11.09.2024
GASTBEITRAG

Change Management: Die 5 größten Fallen für Scale-Ups – und wie sie vermieden werden können

Ferry Fischer, Wirtschafts-Coach und Sport-Mentaltrainer, erklärt im Gastbeitrag, welche Fallen für Scale-Ups lauern und wie man sie löst.
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Fallen für Scaleups
(c) Canva/Ferry Fischer - Wirtschafts-Coach und Sport-Mentaltrainer.

Scale-Ups sind in einem permanenten Change. Mehr Mitarbeiter:innen, immer wieder Sturkturanpassungen, laufend neue Produkte, bzw. Produktanpassungen und vieles mehr. Wenn aus dem Startup ein Scale-Up wird, sind die Founder meist (zu Recht) glücklich, denn die Idee hat gegriffen, die Investoren sind überzeugt und spendabel. Und doch ist es eine Krise, die es jetzt zu bewältigen gilt. Denn, wenn hier in zu viele Fallen getappt wird, scheitert das Unternehmen oder findet sich in unangenehmen Diskussionen mit den Investoren wieder.

In den letzten Jahren habe ich einige Scale-Ups begleitet und mit dem Thema „Change von und in Unternehmen“ beschäftige ich mich als Coach und Unternehmensberater seit 30 Jahren. Aus all den Erfahrungen habe ich die 5 Fallen des Changes für Scale-Ups definiert und gebe Tipps, wie sie vermieden bzw. bewältigt werden können.

Falle Nr. 1: Ein unpräzises unemotionales Zielbild

Motivation entsteht aus dem persönlichen Entdecken meines Lustgewinns oder meiner Schmerzvermeidung beim Erreichen des Zielbildes. Kenne oder verstehe ich das unternehmerische Zielbild des nächsten Jahres nicht, dann kann ich auch keine Motivation daraus entwickeln.

Der zählbare Erfolg des Unternehmens wird über die Mitarbeiter:innen an der Basis vorangetrieben, nicht vom C-Level. Wenn also diejenigen, die mit den Kunden Kontakt haben oder die, die Apps für die Kunden programmieren, nicht emotional vom Zielbild begeistert sind, arbeiten sie mehr für Geld (denn dort finden sie dann ihren minimalen Lustgewinn) und nicht, um das junge Unternehmen zu leuchtenden Höhen zu führen.

Lösung: Entwickle ein Zielbild für die Situation in einem, max. in zwei Jahren, das die Menschen im Unternehmen berührt und wo möglichst alle ihren Lustgewinn/ihre Begeisterung dafür finden können! Die Formulierung muss dabei nicht präzise und vollständig sein.

Das ist der Fehler, den die meisten machen. Sie formulieren ganze Absätze mit möglichst jeder Kleinigkeit, die zu erreichen ist und quetschen dadurch jede Fantasie und Emotion aus dem Bild. Es geht hier um ein klares Bild, das von allen im Unternehmen als Bild verstanden werden soll. Denn: Unser Gehirn denkt in Bildern und nicht in Worten.

Praxistipp: Entwerft euer Zukunftsszenario und lasst es von einigen ausgewählten Mitarbeit:innen challengen (ob es für sie klar ist und ob es für sie erstrebenswert erscheint). Wenn das Bild fertig ist, wird es von allen Führungskräften persönlich deren Teams präsentiert und mit ihnen besprochen. Die Führungskräfte sollten auch helfen, dass jede/r im Team den persönlichen Nutzen beim Erreichen des Bildes findet. (Frei nach Viktor Frankl: „In allem ist stets ein Sinn vorhanden, er muss jedoch von jedem Menschen selbst entdeckt werden“)

Falle Nr. 2: Zu wenig Präzision im Tracking der täglichen Fortschritte (nach dem Motto: „passt schon“)

Gerade im permanenten Krisenmanagement eines Scale-Ups hat das laufende Tagesgeschäft Vorrang. Ups – und wieder in die Falle getappt, diesmal massiv. Der Teufelskreis beginnt: Ich weiß nicht, was ich zum Erreichen des gemeinsamen Ziels beitragen kann. Ich bin aber begeistert und würde gerne was beitragen. Also mache ich mir Gedanken. Nein geht jetzt nicht, es gibt eine Anfrage. Ich sollte aber was beitragen, aber was? Ui eine neue Anfrage einer Kollegin. Usw.

