05.07.2021

Experte: Das muss passieren, damit Bitcoin und Ethereum nachhaltig werden

Wie groß ist das Nachhaltigkeitsproblem von Bitcoin wirklich? Und wie kann es behoben werden? Wir haben beim Informatiker Ulrich Gallersdörfer nachgefragt, der unter anderem zum Energieverbrauch von Kryptowährungen forscht.
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Ulrich Gallersdörfer
Ulrich Gallersdörfer von der Technischen Universität München | Foto: Ulrich Gallersdörfer, Hintergrund: Adobe Stock
Dieser Artikel erschien zuerst im brutkasten-Magazin #12 (05/21).

Der Informatiker Ulrich Gallersdörfer forscht an der Technischen Universität München zu Blockchain-Themen. Er hat mehrere Studien zum Energieverbrauch von Bitcoin und anderen Kryptowährungen durchgeführt – zuletzt etwa im März 2020 das Paper “Energy Consumption of Cryptocurrencies Beyond Bitcoin” gemeinsam mit Lena Klaaßen und Christian Stoll. Im brutkasten-Interview erläutert er, wie groß das Nachhaltigkeitsproblem von Bitcoin wirklich ist und was es braucht, um Blockchain-Anwendungen nachhaltig zu machen. Das Gespräch wurde Mitte April geführt.

Bitcoin und Nachhaltigkeit – geht das zusammen?

Ulrich Gallersdörfer: Bitcoin und andere Kryptowährungen brauchen sehr viel Energie. Der Energieverbrauch an sich ist für mich aber noch nicht das Problem, sondern die damit einhergehenden CO2-Äquivalenz-Ausstöße. Die Energiequellen, die wir nutzen, sind nur zum Teil regenerativ. Daher wird CO2 ausgestoßen, was die Klimakrise vorantreibt. Das grundsätzliche Problem mit dem Energieverbrauch ist also, dass er mit einem CO2-Ausstoß einhergeht. Das gilt für Bitcoin, aber auch bei Streaming oder künstlicher Intelligenz. Den Energieverbrauch von Bitcoin kann man also hinterfragen – aber man sollte die größere Frage stellen: Wie können wir den Energiesektor dekarbonisieren?

Wie stark hat sich der aktuelle Boom um Bitcoin und andere Kryptowährungen auf den Energieverbrauch ausgewirkt?

Seit unserer jüngsten Studie vom März 2020 hat sich die Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen dramatisch erhöht – von 150 Milliarden Dollar auf aktuell 1,5 Billionen Dollar. Damit geht natürlich ein höherer Energieverbrauch einher. Der Anteil von Bitcoin an der gesamten Marktkapitalisierung ist zwar zurückgegangen, in diesem aktuellen Bullenmarkt gibt es aber sehr viele Projekte, die eine hohe Marktkapitalisierung aufweisen, aber keine energieintensiven Algorithmen einsetzen – zum Beispiel Protokolle wie Chainlink oder Uniswap, die auf dem Ethereum-System aufbauen und dessen Infrastruktur nutzen.

Wenn man nur die Währungen betrachtet, die tatsächlich energieintensive Algorithmen verwenden, liegt der Anteil von Bitcoin weiterhin bei rund 80 Prozent und damit ungefähr genauso hoch wie vor einem Jahr. Spannend ist auch, dass der Anteil von Ethereum im selben Zeitraum von zehn auf 17 Prozent gestiegen ist. Der Anteil anderer Kryptowährungen, die einen Mining-Algorithmus nutzen, ging dagegen zurück.

Bei Ethereum gab es in den vergangenen Monaten Diskussionen über die hohen Transaktionsgebühren auf der Blockchain. Wie wirken sich denn diese auf den Energieverbrauch aus?

