27.10.2023

Krypto-Forscher über DeFi: “Würde von De-facto-Centralized-Finance sprechen”

Bernhard Haslhofer forscht am Complexity Science Hub Vienna zum Thema Decentralized Finance (DeFi) und ist einer der Cofounder des Wiener Blockchain-Datenanalyseunternehmens Iknaio. Im brutkasten-Interview spricht er über eine neue Studie zum Thema Krypto-Kriminalität, über die Frage, wie dezentral DeFi wirklich ist und wie sich Iknaio von Konkurrenten abhebt.
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DeFi-Forscher Bernhard Haslhofer
Bernhard Haslhofer | Foto: Anja Böck/Complexity Science Hub

Ein dezentrales Finanzsystem ohne Mittelsmänner aufzubauen – das ist die Idee hinter Decentralized Finance (DeFi). Und dabei gab es durchaus Achtungserfolge: Protokolle wie die dezentrale Börse Uniswap oder die auf den Verleih von Kryptowährungen spezialiserte Anwendung Aave konnten sich in den vergangenen Jahren am Markt etablieren. In den beiden genannten Protokollen sind aktuell etwa Krypto-Assets im Gegenwert von mehreren Milliarden US-Dollar hinterlegt.

Gleichzeitig kam es im DeFi-Bereich aber auch immer wieder zu Hacks, Diebstählen und Betrügereien. Für großes Aufsehen in der Szene sorgte zuletzt etwa im August ein Hack des Protkolls Curve (brutkasten berichtete). Es war aber bei weitem nicht der erste. Ein kürzlich auf der Plattform ArXiv veröffentlichter Preprint einer Studie des Complexity Science Hub Vienna und der Universität Montreal liefert nun konkrete Zahlen zu Kriminalität im Krypto-Bereich.

Studie sieht 30 Mrd. Dollar Schaden durch Krypto-Kriminalfälle

Die Ergebnisse: 2017 und 2022 kam es mindestens zu 1.155 Straftaten im Kryptobereich. Durch diese entstand kombiniert ein Schaden von mindestens 30 Mrd. US-Dollar. Die Studie nennt durchwegs nur Mindestwerte – weil sie sich ausschließlich auf nachweisbare Zahlen stützt. Das bedeutet aber auch: Der tatsächliche Schaden liegt sicher noch höher.

Bei der Hälfte der Taten kam es zu einem Schaden von über 356.000 US-Dollar. Den größten verursachte ein Fall rund um die Plattform Africrypt, bei dem 3,6 Mrd. US-Dollar verschwanden. Africrypt wurde in der Studie in den Bereich Centralized Finance (CeFi) eingeordnet. Dabei handelt sich um Krypto-Plattformen, die über ein zentralisiertes Verwaltungssystem verfügen.

Zwei Drittel der Fälle im CeFi-Bereich, ein Drittel bei DeFi

Bei der Hälfe der Angriffe betrug der Schaden mehr als 356.000 Dollar, wobei sich der kleinste „Hack“ auf nur 158 US-Dollar belief, während beim größten 3,6 Milliarden US-Dollar verschwanden. Dieser enorme Verlust stand im Zusammenhang mit Africrypt, einer zentralisierten Finanzplattform (CeFi) aus Südafrika. 20 Mrd. der gesamten Schadenssumme von 30 Mrd. Dollar, also zwei Drittel, entfallen auf CeFi-Plattformen und Anwendugen. Den Rest machen DeFi-Anwendungen aus.

Einer der Autoren der Studie ist Bernhard Haslhofer. Er leitet die Forschungsgruppe Cryptofinance am Complexity Science Hub und das kürzlich gestartete Forschungsprojekt “DeFi Trace”. Außerdem ist er Cofounder des Wiener Blockchain-Analyseunternehmens Iknaio. Haslhofer erläutert im brutkasten-Interview die Hintergründe zur Studie, spricht über die Frage, wie dezentral DeFi tatsächlich ist und erläutert, wie sich Inkaio von Konkurrenten differenziert.


brutkasten: Welchen Anspruch habt ihr mit der neuen Studie verfolgt?