Am Abend geht jede/r unbefriedigt aus dem Unternehmen, weil soviel zu tun war und mir im Stress nichts Konkretes eingefallen ist, was ich zum Ziel beitragen kann oder, weil ich nicht weiß, ob das, was ich beigetragen habe auch das ist, was hilft. Die meisten Scale-Ups haben ein OKR (Objectives and Key Results) System eingeführt, das dafür ideal wäre, aber aus meiner Sicht nicht sauber angewandt wird. Meist ist es mehr ein KPI (Key Performance Indicator – Zielerreichungs)-System als ein strategisches Umsetzungs-Tool.

Lösung: Jeder im Unternehmen hat eine tägliche(!) ToDo-Liste, wo der eigene Beitrag zum gemeinsamen Ziel definiert ist und wo sichergestellt ist, dass das der bestmögliche Beitrag innerhalb des Teams ist.

Wenn Stress da ist – und der ist ja immer da – und wenn im Change sich ständig was verändert, dann ist es wichtig, dass ich eine simplifizierte Klarheit meines Beitrags habe. Den arbeite ich zügig ab und voila, jetzt habe ich nicht nur ein gutes Gefühl, meinen Beitrag für heute schon geleistet zu haben, sondern auch noch viel Zeit für Kunden, Kolleg:innen und Unerwartetes.

Klingt simpel, ist es auch. Es braucht nur die Bereitschaft von allen im Team, dieses (saubere OKR) System aufzusetzen und die Einhaltung, bzw. notwendigen Anpassungen auch laufend vorzunehmen.

Praxistipp: Frage deine Mitarbeiter:innen, ob sie genau wissen, was sie zur Zielerreichung heute beitragen können. Wenn Unsicherheit besteht, legt die Tätigkeiten gemeinsam so präzise fest, dass ihr sie wie in einer Checkliste abhaken könnt. Merke: Ich kann heute nur erledigen, was ich mir heute vorgenommen habe, daher braucht eine Strategie Aktionen, die auch heute erledigt werden können, sonst wird die Strategie nie umgesetzt werden.

Falle Nr. 3: Es gibt aktuell gerade Wichtigeres oder Dringenderes zu tun

Das Unternehmen ist nun klar ausgerichtet mit einem emotionalen Bild, die täglichen Tätigkeiten sind festgelegt und jedem/r klar. Alle sind motiviert. Aber gerade jetzt ist was ganz Wichtiges reingekommen und die Geschäftsführung muss sich fokussiert darum kümmern. Rummms – die nächste Falle hat zugeschlagen.

80% der Changes gehen schief oder verlaufen im Sand, weil die Priorität bis zum Erreichen des Ziels nicht gnadenlos bei allen auf 1 gestanden ist. Meist beginnt das im C-Level („Der Change läuft ja eh recht gut, da können wir uns anderem widmen“).

Lösung: Der Change muss die oberste Priorität haben. Bevor andere Aufgaben erledigt werden, müssen die täglichen To-Dos im Change-Prozess bearbeitet sein. Das gilt auf allen Ebenen, vom CEO bis zu den einzelnen Teammitgliedern. Wenn der Wandel auf der Prioritätenliste nicht an erster Stelle steht, wird er im Alltag untergehen.

Meine Erfahrung dabei: wenn nur ein Teil im Unternehmen die Priorität nicht auf 1 hat, ist der Change nach recht kurzer Zeit im ganzen Unternehmen zu Ende. (ist wie ein Schimmel, der sich rasant ausbreitet. Je prominenter und höher in der Hierarchie der Schimmel startet, umso rascher die Ausbreitung).