Eine sehr hohe Transaktionsgebühr kann tatsächlich dazu beitragen, dass der Energieverbrauch noch einmal gesteigert wird. Der Anreiz, dass Leute Hardware kaufen und einschalten, ist dann noch einmal größer. Meine subjektive Wahrnehmung ist auch, dass in Deutschland wieder stärker angefangen worden ist, zu minen. Dieser Effekt wird sich wieder ausgleichen: Indem mehr Menschen an dem Kuchen partizipieren, werden die Stücke für den Einzelnen kleiner – und dann wird es wieder unrentabel.

Ethereum befindet sich gerade in einem größeren Umbruch. Für das nächste Jahr ist das Upgrade auf Ethereum 2.0 geplant, das weitreichende Änderungen bringen soll. Wird dies den Energieverbrauch senken?

Ethereum verwendet aktuell wie Bitcoin den energieintensiven Proof-of-Work-Algorithmus für das Mining. Mit dem Update auf Ethereum 2.0 ist der Umstieg auf den energieeffizienteren Proof-of-Stake-Ansatz geplant. Meine persönlichen Hoffnungen dafür sind schon groß. Das ist ein Projekt, das Ethereum von der ersten Stunde an begleitet. Es war von Anfang an die Vision, dass man von Proof of Work wegkommt. Es wächst hier ein sehr großes Ökosystem. Mit dem hoffentlich zügigen Wechsel von Proof of Work auf Proof of Stake erwarte ich, dass sich Besserung einstellen wird.

Spannend wird jedoch, wie die Miner reagieren. Diese haben viel Geld in ihre Hardware, hauptsächlich Grafikkarten, investiert. Es könnte sein, dass die mit dem alten Ethereum-System weiterarbeiten wollen, und dann laufen beide Systeme parallel. Die Hardware kann aber auch für das Mining von anderen Kryptowährungen eingesetzt werden. Es wird spannend, zu sehen, wie stark die Miner zu anderen Krypto- währungen abwandern. Die Frage ist, ob diese ähnliche Renditen bringen.

Ist zu erwarten, dass die dominierenden Kryptowährungen energieeffizienter werden?

Ich glaube, dass Bitcoin aufgrund seiner Marke als Wertspeicher und aufgrund der zugrundeliegenden Idee weiter stark nachgefragt sein und auf Platz eins bleiben wird. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass Bitcoin vom energieintensiven Proof-of-Work-Ansatz auf den energieeffizienteren Proof-of-Stake-Ansatz umsteigen wird. Im Gegensatz zu Ethereum war das auch nie der Plan. Werden aber energieeffizientere Blockchains an Relevanz gewinnen? Ich glaube, ja. Es gibt eine große Nachfrage aus institutioneller Perspektive, dort sagen viele, dass es nicht sein kann, im Jahr 2021 Energie ohne Ende zu verbrauchen, um eine Blockchain zu betreiben.

Allerdings ist der Energieverbrauch auch kein Selbstzweck. Bei Bitcoin garantiert er etwa die Sicherheit des Netzes. Man kann daher auch nicht sagen, dass der energieeffizienteste Algorithmus automatisch der beste ist. Man muss sich hier auch andere Aspekte ansehen – etwa die Dezentralität oder die Geschwindigkeit eines Systems. Wenn nur ein einziger PC vor sich hinrechnet, ist es natürlich energieeffizienter als ein dezentrales System mit Tausenden Rechnern.

Meine Sorge ist, dass man irgendwann glaubt, man bräuchte unbedingt immer den energieeffizientesten Algorithmus. Aber in einem gewissen Bereich spielt es keine Rolle mehr, ob zehn oder 20 Kilowattstunden verbraucht werden.

Wie schätzen Sie das Bewusstsein innerhalb der Blockchain-Szene für das Thema Nachhaltigkeit ein?

Jedem, mit dem ich rede, ist klar, dass Klimawandel und CO2-Ausstoß existieren. Diese Diskussion muss nicht mehr geführt werden. Es gibt aber dennoch zwei Lager im Bitcoin-Bereich: Manche sagen, dass Bitcoin grüne Energie fördert, weil so eine hohe Nachfrage nach Energie entsteht. Aber auf der anderen Seite gibt es sehr viele Stimmen, die den derzeitigen Energieverbrauch für nicht in Ordnung halten.