Das Allerwichtigste ist, dass wir jetzt ein empirisch fundiertes Zahlenwerk zum Schadensvolumen haben. Bis dato schwirren vor allem Zahlen herum, die von Security-Firmen publiziert wurden. Da weiß man aber nie genau, welche Daten verwendet wurden und nach welcher Methode die Zahlen berechnet wurden.

Der Anspruch unserer Studie war, dass wir uns empirisch fundiert mit dem Thema DeFi und Kriminalität auseinandersetzen und analysieren, in welchen Zusammenhängen DeFi für illegale Zwecke verwendet wird.

Die von euch genannten Schadensvolumen sind immer Mindestwerte. Kann man abschätzen, wie hoch die Dunkelziffer ist – also um wie viel höher der tatsächliche Schaden liegt?

Ich habe schon an mehreren Studien zu diesem Themenbereich gearbeitet – etwa zu Ransomware oder Sextortion. Wir berichten immer nur über messbare Beobachtungen, also Mindestwerte. Schätzungen zu nicht beobachteten Ereignissen wären aus wissenschaftlicher Sicht wenig seriös.

Wie habt ihr die Vorfälle gesammelt, die in die Studie eingeflossen sind?

Es gibt Datenbanken, in denen globale Communities Vorfälle im Zusammenhang mit Krypto systematisch erfassen. Unsere Studie stützt sich auf drei solche Datenbanken, aus denen wir über Schnittstellen sogenannte Crime Events heruntergeladen haben. Gemeinsam mit der Economic Crime Group der University of Montreal sind wir 1.155 solcher Ereignisse manuell durchgegangen. Die Kolleginnen in Montreal sind auf Wirtschaftskriminalität spezialisiert.

Wir haben die Vorfälle kategorisiert: Stehen sie in einem Zusammenhang mit Centralized Finance (CeFi) – wurde zum Beispiel eine Exchange gehackt? Oder war es ein Rugpull mit einem Token? Das war manuelle Knochenarbeit. Dafür ist die Datenbasis aus unserer Sicht relativ solide. Nachdem es aber durchaus noch Vorfälle geben kann, die nicht in diesen Datenbanken erfasst wurden, handelt es sich bei den Zahlen in unserer Studie, wie erwähnt, immer nur um Mindestwerte.

In der Studie unterscheidet ihr zwischen CeFi und DeFi. Wie definiert ihr CeFi und wie grenzt es sich von DeFi ab?

Unter Centralized Finance versteht man Services, die  einen zentralisierten Aspekt haben – beispielsweise Kryptowährungsbörsen. Da kann es durchaus vorkommen, dass diese gehackt werden, oder dass Gelder verschwinden, manchmal auch die CEOs gleich dazu.

Von den 30 Mrd. Dollar, die wir in unserer Studie nennen, entfallen 10 Mrd. auf DeFi und 20 auf CeFi. Und von diesen 20 macht der bekannte AfriCrypt-Vorfall alleine 3,6 Mrd. aus. Da sind die beiden CEOs, die damals noch Teenager waren, abgetaucht – und das Geld ist verschwunden. Das ist ein Beispiel für CeFi.

Dagegen sind Uniswap oder Sushiswap genauso wie Compound oder Aave klassische DeFi-Protokolle. Da stehen keine klassischen Organisationen, wie zum Beispiel Firmen dahinter, die diese Services betreiben – zumindest nicht explizit. 

Allerdings wird in der Kryptoszene auch bei DeFi-Protokollen immer wieder kontrovers diskutiert, wie dezentral unterschiedliche Anwendungen wirklich sind. Wie blickst du auf diese Diskussion?

Dazu muss ich etwas ausholen. Ich bin seit zehn Jahren in dem Bereich wissenschaftlich unterwegs und wenn ich die wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Zeit zusammenfassen müsste, würde ich drei Punkte nennen – ausgehend von der ursprünglichen Idee von Krypto-Assets bis hin zur heutigen Realität.

