28.01.2025
INTERVIEW

Artifical General Intelligence: “Sind viel weiter als viele annahmen”

Interview. Der deutsche Seriengründer und Business Angel Carsten Kraus beschäftigt sich seit den 1980ern mit künstlicher Intelligenz. Mit brutkasten hat er über Artifical General Intelligence (AGI) und die Probleme mit dem AI Act gesprochen.
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Carsten Kraus
Carsten Kraus | Foto: Matthias Trenn

Spätestens seit OpenAI kurz vor Weihnachten Zahlen zu seinem neuen Modell o3 veröffentlichte, ist die Diskussion rund um Artificial General Intelligence (AGI) wieder voll entbrannt. Es gibt keine allgemein akzeptierte Definition für AGI – im Wesentlichen versteht man darunter aber eine künstliche Intelligenz, die intellektuelle Aufgaben am selben oder ähnlichen Niveau wie der Mensch erledigen kann. Einer, der das Thema seit langem genau verfolgt, ist Carsten Kraus.

Der Serienunternehmer beschäftigt sich in der einen oder anderen Form bereits seit den 1980ern mit künstlicher Intelligenz. Aktuell ist er als Gründer und CEO des Startups casablanca.ai in dem Feld aktiv. Das Unternehmen setzt KI ein, um natürlichen Blickkontakt in Videocalls zu simulieren. Zu einem Portrait des Startups in unserem Schwesternmedium Starting Up geht es hier.

Unabhängig davon ist Kraus auch Keynote-Speaker zum Thema KI und ist in Österreich zuletzt im vergangenen Oktober bei der Konferenz „Expedition KI 3.0“ am Flughafen Wien aufgetreten. Im November zeichnete Business Angels Deutschland e.V. (BAND) Kraus als “Business Angel des Jahres 2024” aus.


brutkasten: OpenAI hat im Dezember Zahlen präsentiert, die zeigen, wie das neue Modell o3 bei unterschiedlichen Benchmarks abgeschnitten hat. Diese Ergebnisse haben die lang anhaltende Diskussion rund um die mögliche Entstehung einer Artificial General Intelligence (AGI) wieder befeuert. Im Silicon Valley vermuten mittlerweile viele, dass KI-Modelle das AGI-Niveau bald erreichen werden. Wo stehen wir Ihrer Meinung nach?

Carsten Kraus: Ich glaube, wir sind viel weiter, als viele das angenommen haben. AGI heißt für mich, dass eine künstliche Intelligenz alles denken kann, was der Mensch denken kann, und zu besseren Ergebnissen kommt als der durchschnittliche Mensch. Ich hatte schon 2016 in einem Interview gesagt, dass wir das bis 2035 erreichen werden. Das war damals ein enorm früher Zeitpunkt. Der Durchschnitt der KI-Wissenschaftler lag bei 2062. Meine Prognose fanden daher viele übertrieben. 

Viele Fähigkeiten, die KI jetzt schon hat – zum Beispiel Liebesbriefe schreiben, Gedichte verfassen, mit Sprache umgehen, Reden formulieren, Texte interpretieren und zusammenfassen –, die hat man nicht so früh erwartet. Jetzt sehen wir bereits, dass sowas funktioniert. Ich fühle mich mit meiner Prognose daher bestätigt.

Technisch sind wir nur mehr wenige Jahre davon entfernt, dass die KI alles denken kann, was der Mensch denken kann. Die Modelle machen riesige Fortschritte, nicht nur durch das LLM selber, sondern auch durch die Systeme drumherum: Etwa durch agentisches Vorgehen, das deutlich bessere Ergebnisse liefert als die pure Transformer-Variante.

Wir werden also in den nächsten Jahren AGI erleben?

Es gibt natürlich eine kleine Wahrscheinlichkeit, dass es nicht klappt oder dass es viel zu teuer wird. Denn für manche komplexe Abfragen, die auf dem Niveau einer Doktorarbeit sind, können laut OpenAI schnell sehr hohe Rechenkosten entstehen – über 1.000 Dollar pro Anfrage.