Insgesamt sehe ich schon, dass in der Branche der Druck zunimmt, was Nachhaltigkeit angeht. Das hat sich auch beim Hype um Non-Fungible Token (NFT, Anm.) und digitale Kunst gezeigt. Da sind Künstler auf uns zugekommen, die wissen wollten, wie viel CO2 sie zu verantworten haben, wenn sie ihre Kunstwerke als NFT verkaufen. Das Bewusstsein steigt Tag für Tag.

In der Bitcoin-Community argumentieren viele, dass bereits jetzt viel Mining in China mit erneuerbaren Energien stattfinden würde – stimmt das?

Die Miner lassen sich kaum in die Karten schauen. Ihre Energiekosten und wie sie Energie nutzen, ist ihr Geschäftsgeheimnis. Es gibt Studien, dass 70 Prozent der Miner mit erneuerbarer Energie arbeiten. In unserer Forschung haben wir jedoch festgestellt, dass zwar in China erneuerbare Energie eingesetzt wird, dies jedoch sehr saisonal ist. Es kann sein, dass manche Miner zum Beispiel im Sommer Wasserkraft verwenden, dann aber im Winter wieder die Kohlekraftwerke angeschmissen werden müssen, weil die Miner diesen Energiebedarf haben.

Dazu kommt, dass die Mining-Hardware extrem schnell veraltet. Jeder Tag, an dem Sie dieses Gerät nicht einschalten, kostet Sie richtig Geld. Wenn Sie auf den grünen Strom warten wollen, kann es sein, dass Sie gar nicht in der Lage sind, Ihre Kosten hereinzubekommen. Die Mining-Hardware muss nach ihrer Anschaffung daher sofort eingeschal- tet werden und so lange laufen, bis die Kosten eingespielt sind.

Häufig wird auch darauf verwiesen, dass andere Assetklassen – wie Gold – ebenfalls umweltschädlich seien. Wie beurteilen Sie dieses Argument?

Rein theoretisch stimmt es, dass für den Goldabbau auch viel Energie verbraucht wird. Das ist keine zielgerichtete Diskussion, denn wir müs- sen die Probleme im Krypto- und im Energiemarkt generell lösen. Es gibt auch Vergleiche mit dem US-Dollar, die ebenfalls zutreffend sein mögen, aber dennoch nicht hilfreich sind. Das Problem ist sicher größer und globaler, aber einfach darauf hinzuweisen, dass es woanders auch Dreck gibt, hilft niemandem.

Was braucht es, damit Blockchain-Anwendungen nachhaltig werden?

Auf globaler Ebene müssen wir unseren Energiesektor dekarbonisieren; auf der Blockchain-Ebene müssen wir weiter Bewusstsein schaffen. Es fragen sich bereits jetzt immer mehr Menschen, welchen CO2-Ausstoß sie verursacht haben, wenn sie Kryptowährungen kaufen. Da gibt’s mittlerweile Internetseiten, die das berechnen und einem dann helfen, diesen Ausstoß zu kompensieren. Eine Ebene darüber müssen wir uns ansehen, wer Bitcoin-Mining betreibt und mit welchem Strom dies geschieht.

Es gibt erste Ansätze, dass Miner sich selbst verpflichten, grünen Strom zu nutzen. Aber über kurz oder lang wird es wohl staatliche Regulierungen brauchen, die festlegen, in welchem Rahmen Mining stattfindet. Ein Beispiel dafür ist Kanada: Dort gibt es sehr viel grüne Energie. Das hat dann so viele Miner angezogen, dass es Netzprobleme gab. Daraufhin wurde dies reguliert. Wenn das so passiert, sind wir auf einem richtigen Weg. Aber allein über Regulative wird man es nicht vollständig steuern können, weil das System dezentral ist und niemand mitbekommt, wenn ich in meinem Keller mine.