Der erste Punkt ist, dass es die ursprüngliche Idee von Crypto Assets war, weitestgehend anonyme Zahlungen zu ermöglichen. Das ist heute definitiv nicht der Fall. Vielmehr haben wir eines der transparentesten Finanzsysteme, das jemals geschaffen wurde. Aus Privacy-Sicht ist es eine Dystopie. Würde  man Blockchain-Daten und Exchange-Daten zusammenführen, wäre ein großer Teil der Transaktionsdaten komplett offen und transparent.

Eine zweite ursprüngliche Idee war es, globale Zahlungen zu ermöglichen. Da sehen wir, dass Blockchain Technologie per se nicht ausreichend skaliert.

Der dritte Punkt ist dann die Idee der Dezentralisierung. In der Forschung sprechen wir eigentlich heutzutage von einer De-facto-Zentralisierung – auf allen technischen Ebenen. Das betrifft die Peer-to-Peer-Ebene, das betrifft das Mining und auch die Governance-Strukturen von dezentralen Protokollen.

Alleine die Diskussion, was wirklich DeFi ist, in einem System, das eigentlich dezentral sein sollte, zeigte schon, dass die Grundidee in ihrer ursprünglichen Form nicht realisiert wurde. Es gibt ja mittlerweile auch im Krypto-Bereich zentralisierte Institutionen, die Funktionen übernommen haben, die klassischen Finanzdienstleistern sehr ähnlich sind. Das beste Beispiel sind zentrale Krypto-Exchanges.

Ist der Begriff Decentralized Finance in diesem Sinn Etikettenschwindel?

Ich würde von De-facto-Centralized-Finance sprechen. Man sieht das beispielsweise auf der Ebene der Governance-Token. Es gibt wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass die Governance-Strukturen vieler DeFi-Protokolle oft sehr zentralisiert sind.

Das heißt nicht unbedingt, dass sie in der Hand einer einzigen Person sind. Aber häufig ist es eine relativ kleine Gruppe von Governance-Token Besitzern, deren Identität man in der Regel nicht kennt. Daher würde ich nicht von einer tatsächlichen Dezentralisierung sprechen.

Hat DeFi dann überhaupt eine Berechtigung?

Ich sehe das mit der Innovationsbrille – und die technische Innovation, die im Kontext von DeFi stattfindet, ist unheimlich spannend, etwa das System von Automated Market Makers. Es ist häufig so, dass bestimmte Innovationen dezentral beginnen und es später zu starken Zentralisierungstendenzen kommt. Am Ende des Tages werden dann ähnliche Services doch auch wieder von Institutionen betrieben.

Auch im Bereich der Krypto-Assets gibt es mittlerweile Unternehmen, die zentrale Rollen im Ökosystem einnehmen. Wenn ein durchschnittlicher Benutzer Bitcoin über eine Börse kauft und dort in einer Custodial Wallet hält, interagiert er ja nicht mehr mit der Blockchain selbst, sondern mit einem Service, das von Unternehmen zur Verfügung gestellt wird.

Du hast auch bereits die Transparenz von blockchain-basierten Systemen angesprochen. Bei diesem Punkt setzt dann ja auch das von mitgegründete Unternehmen Iknaio an. Welchen Anspruch verfolgt ihr hier genau?

Wir bauen maßgeschneiderte Analysemethoden für Forensik im Bereich Krypto-Assets und andere Fragestellungen im Zusammenhang mit Krypto-Assets. Im DeFi-Bereich stehen aktuell alle vor der Herausforderung, dass die Geldflüsse nicht mehr ganz so einfach und ganz so straightforward analysierbar sind.

Bei Bitcoin konnte man einen Geldfluss noch schön über ein User-Interface nachvollziehen. Aber im DeFi-Bereich nimmt die Komplexität und das Datenvolumen enorm zu. Da braucht es komplett neue Zugänge.

Wie differenziert ihr euch mit Iknaio von den führenden Marktakteuren im Bereich Blockchain-Datenanalyse – etwa Chainalysis?