Praxistipp: Einfordern der Prio 1 von sich selbst und allen anderen. Nach dem Motto: „heimgegangen oder Bildschirm im Homeoffice abgedreht wird erst, wenn die tägliche ToDo-Liste abgearbeitet wurde“. Disziplin ist aus meiner Erfahrung essentieller Baustein des Erfolges (siehe auch Jim Collins „From Good to Great“). Ich stelle Disziplin sicher, indem ich konsequent auf die Prio 1 aufmerksam mache und darauf bestehe. Das löst dann die Motivation „Schmerzvermeidung“ aus: Ich habe zwar heute keine Lust auf meine To-Dos, aber bevor ich mir die Diskussion mit meinem Vorgesetzten oder Kolleg:innen antue, mache ich es dann doch.

Falle Nr. 4: Mangelndes Ressourcen-Bewusstsein

„Den Willen hätt ich schon, allein mir fehlt der Glaube.“ Mephistopheles in Goethes Faust bringt’s auf den Punkt, wo es nach der Vermeidung der ersten drei Fallen dann doch noch scheitern kann.

Jetzt kommen wir zum Bereich „mentale Stärke“. Wir können nur das nutzen, was uns bewusst ist. Unsere selektive Wahrnehmung ist hier oft das Problem. Wir glauben, die (neue) Situation nicht meistern zu können, weil wir ja hier kaum eine oder gar keine Kompetenz haben. Und deshalb geben wir auf. Die gute Nachricht hier ist: Es ist (nur) eine Falle und kein echter Show-Stopper.

Lösung: Wir müssen uns unsere zur Verfügung stehenden Ressourcen bewusst machen. Sie miteinander teilen, aufschreiben, clustern und dann auswählen und anwenden. Je mehr wir für eine bestimmte Aufgabe finden, umso besser. Dazu haben wir: innere Ressourcen (das eigene Wissen, die Erfahrungen, die Talente, Glaubenssätze, Fähigkeiten etc.), interne Ressourcen (die inneren Ressourcen der Kolleg:innen im Team oder Unternehmen) und externe Ressourcen (Berater, Bench-Marks von anderen Unternehmen, Cloud Wissen, AI, etc.).

Praxistipp: Jede/r im Team schreibt für ein zu lösendes Thema die inneren Ressourcen auf. Dann tauschen alle deren Findings aus und überlegen noch welche externen Ressourcen hilfreich wären. Wieder möglichst viele finden! Danach wählen alle gemeinsam die besten Ressourcen aus und beschließen wie sie angewandt werden sollen. Hat in all meinen Projekten IMMER funktioniert, um den Change sehr gut weiter voranzutreiben!

Falle Nr. 5: Das Mindset als Killer

Was immer je von Menschenhand entstanden ist, war zu aller erst ein Mindset. Wenn also das Mindset von jemanden im Change z.B. lautet: „das wird eh nix“ oder „das schaffen wir nie“, dann stoppt dort der Change und schimmelt sich voran.

Lösung: Ein auf den Change ausgerichtetes Mindset soll formuliert werden. Ein kurzer Satz, den jede/r im Change täglich oftmals anwendet, um sich selbst und andere immer wieder auf das Ziel und den Glauben daran auszurichten. Es werden so unterstützende Glaubenssätze wie „Wir schaffen das gemeinsam“, „Jeder Schritt zählt“ oder „Wir lernen aus jedem Fehler“ geformt und gefestigt, die die neue Wirklichkeit erschaffen.

Praxistipp: Beginnend beim C-Level wird ein Master-Mindset festgelegt, das dann als Unternehmens-„Mantra“ für den Change angewandt wird. Parallel dazu ist es Aufgabe aller Führungskräfte, mit deren Mitarbeiter:innen in persönlichen Gesprächen zu helfen, deren Zugang zum Master-Mindset zu finden, bzw. eigene individuelle Mindsets zu finden, die helfen, im Change dranzubleiben.

Fazit: Die 5 Fallen sind in jedem Change aufgestellt und schnappen öfter zu, als man sich eingestehen möchte. Sie können mit den Tipps in diesem Artikel vermieden werden, bzw. kann man mit ihnen aus der Falle herauskommen. Diese Tipps anzuwenden, benötigt Zeit. Die dafür aufgewandte Zeit kommt x-fach wieder rein.