Das menschliche Gehirn ist dagegen unglaublich effizient, es braucht nur rund 15 Watt. KI-Systeme brauchen dagegen tausende Prozessoren mit sehr hohem Stromverbrauch und teurer Hardware. Es kann also sein, dass die KI zwar alles kann, was wir können; es sich aber nicht lohnt, sie dafür einzusetzen, weil sie viel zu teuer und energieintensiv ist. In dieser Frage kommt es also nicht nur auf neue Modelle, sondern auch auf die zukünftige Hardware an.

OpenAI-CEO Sam Altman hat kürzlich auf X geschrieben, dass selbst das neue ChatGPT-Pro-Abo, für das 200 Dollar im Monat bezahlt werden, nicht profitabel sei. Es scheint also nicht ausgeschlossen, dass die führenden Modelle möglicherweise für Endkunden noch teurer werden könnten. Müssen wir uns also darauf einstellen, dass uns dieses Kosten-Thema bei KI in den nächsten Jahren begleiten wird?

Ja, OpenAI hat beim Pro-Angebot negative Unit Economics. Je kleiner die Modelle sind, desto bessere Uni Economics erreichen sie. Aber im praktischen Einsatz sehe ich das nicht als Gefahr. Das wäre nur der Fall, wenn ich als Ziel habe, unbedingt Menschen zu ersetzen.

Meiner Ansicht nach sollte aber das Ziel sein, Menschen zu ergänzen. Die KI-Systeme werden mit der Zeit effizienter, aber das menschliche Gehirn ist so effizient, dass es durchaus sein kann, dass es sich nie lohnt, bestimmte Anwendungen an die KI auszulagern, wenn die Kosten explodieren. 

Neben AGI kursiert auch der Begriff der ASI: Artificial Super Intelligence. Wie würden Sie die beiden Konzepte abgrenzen?

Die Frage ist, was Superintelligenz qualitativ mehr kann, außer vielleicht mehr Fakten gleichzeitig zu berücksichtigen oder schneller zu denken. Ich bin beim Verein Mensa und kenne auch Leute, die deutlich intelligenter sind als ich – aber ich sehe da keinen richtigen qualitativen Unterschied, weder nach oben noch nach unten.

Es kann sein, dass eine KI mit „Superintelligenz“ nicht nur schneller rechnet, sondern vielleicht zusätzliche Sensorik hat oder Zugriff auf riesige Datenmengen, die ein Mensch nicht verarbeiten kann und sich so immer weiter verbessert. Die KI könnte sich dann möglicherweise selbst weiterentwickeln und kein Mensch versteht mehr, was sie eigentlich macht. Da stellt sich die Frage: Wollen wir das überhaupt zulassen?

Ein mögliches Szenario, das aus dem Science-Fiction-Bereich stammt, wäre auch, dass sich eine solche KI auf irgendeinen Planeten zurückzieht, die Menschheit in Ruhe lässt und sich nur darum kümmert, dass keine zweite, gefährliche Superintelligenz entsteht.

Ob eine solche Superintelligenz realistisch ist und kontrollierbar bleibt, hängt am Alignment-Problem, also ob die Ziele der KI noch genügend mit den Zielen der Menschheit übereinstimmen. Ich habe keinen tiefen Einblick in das Thema, aber meine Meinung ist: Man muss der KI intrinsisch beibringen, was sie gut finden soll, anstatt starre Regeln vorzugeben, die sie am Ende kreativ umgeht.

Apropos Regeln. KI-Regulierung ist ja ein großes Thema, in der EU tritt gerade der AI Act in Kraft, der durchaus auch kontrovers diskutiert wird. Einige Stimmen aus der KI-Community warnen, dass er Innovationen hemmen könnte. Wie schätzen Sie das ein?

Ich sehe da eine große Gefahr, vor allem für Mittelständler. Großunternehmen können, wenn es kompliziert wird, Teile ihrer Aktivitäten ins Ausland verlagern. Und Startups, die richtig groß denken, weichen eventuell auch aus, wenn es hier zu bürokratisch wird. Aber besonders der Mittelstand, der hier verankert ist, wird vorsichtig sein. Das könnte dazu führen, dass er KI nicht oder viel zu spät einsetzt.

Der AI Act hat vier Stufen: verbotene Risiken, hohes Risiko, mittleres Risiko, niedriges Risiko. Das Thema „hohes Risiko“ ist sehr weit gefasst – da kommen immer mehr Dinge in den Anhang. Medizin, autonomes Fahren und kritische Infrastruktur waren verständlich, denn da will man sicherstellen, dass am Ende noch ein Mensch draufschaut. 

