06.09.2021

Die Taliban in uns und der “dritte Raum” (für Alpbach)

In seiner aktuellen Kolumne philosophiert Mic Hirschbrich über Alpbach und den "dritten Raum" im Kampf gegen den inneren Taliban.
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Hirschbrich über den dritten Raum, Alpbach und die Taliban
Brutkasten-Kolumnist Mic Hirschbrich | Hintergrund: (c) Adobe Stock - Dan Race
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Haben wir es wieder mal geschafft! Karoline Edtstadler fegte noch einmal stilsicher und auffallend frisch zu Schlagermusik über den Tanzboden im Alpacherhof und ließ die Gäste im Stil einer DJane wissen, dass es sich nun um keinen Empfang mehr handle, sondern um eine Abschiedsparty.

Wirtschaftsmagnaten, Berater, Medienleute, Forscher, Investoren und Unternehmer*innen sowie diverse Minister*innen ließen sich das nicht zweimal sagen. Die einen mutierten just zum ausgelassenen Partyvolk, andere blieben lieber beim formellen Smalltalk. Aber allen war klar, dass damit das diesjährige Ende eines neuen Forums eingeläutet wurde, das in diesem Medium sowie im Standard trefflich reflektiert wurde. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die Taliban in Alpbach?

Auch die Taliban schafften es thematisch nach Alpbach, dank eines nicht wirklich gelungenen Scherzes von Kooperationspartner “Die Tagespresse”. Die immer hart aber oft auch gut unterhaltenden Satiriker, verglichen die zu Beginn des Forums anwesenden Tiroler Schützen indirekt mit der afghanischen Mördertruppe. Die Erregung einiger Forum-Besucher darüber war überzogen, manche forderten eine Löschung des Beitrags und kritisierten die Kooperation scharf.

Wir sind bekanntlich eine Kultur, in der Satire einen festen Platz hat, egal ob sie gefällt oder nicht. Wir setzten uns auch für Charlie Hebdo ein, wissend, dass deren Karikaturen Menschen islamischen Glaubens irritieren oder erzürnen. Wir sollten das aushalten.

Quelle: https://www.facebook.com/forumalpbach/photos/a.153404328006003/4775538955792494/?type=3

Die Taliban in uns

Vielleicht ist es eine subjektive Wahrnehmung. Aber es scheint, als ob wir uns tendenziell etwas weniger unter einander verstehen, bzw. die Bereitschaft verlieren, Andersdenkende verstehen zu wollen oder ihre andere Haltung zu Themen zumindest auszuhalten. Nicht speziell am Forum, aber generell. Da drängt sich die Frage auf: Wieviel von einem Taliban steckt eigentlich in uns? Also Anteile eines Charakters, der nur eine Wahrheit kennt und erlaubt und alle anderen Meinungen rigoros ablehnt.

Derweil ist die Kunst, sich über Sprache und (kulturelles) Verständnis anzunähern, seit jeher der einzige Schlüssel, Menschen zusammen zu bringen um gemeinsam Probleme zu lösen. Dies gilt im Kleinen wir im Großen, siehe Afghanistan.

Von kultureller Ignoranz

Als Laie sollte man vorsichtig sein mit Afghanistan-Analysen. Zu komplex sind Geschichte und Ereignisse dort. Aber es macht den Eindruck, dass die USA und ihre Verbündeten versuchten, dieses Land vor allem mithilfe von Militär und Technologie zu demokratisieren. Und das taten sie zwei Jahrzehnte lang. Dass dann binnen weniger Tage ein primitiv lebendes, paschtunisches Volk eine Supermacht an der Staatsspitze ersetzen und sich Militärequipment um 80 Milliarden US-Dollar einverleiben kann, sieht nach einem desaströs schlechten Verständnis von der lokalen Kultur, den Traditionen und Werten aus, nach denen diese Stämme leben und Entscheidungen treffen. Man fragt sich, wie viel die Seiten mit einander sprachen und wie viel sie von einander verstanden.

Wir westliche Demokratien dachten ja auch, die ökonomische Globalisierung würde Demokratie einfach nach China bringen, quasi Huckepack. Die Menschen würden schon ihre Freiheiten und Grundrechte einfordern, wenn nur mal ihr Wohlstand stiege. Wie oft haben wir uns diese These gegenseitig gepitcht? Zig Bücher und Zeitungsartikel waren dazu erschienen. Peinlich aus heutiger Sicht, dass wir lernen mussten, dass eine asiatische Autokratie und ökonomischer Erfolg perfekt zusammenpassen und wir einfach Geschichte, Kultur sowie philosophische und politische Traditionen in dem Land ignorierten.

