27.05.2015

Business Angel Philipp Kinsky: “Die teuerste Währung eines Gründers sind Anteile”

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Rechtsanwalt Philipp Kinsky spricht mit dem Brutkasten zum Thema Recht und Finanzierung.

Rechtsanwalt und Business Angel Philipp Kinsky weiß wovon er spricht: Seit bereits zehn Jahren berät er Startups. Über 80 Finanzierungsrunden hat er abgehandelt. Auf diese Weise sind über 250 Millionen Euro in die von ihm betreuten Start-ups geflossen. Startup Recht ist sein Fachgebiet. Die Wirtschaftsrechtskanzlei Herbst Kinsky, bei der er Partner ist, startete überdies erst letztes Jahr mit HK Incube einen Inkubator und sind seitdem noch näher an Startups dran.

Mit dem Brutkasten spricht er über die häufigsten Fragen, die ihm Gründer stellen, welche Finanzierungsmöglichkeiten es gibt, ob man Ideen schützen kann und formuliert seine Wünsche für die Startup-Landschaft Österreichs. Außerdem verrät er, ob er nicht selbst Lust aufs Gründen hat.

Wenn man sich erst einmal dazu entschließt, ein Startup zu gründen, schießen einem hundert Fragen durch den Kopf. Das beginnt bei der Gründung an sich und hört bei Finanzierungsfragen auf. Philipp Kinsky kennt das. Längst bietet er nicht nur reine Rechtsberatung an, sondern ist auch Anlaufstelle für Finanzierungsfragen geworden. Immerhin ist eine der zentralen Fragen, die sich der Gründer stellt, folgende: Wie komme ich zu Geld?

Aber, das ist doch eigentlich nicht die klassische Frage, die man einem Rechtsanwalt stellt? 

Stimmt. Inzwischen steht der Rechtsbedarf gar nicht mehr so stark an erster Stelle, wenn ein junger Gründer zu uns kommt. Die meisten wissen inzwischen, dass wir ein großes Netzwerk an Investoren haben bzw. ich im Einzelfall selbst investiere.

Daher kommen viele mit Fragen zu uns, die weniger rechtlicher als wirtschaftlicher Natur sind, wie: Sind meine Forderungen an den Investor völlig “out of the box”? Wir haben in den letzten Jahren viel Erfahrung gewonnen und können Startups in der Anfangsphase, aber auch im späteren Stadium insbesondere bei wirtschaftlichen Fragestellungen unterstützen.

Was sind denn die meist gestellten Fragen im wirtschaftlichen Bereich?

  1. Zugang zu Investoren: Kennst Du wen, der Interesse haben könnte?
  2. Was ist meine Idee wert?
  3. Wie viel Geld brauche ich für die Umsetzung?

Viele Gründer wissen gar nicht, wie viel Geld sie brauchen, weil sie keine Liquiditäts- bzw. Finanzplanung gemacht haben. Ich rate, so viel Geld einzusammeln, dass das Startup zumindest die nächsten 18 Monate nicht auf eine neue Finanzierungsrunde angewiesen ist. Der Funding-Prozess ist langwierig und dann ist da die Gefahr, dass operativ zu wenig weiter geht.

Das Startup sollte bei Finanzierungsrunden so viel Geld aufnehmen, dass es zumindest die nächsten 18 Monate über die Runden kommt.

Welche Möglichkeiten hat man denn?

Anfangs nehmen die Gründer primär eigenes Geld in die Hand. Sollte das eigene Geld nicht ausreichen, werden oft Friends & Family angesprochen, um sich interne Finanzierung zu holen. (Ich rede hier auch nicht vom Unternehmer, der schon zwei erfolgreiche Exits hinter sich hat) Die Bank gibt dem Gründer in der Regel auch keinen Kredit. Die fragt natürlich nach Sicherheiten, die der junge Gründer zumeist nicht hat.

Die Lücke der Bankenfinanzierung wird in Österreich zunehmend von den Business Angels geschlossen, die mit den Gründern gemeinsam ins Riskio gehen und zudem Know-how und Netzwerke einbringen. Neben ihnen gibt es dann noch zahlreiche Förderprogramme, die bereits im Vorgründungsstadium interessant sind und bei denen man 100% seines Unternehmens behält, bevor Anteile an Investoren abgeben werden müssen. Das ist schließlich die teuerste Währung, die der Gründer hat.