Jetzt gibt es noch zwei zusätzliche Fallen für jeden Change: 1: Ich habe keine Zeit („Ausrede, um die Bequemlichkeitszone nicht verlassen zu müssen“) oder 2: Da fang ich erst an, wenn ich es genau geplant habe (auch eine Ausrede – kein Change kann ausreichend genau geplant werden. Einfach loslegen und darauf vertrauen, dass jeder Prozess ein progressives Learning auslöst – siehe Mindset!)


Mit dem folgenden Download findest du eine Checkliste zu den 5 Fallen. Diese Change-Fallen-Vermeidungs-Checkliste sollte in allen 5 Punkten mit einem eindeutigen JA von JEDEM/R Mitarbeiter:in (inkl. Führungkräften) beantwortet werden, sonst startet dort der Change-Stopper. Dieses Vorgehen ist kein hoher Anspruch, sondern eine Notwendigkeit.

Hier ist dein ToDo für heute: Starte bei deinem Team und gehe mit jedem Teammitglied die Checkliste durch. Ist nur ein Checkpunkt kein JA, dann weißt du ja jetzt, was zu tun ist…

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Konflikte, Konflikte in Unternehmen, Mediation, Mediator, ostal
(c) Stock.Adobe/gnublin - Es gibt verschiedene Arten von Unternehmenskonflikten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe unseres Jubiläum-Printmagazins – “Wegbereiter”. Eine Downloadmöglichkeit findet sich am Ende des Artikels.


Es war nur eine Bemerkung am Rande – doch sie schwillt an und gärt wie verfaulendes Obst. Und sie wird bleiben, wird weitere Verletzungen aufnehmen und wachsen; sich steigern, bis sie zum Problem und dann klar benennbar für alle zu einem fassbaren Begriff wird. Erst dann wird man es Konflikt nennen, obwohl der Beginn schon viel früher vollzogen war. Mit dieser einen Bemerkung am Rande.

Laut Definition im Duden ist ein Konflikt „das Aufeinanderprallen widerstreitender Auffassungen, Interessen oder eine ähnlich entstandene schwierige Situation, die zum Zerwürfnis führen kann“. Dies ist auch die allgemeine Auffassung im kollektiven Bewusstsein von Gesellschaften. Dabei wird aber oft übersehen, dass ein Konflikt je nach Bereich weitaus mehr Ebenen hat.

Für Jürgen Dostal, Konfliktexperte und Gründer von Proconsens.at, sind es im unternehmerischen Umfeld andere Dynamiken als im Privaten, die vor allem das Arbeitsklima massiv beeinflussen können. Personen fühlen sich seinen Erkenntnissen nach in ihren Werten oder im Handeln eingeschränkt oder gar gemobbt, während anderen oftmals gar nicht bewusst sei, dass es eine Art von negativer Interaktion gegeben hat. Da kann es zu interpersonellen oder gar IntergruppenKonflikten (Abteilungen, Teams) kommen, mit der möglichen Folge, sich gegeneinander auszuspielen – ohne die wahren Gründe für die Unstimmigkeiten zu thematisieren.

Die Konfliktarten

Passend dazu hat das HR-Startup Personio eine Unterteilung des Begriffs in verschiedene Punkte vorgenommen. Konflikte können in Unternehmen zwischen Mitarbeiter:innen gleicher Ebene (Kolleg:innen) entstehen, zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden oder zwischen ganzen Teams bzw. Abteilungen. Das Konfliktmanagement unterscheidet daher zwischen einer ganzen Reihe von Konfliktarten.

Bei Sachkonflikten handelt es sich um unterschiedliche Auffassungen in Sachfragen, etwa um die beste Methode, eine Aufgabe zu erledigen, oder welches Feature als Nächstes in ein Produkt eingebaut werden soll.

Beziehungskonflikte nennt man den Zustand, wenn das zwischenmenschliche Verhältnis gestört ist. Sie fußen meist auf negativen Erlebnissen oder Vorurteilen und sind oft nur Ausdruck anderer, unterbewusster Konflikte. Missverständnisse in der Kommunikation sind eine weitere Konfliktart, in der beteiligte Parteien schlicht falsche Schlüsse aus dem Gesagten ziehen.