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Das Team von Diamens (v.l.n.r.): Clara Ganhör, Marlene Rezk-Füreder, Angelika Lackner, Peter Oppelt und Eva Scharnagl (c) Diamens

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Eine Download-Möglichkeit befindet sich am Ende des Artikels.


Das Linzer Startup Diamens entwickelt einen nicht-invasiven Selbsttest zur Diagnose von Endometriose. In den folgenden Zeilen liest sich ihre Geschichte über Hürden rund um Entwicklung und Zulassung eines Medizinproduktes sowie eine Forderung nach mehr Unterstützung für Medtech-Startups.

400 Millionen Frauen sind erkrankt.

Bei Endometriose handelt es sich um eine Krankheit, bei der Schleimhaut um die Gebärmutter und sogar um umliegende Organe wuchern kann. Das bewirkt bei Betroffenen Schmerzen, irreguläre und starke Begleitsymptome, eine deutlich reduzierte Lebensqualität bis hin zu Unfruchtbarkeit. Bislang kann man Endometriose nicht ohne Operation leistbar diagnostizieren. Heilmittel gibt es keine. Weltweit ist jede zehnte Frau betroffen. Das entspricht 400 Millionen Frauen, wobei ein hohe Dunkelziffer vermutet wird.


„Das stärkste, das Sie im Sortiment haben, bitte.“ Die Augen der Dame hinter der Theke vergrößern sich. Das stärkste. Schon wieder? „400 Milligramm, 800 Milligramm. Egal – das stärkste, das sie haben.“ Die Apothekerin wundert sich, dass Lisa alle dreieinhalb Wochen um die stärkste Dosis Ibuprofen fragt.

„Derzeit haben wir nur die 400erDosis im Sortiment. Reicht das?“ Lisa kneift die Augen zusammen. Ein Stich zieht sich durch ihren Unterleib. „Ja, ist okay. Kann ich davon zwei auf einmal nehmen?“ Lisas Fall ist keine Seltenheit. Sie ist wie sehr viele Frauen im gebärfähigen Alter. Einmal im Monat steht ihre Welt für fünf bis sieben Tage kopf; manchmal sind es auch zehn.

„Danke – bis in drei Wochen“, bringt Lisa noch über die Lippen, bevor sie die außergewöhnlich schwere Apothekentür nach außen aufdrückt. Sie verzieht das Gesicht. Noch ein Stich. Das Ibu muss schnell wirken, sonst schafft sie es nicht nach Hause. Ihr Unterleib krampft, sticht, schmerzt. Sie hockt sich auf den Gehsteig, fummelt ihre Wasserflasche aus der Tote-Bag und drückt sich zwei rosa Tabletten aus dem silbernen Alu-Blättchen. Drei Schlucke und die Tabletten sind unten. „Bitte macht schnell“, flüstert Lisa in ihren Schoß. Ihr Kopf ist nach unten geneigt, ihr wird schwarz vor Augen.

Was Lisa erlebt, ist weit mehr als herkömmlicher Periodenschmerz. Überdies ist es schon ein Warnzeichen, dass Frauen einen Schmerz, der alle vier Wochen an die Tür klopft und erst nach fünf bis sieben Werktagen wieder verschwindet, als herkömmlich bezeichnen.

Lisa hat nicht nur ihre Periode, sie hat auch Endometriose. So wie jede zehnte Frau auf der Welt. Viele der Betroffenen wissen es nicht, viele wollen es nicht wahrhaben, viele haben Angst vor der Diagnose und ihren Folgen.

Endometriose muss man nämlich immer operieren, um sie diagnostizieren und dann eventuell therapieren zu können. Eine Heilung ist nicht möglich. Minimal oder nicht invasive Diagnosemethoden gibt es bislang erst eine: Ein Speichelabstrich für 800 Euro – die Krankenkassa übernimmt davon nichts.

