24.08.2021

Vom Valley-Vorgänger zum Innovationsnachzügler: Was im DACH-Raum falsch läuft

Im Gastkommentar analysiert Mario Herger die Gründe für den Abstieg des DACH-Raums in Sachen Innovation und gibt damit einen Sneak Peek in sein neues Buch.
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Mario Herger: Wie wurde der DACH-Raum zum Innovationsnachzügler?
brutkasten-Gastautor Mario Herger / Hintergrund: Abschnitt der Semmeringbahn | (c) Mario Herger / Adobe Stock - Alice
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In der k. u k.-Monarchie wurde im Jahr 1848 eine Eisenbahnstrecke in Angriff genommen, die es für damalige Zeiten in sich hatte. Sie musste vom niederösterreichischen Gloggnitz ins steirische Mürzzuschlag eine Luftlinie von 21 Kilometern überwinden, und zwar über eine nicht unwesentliche Höhendifferenz von mehr als 400 Metern. Dieser Pass galt lange Zeit als unüberwindlich. Unter Carl Ritter von Ghega wurde das Projekt begonnen und in nur sechs Jahren wurden 42 Kilometer an Trasse mit 14 Tunneln und 16 Viadukten errichtet, wobei die Steigung der Gleise für damalige Lokomotiven und die Lastanforderung nicht zu bewältigen waren. Trotzdem machten die Österreicher sich daran, die Semmeringbahn zu bauen, mit der Erwartung, dass die Lokomotivfabriken zur Einweihung der Strecke schon eine entsprechende Lokomotive anbieten können.

Man stelle sich das heute vor: Ein Regierungsbeauftragter stellt Anforderungen an Technologieschmieden, eine Technologie zu entwickeln, die heute noch nicht existiert, und beginnt sein Großprojekt im Vertrauen darauf, dass mit der Fertigstellung diese Technologie da sein wird. Wie ging das aus? Im Jahr 1854 standen bei Bauende vier Modelle von ebenso vielen Lokomotivfabriken aus Deutschland, Belgien und Österreich bereit, die die Steigungen und Lastanforderungen der landschaftlich spektakulären Eisenbahnstrecke bewältigen konnten.

Wien und generell der deutschsprachige Raum waren vor 150 Jahren das Silicon Valley der Welt. Wien war das Zentrum der Medizin, Architektur, Literatur und Wissenschaften. Der deutschsprachige Raum war innovativ und gründerfreundlich. Die Gründerwelle ab 1870 brachte uns auch heute noch tätige Firmen wie Bosch, Siemens, Allianz, Daimler oder Steiff.

DACH-Raum als Innovationsnachzügler: Was ist passiert?

Herrschte damals ein anderes Wirtschaftsklima? Fanden sich die Leute so sicher, dass sie bereitwilliger das Risiko eingingen, Unternehmen zu gründen? Nun ja, heute sind wir viel wohlhabender, das soziale Netz ist dichter, die Ausbildung der Bevölkerung höher, doch wenn man den Umfragen glauben will, dann ist der beliebteste Job von Uni-Absolventen einer in einem Ministerium oder einem großen Betrieb mit sicherem Einkommen. Selbst ein Unternehmen zu gründen, stempelt einen am Datingmarkt fast schon als hoffnungslos unvermittelbar und bei der Familie zu einem Versager ab. “Jetzt hast du so schön studiert und könntest einen tollen Job bei Bosch oder Siemens haben, und dann verschwendest du es für ein eigenes Unternehmen?” Unternehmer werden im besten Fall als suspekt gesehen, und so manche Einpersonenunternehmer und Selbständige werden als “versteckte Arbeitslose” betrachtet. Dabei werden sie hinten und vorne besteuert und mit Abgaben belegt, und zum Ausgleich dann bei den Hilfsfonds während der Corona-Krise “übersehen”.

Das bleibt nicht ohne Konsequenzen. In nur zwei Jahrzehnten ging in Deutschland laut Statista die Anzahl an Unternehmensgründern von knapp 1,5 Millionen um zwei Drittel auf eine halbe Million zurück. Auch gibt es im Jahr 2021 nach wie vor keine in Buchform erschienene Biografie von beispielsweise Hasso Plattner oder Dietmar Hopp, den vermutlich interessantesten und einflussreichsten SAP-Gründern, Investoren und Mäzenen. Dreiviertel der 30 im DAX gelisteten Unternehmen sind älter als 100 Jahre. Und die Coronakrise hat den digitalen Rückstand in der Verwaltung, im öffentlichen Dienst, aber auch in der Privatwirtschaft schmerzhaft offensichtlich gemacht. Infektionsmeldungen, die gefaxt werden. Schülerinnen, die im verschneiten Garten die Schule per Videokonferenz besuchen, weil nur dort die Internetverbindung halbwegs stabil ist. Mittlerweile werden Wirtschaftsprojekte, selbst solche die der Umwelt verträglichere Produkte auf den Markt bringen sollen, mit zigtausenden Eingaben eingedeckt.