Wir brauchen auch nicht mit Fingern auf Politiker*innen zeigen oder den USA allein dafür die Schuld geben, wie das bei Afghanistan gerade geschieht. Diese globale Entwicklung ist auch ein Spiegel kultureller Ignoranz und Inkompetenz und findet auf vielen Ebenen und Spielwiesen statt. Es ist ein Gleichnis der Willenlosigkeit, sich zu verstehen, außer es dient ökonomischen oder militärischen Interessen.

Die Taliban sitzen so gesehen nicht nur in Afghanistan. Das ärgste Virus, das unsere Welt bedroht, sind Intoleranz und Selbstüberhöhung – über andere Völker, Meinungen und Menschen. Dagegen ist Corona unbedeutend.

Braucht es den “dritten Raum”?

Vielleicht kennen Sie das Konzept des “dritten Raums” schon, vom Philosophen Jacques Derrida, oder aus der französischen Pädagogik oder der Soziologie. Der dritte Raum hatte, in verschiedenen Konstruktionen, vor allem die Aufgabe, einen ganz speziellen Ort des “besonderen Ausgleichs” zu schaffen. Und uns könnte er heute helfen, unsere “inneren Talibans” zu bezwingen.

Manche Klimaaktivisten könnte er helfen zu erfahren, dass nicht alle “alten weißen Männer” ignorante materialistische Machos und selbstoptimierende Egoisten sind, sondern auch Ehemänner und Väter, die sich ehrlich um die Zukunft sorgen. Manche alten weißen Männer könnten sich das Verspotten von jungen Aktivist*innen ersparen, reflektiert und offen in ein Gespräch mit diesen gehen und vielleicht sehen, dass die Sorge des Gegenübers begründet ist und versuchen, gemeinsame Ziele zu identifizieren, anstatt sich weiterhin paternalistisch über die Jugend oder angebliche Unerfahrenheit des Gegenübers auszulassen. Geimpfte könnten sich stärker mit den Ängsten mancher Impfskeptiker befassen und versuchen zu überzeugen, anstatt diese pauschalierend in ihrem Urteil den Berufs-Schwurblern und politischen Extremisten in die Arme zu treiben. Und Impfgegner würden in einem solchen besonders offenen und geschützten Austausch vielleicht erkennen, dass man auch mal wieder echtes Vertrauen schöpfen kann in Institutionen und Wissenschaft, weil nicht alles auf der Welt manipuliert und Teil einer Verschwörung ist, sondern einfach auch mal funktioniert.

Jeder von uns hat wunde Punkte, zeigt da und dort Intoleranz und Schwächen im Diskurs. Ich selbst knabbere gleich bei ein paar Themen an meiner innerlichen Toleranz und muss mir beispielsweise auf die Zunge beißen, wenn bei Vorträgen die “digitale Transformation als Zukunftschance” angepriesen wird und das 30 Jahre nach Erfindung des Word Wide Web. Emotional würde ich mich bei diesem Thema am liebsten vom Gratlspitz hinabstürzen und protestweise in der Fleischstrudelsuppe der Vortragenden landen. (Wenn Sie meinen diesbezüglichen Schmerz verstehen wollen, ich hatte hier mal darüber geschrieben). Aber ich übe mich im “Ommm”, versuche zu verstehen und meinen Petersilie zur Debattensuppe beizutragen. Ein dritter Raum könnte hier helfen, Gleichgesinnte zu finden, endlich inhaltlich weiter zu kommen im Diskurs oder meine eigene Haltung zu adaptieren.

Ein “dritter Raum” für Alpbach

Ein “dritter Raum” muss kein zwingend physischer sein, aber es hilft. Wir Menschen tun uns mit physischer Konstruktion leichter.