Zur Diagnose braucht es also eine Operation. Und mit einer ist es meistens nicht getan: Bei jeder zweiten Patientin können innerhalb von fünf Jahren nach der OP neue Endometrioseherde auftreten. Denn bei Endometriose wuchert die Schleimhaut rund um die Gebärmutter. Manchmal strahlt die Wucherung auch auf Darm, Blase und andere Organe aus. Das verstärkt die Symptome und macht die Krankheit meistens intensiver, kann Diagnosen verfälschen und den Leidensweg der Betroffenen intensivieren. Konkret: Unterleibsschmerzen, Übelkeit, Magen-Darm-Beschwerden, Schmerzen beim Sex. Und: Unfruchtbarkeit.

Im Jahr 2022 wurde bei Lisa nach einem mehrjährigen Leidensweg Endometriose diagnostiziert. Eine Operation hat sie schon hinter sich. Seither haben sich die Schmerzen beruhigt; auch, wenn ihr ihre Periodenkrämpfe hie und da unnormal intensiv erscheinen. Zum Arzt will sie vorerst nicht wieder. Sie manifestiert: „Es sind nur Periodenschmerzen.“ Lisa ist eine reale Person und will anonym bleiben. Ihre Situation gleicht allerdings Zigtausenden anderen.

Warum Endometriose genau entsteht, ist bislang noch nicht wissenschaftlich erforscht. Ohne Operation lässt sich in den meisten Fällen nichts sagen. Ein Ultraschall hilft wenig, denn die wuchernde Schleimhaut schwillt unregelmäßig an und ab.

Wertlos?

“Das kann’s nicht sein. Das kann es einfach nicht sein! Es gibt zu allem und jedem Studien und Forschungsergebnisse, aber zu Endometriose nicht”, meint Clara Ganhör. Sie ist Co-Founderin eines Linzer Startups, das Frauen wie Lisa helfen möchte. Das Team von Diamens arbeitet an einem nicht invasiven Endometriose-Test.

Unser Thema ist kein WellnessThema. Es betrifft so viele, wird aber so selten vor den Vorhang geholt.

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

„Es gibt eine extreme Lücke, was Daten von Frauen betrifft“, erklärt Clara. Untersuchungen zeigennämlich: Eine Vielzahl an Studien inkludiert weibliche Probandinnen nicht. Weibliche Zellen werden oft auch bei Zellkulturversuchen in Laboren ausgeschlossen.

„In Summe führt das dazu, dass wir einen Gender Data Gap haben. Viele Normen und viel Wissen zu typischen Erkrankungszeichen basieren auf den Daten von Männern“, erklärt Clara. Das bringt Nachteile im Hinblick auf die Gesundheit von Frauen: „Angefangen von falscher Interpretation bei Symptomen, etwa bei einem Herzinfarkt, bis hin zu falscher Medikamentendosierung.“

Dementsprechend seltener wird auch das Blut von Frauen in Studien verwendet. Der Grund: „Dessen Zusammensetzung divergiert je nach Zyklusphase. Bei Tierversuchen werden hauptsächlich männliche Mäuse verwendet. Denn weibliche Mäuse haben einen Zyklus und das bringt keine konsistenten, sondern zyklusabhängige Ergebnisse – und damit natürlich eine riesengroße Lücke an Daten“, merkt Clara weiter an.

„Stell dir vor, jeder zehnte Mann hätte monatlich solche Schmerzen. Was würde dann passieren? Wir hätten sicherlich keinen Gender Data Gap mehr und viel mehr Grundlagenforschung zu Endometriose. Es gäbe klinische Studien dazu und schon lange eine nicht invasive Diagnosemethode“, so die Co-Founderin.

Das will sie sich nicht länger gefallen lassen. Sie ist Grundlagenforscherin in der Biomedizin und lebt in Linz. Sie selbst ist nicht von Endometriose betroffen – aber sie will es Frauen wie Lisa ersparen, sich für eine Diagnose gleich unters Messer legen zu müssen. Deshalb hat sich Clara drei ihrer Kolleginnen an der Johannes-Kepler-Universität (JKU) in Linz angeschlossen.