Übrigens, ich erkenn Startups, die bereit sind, schnell zu wachsen, an ihrer Bereitschaft, Anteile abzugeben.

Wieso?

Es geht oft um schnelle Umsetzung und den richtigen Zeitpunkt. Nur dann, wenn du in frühen Phasen bereit bist, Unternehmensanteile an Investoren abzugeben, schaffst du es auch, das Momentum zu wahren. Wenn sich Gründer immer nur mit sehr kleinen Beträgen zur nächsten Finanzierungsrunde weiter hanteln, geht oft operativ nichts weiter.

Gibt es Eigenschaften, die alle erfolgreichen Gründer ausmachen?

Ja, ich denke schon. Das ist etwas ganz Persönliches: Die Begeisterungsfähigkeit des Gründers, die Überzeugung von seinem Projekt. Das sehen in einem nicht nur die Berater und Investoren, sondern auch die Kunden, User, Lieferanten etc. Es ist das Leuchten in den Augen des Gründers.

Zweitens, dass er ein guter Verkäufer ist. Oft haben Gründer geniale Ideen, scheitern dann aber am Vetrieb.

Drittens: Ist er Teamfähig? Gründer, die allein gründen, scheitern oft. Jeder Tag in einem Startup ist eine neue Challenge. Ständig hinterfragt man sich selbst und das Projekt, unterschiedliche Sichtweisen und die Bestätigung des Gründerteams, auf dem richtigen Weg zu sein, spielen eine große Rolle. Natürlich kannst du Externe fragen, aber die sind nie so involviert, wie das Gründerteam – und auch nicht immer verfügbar.

(Zwischenfrage: Wie viele sind ein gutes Team?)

3-4 Personen. Dann ist die Verantwortung auf den Schultern aller verteilt und es trifft einen nicht so sehr, wenn ein Partner wegfällt.

Viertens: Ist er ein neugieriger Mensch, der den Austausch mit anderen Gründern pflegt?

Wenn es um einen Bereich geht, bei dem es nicht ums Thema Patentschutz ja/nein geht, sondern um Ideen, die vielleicht nicht schutzwürdig sind und der Gründer kommt mit Geheimhaltungserklärungen daher, dann ist das schon der falsche Ansatz. Heutzutage funktioniert das anders. Erfolgreiche Co-Working Spaces bauen etwas genau auf diesem “sich untereinander vernetzen” auf.

Kann man eine Idee schützen?

Eine Idee kann man in keinem Register schützen lassen – anders als bei Patenten oder Marken. Wenn ein anderer sagt, er hatte die gleiche Idee, muss man beweisen, dass man mit gewissen Konzepten oder Papieren schon viel früher da war. Das ist in der Praxis nicht umsetzbar. In den meisten Fällen zählt daher die Umsetzungsfähigkeit und Schnelligkeit.

Eine Idee kann man nicht in Registern schützen lassen. Sie ist nicht schützbar.

Eine Erfindung hingegen kann man schützen lassen, wenn sie patentfähig ist. Und dann gibt es noch das Urheberrecht. Etwa den Schutz auf Software. Aber auch hier wird ein Gründer nicht ausreichend geschützt werden können, wenn andere etwas Ähnliches machen und dies ohne, dass das Urheberrecht des Gründers verletzt wurde, originär erarbeitet haben.

Ab wann ist ein Startup ein Startup?

Der Begriff “Startup” ist zwar kein eigener rechtlicher Begriff, de facto werden Gründer aber dann als Startup gesehen, wenn sie nach außen hin mit ihrer Idee in Geschäftsverkehr treten. Bei mehreren Personen zudem dann, wenn sie sich zusammenschließen und interne Regelungen vereinbaren, wie sie mit ihrer Geschäftsidee umgehen. Es gibt Gesellschaften, die entstehen, ohne dass sie im Firmenbuch eingetragen werden müssen. Etwa Interessensgemeinschaften bzw Gesellschaften bürgerlichen Rechts.

Zum Beispiel: Wir arbeiten gemeinsam an der Entwicklung einer App. Du entwickelst sie und ich bin für das Marketing verantwortlich. Damit bildet man bereits eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bei der klar ist, dass das, was entsteht, uns beiden zu gleichen Teilen gehören soll.