In einer Zeit in der wir uns oftmals “online hassen” und vieles “besser wissen”, in der links rechts immer mehr hasst und rechts links, sich immer mehr zuspitzt und verhärtet, in einer Zeit in der sich die Reihen schließen, könnte so ein Raum Brücken bauen. In einem solchen Raum würden klare Regeln und Haltungen gelten, die man zu Beginn definiert. Man könnte Themen inhaltlich aufbereiten und dann den Menschen Raum geben anstatt Podien. Das Ziel wäre nicht die Selbst-Darstellung weniger (was in anderen Formaten durchaus Sinn stiftet), sondern inhaltlicher Diskurs und persönliches Wachstum aller.

Ob in unseren kleinen Gemeinden, dem Staat und unserem Gemeinwesen oder auch geopolitisch, es wird offenkundig wichtiger, das gegenseitige (kulturelle) Verstehen und “Zuhören Können” (wieder) zu erlernen. Es ist die heute meistgebrauchte und wohl am meisten unterschätze Kulturtechnik. Wer sich in so einem dritten Raum intellektuell redlich und auf Augenhöhe austauscht und willig ist, von anderen zu lernen anstatt nur zu belehren, der kann diese Fähigkeit überall hin mitnehmen und andere damit bereichern. Alpbach bemüht sich, ein Ort der Begegnung und Entwicklung zu sein und leistet viel dafür. Vielleicht kann man dieser Kulturtechnik zusätzlich einen “dritten Raum” widmen. Wir sind bekanntlich Exportweltmeister. Ich bin überzeugt, das wäre ein Produkt, das die Welt brauchen kann!

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Die Krankheit versteckt sich im Unterleib jeder zehnten Frau. Zur Diagnose braucht es Operationen; Heilmittel gibt es keine. Ein Linzer Femtech-Startup will das ändern – und spricht über Hürden in der MedTech-Branche.
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Das Team von Diamens (v.l.n.r.): Clara Ganhör, Marlene Rezk-Füreder, Angelika Lackner, Peter Oppelt und Eva Scharnagl (c) Diamens

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Eine Download-Möglichkeit befindet sich am Ende des Artikels.


Das Linzer Startup Diamens entwickelt einen nicht-invasiven Selbsttest zur Diagnose von Endometriose. In den folgenden Zeilen liest sich ihre Geschichte über Hürden rund um Entwicklung und Zulassung eines Medizinproduktes sowie eine Forderung nach mehr Unterstützung für Medtech-Startups.

400 Millionen Frauen sind erkrankt.

Bei Endometriose handelt es sich um eine Krankheit, bei der Schleimhaut um die Gebärmutter und sogar um umliegende Organe wuchern kann. Das bewirkt bei Betroffenen Schmerzen, irreguläre und starke Begleitsymptome, eine deutlich reduzierte Lebensqualität bis hin zu Unfruchtbarkeit. Bislang kann man Endometriose nicht ohne Operation leistbar diagnostizieren. Heilmittel gibt es keine. Weltweit ist jede zehnte Frau betroffen. Das entspricht 400 Millionen Frauen, wobei ein hohe Dunkelziffer vermutet wird.


„Das stärkste, das Sie im Sortiment haben, bitte.“ Die Augen der Dame hinter der Theke vergrößern sich. Das stärkste. Schon wieder? „400 Milligramm, 800 Milligramm. Egal – das stärkste, das sie haben.“ Die Apothekerin wundert sich, dass Lisa alle dreieinhalb Wochen um die stärkste Dosis Ibuprofen fragt.

„Derzeit haben wir nur die 400erDosis im Sortiment. Reicht das?“ Lisa kneift die Augen zusammen. Ein Stich zieht sich durch ihren Unterleib. „Ja, ist okay. Kann ich davon zwei auf einmal nehmen?“ Lisas Fall ist keine Seltenheit. Sie ist wie sehr viele Frauen im gebärfähigen Alter. Einmal im Monat steht ihre Welt für fünf bis sieben Tage kopf; manchmal sind es auch zehn.

„Danke – bis in drei Wochen“, bringt Lisa noch über die Lippen, bevor sie die außergewöhnlich schwere Apothekentür nach außen aufdrückt. Sie verzieht das Gesicht. Noch ein Stich. Das Ibu muss schnell wirken, sonst schafft sie es nicht nach Hause. Ihr Unterleib krampft, sticht, schmerzt. Sie hockt sich auf den Gehsteig, fummelt ihre Wasserflasche aus der Tote-Bag und drückt sich zwei rosa Tabletten aus dem silbernen Alu-Blättchen. Drei Schlucke und die Tabletten sind unten. „Bitte macht schnell“, flüstert Lisa in ihren Schoß. Ihr Kopf ist nach unten geneigt, ihr wird schwarz vor Augen.