Aber dann kamen beispielsweise Personalentscheidungen dazu, also HR. Wenn ich ChatGPT frage, welche Fragen ich einem Bewerber stellen soll, ist das womöglich schon High-Risk, weil der Bewerber dadurch benachteiligt werden könnte. Dann müsste ich laut AI Act alles Mögliche dokumentieren: Habe ich Bias ausgeschlossen? Habe ich genderspezifische Verzerrungen ausgeschlossen? Da kann es sehr schnell passieren, dass man das versehentlich verletzt – oder zumindest haben die Unternehmen Angst davor, es zu verletzen.

Als Strafe sind 15 Millionen Euro oder drei Prozent des weltweiten Umsatzes vorgesehen. Für Google sind drei Prozent des Umsatzes viel Geld, aber die kriegen das hin. Für einen kleinen Mittelständler können 15 Millionen Euro aber ein Todesurteil sein. Und weil das Gesetz so kompliziert ist, wird die einfachste Lösung für viele Unternehmen sein, lieber keine KI-Tools zu nutzen.

Das kennen wir in kleinerem Umfang schon von der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), wo ebenfalls Unternehmen vieles eigentlich Erlaubte vorsichtshalber vermieden haben, weil die Regeln unklar oder zu komplex sind. Und der AI Act ist noch umfangreicher.

Was bedeutet das für KI-Startups in Europa?

Die meisten Startup-Gründer im KI-Bereich sind Techniker. Deshalb mache ich mir weniger Sorgen um die KI-Startups in Europa. Sie finden Wege, spezielle Lösungen zu entwickeln, die mit den europäischen Gesetzen konform sind. Für kleine Märkte wie Europa ist es für amerikanische oder chinesische Unternehmen oft nicht attraktiv genug, sich zu engagieren. 

Das gibt einerseits europäischen Startups die Chance, Nischenlösungen zu entwickeln. Solche Lösungen erzielen möglicherweise nur ein paar Millionen Euro Umsatz, locken aber keine internationalen Konkurrenten an, weil die sich nicht die Mühe machen, ihre Produkte an die komplizierten europäischen Vorschriften anzupassen. Das kann sogar ein Vorteil für europäische Startups sein.

Das Problem entsteht vielmehr für den Industrie-Mittelstand: Wir haben viele tolle Weltmarktführer mit speziellen Produkten, also – mal fiktiv – den Weltmarktführer für Druckventile in Sprinkleranlagen, der mit ein paar hundert Mitarbeitern in alle Welt exportiert. Wenn diese Unternehmen die Produktivitätsvorteile durch künstliche Intelligenz nicht oder nur wenig nutzen – weil sie Angst vor Fehlern und Strafen haben – werden sie nicht mehr lange Weltmarktführer bleiben.

Für einige Aufgaben wurden bereits in umfangreichen Studien die Produktivitätsvorteile gemessen, beispielsweise hat eine Studie der Harvard University herausgefunden, dass Unternehmensberater 43 Prozent bessere Ergebnisse abliefern, wenn sie KI nutzen – und zugleich 25 Prozent schneller sind. Wenn der Mittelstand sich wegen des AI Act nicht traut, diese Produktivitätsvorteile zu nutzen, werden sie ihre Weltmarktführerschaft verlieren. Das kann sich Europa nicht leisten.

Ist die Situation europäischer KI-Startups primär ein Problem der Finanzierung?

Ja. Das deutsche KI-Startup Aleph Alpha war, bevor ChatGPT kam, durchaus konkurrenzfähig, ich habe das damals parallel zu GPT-3 in unseren eigenen Programmen eingesetzt. Aber um richtig mitzuhalten, braucht man Milliarden oder zumindest Hunderte Millionen, auch für Hardware. Wenn ein Startup das nicht rechtzeitig bekommt, hinkt man schnell hinterher.

In den USA gibt es mehr Investoren, die da mitziehen. In Europa traut man sich seltener, solche Summen zu investieren. So läuft es dann oft auf Anwendungen hinaus, die keine „große“ Basistechnologie mehr entwickeln, sondern nur bereits existierende Modelle anpassen.

Das heißt also, Europa muss sich auf bestimmte Nischen spezialisieren, weil uns das finanzielle Ökosystem für die ganz großen Modelle fehlt?