Das Team von Diamens (v.l.n.r.): Clara Ganhör, Marlene Rezk-Füreder, Angelika Lackner, Peter Oppelt und Eva Scharnagl (c) Diamens

Alle vier forschen aktuell am dortigen Zentrum für Medizinische Forschung an ihren Doktorarbeiten in den Bereichen Gynäkologie, Pathophysiologie, Tumorforschung und Dermatologie. Gemeinsam mit Peter Oppelt, Professor für Gynäkologie und Leiter des Endometriosezentrums am Kepler Universitätsklinikum (KUK), will das Team eine Lösung finden, um Endometriose nicht-invasiv zu diagnostizieren.

Aus dem Willen der jungen Doktorandinnen entstand ein Weg, aus dem Weg mittlerweile ein Startup – nämlich das FemtechStartup Diamens. CEO und Co-Gründerin Marlene Rezk-Füreder ist ausgebildete Molekularbiologin; an ihrer Seite sind die Chemikerin Clara Ganhör, die Physikerin Angelika Lackner und die medizinische Biologin Eva Scharnagl.

Offiziell steht Diamens seit dem 15. November dieses Jahres im Firmenbuch. „Marlene hat angefangen, Studien zu Endo metriose neu zu analysieren. Sie hat alle bestehenden Daten zusammengefasst, neu ausgewertet und Biomarker im Blut von Menstruierenden mit Endometriose gesucht“, erzählt Clara über die ersten Forschungsschritte.

Biomarker sind Substanzen, die bei Betroffenen einer Krankheit häufiger vorkommen als bei Gesunden. „Menstruationsblut ist so nah an Endometriose dran. Es besteht aus Blut und aus Gebärmutterschleimhaut, die so ist wie jene, die bei Endometriose wuchert. Wir verwenden so oft venöses Blut beim Arzt und beim Blutabnehmen; Menstruationsblut aber wird immer als Abfallprodukt gesehen. Bislang gibt es noch keinen diagnostischen Test, der auf Menstruationsblut basiert.

Diamens arbeitet an einer nicht-invasiven Methode zur Diagnose von Endometriose – basierend auf Menstruationsblut. (c) Diamens

Und das finden wir extrem schade, denn dieses Blut kann uns so viel sagen.“ Selbsttest Das fünfköpfige Team entwickelt einen Test, der Endometriose auf Basis des Menstruationsbluts diagnostiziert. Der Plan: Bei Krankheitsverdacht können sich Frauen ein Testkit von Diamens in der Apotheke oder online kaufen; mit dem Kit wird Menstruationsblut gesammelt, in Probenröhrchen stabilisiert und dann in einem Briefkuvert per Post an ein Partnerlabor von Diamens geschickt.

Das Testergebnis kommt innerhalb weniger Tage per Mail zurück. Der Prototyp des Produkts steht, der Launch soll 2027 erfolgen. Gestartet hat das Forschungsteam bereits vor zweieinhalb Jahren. Mittlerweile konnte Diamens beweisen, dass Biomarker im Menstruationsblut funktionieren und auch der Prototyp anschlägt, aber: „Wir würden nie behaupten, dass die Forschung abgeschlossen ist. Diamens ist eine laufende Entwicklung. Jetzt braucht es klinische Studien und eine Sammlung an Menstruationsblut von Gesunden und Erkrankten.“

Bis zum Launch heißt es also, das Medizinprodukt mit viel Geduld zu zertifizieren. Denn das dauert. „Und das ist – zum Glück – nicht so einfach wie vor 20, 30 Jahren. Ein Medizinprodukt muss sicher sein“, meint Clara. Gleichzeitig ist die Zulassung und Zertifizierung allerdings eine große finanzielle Hürde. Im nächsten Jahr will das Team den Prototyp weiter optimieren. Biomarker werden im finalen Produkt noch einmal validiert, damit genauer feststeht, wie spezifisch und sensitiv der Test ist. Erst dann wird zertifiziert.