Die meisten Gesellschaften (zB GmbH, KG) entstehen allerdings erst mit der Eintragung ins Firmenbuch. Es gibt allerdings auch viele Einzelunternehmer – da muss man nicht zwangsweise im Firmenbuch eingetragen sein. Erst nach einer gewisser Umsatzschwelle.

In der Theorie könnte jeder etwas Programmieren und ins Internet hineinstellen. Auf der Website des Booking Systems, oder was auch immer ich erstellen möchte, steht dann im Impressum unter anderem: Inhaber ist Max Mustermann – damit trete ich nach außen in Erscheinung und darf mich auch als Startup bezeichnen.

Mit Startups im engeren Sinn werden heutzutage Unternehmensgründungen in gewissen Branchen bezeichnet. Wenn wir heute von Startups reden, reden wir von Gründungen in den Bereichen Hightech, Internet/Mobile, Greentec, Medtech oder Biotech. Wenn ich heute eine Fleischerei gründe, würde man mich als Jungunternehmer und nicht als Startup Gründer bezeichnen.

Wieso eigentlich?

Die Bezeichnung Startup als solches kommt aus dem angloamerikanischen Bereich und wird überwiegend für innovative Geschäftsideen in schnell wachsenden Branchen verwendet. Das Einzelhandelsunternehmen, das ein Modegeschäft aufmacht und das grundsätzlich ähnlichen Problemen hat (es muss gegründet werden, braucht eine Gewerbeberechtigung, muss Mitarbeiter anstellen, Kunden akquirieren etc), bezeichnet man im Sprachgebrauch üblicherweise nicht als Startup.

Als Investor und Berater muss man den ganzen Dschungel, den es mittlerweile gibt – und es werden noch viel mehr Ideen kommen, die auch einfach Copy/Paste sind – scannen und die außergewöhnlichen Technologien finden. Wo sind die neuen Produkte, die den Markt verändern werden und das Leben vereinfachen?

Gibst du Empfehlungen ab? Investiert man aufgrund deines Tipps?

Die meisten Deals funktionieren genau so. Es ist wie so vieles im Leben eine Vertrauenssache. Wenn du über Fachkenntnisse verfügst, dann werden dir andere eher vertrauen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Darum ist es auch wichtig, als Meinungsmacher, selbst mitzuziehen und mit eigenem Geld zu investieren. Die Business Angel Szene erweitert sich momentan rasant, da kann es schon vorkommen, dass der ein oder andere mitzieht, weil er meiner Entscheidung vertraut.

Was sollten Startups bei der Suche nach Business Angels beachten?

Die Startups selbst tun sich leichter, wenn sie einen Business Angel für sich gewinnen können, der ein Netzwerk mitbringt und für sie Geld einwirbt. Dadurch wirbt man gemeinsam um neue Investoren, was einen ganz anderen Vertrauensbereich schafft und zudem authentischer wirkt. Es macht für mich einen Unterschied, wenn ein investierter Business Angel auf Co-Investorensuche geht als das Start-up selbst.

Thema Knowledge – Startups profitieren bekanntlicher Maße von der Erfahrung – und der Business Angel?

Startup kann für Business Angels lehrreich sein. Es gibt welche, die gehen nur in Bereiche, in denen sie sich auskennen, weil sie wissen, wie der Markt (auch in Hinblick auf Internationalisierung) funktioniert.

Natürlich muss man sich die Frage stellen, was einen interessiert. Es kann schon sein, dass man auch mit einem Leadinvestor mitzieht, obwohl man nicht die spezifischen Branchenkenntnisse mitbringt. So schaffen es Business Angels in neue Branchen hinein zu schnuppern – und lernen mit. Es funktioniert also auch umgekehrt mit dem Austausch. Nicht nur der Wissenstransfer vom Business Angel zum Startup.

Der Business Angel kann auch von einem Startup lernen. Der Wissenstransfer funktioniert daher auch umgekehrt. 

Muss der Lead Investor eigentlich der sein, der am meisten investiert?