Ressourcenkonflikte nennt man es, wenn Mitarbeiter:innen die Verteilung der Unternehmensressourcen persönlich als ungerecht empfinden.

Bei Zielkonflikten wiederum prallen verschiedene Abteilungen aufeinander – etwa wenn eine mit Kürzungen zu hadern hat, die andere jedoch auf die Arbeit ihrer Kolleg:innen angewiesen ist, um Firmenziele zu erreichen (z. B. Development vs. Vertrieb).

Wertekonflikte sind indes geprägt von persönlichen Moralvorstellungen, die zu Zwistigkeiten führen können, wenn Führungskräfte oder die Belegschaft entgegen persönlicher Einstellungen handeln.

Die Studie „Konfliktkultur in Österreichs Unternehmen“, die Jürgen Dostal und sein Team mit 300 Teilnehmer:innen (66 Prozent Führungskräfte) ausgearbeitet haben, zeigt eines der Grundprobleme in unternehmensspezifischen Konfliktfällen: Leader subsumieren im Wesentlichen unterschiedliche Interessenslagen (77 Prozent) bzw. Interaktionen, bei denen sich mindestens zwei Akteur:innen beeinträchtigt sehen, als Konflikt. Nur 48 Prozent der Befragten folgen der Auffassung, dass ein Konflikt auch dann vorliegt, wenn sich von mehreren Personen lediglich eine beeinträchtigt sieht. Damit würden rund die Hälfte der Manager:innen spezielle Vorfälle wie Mobbing oder das „Getroffensein von Bemerkungen“ nicht als Konflikt ansehen – mit möglichen weitreichenden Folgen.

Was innen passiert, bleibt innen

Hier geht es, in anderen Worten, um Beispiele, in denen sich Personen durch vereinzelte Aussagen von Kolleg:innen oder Führungskräften irritiert fühlen und ihre Irritation nicht artikulieren; oder, falls doch, die Situation nicht als „Konflikt aus dem Inneren“ wahrgenommen wird. Ungelöste und unterbewusste (unerkannte) Konflikte beeinträchtigen das Arbeitsklima, weiß Dostal. Sie senken die Zufriedenheit am Arbeitsplatz und auch die Produktivität, erhöhen die Fluktuation im Team, erzeugen Stress und gefährden die Gesundheit (Anstieg der Krankenstände); was schlussendlich zu einer schlechteren Qualität im Unternehmen führt und stark dem Firmenimage schadet.

Konflikte
(c) Proconsens.at – Jürgen Dostal von Proconsens.at

„Dort, wo Konflikte bestehen, ziehen sich Menschen zurück“, sagt er, „mit negativen Auswirkungen. Spannend ist ja, dass über 60 Prozent unserer Befragten sagen, dass sie nicht mit entsprechenden Skills ausgestattet sind, um Konflikte zu lösen.“ Dabei wären es laut dem Mediator ganz einfache Kommunikationsfähigkeiten, die es braucht, um Probleme anzugehen. „Es ist nicht kompliziert“, führt Dostal weiter aus. „Man muss sich Zeit nehmen und kommunizieren. Es geht nicht darum, den Konflikt ‚wegzureden‘, sondern um ein aktives Zuhören und ein Verstehen, worum es den beteiligten Personen geht. Das Problem hier ist, dass jahrzehntelang Führungskräfte bestellt wurden, nicht um zu führen; sie wurden aus einer traditionellen Rolle des Expertentums heraus rekrutiert, aber ohne in Führungsskills zu investieren. Viele Gründe für Konflikte liegen jedoch spezifischer vergraben und brauchen Skills, um erkannt zu werden.”