Ja, ich sehe das so. Entweder müsste man ein wirklich milliardenschweres Projekt auflegen, das von öffentlichen Stellen unterstützt wird, um ein europäisches Foundation Model zu bauen, das dann auch eine eigene „europäische Weltanschauung” hätte. Oder man spezialisiert sich – was realistisch klingt – auf Anwendungen in Bereichen, in denen wir historisch stark sind.

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Effizienz und Disruption

In der österreichischen Wirtschaft wird KI bis dato oft als Mittel zur Effizienzsteigerung eingesetzt. Doch wie groß ist das Potenzial darüber hinaus, um ganze Geschäftsmodelle zu transformieren? „Das glaube ich jedenfalls“, sagt Mic Hirschbrich, Co-Founder von Apollo.ai. “Ich glaube, dass sich jetzt in den kommenden Jahren die Spreu vom Weizen trennen wird.” Es reiche nicht, beliebig generative Modelle einzusetzen: “Wer glaubt, er kann das ohne Vorarbeit und Sicherheitsmaßnahmen großflächig ausrollen, wird ein böses Erwachen erleben.“

Saskya Lipp, Portfolio & Product Manager Business Innovation bei CANCOM Austria, beobachtet bereits Veränderungen: „Ich finde, man sieht es jetzt schon recht stark, dass sich bestehende Geschäftsmodelle durch Effizienzsteigerungen transformiert haben.” Als Beispiel führt sie die Automatisierung in der Produktion oder die Personalisierung im Customer-Bereich an. Sie geht davon aus, dass neue Geschäftsmodelle entstehen – insbesondere durch Agentic AI. Als Beispiel führt sie Voice-Bot-as-a-Service-Anwendungen an.

Agentic AI bezeichnet KI-Systeme, die nicht nur auf Eingaben reagieren, sondern auch eigenständig Aktionen ausführen und Entscheidungen treffen können. Während klassische Chatbots meist bloß antworten und Informationen bereitstellen, agiert eine Agentic AI eher wie ein digitaler Assistent, der Proaktivität zeigt und Aufgaben eigenverantwortlich übernimmt.

Mehr als nur Chatbots

Für viele Unternehmen bleibt die Frage, ob sie KI bloß als Support-System nutzen oder ihre Prozesse tatsächlich umfassend umkrempeln. Tech Sales Leader Nikolaus Marek von IBM sagt dazu: „Sehr viele Unternehmen beginnen erst einmal mit KI-Projekten zur reinen Effizienzsteigerung, um überhaupt in die Lernphase einzusteigen. Das heißt, sie setzen sich mit der Technologie auseinander, machen erste Schritte, aber sie verwenden sie noch nicht wirklich disruptiv.“

Dennoch können auch Maßnahmen zur Effizienzsteigerung führen. Gerade im Patentmanagement habe IBM ein Projekt mit ABP Patent Network umgesetzt, bei dem KI nicht nur Zeit und Ressourcen spart, sondern ein ganz neues Angebot ermöglicht: “Da haben wir ein Modell mit 160 Millionen verfügbaren Patenten trainiert, um Patentanwälten ein Tool zu geben, um Patente schneller anzumelden” Das würde gleichzeitig disruptiv, sowie effizienzsteigerend sein.

Ana Simic, Gründerin von Propeller, plädiert dafür: “Die KI verändert nicht nur Geschäftsmodelle, sie verändert uns Menschen. KI werde langfristig mehr sein als nur ein weiterer Automatisierungshebel zur Effizienzsteigerung. Simic verweist auf den neuen World Job Report des World Economic Forum, wonach 60 Prozent aller Geschäftsmodelle KI-bedingt verändern werden und sich der globale KI-Markt in den nächsten acht Jahren von derzeit 300 Milliarden Dollar auf drei Billionen Dollar verzehnfachen werde.

Mic Hirschbrich hebt in Bezug auf Effizienz und Disruption hervor, dass KI in der Unternehmensführung nicht zwangsläufig „alles auf den Kopf stellen“ muss. “Wenn ich KI zur Entscheidungsunterstützung in Unternehmen einsetze, möchte ich eine verlässliche Basis schaffen, die Führungskräften bei ihrer Haftung und bei ihrer Entscheidungsqualität hilft.” Hier würde man keine radikale Disruption brauchen, sondern vielmehr eine sichere und nachvollziehbare KI. Zudem müsse man bei Use-Cases bewusst zwischen Assistenz und Substitution unterscheiden.