Zeppeline inspirierte Millionen weltweit. Das Haber-Bosch-Verfahren stellte die Nahrungsversorgung von Milliarden von Menschen sicher. Die Semmeringbahn ist mit den Jahren nur noch schöner und bewundernswerter geworden. Die Leistungen von Porsche, Swarovski oder Puch werden noch heute hochgehalten, Forscherinnen wie Lise Meitner oder Friedensaktivistinnen mit radikal neuen Ideen wie Bertha von Suttner gern erwähnt, aber zeitgenössische UnternehmerInnen in vielen Fällen kritisch beäugt.

Innovationsfeindliche Innovationsmanager

Und nicht nur das, auch die Produkte und Dienstleistungen, egal von wem sie stammen, werden abgelehnt. Und dabei rede ich nicht von Herrn und Frau Österreicher, sondern von Personen, die auf ihrer Visitkarte den Titel “Innovationsmanager”, “Produktentwicklungsleiter” oder “Digital Evangelist” stehen haben. Personen, deren Aufgabe es ist, ihre Organisationen in die Zukunft zu führen und sich damit eigentlich für neue Technologie und Geschäftsmodelle interessieren sollten. Dem allerdings ist nicht so. Am Vorabend der CES in las Vegas traf ich drei Dutzend IT-Berater zu Vorträgen und zum Gedankenaustausch bei einem Dinner. Auf meine Frage, wer einen Sprachassistenten besitzt, bleiben alle Hände unten, dafür ertönt sofort aus dem Hintergrund der Vorwurf: “Alexa hört ja immer zu!”

Genau so funktionieren Sprachassistenten. Sie müssen zuhören. Das Zuhören der Technologie ist so wichtig, wie Licht uns sichtbar macht. Aber hier verbirgt sich die Angst, dass das Zuhören zum Ausspionieren verwendet wird. Diese Angst – ob berechtigt oder nicht – verhindert, dass sich diese IT-Berater damit und mit vielen anderen Technologien auseinandersetzen, was eine Voraussetzung dafür ist, dass sie die Funktionsweisen und die heutigen Möglichkeiten begreifen, aber auch erkennen, wo diese Technologien aktuell noch unzulänglich sind. Und diese IT-Berater, die sich selbst ihren Kunden gegenüber als Technologievorreiter präsentieren und ihnen einen Schritt voraus sein sollten, um sie in die Zukunft zu führen, verwehren sich dem. Renaissancemenschen sind sie nicht.

Was ist bloß los mit Deutschland, mit Österreich, mit der Schweiz im 21. Jahrhundert? Warum sind Länder der Dichter, Denker und Ingenieure so technologieskeptisch geworden? Warum finden wir heute vor allem Gründe, warum etwas nicht umsetzbar ist, anstatt dieselbe mentale Energie darauf zu verwenden, die Herausforderungen anzupacken?

Und ja, wir haben mit BioNTech und der Energiewende auch heute einiges vorzuweisen, und wir sind nach wie vor ein wichtiger Produktionsstandort. Auf unseren Maschinen werden die Produkte für die Welt gefertigt, und unsere Sozialsysteme sind ein Vorbild für die Menschheit. Doch in den neuen (digitalen) Technologien sind wir Nachzügler. Die Zahl an Unternehmensgründungen ist kollabiert. Die Dauer von Bauprojekten hat sich in nur einem Jahrzehnt verdoppelt. Selbst einzelne Erfolge können nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir in KI, digitalen Plattformen, Big Data, Raumfahrt, oder autonomem und elektrischem Fahren nicht die Spitzenposition halten. Auch schaffen wir es nicht zur Genüge, unsere Forschungsergebnisse in Unternehmen zu transferieren. Inspirieren und anpacken geschieht woanders.

Es ändert sich zwar einiges, doch nur sehr langsam. Und eine Pandemie trug bedeutend dazu bei, dass wir die Digitalisierung nun wirklich ernsthaft anpacken. Doch noch haben wir viel zu tun, wie der Vergleich von verfügbarem Risikokapital für Startup-Gründungen gerade in Österreich zeigt.

LandBIP 2019
[Mrd Euro]
Gesamt-investitionen
[Mrd Euro]
Anteil Gesamt-investitionen an BIP
[%}
Risikokapital
[Mrd Euro]
Anteil Risikokapital an Gesamtinvestitionen
[%]
USA18.2103.77020,7115,983,1
Deutschland3.449734,6821,35,71,1
Österreich397,6101,725,60,2180,2
Schweiz678.68153,1922.62,151,4
Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt, Gesamtinvestitionen und Risikokapital für ausgewählte Länder für 2019

Wie aus den Zahlen zu erkennen ist, gibt es für unsere Länder Luft nach oben, wenn man sie mit den USA vergleicht. Auch zwischen den Ländern gibt es große Unterschiede. So kommt die Schweiz mit einem Zehntel der Bevölkerung Deutschlands auf mehr als ein Drittel der Risikokapitalinvestitionen, die Deutschland vornimmt. Österreich hingegen geht den umgekehrten Weg. Mit einem Zehntel der Bevölkerung Deutschlands beträgt die Risikokapitalsumme nur ein Sechsundzwanzigstel.