Wir stürzen uns auf die Nischen. Wir haben mittlerweile sehr interessante große Kunden, für die wir Probleme lösen. Das ist aus unserer Sicht die einzige Chance, die man als europäischer Player in dem Feld hat, weil es am Ende des Tages eine Kapitalfrage ist und es auf der anderen Seite des Ozeans Player gibt, die hier weit besser ausgestattet sind. Wir haben jedoch schon einige Nischen gefunden und das funktioniert bis jetzt ganz gut.

Mit Iknaio betreiben jetzt seit zweieinhalb Jahren Bootstrapping. Wir sind weiterhin ein kleines Unternehmen, aber wir stellen Leute ein, während alle anderen Jobs abbauen. Obwohl wir auch eine aws-Förderung bekommen haben (brutkasten berichtete), sind wir trotzdem ganz weit weg vom Kapitalpolster der US-Anbieter. Es macht keinen Sinn, dem direkt nachzulaufen. Stattdessen stürzen wir uns auf Nischen und bauen dort Expertise auf.

Ihr arbeitet unter anderem mit dem Finanzministerium, dem Justizministerium, dem Innenministerium, der Finanzmarktaufsicht (FMA) und in Deutschland der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) zusammen. Wie muss man sich die Zusammenarbeit mit den Behörden vorstellen?

In jedem Ministerium und auch bei der Staatsanwaltschaft gibt es Expertinnen und Experten, die an dem Thema arbeiten. Diese stoßen dann in ihrem täglichen Tätigkeitsgebiet auf Probleme, verstehen diese im Lauf der Zeit sehr gut und sprechen mit uns Forscher:innen über Lösungsmöglichkeiten.

Das beste Beispiel ist die Zentralstelle Cybercrime Bayern – die dortigen Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sind  seit Jahren unsere engsten Kooperationspartner. Die Betrugsfälle im Zusammenhang mit Krypto Assets häufen sich massiv und stellen die Staatsanwaltschaft vor eine Ressourcen-technische Herausforderung. Wir reden hier von tausenden Fällen, die alleine in Bayern aufschlagen. Deutschlandweit entsteht durch solche Fälle ein Milliardenschaden.

Wir haben uns dann gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft die Daten angesehen und festgestellt, dass viele Fälle eigentlich zusammenhängen: das liegt daran, dass Cybercrime als globales Phänomen keine Grenzen kennt, die Opfer aber in der Regel zur lokalen Polizei gehen, um dort eine Anzeige zu machen. Dadurch entstehen dann viele Fallakten, die aber eigentlich im Zusammenhang mit demselben Cybercrime-Delikt, sei es Betrug oder Erpressung, stehen. In der Praxis führt das dann dazu, dass viele Ermittler am selben Problem arbeiten, ohne voneinander zu wissen. Gemeinsam mit der ZCB versuchen wir gerade, diese Fälle zusammenzuführen.

Das ist so ein klassisches Beispiel. Die Vermutung, dass es Fall-Zusammenhänge gibt, kam von der Behörde. Dann kommen wir dazu und sehen uns die konkreten Daten an und prüfen das. Gemeinsam überlegen wir uns dann eine Lösung und setzen diese auch um.

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Co-Founder und COO Michael Hofbauer auf der EICMA 2024 | (c) brutkasten / martin pacher

Die EICMA in Mailand ist eine Messe der Superlative. Schon am Eingang merkt man die gewaltige Anziehungskraft, die sie auf Motorradfans und Fachbesucher aus aller Welt ausübt: Geduldig stehen die Menschen bereits in der Früh in langen Schlangen und warten darauf, in die weitläufigen Hallen der sogenannten “Fiera Milano” zu gelangen. Drinnen erstrecken sich die Ausstellungsflächen über mehrere Hallen, jede gefüllt mit unzähligen Messeständen.