Was Lisa erlebt, ist weit mehr als herkömmlicher Periodenschmerz. Überdies ist es schon ein Warnzeichen, dass Frauen einen Schmerz, der alle vier Wochen an die Tür klopft und erst nach fünf bis sieben Werktagen wieder verschwindet, als herkömmlich bezeichnen.

Lisa hat nicht nur ihre Periode, sie hat auch Endometriose. So wie jede zehnte Frau auf der Welt. Viele der Betroffenen wissen es nicht, viele wollen es nicht wahrhaben, viele haben Angst vor der Diagnose und ihren Folgen.

Endometriose muss man nämlich immer operieren, um sie diagnostizieren und dann eventuell therapieren zu können. Eine Heilung ist nicht möglich. Minimal oder nicht invasive Diagnosemethoden gibt es bislang erst eine: Ein Speichelabstrich für 800 Euro – die Krankenkassa übernimmt davon nichts.

Zur Diagnose braucht es also eine Operation. Und mit einer ist es meistens nicht getan: Bei jeder zweiten Patientin können innerhalb von fünf Jahren nach der OP neue Endometrioseherde auftreten. Denn bei Endometriose wuchert die Schleimhaut rund um die Gebärmutter. Manchmal strahlt die Wucherung auch auf Darm, Blase und andere Organe aus. Das verstärkt die Symptome und macht die Krankheit meistens intensiver, kann Diagnosen verfälschen und den Leidensweg der Betroffenen intensivieren. Konkret: Unterleibsschmerzen, Übelkeit, Magen-Darm-Beschwerden, Schmerzen beim Sex. Und: Unfruchtbarkeit.

Im Jahr 2022 wurde bei Lisa nach einem mehrjährigen Leidensweg Endometriose diagnostiziert. Eine Operation hat sie schon hinter sich. Seither haben sich die Schmerzen beruhigt; auch, wenn ihr ihre Periodenkrämpfe hie und da unnormal intensiv erscheinen. Zum Arzt will sie vorerst nicht wieder. Sie manifestiert: „Es sind nur Periodenschmerzen.“ Lisa ist eine reale Person und will anonym bleiben. Ihre Situation gleicht allerdings Zigtausenden anderen.

Warum Endometriose genau entsteht, ist bislang noch nicht wissenschaftlich erforscht. Ohne Operation lässt sich in den meisten Fällen nichts sagen. Ein Ultraschall hilft wenig, denn die wuchernde Schleimhaut schwillt unregelmäßig an und ab.

Wertlos?

“Das kann’s nicht sein. Das kann es einfach nicht sein! Es gibt zu allem und jedem Studien und Forschungsergebnisse, aber zu Endometriose nicht”, meint Clara Ganhör. Sie ist Co-Founderin eines Linzer Startups, das Frauen wie Lisa helfen möchte. Das Team von Diamens arbeitet an einem nicht invasiven Endometriose-Test.

Unser Thema ist kein Wellness-Thema. Es betrifft so viele, wird aber so selten vor den Vorhang geholt.

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

„Es gibt eine extreme Lücke, was Daten von Frauen betrifft“, erklärt Clara. Untersuchungen zeigennämlich: Eine Vielzahl an Studien inkludiert weibliche Probandinnen nicht. Weibliche Zellen werden oft auch bei Zellkulturversuchen in Laboren ausgeschlossen.

„In Summe führt das dazu, dass wir einen Gender Data Gap haben. Viele Normen und viel Wissen zu typischen Erkrankungszeichen basieren auf den Daten von Männern“, erklärt Clara. Das bringt Nachteile im Hinblick auf die Gesundheit von Frauen: „Angefangen von falscher Interpretation bei Symptomen, etwa bei einem Herzinfarkt, bis hin zu falscher Medikamentendosierung.“

Dementsprechend seltener wird auch das Blut von Frauen in Studien verwendet. Der Grund: „Dessen Zusammensetzung divergiert je nach Zyklusphase. Bei Tierversuchen werden hauptsächlich männliche Mäuse verwendet. Denn weibliche Mäuse haben einen Zyklus und das bringt keine konsistenten, sondern zyklusabhängige Ergebnisse – und damit natürlich eine riesengroße Lücke an Daten“, merkt Clara weiter an.