FUTURE ANGST

In meinem seit August erhältlichen Buch FUTURE ANGST: Wie wir von Innovationsvorreitern zu Innovationsnachzüglern wurden und wie wir die German Angst überwinden gehe ich auf die Gründe ein, wie vor 150 Jahren unser Kulturkreis der wirtschaftliche und technologische Vorreiter war, wie uns dieser Erfolg dazu brachte, bewährte Muster zu verwenden, die sich aber in der heutigen Zeit als unzureichend erweisen, und wie wir wieder die Lust an der Zukunft gewinnen können. Dazu bringe ich Beispiele von Innovationen der Vergangenheit, und wie sie die Menschen damals angenommen haben, und ziehe Vergleiche mit China und dem islamischen Raum, die bis vor wenigen hundert Jahren auf Europa einen technologischen Vorsprung hatten und diesen verloren, und wie uns dasselbe drohen kann, wenn wir nicht wieder die Lust und. Neugier an der Zukunft pflegen.

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Man sieht wie ein E-Auto aufgeladen wird von ELOOP
(c) Eloop

Mehr als 200 Teslas sind derzeit noch für Eloop unterwegs. Mit seiner in den vergangenen Jahren sukzessive wachsenden Flotte hat es das Wiener Carsharing-Startup geschafft, eine Größe im heimischen Markt zu werden. Mit der Tokenisierung von Fahrzeugen sorgte das Unternehmen in nicht nur für viel Aufmerksamkeit im Krypto-Segment, sondern auch für eine stärkere Kundenbindung. Das Konzept zog auch einige Investor:innen an – erst im vergangenen September verkündete das Startup zuletzt ein Millioneninvestment – bei weitem nicht das erste.

“Wachstum nur schwer möglich”

Doch wie es in einer Mail des Startups an Crowdinvestor:innen heißt, stellt Eloop den Flottenbetrieb nun gänzlich ein. Das Geschäft lasse sich momentan nicht profitabel betreiben, heißt es dort. In den aktuellen Marktbedingungen sei ein Wachstum “nur schwer möglich”. “Deshalb mussten wir uns schweren Herzens dazu entscheiden, das Carsharing einzustellen, auch wenn wir nach wie vor daran glauben, dass das die Zukunft der urbanen Mobilität sein wird”, so das Team.

Schäden an Fahrzeugen als finanzielles Problem für Eloop

Als problematischen Kostenpunkt führt Eloop dabei auch Schäden an Fahrzeugen an, die teilweise nicht von der Versicherung gedeckt seien. Man habe “vermehrt mit schweren Fahrzeugschäden bis zu Totalschäden zu kämpfen”. “In vielen Fällen, wie z.B. Account-Weitergabe an unter 23-Jährige, steigt die Versicherung aus und Eloop trägt die gesamten Kosten”, heißt es in der Mail. “Schäden dieser Art eliminieren allerdings jegliche operativen Gewinne und erhöhen zusätzlich die Versicherungskosten.”

Sanierungsverfahren angekündigt: Eloop-Crowdinvestor:innen dürften um Geld umfallen

Neben der Einstellung des Sharing-Angebots kündigt das Startup auch die Beantragung eines Sanierungsverfahrens an, ist also offensichtlich insolvent. Ein entsprechender Antrag scheint aktuell noch nicht öffentlich auf. Gerade die Crowdinvestor:innen, an die sich die Mail richtet, dürften bei einem solchen Verfahren um ihr Geld umfallen, wie auch seitens des Startups eingeräumt wird. “Das Investment und die damit verbundenen Zinsansprüche sind nachrangig. Das bedeutet bei einer Insolvenz, dass erst die anderen Gläubiger vollständig befriedigt werden müssen, bevor Zahlungen an die Crowd geleistet werden dürfen”, heißt es in der Mail.

“Teilbetriebsschließung” – künftig wohl Fokus auf Plattform zur Tokenisierung von Maschinen geplant

Man wolle den Schaden der Crowdinvestor:innen aber minimieren, indem man sie “bei der Weiterführung des Eloop-Networks” integriere. Das Startup spricht bei der Einstellung des Carsharing-Betriebs auch von einer “Teilbetriebsschließung”. Erst im März hat das Startup ein neues Geschäftsmodell präsentiert, wie brutkasten berichtete: Eine Plattform zur Tokenisierung von Maschinen. Ob es tatsächlich damit weitergeht hängt freilich davon ab, ob das Sanierungsverfahren angenommen und in weiterer Folge erfolgreich umgesetzt wird.

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