05.08.2024
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Cellectric: Wie ein Wiener Startup einen völlig neuen Ansatz in die Medizin bringen will

Ist Life Science gleichbedeutend mit Biochemie? Das Wiener AIT-Spin-off Cellectric setzt mit Elektrodynamik auf eine gänzlich andere Technologie, um mit Zellen zu arbeiten. Der erste Usecase steht, das Potenzial ist enorm. Auf dem Weg zum erfolgreichen Business wird das Startup auch von der aws unterstützt.
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Die Cellectric-Gründer Klemens Wassermann und Terje Wimberger und ihr Gerät zur Probenaufbereitung | (c) Cellectric
Die Cellectric-Gründer Klemens Wassermann und Terje Wimberger und ihr Gerät zur Probenaufbereitung | (c) Cellectric

“Die Membran jeder Zelle hat eine spezifische elektrische Ladung. Bei einer Stammzelle entscheidet diese Ladung etwa darüber, ob sie zu einer Muskel- oder einer Knochenzelle wird. Und bevor eine gesunde Zelle zur Krebszelle wird, entlädt sich die Membran komplett”, erklärt Klemens Wassermann, Co-Founder des Wiener Startups Cellectric.

Schon vom “Elektrom” gehört?

Die beschriebene Erkenntnis ist in der Wissenschaft vergleichsweise neu. Erst in den vergangenen Jahren beginnt sich für diese elektrischen Eigenschaften von Zellen – analog zum “Genom” – der Begriff “Elektrom” durchzusetzen. Wassermann und sein Co-Founder Terje Wimberger forschten daran bereits mehr als zehn Jahre lang, bevor sie Cellectric 2021 aus dem Austrian Institute Of Technology (AIT) ausgründeten.

Mit ihrem Startup liefern die beiden eine Technologie, um diese Zelleigenschaften in der Medizin und Biologie zu nutzen. Dazu haben sie ein mittlerweile mehr als zwanzigköpfiges Team aus 14 Nationen aufgebaut, mit Expert:innen von Unis wie Cambridge und der ETH Zürich. Dazu kommt ein Advisory Board mit Koryphäen aus dem Bereich, etwa Diederik Engbersen, den Wassermann als “Godfather of Blood Culture” bezeichnet, oder Peter Kaspar, der unter anderem Jahrzehnte Erfahrung von Roche Diagnostics mitbringt.

“Life Science bedeutet heute im Normalfall Biochemie. Das ist sehr arbeitsaufwändig und oft giftig. Mit der Elektrodynamik wollen wir eine komplett neue Art, mit Zellen zu arbeiten, in die Biologie und Medizin bringen”, sagt der Gründer. Er sei davon überzeugt, dass dies die beiden Felder revolutionieren werde. “So wie DNA-Sequenzierung in den vergangenen Jahrzehnten zum Standard in Laboren wurde, wird es auch mit Elektrom-basierten Methoden passieren”, erwartet Wassermann.

Cellectric: Einen Pool voller roter M&Ms auslassen, um das blaue zu finden

Mit seinem ersten großen Usecase startete Cellectric vor kurzem Pilotstudien mit dem Wiener AKH und mehreren Unternehmen. Ein Gerät des Startups wird dabei eingesetzt, um Blutvergiftungen (Sepsis) erheblich schneller zu diagnostizieren, als das bisher möglich war. “Infektionsdiagnostik ist klassischerweise die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, denn die Keime verstecken sich hinter extrem vielen Humanzellen”, erklärt Wassermann. Er veranschaulicht: “Man muss sich einen olympischen Pool voller roter M&Ms vorstellen, in denen genau ein blaues M&M ist, das man finden will”.

Die klassische Vorgehensweise: Ein bis zwei Tage Abwarten, um erkennen zu können, ob sich in Blutproben Keime vermehren. “Bei einer Sepsis sind die Patient:innen bis dahin bereits auf der Intensivstation, gerade bei antibiotikaresistenen Keimen”, erklärt Wassermann.

Und was macht Cellectric? “Wir lassen den Pool aus”, sagt der Gründer. Konkret ermöglicht es die Technologie des Startups, die Ladung auf den Zellmembranen in einer Blutprobe zu erhöhen. “In diesem Usecase erhöhen wir die Ladung der Zellen so stark, dass die Humanzellen platzen. Bakterien und Pilze bleiben dabei aber ganz und werden so sichtbar”, so Wassermann.