Nicht zwangsweise, aber es ist meistens so. Der Lead Investor ist auf Investorenseite für die Abwicklung des Deals verantwortlich und verhandelt die Terms. Im Regelfall ist das der, der das meiste Geld hinein gibt und seine Wünsche demensprechend verhandelt haben möchte. Lead Investoren der ersten Runde übernehmen oft wesentliche Rollen bei Folgeinvestments, weil sie naturgemäß ein großes Interesse an der Weiterfinanzierung ihrer Projekte haben. Dies muss nicht unbedingt ein Follow-on Investment des Lead Investors der ersten Runde selbst sein. Da hat man dann zum Beispiel einen Hansi (Anm. Johann “Hansi” Hansmann), der die Koordination übernimmt, das Bindeglied zwischen Gesellschaft und Neuinvestoren darstellt und indirekt auch das Sprachrohr der Investoren wird. Der “matcht” die Wünsche des Unternehmens mit denen der neuen Investoren.

In wie vielen Startups bist Du selbst investiert? 
Momentan in 4. Mein Prozentsatz ist dabei aber stets gering.

Ich denke, dass Startups das zu schätzen wissen: Da gibt es jemanden, der aufgrund des Anteilsbesitzes an der Zukunft des Unternehmens interessiert ist, aber dessen Objektivität als Berater aufgrund des geringen Prozentsatzes nicht gefährdet ist. Irgendwann in der späteren Phase eines Unternehmens wird sich man sich in der Regel aber entscheiden müssen, ob man sich mit der Berater- oder Investorenrolle wohler fühlt.

Startup als Anlage – eine Möglichkeit?

Ich glaube, jeder der in ein Startup investiert, muss damit rechnen, dass das Geld weg ist. Es kann ein sinnvollvoller Weg sein im Hinblick auf Diversifizierung: Neben den klassischen Investments in Immobilien und Aktien sind Startups ein interessantes Alternativinvestment. Bei Aktien kann ich nicht beeinflussen, ob der Kurs runtergeht oder nicht, beim Startup bin ich vielleicht näher dran und hab dabei ein besseres Gefühl. Für den klassischen Business Angel ist dieses Geld, das er investiert, oft “Spielgeld”. Wenn nichts aus dem Startup wird, hat er auch damit gerechnet und freut sich aber, wenn es zu einem Exit kommt. Das unterscheidet den Business Angel vom Super Angel, der Startups als Anlage sieht und das auch professionell betreibt.

Wann ist ein Startup erfolgreich?

Der klassische Gründer hat nicht zwangsweise den Traum, viel Geld zu machen, sondern will etwas Eigenes aufbauen, etwas Außergewöhnliches schaffen. Das Geld ist dann ein angenehmer Nebeneffekt, der primäre Antrieb des Gründers ist es sicher nicht.

Finanzierungsrunden mit hohen Bewertungen sind im Übrigen keine Exits. Natürlich ist es ein Erfolg, Geld aufzustellen, erfolgreich ist ein Startup für mich aber erst dann, wenn es entweder Cashflow positiv ist, oder einen Exit hat.

Erfolgreich ist ein Startup nicht, nur weil es vier Finanzierungsrunden hinter sich hat.

Da muss ich manchmal schmunzeln, wenn ein Unternehmen als “erfolgreich” bezeichnet wird, nur weil es vier oder fünf Finanzierungsrunden hinter sich hat. Was auch super ist! Damit zeigt es auch, dass es am richtigen Weg ist – aber noch nicht am Ziel.

Ein Wunsch für Startups?

Wenn das Gründen leichter gemacht werden würde. Wenn etwa die Notariatsaktpflicht einer GmbH abgeschafft werden würde. Viele Gründer wollen dafür kein Geld ausgeben, für mich verständlich. Man könnte über eine neue Rechtsform für Startups nachdenken: eine Klein AG, die jene Vorteile einer AG und einer GmbH miteinander verknüpft. Dann wäre die Anteilsübertragung einfacher, auch in Hinblick auf Mitarbeiterbeteiligungen. Wir bräuchten eine Rechtsform, die den Standort Österreich attraktiver macht.

Außerdem: Es gibt es ein schwarzes Loch im Bereich zwischen Business Angel und VC Investments, also zwischen zwei und zehn Millionen Euro. Hier könnte man etwa durch steuerliche Anreize wie Freibeträge oder Abschreibungen von Angel Investments einen größeren Kreis an potentiellen Investoren ansprechen, um so die Lücke zu schließen.

Ist selber gründen eine Option?