„Stell dir vor, jeder zehnte Mann hätte monatlich solche Schmerzen. Was würde dann passieren? Wir hätten sicherlich keinen Gender Data Gap mehr und viel mehr Grundlagenforschung zu Endometriose. Es gäbe klinische Studien dazu und schon lange eine nicht invasive Diagnosemethode“, so die Co-Founderin.

Das will sie sich nicht länger gefallen lassen. Sie ist Grundlagenforscherin in der Biomedizin und lebt in Linz. Sie selbst ist nicht von Endometriose betroffen – aber sie will es Frauen wie Lisa ersparen, sich für eine Diagnose gleich unters Messer legen zu müssen. Deshalb hat sich Clara drei ihrer Kolleginnen an der Johannes-Kepler-Universität (JKU) in Linz angeschlossen.

Das Team von Diamens (v.l.n.r.): Clara Ganhör, Marlene Rezk-Füreder, Angelika Lackner, Peter Oppelt und Eva Scharnagl (c) Diamens

Alle vier forschen aktuell am dortigen Zentrum für Medizinische Forschung an ihren Doktorarbeiten in den Bereichen Gynäkologie, Pathophysiologie, Tumorforschung und Dermatologie. Gemeinsam mit Peter Oppelt, Professor für Gynäkologie und Leiter des Endometriosezentrums am Kepler Universitätsklinikum (KUK), will das Team eine Lösung finden, um Endometriose nicht-invasiv zu diagnostizieren.

Aus dem Willen der jungen Doktorandinnen entstand ein Weg, aus dem Weg mittlerweile ein Startup – nämlich das FemtechStartup Diamens. CEO und Co-Gründerin Marlene Rezk-Füreder ist ausgebildete Molekularbiologin; an ihrer Seite sind die Chemikerin Clara Ganhör, die Physikerin Angelika Lackner und die medizinische Biologin Eva Scharnagl.

Offiziell steht Diamens seit dem 15. November dieses Jahres im Firmenbuch. „Marlene hat angefangen, Studien zu Endo metriose neu zu analysieren. Sie hat alle bestehenden Daten zusammengefasst, neu ausgewertet und Biomarker im Blut von Menstruierenden mit Endometriose gesucht“, erzählt Clara über die ersten Forschungsschritte.

Biomarker sind Substanzen, die bei Betroffenen einer Krankheit häufiger vorkommen als bei Gesunden. „Menstruationsblut ist so nah an Endometriose dran. Es besteht aus Blut und aus Gebärmutterschleimhaut, die so ist wie jene, die bei Endometriose wuchert. Wir verwenden so oft venöses Blut beim Arzt und beim Blutabnehmen; Menstruationsblut aber wird immer als Abfallprodukt gesehen. Bislang gibt es noch keinen diagnostischen Test, der auf Menstruationsblut basiert.

Diamens arbeitet an einer nicht-invasiven Methode zur Diagnose von Endometriose – basierend auf Menstruationsblut. (c) Diamens

Und das finden wir extrem schade, denn dieses Blut kann uns so viel sagen.“ Selbsttest Das fünfköpfige Team entwickelt einen Test, der Endometriose auf Basis des Menstruationsbluts diagnostiziert. Der Plan: Bei Krankheitsverdacht können sich Frauen ein Testkit von Diamens in der Apotheke oder online kaufen; mit dem Kit wird Menstruationsblut gesammelt, in Probenröhrchen stabilisiert und dann in einem Briefkuvert per Post an ein Partnerlabor von Diamens geschickt.

Das Testergebnis kommt innerhalb weniger Tage per Mail zurück. Der Prototyp des Produkts steht, der Launch soll 2027 erfolgen. Gestartet hat das Forschungsteam bereits vor zweieinhalb Jahren. Mittlerweile konnte Diamens beweisen, dass Biomarker im Menstruationsblut funktionieren und auch der Prototyp anschlägt, aber: „Wir würden nie behaupten, dass die Forschung abgeschlossen ist. Diamens ist eine laufende Entwicklung. Jetzt braucht es klinische Studien und eine Sammlung an Menstruationsblut von Gesunden und Erkrankten.“

Bis zum Launch heißt es also, das Medizinprodukt mit viel Geduld zu zertifizieren. Denn das dauert. „Und das ist – zum Glück – nicht so einfach wie vor 20, 30 Jahren. Ein Medizinprodukt muss sicher sein“, meint Clara. Gleichzeitig ist die Zulassung und Zertifizierung allerdings eine große finanzielle Hürde. Im nächsten Jahr will das Team den Prototyp weiter optimieren. Biomarker werden im finalen Produkt noch einmal validiert, damit genauer feststeht, wie spezifisch und sensitiv der Test ist. Erst dann wird zertifiziert.