Der Markteinführung steht nicht nur der lange Zulassungsprozess im Weg, sondern auch fehlende Daten in der Gesundheitsforschung rund um Frauengesundheit. „Der Gender Gap in der Forschung hat uns immer schon gestört; schon damals, als wir angefangen haben, an unseren Doktorarbeiten zu forschen. Daten von Frauen werden so selten in der Forschung berücksichtigt, denn der Zyklus könnte ja ‚nicht zu den Ergebnissen passen‘“, sagt Clara. „Frauen haben einen Zyklus. Das ist halt einfach so. Das ist kein Ausreißer und keine Lücke, sondern das betrifft gut 50 Prozent der 14- bis 49-Jährigen.“

„Frauen haben einen Zyklus. Das ist halt einfach so. Das ist kein Ausreißer und keine Lücke, sondern das betrifft gut 50 Prozent aller 14-bis 49-Jährigen.“

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

Schamgefühl

Das Thema Frauengesundheit ist allerdings kein viel diskutiertes – schon gar nicht in der Business-Bubble, meint Clara: „In der StartupSzene sind wir viel häufiger von Männern umgeben. Da macht es uns schon Freude, mal über ein Thema zu reden, über das unsere männlichen Kollegen bislang noch eher selten geredet haben. Da erklärst du die Symptome von Endometriose, plötzlich geht es um Menstruation, Schmerzen beim Sex und Unfruchtbarkeit. Und wenn du dann vor Männern stehst und ‚Periode‘ und ‚Sex‘ sagst, kommt meistens ein ‚Oh mein Gott!‘ zurück – oder Wangen werden rot. Dann merkt man, dass da ein Schamgefühl mitschwingt und das Thema im Businesskontext ein Tabu ist.“

Aktive Missionsarbeit leistet Diamens dabei gar nicht gezielt, sondern organisch: „Warum sollen wir in unserem Pitch Deck andere Begriffe als Menstruation, Blut oder Sex verwenden? Warum sollte das ein Tabu sein? Niemand muss deshalb rot anlaufen oder sich verlegen räuspern, niemand muss Blickkontakt vermeiden. Das ist die Realität, die endlich normalisiert und zum Gegenstand der Forschung gemacht gehört“, so Clara. Neben Räuspern und roten Wangen sammelt Diamens aber auch andere Erfahrungen: „Wir sind immer wieder erstaunt, wie viele Menschen nach einem Pitch auf uns zukommen und sagen, dass bei der Partnerin oder einer guten Freundin Verdacht auf Endometriose vorliegt. Wir merken, dass das Thema viele bewegt, die unseren Pitch hören. Teilweise stecken extreme Leidensgeschichten hinter den Menschen, die im Investor:innenBoard sitzen, oder ihren Angehörigen. Unser Thema ist kein Wellness-Thema. Es betrifft so viele, wird aber so selten vor den Vorhang geholt.“

„Teilweise stecken extreme Leidensgeschichten hinter den Menschen, die im Investor:innenBoard sitzen, aber nicht darüber reden.“

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

Selten vor den Vorhang geholt wird auch die Summe an Geld, die Clara und ihr Team zur Produktentwicklung benötigen. Bekannterweise haben Medizinprodukte rund um Forschung, Zulassung und Zertifizierung einen relativ langen Entwicklungsweg. „Dafür braucht man einen ziemlich hohen Betrag“, meint Clara.

Ein Medizinprodukt entwickelt sich nicht über eine einzelne Förderung

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

„Alleine ISO-Normen kosten sehr viel Geld; genauso wie die Beratungsleistungen, die man dazu in Anspruch nimmt. Wir sprechen hier nicht von Hunderten, sondern von Tausenden Euros. Das hindert so viele Startups daran, klinische Studien durchzuführen. Ein großes Unternehmen kann diesen Kostenpunkt meist viel leichter stemmen. Da wäre aus unserer Sicht eine gezielte Förderung für Studien gut; oder Zulassungsstellen verlangen bei Startups geringere Summen“, so Clara.

Forscherseele

„Aus der Forscherseele gesprochen sehe ich es positiv, dass es Hürden zur Zulassung gibt; dass man ein Medizinprodukt nicht ‚einfach so‘ schnell auf den Markt bringen kann“, meint Clara weiter.