Ja, irgendwann vielleicht. Aufgrund der vielen tollen Startups, mit denen ich mich täglich beschäftige, kokettiere ich schon damit, eine Geschäftsidee auch einmal selbst umzusetzen. Ich bin allerdings Partner eine Kanzlei mit über 30 hochmotivierten Mitarbeitern. Wir haben mit unserer Kanzlei ambitionierte Ziele, da bleibt im Moment nicht viel Zeit für neue Abenteuer.

 

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Das Gründerteam Christian Hill und Gerhard Prossliner © BRAVE Analytics, Leljak

Das Grazer Spin-off BRAVE Analytics wurde von Christian Hill und Gerhard Prossliner im Jahr 2020 gegründet. Den Gedanken an ein gemeinsames Unternehmen gab es schon einige Zeit davor an der MedUni Graz. Nach erfolgreicher Dissertation und dem FFG Spin-off Fellowship kam es zur Ausgründung, zu ersten Kund:innen und einem Standortwechsel. Und schließlich zur erfolgreichen Einbindung in den Life Science Cluster Human.technology Styria unterstützt von der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG.

Mittlerweile zählt BRAVE Analytics ein 14-köpfiges Team und sitzt im ZWT Accelerator in Graz, einem Kooperationsprojekt zwischen SFG und Medizinischen Universität Graz.

Das Team von BRAVE Analytics (c) © BRAVE Analytics, Leljak

Mut in der Geschäftsphilosophie

BRAVE Analytics steht für Mut in der Geschäftsphilosophie der beiden Gründer und des gesamten Teams: Christian Hill und Gerhard Prossliner fühlen sich “zu Entdeckungen hingezogen und lieben es, die Dinge aus einem völlig neuen Blickwinkel zu betrachten. Und genau diesen Spirit leben wir auch im Team.”

Wahrlich hat das Gründerduo mit seinem Spin-off das Forschungsgebiet Life Science in ein neues Licht gerückt: Denn BRAVE Analytics beschäftigt sich mit der automatisierten Qualitätssicherung für Pharma-, BioTech-Produkte, Wasser, Mineralien und Chemikalien. “Und das auf Partikel-Ebene. Das Ganze nennt sich Partikel-Charakterisierung und -Analytik”, erklärt Co-Founder Hill im Gespräch mit brutkasten.

Neu ist die Technologie insofern, als dass die Partikel-Analyse direkt im Herstellungsprozess von Pharmaprodukten passiert. Also integriert, das heißt weder vor- noch nachgelagert, und damit effizient und kostensparend. “Damit machen wir eine sogenannte Prozessanalytik im Nano-Bereich”, erklärt Co-Founder Hill.

Die Lösung für ein Bottleneck

Damit haben die beiden Gründer zusammen mit ihrem Team eine Lösung für ein bis dato bestehendes “Bottleneck in der Industrie” geschaffen. Mit den modularen Messgeräten von BRAVE Analytics kann die Qualität von Produkten im Pharma- und BioTech-Sektor nämlich in Echtzeit gemessen werden. Das Kernstück der Lösung bildet die vom Spin-off eigens entwickelte, mehrfach patentierte OF2i Technologie.

Doch bekannterweise benötigen Life-Science-Lösungen wie diese einen breiten Umfang an Forschungsinfrastruktur, der sich gerade für frisch gegründete Spin-offs schwer stemmen lässt. Und: Es braucht die richtigen Verträge, das richtige Kapital und das richtige Team. Auf der Suche danach gab es für BRAVE Analytics einige Schlüsselmomente, wie Co-Founder Hill im Gespräch mit brutkasten erzählt.

Der Standort für Life Science Startups

Die ersten Hardware-Aufbauten und Experimente fanden an der Medizinischen Universität Graz statt, die von den Anfängen mit Infrastruktur und Forschungspersonal unterstützte, die Universität Graz deckte die Bereiche Theorie und physikalisches Modelling und in Kooperation mit dem FELMI/ZFE der Technischen Universität Graz wird seit 2022 ein Zusatzmodul entwickelt.

Beim Schutz des geistigen Eigentums standen die Medizinische Universität Graz, die Steirische Wirtschaftsförderung SFG und die Forschungsförderungsgesellschaft FFG als helfende Hände zur Seite. Konkret mit Unterstützung für die Erarbeitung von Exklusiv-Lizenzen, Agreements und generell mit dem Know-how, wie man eine Firma aufbaut. Hier waren uns auch das Unicorn der Universität Graz, die Gründungsgarage und der Science Park Graz eine große Hilfe”, so Prossliner.