Für Diana-Maria White, Rechtsanwältin, Verteidigerin in Zivil- und Strafsachen und Wirtschaftsmediatorin, sind Konflikte im Job-Kontext etwas „strukturell Normales, wie sie bereits im Oktober 2023 im brutkasten-Talk erklärte. Man gehe mit fremden Menschen eine Bindung ein, die man privat gar nicht kenne. „Die Eskalation des Konflikts kommt dann durch subjektive Befindlichkeiten“, sagte sie damals. „Er geht manchmal aus Nichtigkeiten los und schaukelt sich auf. Wenn der Konflikt verfestigt ist, bekomme ich ihn teilweise nicht mehr gelöst.“

Eskalationsstufen beim Konflikt

Der Konfliktforscher Friedrich Glasl beschreibt in diesem Sinne die Eskalation eines Konflikts in neun Stufen, die sich in drei Hauptphasen gliedern. Die erste Phase ist geprägt von gelegentlichen Spannungen bis hin zu heißen Debatten, in denen sich Streitende gegenseitig unter Druck setzen. Hier können dem Forscher zufolge Konflikte noch konstruktiv gelöst werden.

Die zweite Phase öffnet das Persönliche – das Ziel ist nun, den Konflikt zu gewinnen; dabei werden Werkzeuge wie Drohungen, Sanktionen und Machtspiele eingesetzt. In so einem Fall wird eine Partei als „Verlierer“ aus dem Konflikt scheiden, was zu einem zerrütteten Arbeitsklima und gestörtem Arbeitsverhältnis führt – mit Auswirkungen auf die Produktivität.

In der dritten und heftigsten Phase wollen alle Beteiligten einander nur noch schaden – und sie riskieren damit sogar den eigenen Untergang und den des ganzen Unternehmens. In Zahlen können laut Dostal 72 bis 75 Prozent aller Konflikte gelöst werden.

„Eine Führungskraft kann allerdings nur bis zur Eskalationsstufe 4 helfen, darüber braucht es Mediatoren“, sagt er. „Bei Stufe 7 bis 9 braucht es Expertenteams, da geht es nur mehr ums Vernichten des anderen.“

Für Dostal ist eine Unternehmensmediation unparteiisch und ermöglicht die Entwicklung eines Spektrums von Lösungsmöglichkeiten und Perspektiven mit den größtmöglichen Überschneidungen zwischen Streitenden.

„Wir sprechen unterschiedliche Sprachen, geben Worten unterschiedliche Bedeutungen mit, je nach Erfahrung, Werten, Alter, Hintergrund“, erklärt Dostal. „Am Arbeitsplatz, mit all dem Konkurrenzdenken, kann Emotion eine ganz riesige Rolle spielen. Mediatoren übersetzen, paraphrasieren und stellen die Umstände für die Parteien klarer dar. Es geht darum, ein besseres gegenseitiges Verständnis zu erzeugen.“

Ein ungelöster Konfliktfall

Der Konfliktexperte erinnert sich an einen Fall, der nicht gelöst werden konnte, um präziser zu erläutern, was Unternehmer:innen heute fehlt. Die Causa damals befasste sich mit der Auflösung eines Dienstverhältnisses eines jungen Mitarbeiters, der mehr als 50 Prozent Fehlzeiten zu Buche stehen hatte. Das Spannende an dem jungen Mann war sein Selbstbild, das jedoch nicht mit der Außenwahrnehmung übereinstimmte.

„Die Person hat gedacht, sie könne Dinge viel besser als die anderen, müsse nichts Neues lernen und sei zum Führen bestimmt“, erinnert sich Dostal. „Sie konnte aber nicht nachweisen, dass sie diese Dinge tatsächlich beherrscht.“

Der Mediator sieht in dem jungen Mann von einst ein typisches „Goldlöffelkind“, dem man ständig unreflektiert positives Feedback gegeben hatte – und damit die „Self Perception“ fütterte, fehlerfrei zu sein.

„Niemand agiert fehlerfrei“, betont Dostal. „Doch der junge Mann konnte Kritik nicht annehmen. Es war spannend zu beobachten, denn die Wahrnehmung des jungen Mitarbeiters ist seine persönliche Realität; und das müssen Arbeitgeber realisieren und lernen, mit Menschen umzugehen.