Viele Chancen auf dem Weg zwischen Infektionsdiagnose und Krebstherapie

Gewählt habe man diesen Usecase auch, weil man damit im Bereich “Probenaufbereitung” vergleichsweise niedrigere Hürden bei der – bei Medizingeräten bekanntermaßen – aufwändigen Zulassung habe. “Zuerst wollten wir ein Komplett-Gerät bauen, das auch die Diagnostik durchführt. Stattdessen haben wir uns dafür entschieden, unser Gerät mit bereits zugelassenen zu kombinieren, um schneller auf den Markt zu kommen”, erzählt Wassermann. Schneller bedeutet in diesem Fall 2028. Dann will Cellectric seine Technologie in Kooperation mit einem Marktführer aus dem Bereich launchen. Auch langfristig ist ein Lizenzmodell geplant – das Startup will sich weiter auf Forschung und Entwicklung konzentrieren.

Denn die Möglichkeiten der Technologie gehen noch sehr weit über die Infektionsdiagnose hinaus, ist der Gründer überzeugt. “Wir haben etwa bereits bewiesen, dass wir damit nur Krebszellen platzen lassen können, die gesunden Zellen aber erhalten bleiben”, erzählt Wassermann. Auch sei es gelungen, Zellen so zu manipulieren, dass sie Moleküle von außen aufnehmen können. Noch fehle aber die Technologie, um die Ladung der Zellmembran ganz genau manipulieren zu können. “Die entwickelt Cellectric”, sagt der Gründer und gibt die Vision aus: “Wenn du das Elektrom genau steuern kannst, kannst du die Biologie komplett neu steuern.”

Einer der weltweit wenigen anderen in dem Feld, ein US-Wissenschaftler, arbeite finanziell durch das Militär unterstützt sogar daran, mit der elektrodynamischen Manipulation von Stammzellen Extremitäten nachwachsen zu lassen. Bis dahin, oder auch bis zur angesprochenen Krebstherapie sei es aber noch ein sehr weiter Weg – der viele einfacher umzusetzende Usecases biete, sagt Wassermann. So arbeite man etwa auch an einer elektrodynamischen Alternative zur Zytolyse, der Auflösung von Zellen, für Labore. Ein üblicherweise dafür genutztes chemisches Mittel dafür sei nämlich gerade erst verboten worden.

Cellectric setzt im Business-Aufbau auf aws-Förderungen

Bei allem Potenzial: Der Weg zu signifikanten Umsätzen dauert für Cellectric definitiv noch eine Zeit lang. In der Finanzierung ist das Startup also auf externes Kapital angewiesen. Neben einem Investment durch Xista Science Ventures setzt das Unternehmen vor allem auf Förderungen – und ist dabei erfolgreich.

Während man mehrere Forschungsprojekte über Förderungen der FFG finanziert habe und finanziere, habe man für den Aufbau des Business bereits zwei aws-Förderungen in Anspruch genommen, erzählt Wassermann. “Die aws-Preseed-Förderung hat uns in der Gründungsphase komplett finanziert. Damit haben wir das Unternehmen aufgebaut, das Produkt weiterentwickelt und alles auf die Beine gestellt. Die aws-Seed-Förderung haben wir unter anderem genutzt, eine Quality-Managerin und eine Financial Controllerin einzustellen und den ISO-Bereich aufzubauen”, erzählt Wassermann.

In den kommenden Jahren sollen noch weitere Investments und Förderzusagen folgen. “Wir stellen gerade unsere Seed-Kapitalrunde auf, die uns bis Ende 2026 finanzieren soll. Viele Projekte sollen dann bereits von großen Partnern im Co-Development getragen werden”, erläutert der Gründer. Mit einer Series A Runde im Jahr 2026 wolle man dann die “breite Plattform” aufbauen, mit der letztlich der Markteintritt umgesetzt werden soll. “Dann wollen wir Cellectric als Technologieprovider etablieren, der unterschiedlichste Anwendungen im Life Science-Bereich ermöglicht”, so Wassermann.

*Disclaimer: Das Startup-Porträt wurde im Rahmen einer Kooperation mit der Austria Wirtschaftsservice (aws) verfasst.