“Wir sind klassische Science-Preneure”

Die fachspezifische Unterstützung kam im richtigen Moment: “Wir sind die klassischen Science-Preneure. Unser Background ist das Universitäts- und Ingenieurswesen. Für uns war es wichtig zu lernen, wie man in das Unternehmertum reinkommt und den Produkt-Market-Fit findet. Man muss diese Produktverliebtheit, die man als Erfinder meistens hat, loswerden. Und das passiert ganz viel durch Learning by Doing.”

Besonders hilfreich habe sich vor allem das Bootcamp des FFG-Spin-off-Fellowship und das LBG Innovator’s Road Programme erwiesen, welche “eine schrittweise Einführung für den Weg von der Wissenschaft in Richtung Unternehmung” geboten haben, so Hill. Förderungen erhielt das Spin-off außerdem von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG, der Austria Wirtschaftsservice aws, der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG und auf EU-Ebene.

Die Szene, die “Gold wert” ist

Nicht nur “by doing”, sondern vor allem auch “von anderen, die die gleichen Themen, Probleme und Potenziale haben”, hat das Startup im Aufbau sehr viel an Know-how und Erfahrung gewonnen. “Das Peer-Learning ist für uns einer der wichtigsten Wissensfonds”, so Co-Founder Prossliner im Interview.

Ein dafür zugeschnittenes Netzwerk gibt es in der Grazer Life Science Szene: “Auch abseits institutioneller Veranstaltungen befinden wir uns hier in einem sehr lebendigen Startup-Umfeld. Vieles passiert auf Eigeninitiative von Gründer:innen. Das Startup-Leben hier ist wirklich Gold wert.”

Global Player nur “fünf Rad-Minuten entfernt”

“Wir sind Hardware-Hersteller, wir brauchen Hochpräzisionsfertiger für unsere Prozesstechnologie. Die Steiermark und insbesondere Graz haben sich zu einem Stakeholder-Nest der besonderen Vielfalt entwickelt. Kooperationspartner aus Industrie, Wirtschaft und Forschung sitzen hier in unmittelbarer Nähe. Wir finden Experten, Lieferanten und Fertiger mit extremer Präzision und einer super Verlässlichkeit”, erzählt Prossliner und meint weiter: “Wir arbeiten hier in einem sehr engen Umfeld mit einer sehr schnellen Dynamik. Das ist unglaublich wertvoll.”

Ein ganzes Stakeholder-Feld mit internationaler Spitzenstellung findet sich also im Grazer Becken. Oder, wie es Gründer Prossliner erneut unterstreicht: “Da sind Global Player dabei, die wir in wenigen Rad-Minuten erreichen. Man muss also nicht gleich nach Asien oder in die USA, das Netzwerk gibt es hier auch.” Nicht umsonst spricht man seit geraumer Zeit von der “Medical Science City Graz” – mit Playern wie der Medizinischen Universität und dem Zentrum für Wissens- und Technologietransfer ZWT im Netzwerk.

Gerhard Prossliner (links) und Christian Hill (rechts) mit der Geschäftsführung des ZWT – Anke Dettelbacher (Mitte rechts) und Thomas Mrak (Mitte links) ©ZWT/Lunghammer.

Besenrein eingemietet

Grund genug auch für BRAVE Analytics, sich hier als aufstrebendes Life-Science-Startup niederzulassen. Nach seinen Anfängen in den Räumlichkeiten der MedUni Graz hat sich BRAVE Analytics nämlich im ZWT Accelerator einquartiert: “Wir waren unter den Ersten, die hier eingezogen sind. Als alles noch ziemlich besenrein war.”

Mittlerweile wird auch mit anderen dort sitzenden Startups stockwerkübergreifend genetzwerkt. Sei es im Stiegenhaus, bei Weihnachtsfeiern oder informellen ZWT-Treffen. Manchmal wird auch gemeinsam gefrühstückt und in den Abendstunden philosophiert. Daneben gibt es regelmäßige Get-Together-Formate wie das ZWT-Frühstück. Im Zuge der Startupmark finden auch themenspezifische Kooperationsformate wie der Life Science Pitch Day, ein exklusives Pitchingevent für Startups und Investor:innen aus dem Life Science-Bereich, statt.