Konkret geht es öfter auch darum, gewisse Dinge aus der Vergangenheit einer Person zu kompensieren. Dazu muss man eine neue Art des Führens lernen. Als ‚Arschloch-Chef’ – Sternekoch Tim Raue hat den Begriff geprägt – hat man heute keinen Erfolg mehr. Es braucht keinen mehr, der brüllt, sondern einen, der konstruktives Feedback liefern kann; auch bei Menschen, die Schwierigkeiten haben, mit Kritik umzugehen.“

„Konflikte benötigen Reife“

Alles andere könne zu einer veritablen Persönlichkeitskrise führen, in der sich vor allem junge Personen verletzt zurückziehen. „Um Konflikte zu lösen, benötigt es Reife“, so Dostal. Eine Reife, über die Lisa Smith vom Lieferketten-Startup Prewave verfügt, ruft man sich ihre Worte aus dem November 2023 in Erinnerung: Ein Jahr zuvor war sie mit ihrem Scaleup in ein größeres Office gezogen und musste mit ihrem FlexDesk-System über 100 Leute unter einen Hut bringen.

„Da sind ein paar Sachen aufgekommen und wir haben versucht, aufeinander zuzugehen“, erzählte sie damals über den Firmenumzug. Für die Gründerin war es in diesen Konfliktsituationen wichtig, das Gespräch zu suchen und als ersten Schritt herauszufinden, was überhaupt passiert ist, so ihr Zugang: „In größeren Firmen wird das aber immer schwieriger. Wichtig ist, das Gegenüber zu verstehen, damit man konstruktiv zusammenarbeiten kann; um den gemeinsamen Blick auf den Weg in die Zukunft zu richten und den Konflikt zu begraben.“

Prewave hat in der Vergangenheit bei Streitfällen konkret die HR-Abteilung involviert und die Parteien zu direkten Gesprächen geladen. „So direkt wie möglich und nicht über die Team-Leads“, betonte Smith. „Wir überlegen uns immer, was eine rasche, pragmatische Lösung sein kann.“

Kämpfe und Warnzeichen

Weniger pragmatisch war ein anderes Beispiel aus Dostals Erlebnisrepertoire: Ein Unternehmen hatte es für eine gute Idee gehalten, konkurrierende Ziele zwischen den Abteilungen auszurufen, und hat die einzelnen Abteilungen gegeneinander ausgespielt. „Man wollte sehen, ob sie in der Lage sind, mehr Energie aufzubringen“, erinnert sich der Mediator. „Sie haben sich jedoch hart bekämpft; letztendlich gab es nur Stillstand.“

Deswegen sei es gemäß eines modernen Leaderships nicht nur essenziell, sich Konfliktlösungsskills, wie oben beschrieben, anzueignen, sondern auch auf Warnzeichen zu achten – wie es Personio in seiner Ausführung vorschlägt.

Warnzeichen sind: Mitarbeiter:innen reden nicht mehr miteinander. Sie äußern sich negativ und herablassend übereinander. Mitarbeitende zeigen in ihrer Mimik und ihrer Körpersprache Ablehnung. Sie missachten bewusst Entscheidungen oder Arbeitsanweisungen – und reagieren aggressiv; beim kleinsten Anlass gibt es Streit.

„Wenn Konflikte am Arbeitsplatz frühzeitig erkannt und konstruktiv behandelt werden, wirken sie sich durchaus positiv auf ein Unternehmen aus“, rät Personio. „Konflikte zeigen, wo Veränderungsbedarf besteht, und erhöhen den Druck auf die Beteiligten, zu handeln. Sie zwingen, sich im Konfliktmanagement mit möglichen Lösungen auseinanderzusetzen. Dabei werden oft neue, kreative Ansätze gefunden.“

Positiv sei, so Dostal, dass sich Führungskräfte und Mitarbeitende im DACH-Raum entsprechende Skills zur Konfliktlösung wünschen. „Es gibt eine hohe Bereitschaft, besser mit Konflikten umzugehen“, sagt er. „Wenn die Effektivität im Umgang mit Konflikten nicht besteht, führt dies zu schwerwiegenden Problemen, die in Unternehmen für weitaus höhere Kosten sorgen können, als wenn man Grundlagen schafft und Führungskräfte mit Konfliktlösungsskills ausstattet – und zwar mit jenen, die auch mit unterschiedlichen Werten, Emotionen und Hintergründen umgehen können.“


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