken und auch viel schwächer mit ihnen „bonden“ würden. Es fehlten einfach zu viele Signale.

Man kann all diese Dinge sicher einige Wochen und Monate überbrücken, aber eben nicht dauerhaft. Die Art wie wir digitale Tools einsetzen, folgt nämlich auch hier einem altbekannten Schema, das wir schon mal in einer eigenen Kolumne thematisierten: Wir digitalisieren analoge Prozesse, indem wir sie einfach 1:1 digital gestalten. Und diese Form der Digitalisierung hebt fast nie die echten Potentiale digitaler Prozesse, sondern versucht in Wahrheit die analoge Kultur beizubehalten. Das konserviert alte Schwächen und führt mitunter zusätzlich zu neuen. Sinnvoller wäre es, in der Digitalisierung notwendige Prozesse neu zu denken und die Arbeitskultur neu zu prägen.

Digitale Tools sollen unterstützen, nicht überfordern

Um beim Beispiel zu bleiben: In Zoom-Meetings also genauso oder ähnlich zu kommunizieren, wie in physischen, macht keinen Sinn. Dies war zu Beginn der Pandemie eine Form von „Not-Digitalisierung“, die man langfristig aber adaptieren muss. Also gilt es zu experimentieren und neue Wege zu finden, wie digitale Kommunikations-Prozesse unserer menschlichen Natur besser entsprechen. Wir hatten noch keine Pandemie und damit einen derart großen Bedarf an digitaler Kommunikation, dieser Anpassungsdruck sollte uns folglich nicht überraschen.

Gute Digitalisierung heißt ja nicht zwingend, mehr digitale Geräte oder Tools nutzen zu müssen. Das wäre eine alte Denkweise. Vielmehr sollten digitale Tools und Automatisierungen dem Menschen dienen, ihn in seinen Stärken stützen, anstatt ihn neu zu überfordern. Die Digitalisierung soll uns gerne produktiver, aber dabei auch glücklicher und freier machen, denn das wirkt nachhaltiger und qualitätsvoller in allen Dimensionen.

Slack setzt auf “asynchrone Kommunikation”

Einen dieser Wege versucht das Messenger-Unternehmen Slack zu gehen. Slack bietet derzeit nur Audio-Calls an, aber keine Video-Calls und setzt laut seinem „VP of Product“ ab sofort verstärkt auf „asynchrone Kommunikation“, auch um die Menschen aus beschriebener digitaler Erschöpfung zu holen. Denn, “niemand sei dazu gemacht worden, von “Nine to Five” in endlosen Video-Meetings zu verbringen.”

Mic Hirschbrich war im Mai 2017 zu Besuch beim damaligen VP von Slack | (c) Mic Hirschbrich

Zoom-Calls sind im Pandemie-Jahr um knapp 40 Prozent gestiegen und erwirtschafteten rund vier Milliarden Dollar. Slack, der Messenger der sich aufmachte, das Remote-Office für Teamspieler zu werden, wuchs zuletzt prozentuell ähnlich rasant und dürfte dieses Jahr über eine Milliarde Umsatz erzielen. Und die Gründe für diesen Erfolg dürften tatsächlich darin liegen, dass dessen Verantwortliche frühzeitig Schwächen identifizieren, die andere Remote-Technologien oder analoge Prozesse haben. Diese Leute wollen mit ihren Tools nämlich nie analoge Prozesse digitalisieren. Sie wollen stattdessen „die Arbeit an sich digital neu erfinden“!

Das ist auch gut und richtig so. Doch wir sind, bei all dem Erfolg der beschriebenen Player, noch lange nicht am Ziel! Der optimale Arbeitsplatz der Zukunft braucht noch viele Ideen, Tools und Anpassungen. Da haben noch viele Unicorns Platz, uns arbeitenden Menschen glücklicher zu machen in unserem täglichen Tun!

P.s. Wenn Sie übrigens selbst an der Fortsetzung der oben zitierten Studie zu „Zoom-Fatigue“ teilnehmen möchten, können Sie das hier tun:


Zum Autor

Mic Hirschbrich ist CEO des KI-Unternehmens Apollo.AI, beriet führende Politiker in digitalen Fragen und leitete den digitalen Think-Tank von Sebastian Kurz. Seine beruflichen Aufenthalte in Südostasien, Indien und den USA haben ihn nachhaltig geprägt und dazu gebracht, die eigene Sichtweise stets erweitern zu wollen. Im Jahr 2018 veröffentlichte Hirschbrich das Buch „Schöne Neue Welt 4.0 – Chancen und Risiken der Vierten Industriellen Revolution“, in dem er sich unter anderem mit den gesellschaftspolitischen Implikationen durch künstliche Intelligenz auseinandersetzt.

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Storebox-CEO und Cofounder Johannes Braith
Storebox-CEO und Cofounder Johannes Braith | Foto: brutkasten

Die neue EU-Kommission steht. Hierzulande laufen dagegen nach wie vor die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS mit ungewissem Ausgang. Währenddessen kommt nicht nur Österreich nicht aus der Rezession heraus und auch die Prognosen bleiben tendenziell negativ. Begleitet wird das Szenario von einer Häufung an dramatischen Appellen und Forderungen nach umfassenden Änderungen in der Wirtschaftspolitik.