Der Markteinführung steht nicht nur der lange Zulassungsprozess im Weg, sondern auch fehlende Daten in der Gesundheitsforschung rund um Frauengesundheit. „Der Gender Gap in der Forschung hat uns immer schon gestört; schon damals, als wir angefangen haben, an unseren Doktorarbeiten zu forschen. Daten von Frauen werden so selten in der Forschung berücksichtigt, denn der Zyklus könnte ja ‚nicht zu den Ergebnissen passen‘“, sagt Clara. „Frauen haben einen Zyklus. Das ist halt einfach so. Das ist kein Ausreißer und keine Lücke, sondern das betrifft gut 50 Prozent der 14- bis 49-Jährigen.“

„Frauen haben einen Zyklus. Das ist halt einfach so. Das ist kein Ausreißer und keine Lücke, sondern das betrifft gut 50 Prozent aller 14-bis 49-Jährigen.“

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

Schamgefühl

Das Thema Frauengesundheit ist allerdings kein viel diskutiertes – schon gar nicht in der Business-Bubble, meint Clara: „In der StartupSzene sind wir viel häufiger von Männern umgeben. Da macht es uns schon Freude, mal über ein Thema zu reden, über das unsere männlichen Kollegen bislang noch eher selten geredet haben. Da erklärst du die Symptome von Endometriose, plötzlich geht es um Menstruation, Schmerzen beim Sex und Unfruchtbarkeit. Und wenn du dann vor Männern stehst und ‚Periode‘ und ‚Sex‘ sagst, kommt meistens ein ‚Oh mein Gott!‘ zurück – oder Wangen werden rot. Dann merkt man, dass da ein Schamgefühl mitschwingt und das Thema im Businesskontext ein Tabu ist.“

Aktive Missionsarbeit leistet Diamens dabei gar nicht gezielt, sondern organisch: „Warum sollen wir in unserem Pitch Deck andere Begriffe als Menstruation, Blut oder Sex verwenden? Warum sollte das ein Tabu sein? Niemand muss deshalb rot anlaufen oder sich verlegen räuspern, niemand muss Blickkontakt vermeiden. Das ist die Realität, die endlich normalisiert und zum Gegenstand der Forschung gemacht gehört“, so Clara. Neben Räuspern und roten Wangen sammelt Diamens aber auch andere Erfahrungen: „Wir sind immer wieder erstaunt, wie viele Menschen nach einem Pitch auf uns zukommen und sagen, dass bei der Partnerin oder einer guten Freundin Verdacht auf Endometriose vorliegt. Wir merken, dass das Thema viele bewegt, die unseren Pitch hören. Teilweise stecken extreme Leidensgeschichten hinter den Menschen, die im Investor:innenBoard sitzen, oder ihren Angehörigen. Unser Thema ist kein Wellness-Thema. Es betrifft so viele, wird aber so selten vor den Vorhang geholt.“

„Teilweise stecken extreme Leidensgeschichten hinter den Menschen, die im Investor:innenBoard sitzen, aber nicht darüber reden.“

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

Selten vor den Vorhang geholt wird auch die Summe an Geld, die Clara und ihr Team zur Produktentwicklung benötigen. Bekannterweise haben Medizinprodukte rund um Forschung, Zulassung und Zertifizierung einen relativ langen Entwicklungsweg. „Dafür braucht man einen ziemlich hohen Betrag“, meint Clara.

Ein Medizinprodukt entwickelt sich nicht über eine einzelne Förderung

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

„Alleine ISO-Normen kosten sehr viel Geld; genauso wie die Beratungsleistungen, die man dazu in Anspruch nimmt. Wir sprechen hier nicht von Hunderten, sondern von Tausenden Euros. Das hindert so viele Startups daran, klinische Studien durchzuführen. Ein großes Unternehmen kann diesen Kostenpunkt meist viel leichter stemmen. Da wäre aus unserer Sicht eine gezielte Förderung für Studien gut; oder Zulassungsstellen verlangen bei Startups geringere Summen“, so Clara.