„Allerdings braucht es auch schon ewig, um überhaupt herauszufinden, in welche MedizinproduktKlasse wir fallen; es braucht ewig, bis wir einen Zulassungsberater finden, den wir uns leisten können. Und es braucht ewig, bis wir wissen, wie eine klinische Studie zu unserem Thema ausschauen darf. Diese Informationen sind nicht gut zugänglich oder kosten enorme Summen.“

Finanziert hat sich das Startup bislang über Förderungen des oberösterreichischen Inkubators tech2b. Diamens war auch Teil des aws First Incubators und des #glaubandich Accelerators der Sparkasse Oberösterreich; weitere Förderungen stehen in Aussicht.

Auch mit Investor:innen sei man im Gespräch: „So ehrlich muss man sein: Ein Medizinprodukt entwickelt sich nicht über eine einzelne Förderung. Das Gesamtvolumen, das benötigt wird, ist extrem groß“, sagt Clara. Der rein wirtschaftliche Nutzen steht damit – zumindest kurzfristig – infrage: „Bis es uns erlaubt ist, unser Produkt zu verkaufen und Umsätze zu machen, müssen wir ein sehr großes Investment aufnehmen, das für viele Investor:innen unattraktiv ist. Das geht in anderen Ländern einfacher.“ Investor:innen sucht das Startup deshalb auch über europäische Grenzen hinweg.

In Österreich bleiben will Diamens vorerst allerdings schon. Markttechnisch will man sich auf Österreich und Deutschland konzentrieren. Irgendwann soll der Diamens-Selbsttest auch europaweit oder sogar global erhältlich sein.

Schmerzverzerrt

Der Prozess gestaltet sich schwierig, die Hürden sind groß und die finanziellen Mittel klein. Warum Clara und ihr Team dennoch an Diamens festhalten? Damit es Menschen, die wie Lisa schmerzverzerrt am Gehsteigrand hocken und auf den IbuKick warten, schneller besser geht. Damit Menschen wie Lisa schnell Klarheit über ihre Gesundheit erlangen. Doch damit es auch Menschen wie Clara und ihren Kolleginnen leichter fällt, jeder zehnten Frau auf der Welt bei der Diagnose von Endometriose zu helfen, braucht es Rahmenbedingungen, wie wir sie aktuell noch nicht vorfinden.

„Es braucht klare und effektive Prozesse, offene Kommunikation und leichter erhältliche Informationen, die nicht nur von teuren Zulassungsberatern kommen, sondern öffentlich zugänglich sind. Es braucht geringere finanzielle Hürden für Medtech-Startups, ja, vielleicht braucht es sogar ein Startup-Budget. Überprüfung, Regulierung und Zertifizierung sind nichts Schlechtes – eine Umschichtung finanzieller Mittel allerdings auch nicht.“

Immerhin arbeiten Clara und ihr Team für knapp 50 Prozent der Bevölkerung: „Wir merken wirklich jeden Tag, dass diese Zahl ‚eine von zehn Frauen‘ real ist. Eine von zehn Frauen weltweit belastet diese Krankheit im täglichen Leben. Und weit mehr Frauen leben täglich in der schmerzenden Ungewissheit, ob sie an Endometriose erkrankt sind oder nicht.“

Für die Zukunft hat Clara deshalb einen ganz besonderen Wunsch: „Dass bei jedem Stammtisch und bei jedem Startup-Event so offen über Themen der Frauengesundheit und Female Technology geredet wird wie über alles andere auch. So viele geniale Menschen arbeiten im Femtech-Bereich, und trotzdem werden wir behandelt, als wären wir eine Nische. Sind wir aber nicht. Wenn wir also das nächste Mal die Worte ‚Periode‘, ‚Menstruationsblut‘ oder ‚Unfruchtbarkeit‘ in den Mund nehmen, braucht es kein ‚Oh Gott‘, sondern Akzeptanz, Verständnis und Unterstützung.

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