Fußläufig flexibel

Thomas Mrak, Geschäftsführer des ZWT, erzählt dazu: “Vernetzung steht bei uns an erster Stelle. Und zwar nicht nur unter Foundern, sondern auch zwischen bereits etablierten Firmen, Unis, Instituten, Professor:innen und Ärzt:innen, die alle flexibel und fast fußläufig zu erreichen sind. Ich würde sagen, das ist die Essenz der Medical Science City Graz und bildet das optimale Umfeld, um als Spin-off Fuß zu fassen.”

Unterstützung gibt es im Grazer ZWT auch mit einer optimalen Infrastruktur und “startup freundlichen” Mietverträgen und Mietkonditionen: “Wir bieten Startups, die bei uns einziehen, ein einzigartiges Preis-Leistungsverhältnis, eine perfekte Ausstattung und sehr flexible Bedingungen. Vor allem hohe Investitionskosten und lange Bindungszeiten sind für Startups schon aufgrund ihrer dynamischen und teils volatilen Entwicklungen sehr kritisch, dabei helfen wir. Je nach Möglichkeit stellen wir nicht nur Büros und Laborinfrastruktur, sondern auch Seminar- und Besprechungsräume zur Verfügung.”

“Wir verstehen uns hier einfach sehr gut”

Unverkennbar gestaltet sich der Life Science Bereich in Graz als multidimensionaler Hub für Startups und Spin-offs – und das nicht nur auf akademischer Ebene: “Wir verstehen uns hier alle untereinander sehr gut. Es gibt kurze Wege, kurze Kommunikationswege und wir arbeiten zusammen auf Augenhöhe. Es klappt einfach zwischenmenschlich”, so Mrak.

BRAVE Analytics-Co-Founder Prossliner empfiehlt dahingehend: “Nutzt das tolle österreichische Förderungssystem. Wir haben hier vonseiten der Forschungsförderungsgesellschaft FFG, des Austria Wirtschaftsservice aws und der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG tolle Unterstützung erhalten. Vom ZWT, der MedUni Graz, der Uni Graz und der TU Graz ganz zu schweigen.”

Und: “Bindet schon frühzeitig Kund:innen ein. Nur so ermittelt man die real-life Kundenbedürfnisse potentieller Märkte, und man kann vielleicht auch erste Umsätze generieren, die man wiederum mit Förderungen hebeln kann. Man muss sich schließlich auch finanziell stabilisieren, um für Investor:innen attraktiv zu sein.”

Der Asia Pull für Life Science

Aktuell erarbeitet BRAVE Analytics eine Investitionsrunde. Mittlerweile hält das Spin-off unterschiedliche Produkte und Kunden am Markt. Auch Industriepartner sind vorhanden. Aktuell befinde man sich in der Prescaling-Phase – mit einem starken “Asia Pull”. Interesse kommt nämlich zunehmend von Abnehmern aus Asien, wie Christian Hill erzählt:

“Unsere Technologie eignet sich nicht nur für die Pharmaindustrie, sondern auch für Wasser, Kläranlagen und Mikroplastik – und sogar für die Halbleiterindustrie. Wir bewegen uns hier in einem multidimensionalen Anwendungsfeld, gerade für das Umwelt- und Wassermonitoring. Das zieht viele Kunden aus Übersee an. Jetzt heißt es: die richtigen Schritte setzen und klug skalieren.”

Damit Christian Hill und Gerhard Prossliner ihre Ziele auch weiter verfolgen können, braucht es Menschen, die in den Life Science Sektor investieren: “Life Science ist ein Technologie- und Wissenschaftsfeld, das uns in Zukunft noch viel intensiver begleiten wird. Und auf das wir angewiesen sind”, so Thomas Mrak. Der ZWT-Geschäftsführer appelliert indes: “Es arbeiten so viele tolle Menschen mit persönlicher Motivation in diesem Feld. Diese haben das Potenzial, die Zukunft maßgeblich zu verändern. Doch dafür braucht es finanzielle Unterstützung, fundierte Netzwerke und noch mehr Aufmerksamkeit.”

Mehr Informationen zum steirischen Startup-Ökosystem und der Startupmark sind hier zu finden.

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