Agentic AI, Akzeptanz und die Zukunft der Interaktion

Wo KI heute bereits oft ansetzt, sind Chat- und Voicebots. Doch wie hoch ist die Akzeptanz? “Ich glaube, die Kundinnen und Kunden werden sich daran gewöhnen“, sagt Marek. “Wir hatten am Anfang regelbasierte Chatbots, die rasch an ihre Grenzen gestoßen sind. Jetzt erkennen Transformer-Modelle natürliche Sprache deutlich besser, was die Akzeptanz steigert.“ Entscheidend sei, wie Unternehmen damit umgehen: “Show me, tell me and do it for me. Das heißt, mir die richtige Information zu liefern, mir meinen nächsten Schritt zu erklären und im Idealfall auch gleich in den Systemen dafür zu sorgen, dass er ausgeführt wird.”

Für Saskya Lipp liegt der nächste Schritt schon in Reichweite: “Agentic AI heißt, dass sich Prozesse automatisieren.” Unter anderem führt sie autonome Produkte ins Spiel, wie eine Heizung, die selbst entscheidet, ob sie sich höher oder niedriger einstellt. Im Bereich von Agentic AI wird man künftig auch vermehrt neue Ertragsmodelle sehen.

Von großen und kleinen Modellen: Was tun mit Daten?

Die Entwicklung der Basistechnologien stellt Unternehmen vor die Wahl, große vortrainierte Modelle zu nutzen oder eigene KI-Modelle zu bauen. Bei IBM verfolgt man den Ansatz, verschiedene Modelle auf einer Plattform bereitzustellen. Dazu gehöre auch, die nötige Governance zu bedenken, damit Verantwortliche bei gesetzlichen Vorgaben und Haftungsfragen sicher seien. “Gerade in regulierten Branchen wie dem Finanzwesen ist das essenziell. Wer sein Geschäftsmodell auf KI stützt, muss sichergehen, dass Datenbasis und Governance passen.” Auch CANCOM Austria berät dazu, ergänzt Lipp. “Bei KMU sehen wir, dass es effizienter ist, auf vorhandene Modelle aufzusetzen und dann ein Fine-Tuning zu machen.”

Regulatorik als Stolperstein – oder als Chance?

Regulierung kann Innovation hemmen, wie Hirschbrich aus eigener Erfahrung weiß. “Wir haben damals versucht, ein Produkt im Medienbereich aufzubauen, sind aber an europäischen Datenschutzvorgaben gescheitert, während in den USA ganz andere Freiheiten herrschen. Da sehe ich die Gefahr, dass internationale Player den Markt überschwemmen und europäische Anbieter gar nicht zum Zug kommen.”

Allerdings, so Nikolaus Marek von IBM, sei Governance und Compliance im Geschäftsbereich unabdingbar. Er betonte, dass man Regulatorik entweder als Hürde betrachten oder KI nutzen könne, um diese Hürde zu überwinden. Governance-Tools ermöglichten es dabei, nachvollziehbar zu machen, welche Daten auf welche Weise verwendet worden seien. Dies sei unverzichtbar, wenn ein Geschäftsmodell auf KI aufgebaut werde. IBM verfolgt im Bereich Governance einen ganzheitlichen Ansatz, der die gesamte KI-Wertschöpfungskette abdeckt – von der Datenaufbereitung über das Training bis zum laufenden Monitoring der Modelle. Dabei setzt IBM auf watsonx.governance, um die fortlaufend zu prüfen, ob ein Modell Abweichungen, Halluzinationen oder Biases aufweist.

Simic will sich weder vom Thema Regulierung noch von anderen Fragen bremsen lassen: “In Europa ist jetzt schon vieles möglich. Wir nutzen nur einen Bruchteil dessen, was schon möglich ist”. Es gilt jetzt für Unternehmen herauszufinden, welche Use-Case möglich sind. Wichtig sei dabei jedoch die menschliche Komponente nicht zu unterschätzen.

Wohin führt die Reise in den nächsten zwölf Monaten?