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Lanbiotic, Neurodermitis
(c) Oliver Wolf - Patrick Hart und Katrin Susanna Wallner von Lanbiotic.

Das Grazer Startup Lanbiotic stellt medizinische Hautpflege-Produkte mit lebensfähigen Bakterien speziell für die von Neurodermitis geplagte Haut her. Dabei verwenden die beiden Gründer:innen Patrick Hart und Katrin Wallner den zum Patent angemeldeten Bakterienstamm “Lactococcus Lanbioticus“.

Lanbiotic: “Skalierung als neue Normalität”

“Mit unseren probiotischen Hautanwendungen bringen wir gesundheitsfördernde Bakterien direkt auf die Haut, um die natürliche Balance des Hautmikrobioms wiederherzustellen und Hautprobleme gezielt an der Ursache zu bekämpfen”, erklärt Wallner.

Das letzte Jahr fühlte sich für die Gründerin an, als sei ein Traum nicht nur wahr, sondern sogar übertroffen worden. Andererseits sei es eine “neue Normalität” an der Skalierung des Unternehmens zu arbeiten.

“Wir haben weitere Produkte mit unserem einzigartigen Bakterienstamm ‘Lactococcus Lanbioticus’ entwickelt, um umfassender auf die Bedürfnisse von Menschen mit zu Neurodermitis neigender Haut eingehen zu können. Neu hinzugekommen sind Flora Bath und Flora Sun”, erklärt Wallner.

Flora Bath ist ein spezieller Badezusatz, der für Menschen entwickelt wurde, die großflächig oder an der Kopfhaut von Ekzemen betroffen sind – ein Bereich, in dem Pflegecremen oft an die Grenzen ihrer Praktikabilität stoßen.

“Der Fokus liegt wie immer bei Lanbiotic auf der Ergänzung des Hautmikrobioms, also ‘der lebende Teil’ der natürlichen Schutzbarriere der Haut, die den gesamten Körper bedeckt, mit probiotischen Bakterien”, so Wallner weiter. “Eine Ausgewogenheit des Hautmikrobioms ist, wie auch im Darm, entscheidend, um die Gesundheit der Haut zu bewahren und Beschwerden zu lindern.”

Flora Sun hingegen ist ein weiteres Produkt, das auf die besonderen Herausforderungen empfindlicher Haut unter UV-Strahlung eingeht. Studien hätten gezeigt, dass das Hautmikrobiom die natürliche Fähigkeit der Haut verbessern kann, mit den Effekten – und häufig auch Schäden – durch Sonneneinstrahlung umzugehen.

EHI-Siegel für Onlineshop

“Parallel dazu haben wir auch international expandiert: Der Eintritt in den deutschen Markt war ein großer Schritt, der mit der Anpassung unserer Produktions- und Logistikkapazitäten verbunden war, um langfristig weitere internationale Märkte beliefern zu können. Unser Webshop wurde außerdem mit dem EHI-Siegel zertifiziert, um unseren Kund:innen einen sicheren und vertrauenswürdigen Einkauf zu ermöglichen.”

Auch das Team wuchs 2024, zudem konnte durch zahlreiche Medienauftritte und Messeteilnahmen Aufmerksamkeit für die eigenen Produkte und die Marke gewonnen werden.

“Als weiteres Highlight wurden wir von der Apothekerkammer mit unserer Fachfortbildung akkreditiert, was Apotheker dazu motiviert, unsere Fortbildungen zu besuchen und mehr über das noch recht ‘nischige’ Thema Hautmikrobiom zu erfahren”, sagt Wallner.

Neue Märkte im Fokus

Aktuell arbeitet das Startup intensiv daran, Lanbiotic als Unternehmen und Marke weiterzuentwickeln, strategisch zu positionieren und zu skalieren. Das oberste Ziel ist es, die Lebensqualität von Menschen mit Neurodermitis über ihre mikrobiombasierten Produkte zu verbessern.

“Wir möchten Lanbiotic in weiteren Märkten etablieren, insbesondere natürlich in Ländern, wo die Prävalenz für Neurodermitis hoch ist. Dafür arbeiten wir an effizienten Marketingprozessen, um unsere Markenbekanntheit zu steigern, und bauen unsere Vertriebsstrukturen aus”, erklärt die Founderin. “Um diesen Schritt bestmöglich zu unterstützen, suchen wir gezielt nach vertrauenswürdigen Partnern für den internationalen Vertrieb, die unsere Werte und Qualitätsansprüche teilen. Die Kooperationen sollen es uns ermöglichen, unsere Produkte nachhaltig in weiteren europäischen und außereuropäischen Ländern anzubieten und das Thema Hautmikrobiom international bekannter zu machen.”