Forscherseele

„Aus der Forscherseele gesprochen sehe ich es positiv, dass es Hürden zur Zulassung gibt; dass man ein Medizinprodukt nicht ‚einfach so‘ schnell auf den Markt bringen kann“, meint Clara weiter.

„Allerdings braucht es auch schon ewig, um überhaupt herauszufinden, in welche MedizinproduktKlasse wir fallen; es braucht ewig, bis wir einen Zulassungsberater finden, den wir uns leisten können. Und es braucht ewig, bis wir wissen, wie eine klinische Studie zu unserem Thema ausschauen darf. Diese Informationen sind nicht gut zugänglich oder kosten enorme Summen.“

Finanziert hat sich das Startup bislang über Förderungen des oberösterreichischen Inkubators tech2b. Diamens war auch Teil des aws First Incubators und des #glaubandich Accelerators der Sparkasse Oberösterreich; weitere Förderungen stehen in Aussicht.

Auch mit Investor:innen sei man im Gespräch: „So ehrlich muss man sein: Ein Medizinprodukt entwickelt sich nicht über eine einzelne Förderung. Das Gesamtvolumen, das benötigt wird, ist extrem groß“, sagt Clara. Der rein wirtschaftliche Nutzen steht damit – zumindest kurzfristig – infrage: „Bis es uns erlaubt ist, unser Produkt zu verkaufen und Umsätze zu machen, müssen wir ein sehr großes Investment aufnehmen, das für viele Investor:innen unattraktiv ist. Das geht in anderen Ländern einfacher.“ Investor:innen sucht das Startup deshalb auch über europäische Grenzen hinweg.

In Österreich bleiben will Diamens vorerst allerdings schon. Markttechnisch will man sich auf Österreich und Deutschland konzentrieren. Irgendwann soll der Diamens-Selbsttest auch europaweit oder sogar global erhältlich sein.

Schmerzverzerrt

Der Prozess gestaltet sich schwierig, die Hürden sind groß und die finanziellen Mittel klein. Warum Clara und ihr Team dennoch an Diamens festhalten? Damit es Menschen, die wie Lisa schmerzverzerrt am Gehsteigrand hocken und auf den IbuKick warten, schneller besser geht. Damit Menschen wie Lisa schnell Klarheit über ihre Gesundheit erlangen. Doch damit es auch Menschen wie Clara und ihren Kolleginnen leichter fällt, jeder zehnten Frau auf der Welt bei der Diagnose von Endometriose zu helfen, braucht es Rahmenbedingungen, wie wir sie aktuell noch nicht vorfinden.

„Es braucht klare und effektive Prozesse, offene Kommunikation und leichter erhältliche Informationen, die nicht nur von teuren Zulassungsberatern kommen, sondern öffentlich zugänglich sind. Es braucht geringere finanzielle Hürden für Medtech-Startups, ja, vielleicht braucht es sogar ein Startup-Budget. Überprüfung, Regulierung und Zertifizierung sind nichts Schlechtes – eine Umschichtung finanzieller Mittel allerdings auch nicht.“

Immerhin arbeiten Clara und ihr Team für knapp 50 Prozent der Bevölkerung: „Wir merken wirklich jeden Tag, dass diese Zahl ‚eine von zehn Frauen‘ real ist. Eine von zehn Frauen weltweit belastet diese Krankheit im täglichen Leben. Und weit mehr Frauen leben täglich in der schmerzenden Ungewissheit, ob sie an Endometriose erkrankt sind oder nicht.“

Für die Zukunft hat Clara deshalb einen ganz besonderen Wunsch: „Dass bei jedem Stammtisch und bei jedem Startup-Event so offen über Themen der Frauengesundheit und Female Technology geredet wird wie über alles andere auch. So viele geniale Menschen arbeiten im Femtech-Bereich, und trotzdem werden wir behandelt, als wären wir eine Nische. Sind wir aber nicht. Wenn wir also das nächste Mal die Worte ‚Periode‘, ‚Menstruationsblut‘ oder ‚Unfruchtbarkeit‘ in den Mund nehmen, braucht es kein ‚Oh Gott‘, sondern Akzeptanz, Verständnis und Unterstützung.

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