Am Ende des Talks richteten die Expert:innen ihren Blick auf die Entwicklungen der nächsten zwölf Monate, um zu diskutieren, welche konkreten Auswirkungen die rasant fortschreitende KI auf künftige Geschäftsmodelle haben könnte.

“Die Entwicklung ist rasant“, sagt Hirschbrich. „Ich glaube, dass wir uns weiter entfernen von einzelnen Modellen, die alles machen, und mehr zu einem Mix an KI-Tools kommen.“ Zudem werden die Grenzkosten für Sprachmodelle weiter sinken. Lipp rechnet damit, dass Agentic AI schon bald stärker Fuß fassen wird.

Marek erwartet eine Kombination aus Mut und Vorbereitung und gibt Unternehmen mit auf den Weg: “Bringt eure Daten in Ordnung”. Und auch Ana Simic meint: „Softwareentwicklung und Marketing waren die ersten Bereiche, in denen KI schon große Fortschritte gemacht hat.” In einer nächsten Phase erwartet die Expertin Fortschritte im Gesundheitsbereich bei R&D-Aktivitäten. Auch für die heimische Industrie sieht sie große Chancen.


Die gesamte Folge ansehen

Die Nachlesen der bisherigen Folgen:

Folge 1: “No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?

Folge 2: “Was kann KI in Gesundheit, Bildung und im öffentlichen Sektor leisten?

Folge 3: “Der größte Feind ist Zettel und Bleistift”: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der KI-Praxis”


Die Serie wird von brutkasten in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung unserer Partner:innen produziert.

No Hype KI



20.01.2025

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„No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM AustriaIBMITSVMicrosoftNagarroRed Hat und Universität Graz.

Macht künstliche Intelligenz Unternehmen nur effizienter? Oder ist die Technologie transformativ und verändert auch Geschäftsmodelle? Welche Rolle spielen menschliche Faktoren? Was Antworten auf diese Fragen sind und ob es sich dabei möglicherweise um gar keine Gegensätze handelt, dem geht die vierte Folge von “No Hype KI” nach. Zu Gast waren Ana Simic (Propeller | Gründerin), Nikolaus Marek (IBM | Tech Sales Leader), Saskya Lipp (CANCOM Austria | Portfolio & Product Manager Business Innovation) und Mic Hirschbrich (Apollo.ai | Co-Founder).

Effizienz und Disruption

In der österreichischen Wirtschaft wird KI bis dato oft als Mittel zur Effizienzsteigerung eingesetzt. Doch wie groß ist das Potenzial darüber hinaus, um ganze Geschäftsmodelle zu transformieren? „Das glaube ich jedenfalls“, sagt Mic Hirschbrich, Co-Founder von Apollo.ai. “Ich glaube, dass sich jetzt in den kommenden Jahren die Spreu vom Weizen trennen wird.” Es reiche nicht, beliebig generative Modelle einzusetzen: “Wer glaubt, er kann das ohne Vorarbeit und Sicherheitsmaßnahmen großflächig ausrollen, wird ein böses Erwachen erleben.“

Saskya Lipp, Portfolio & Product Manager Business Innovation bei CANCOM Austria, beobachtet bereits Veränderungen: „Ich finde, man sieht es jetzt schon recht stark, dass sich bestehende Geschäftsmodelle durch Effizienzsteigerungen transformiert haben.” Als Beispiel führt sie die Automatisierung in der Produktion oder die Personalisierung im Customer-Bereich an. Sie geht davon aus, dass neue Geschäftsmodelle entstehen – insbesondere durch Agentic AI. Als Beispiel führt sie Voice-Bot-as-a-Service-Anwendungen an.

Agentic AI bezeichnet KI-Systeme, die nicht nur auf Eingaben reagieren, sondern auch eigenständig Aktionen ausführen und Entscheidungen treffen können. Während klassische Chatbots meist bloß antworten und Informationen bereitstellen, agiert eine Agentic AI eher wie ein digitaler Assistent, der Proaktivität zeigt und Aufgaben eigenverantwortlich übernimmt.

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Dennoch können auch Maßnahmen zur Effizienzsteigerung führen. Gerade im Patentmanagement habe IBM ein Projekt mit ABP Patent Network umgesetzt, bei dem KI nicht nur Zeit und Ressourcen spart, sondern ein ganz neues Angebot ermöglicht: “Da haben wir ein Modell mit 160 Millionen verfügbaren Patenten trainiert, um Patentanwälten ein Tool zu geben, um Patente schneller anzumelden” Das würde gleichzeitig disruptiv, sowie effizienzsteigerend sein.