Daneben optimiert das Team Produktionsprozesse, um der wachsenden Nachfrage nachkommen zu können. In der Produktentwicklung liegt dabei der Fokus auf der Entwicklung weiterer wissenschaftsbasierten probiotischen Pflegeprodukten, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Neurodermitis und empfindlicher Haut zugeschnitten sind. Dazu steht man intensiv mit Industrie und Spitzenforschung in Kontakt.

Lanbiotic: Strukturen und Prozesse schaffen

Intern sei man vor allem stark mit dem Aufbau der Organisation beschäftigt. Man arbeitet daran, Strukturen und Prozesse zu schaffen, die das Wachstum langfristig stützen können. Ziel sei es, eine gesunde Organisation aufzubauen, die den Expansions- und Innovationszielen gerecht werde und das Unternehmen flexibel in die nächsten Entwicklungsstufen führt.

Lanbiotic wurde in der Vergangenheit unter anderem auch von der Austria Wirtschaftsservice (aws) unterstützt. So absolvierte das Unternehmen den aws First Incubator und erhielt über aws Innovationsschutz eine Förderung, um sein geistiges Eigentum zu schützen. Später folgte eine Preseed- und Seed-Förderung über aws Innovative Solutions. Mit diesem Seed-Förderprogramm unterstützt die aws innovative Gründungsideen, die über die Unternehmensgrenzen hinaus einen positiven gesellschaftlichen Impact bewirken. Der Fokus liegt auf skalierbaren Geschäftsmodellen. Im Fall von Lanbiotic war die Förderung essentiell, um die Produktentwicklung und Markteinführung zu finanzieren und sich allgemein zu professionalisieren.

“Eine bessere Förderung als aws Seed Innovative Solutions könnte es derzeit, meiner Meinung nach, für uns nicht geben”, sagt sie. “Es handelt sich um einen nicht rückzahlbaren Zuschuss von 400.000 Euro, der für unterschiedlichste Aktivitäten in der Markteinführung und Produkteinführung verwendet werden kann. Naturgemäß ist das Programm sehr kompetitiv, aber wenn man für die Finanzierung ausgewählt wird, hat man wirklich einen gewaltigen Booster, um ein nachhaltiges Unternehmen aufzubauen.”

Die weiteren Ziele von Lanbiotic

Im Allgemeinen habe ihnen das Programm bereits jetzt weit mehr gebracht als Geld. “Ich empfand den Bewerbungsprozess per se als wertvolle Erfahrung, um mir unser Business Model noch einmal ganz genau anzusehen und unsere Ziele zu definieren”, präzisiert die Grazerin. “Dass wir sie jetzt so scheinbar ‘locker’ übertreffen konnten, ist natürlich die Draufgabe.”

Durch die positive Resonanz der stetig wachsenden Stammkundenbasis sieht sich Wallner in ihrer Mission bestätigt. “Wir wissen aber auch, dass viele Menschen Lanbiotic noch nicht kennen und Neurodermitis in vielen Ländern nach wie vor ein großes Problem darstellt”, sagt sie. “Daher wollen wir gezielt skalieren, den Umsatz und Gewinn steigern, innerhalb und außerhalb Europas expandieren und unser Produktportfolio weiter diversifizieren.”

In Sachen Umsatzentwicklung wird Lanbiotic 2024 das gesetzte Umsatzziel voraussichtlich verdoppeln, wie Wallner erzählt. “Unser für 2025 gestecktes Ziel ist ambitioniert, aber wir sind zuversichtlich, dass wir hier wieder gute Arbeit leisten. Aktuell haben wir einen sechsstelligen Nettoumsatz erreicht, und dank der Unterstützung durch die aws Seed-Förderung werden wir auch heuer, wie jedes Jahr seit unserer Gründung, noch profitabler sein.”


* Disclaimer: Das Startup-Porträt erscheint in Kooperation mit Austria Wirtschaftsservice (aws)

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