Wie steht es wirklich um Österreich und die EU? Was sind nun die drängendsten Maßnahmen? brutkasten geht diesen Fragen gemeinsam mit führenden Köpfen der heimischen Innovationsszene nach.

Storebox-Co-Founder und -CEO Johannes Braith sieht im brutkasten-Interview auch Chancen, die die Krise biete, formuliert aber konkrete Maßnahmen, die dazu nun auf politischer Seite ergriffen werden müssten.


brutkasten: Düstere Prognosen und drastische Appelle stehen aktuell in der Wirtschaftsberichterstattung an der Tagesordnung. Wie beurteilst Du die Situation? Ist sie wirklich so dramatisch?

Johannes Braith: Ich beobachte die Großwetterlage natürlich laufend. Allerdings halte ich es für gut, wenn man sich in seinen daily Operations als Founder nicht zwangsläufig beunruhigen lässt. Gerade Startups sind es gewohnt Krisen zu managen bzw. mit ihnen umzugehen. In manchen Fällen kann dadurch sogar etwas Positives entstehen. Denn Krisen erzwingen oft Veränderungen, welche wiederum oft Chancen beinhalten.

Aber natürlich finde ich es beunruhigend, dass wir, was unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa angeht, so dramatisch den Anschluss verlieren. Ich hoffe, dass der steigende Schmerz dazu führt Regulierungen abzubauen und ein neues Selbstverständnis hinsichtlich Wirtschaft, Startups und Technologie einkehrt.

Welche gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen sollten in Österreich möglichst schnell umgesetzt werden? Was muss unbedingt ins Regierungsprogramm?

Das Thema ist leider ziemlich mühsam, da sehr, sehr gute Vorschläge seit langer Zeit am Tisch liegen, die allerdings nicht umgesetzt wurden. Ein wichtiger Punkt ist es bestimmt, Risikokapitalgeber zu incentivieren – Stichwort Beteiligungsfreibetrag.

Noch wichtiger wäre es allerdings die Steuern auf Arbeit deutlich zu reduzieren. Wir sind in einer Zeit, in der wir die Extrameile gehen müssen. Das sollte auch belohnt werden. Man könnte z.B. Überstunden steuerlich freistellen, Pensionisten incentivieren, wenn sie in der Rente arbeiten möchten – eventuell gänzlich steuerfrei, oder man kann über Modelle nachdenken, mit denen man Vollzeitarbeit nicht nur ermöglicht (Kinderbetreuung) sondern eventuell auch belohnt.

Generell stelle ich mir die Frage, wie Menschen den Sinn in ihrer beruflichen Tätigkeit wieder zurückerlangen können. In vielen Gesprächen und Beobachtungen sehe ich, dass die Leistungebereitschaft extrem abgenommen hat. Ob das immer durch politische Maßnahmen geheilt werden kann, bezweifle ich. Ich halte viel von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Und was sollte die neue EU-Kommission unbedingt sofort angehen?

Regulierung massiv abbauen. Ich bin mit Storebox mittlerweile in sechs Ländern und mehr als 200 Städten operativ tätig. Es kann ja nicht sein, dass wir gefühlt hunderte unterschiedliche Regulierungen vorfinden, die das Prosperieren von Unternhemen extrem erschweren.

Was wären konkret für euch als Scaleup die wichtigsten Schritte auf nationaler und EU-Ebene?

Die Lohnkosten senken, Regulierungen massiv reduzieren und die Zuwanderung hochqualifizierter Personen massiv erleichtern.

Was bräuchte es, damit die Wiener Börse bzw. zumindest eine europäische Börse für einen IPO eines Scaleups wie Storebox attraktiv ist?

Große Anschlussfinanzierungen müssen in Europa mit europäischem Kapital getätigt werden, um ab einer gewissen Stage als logischen Schritt einen IPO auch in einem europäischen Heimatmarkt zu forcieren.

Aktuell wird nicht nur im Zusammenhang mit Börsengängen die Standortattraktivität stark diskutiert. War Abwanderung aus Europa für euch jemals ein Thema?

Aktuell noch nicht. Ich lebe sehr gerne in Österreich und sehe nicht alles nur negativ. Wir leben in einem tollen Land mit vielen Möglichkeiten, toller Infrastruktur und einigermaßen stabilen Verhältnissen. Die Verwaltung dieses Zustands wird allerdings nicht ausreichen. Es muss gestaltet werden, um den Standort attraktiv zu halten.

Bitte eine Prognose: Abhängig von den Entscheidungen, die in nächster Zeit getroffen werden – was ist das Worst- und was das Best-Case-Szenario für Europa?

Das Worst-Case-Szenario: Die EU zerfällt in unterschiedliche Lager, weil es nicht möglich war, Interessen zu alignen und die großen Hebel zu betätigen. Geopolitisch wäre das eine absolute Katastrophe!

Das Best-Case-Szenario: Die Wettbewerbsfähigkeit wird durch radikale Maßnahmen wieder hergestellt. Die Menschen spüren eine deutliche Entlastung, haben Perspektiven und glauben an eine bessere Zukunft. Europa wächst weiter zusammen und bleibt ein starker und wichtiger globaler Player.

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