Ana Simic, Gründerin von Propeller, plädiert dafür: “Die KI verändert nicht nur Geschäftsmodelle, sie verändert uns Menschen. KI werde langfristig mehr sein als nur ein weiterer Automatisierungshebel zur Effizienzsteigerung. Simic verweist auf den neuen World Job Report des World Economic Forum, wonach 60 Prozent aller Geschäftsmodelle KI-bedingt verändern werden und sich der globale KI-Markt in den nächsten acht Jahren von derzeit 300 Milliarden Dollar auf drei Billionen Dollar verzehnfachen werde.

Mic Hirschbrich hebt in Bezug auf Effizienz und Disruption hervor, dass KI in der Unternehmensführung nicht zwangsläufig „alles auf den Kopf stellen“ muss. “Wenn ich KI zur Entscheidungsunterstützung in Unternehmen einsetze, möchte ich eine verlässliche Basis schaffen, die Führungskräften bei ihrer Haftung und bei ihrer Entscheidungsqualität hilft.” Hier würde man keine radikale Disruption brauchen, sondern vielmehr eine sichere und nachvollziehbare KI. Zudem müsse man bei Use-Cases bewusst zwischen Assistenz und Substitution unterscheiden.

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Wo KI heute bereits oft ansetzt, sind Chat- und Voicebots. Doch wie hoch ist die Akzeptanz? “Ich glaube, die Kundinnen und Kunden werden sich daran gewöhnen“, sagt Marek. “Wir hatten am Anfang regelbasierte Chatbots, die rasch an ihre Grenzen gestoßen sind. Jetzt erkennen Transformer-Modelle natürliche Sprache deutlich besser, was die Akzeptanz steigert.“ Entscheidend sei, wie Unternehmen damit umgehen: “Show me, tell me and do it for me. Das heißt, mir die richtige Information zu liefern, mir meinen nächsten Schritt zu erklären und im Idealfall auch gleich in den Systemen dafür zu sorgen, dass er ausgeführt wird.”

Für Saskya Lipp liegt der nächste Schritt schon in Reichweite: “Agentic AI heißt, dass sich Prozesse automatisieren.” Unter anderem führt sie autonome Produkte ins Spiel, wie eine Heizung, die selbst entscheidet, ob sie sich höher oder niedriger einstellt. Im Bereich von Agentic AI wird man künftig auch vermehrt neue Ertragsmodelle sehen.

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Simic will sich weder vom Thema Regulierung noch von anderen Fragen bremsen lassen: “In Europa ist jetzt schon vieles möglich. Wir nutzen nur einen Bruchteil dessen, was schon möglich ist”. Es gilt jetzt für Unternehmen herauszufinden, welche Use-Case möglich sind. Wichtig sei dabei jedoch die menschliche Komponente nicht zu unterschätzen.

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“Die Entwicklung ist rasant“, sagt Hirschbrich. „Ich glaube, dass wir uns weiter entfernen von einzelnen Modellen, die alles machen, und mehr zu einem Mix an KI-Tools kommen.“ Zudem werden die Grenzkosten für Sprachmodelle weiter sinken. Lipp rechnet damit, dass Agentic AI schon bald stärker Fuß fassen wird.

Marek erwartet eine Kombination aus Mut und Vorbereitung und gibt Unternehmen mit auf den Weg: “Bringt eure Daten in Ordnung”. Und auch Ana Simic meint: „Softwareentwicklung und Marketing waren die ersten Bereiche, in denen KI schon große Fortschritte gemacht hat.” In einer nächsten Phase erwartet die Expertin Fortschritte im Gesundheitsbereich bei R&D-Aktivitäten. Auch für die heimische Industrie sieht sie große Chancen.


Die gesamte Folge ansehen

Die Nachlesen der bisherigen Folgen:

Folge 1: “No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?

Folge 2: “Was kann KI in Gesundheit, Bildung und im öffentlichen Sektor leisten?

Folge 3: “Der größte Feind ist Zettel und Bleistift”: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der KI-Praxis”


Die Serie wird von brutkasten in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung unserer Partner:innen produziert.

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