Ingesamt reisten heuer über 770 Aussteller aus 45 Ländern in die italienische Wirtschaftsmetropole, um ihre Neuheiten rund um motorisierten Zweiräder auf insgesamt 330.000 Quadratmetern Messeareal der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Ingesamt wurden mehr als 600.000 Besucher während der sechs Messetage gezählt – ein neuer Rekord.

Neben bekannten Marken wie Honda, Yamaha oder Ducati war in diesem Jahr mit der Acceleration Hub GmbH auch ein österreichisches Startup unter den Ausstellern vertreten. Das Unternehmen hat die Traditionsmarke der 1948 gegründeten Halleiner Motorenwerke (HMW) erworben und entwickelt unter anderem motorisierte Zweiräder im E-Mobility- und Verbrenner-Segment (brutkasten berichtete).

brutkasten war auf der EICMA in Mailand und hat Acceleration Hub Co-Founder und COO Michael Hofbauer am Messestand von HMW zum Interview getroffen. Im Gespräch geht Hofbauer unter anderem auf die strategischen Überlegungen ein, eine historische Marke mit modernen Mobilitätslösungen neu zu beleben.


brutkasten: Wie seid ihr mit der Acceleration Hub GmbH zu den Markenrechten von HMW (Halleiner Motorenwerke) gekommen?

Michael Hofbauer: Durch einen guten Freund und Experten im Oldtimer-Bereich sind wir zur Marke gekommen. Er ist inzwischen ein enger Freund und Berater für uns, nach wie vor gut vernetzt in der Oldtimer-Szene. Von Anfang an war klar, dass seine Ambition nicht in Neuentwicklungen liegt, sondern darin, die Marke zu bewahren. So haben wir die Markenrechte von ihm übernommen, die mittlerweile zu einer Weltmarke ausgeweitet sind, und freuen uns, ihn weiterhin an unserer Seite zu haben.

Welche strategischen Überlegungen stecken dahinter, als ein noch recht junges Mobility-Startup auf eine historische Marke zu setzen?

Unsere strategische Überlegung war, dass HMW vor allem in der Gründungszeit dafür bekannt war, die Menschheit mobil zu machen. Damals entwickelte Ingenieur Anton Fuchs den sogenannten Fuchs-Motor, der eines der ersten motorbetriebenen Zweirad-Fahrzeuge möglich machte. Ein Blick in die Historie zeigt, dass HMW kaum eine Fahrzeugart ausgelassen hat, teils mit skurrilen, aber mutigen Entwicklungen, die alle diesem Mobilitätsgedanken folgten. Als österreichisches Gründerteam fühlen wir uns diesem europäischen Erbe verbunden. Die Idee, eine historische Marke wie HMW, die früher stark nach Deutschland, Holland und darüber hinaus exportierte, in Europa wiederzubeleben, hat uns sehr angesprochen.

In der Branche kennt man einige Beispiele von alten Marken, die unter neuen Eigentümern reaktiviert werden. Inwieweit springt ihr hier auf einen Trend auf?

Für uns ist es entscheidend, uns nicht nur mit der historischen Marke  zu identifizieren, sondern mit HMW als Mobilitätsanbieter. Es geht uns nicht darum, ein einfaches Facelift zu machen und als klassische Heritage-Marke aufzutreten. Vielmehr sehen wir HMW als eine Marke mit einer Legacy, die wir schätzen, weil sie Mobilität in den Vordergrund stellt. 

Oft geht es bei solchen Projekten nur darum, das Image einer alten Marke zu nutzen, um Bekanntheit zu erlangen – das ist ganz und gar nicht unser Ansatz. Der ursprüngliche Gedanke, beispielsweise einen Motor auf ein Fahrrad zu montieren und das dann bis zur Serienreife zu bringen, oder Motorräder zu entwickeln, die sogar im Rennsport erfolgreich waren, das ist für uns echte Innovation. 

Im Gegensatz dazu wirkt der Ansatz, einfach Markenrechte einer historischen Marke zu kaufen und „ein bisschen Elektromobilität“ zu betreiben, eher banal und passt nicht zu unserem Anspruch. Unser Ziel ist es, mit verschiedenen Produktreihen den Spirit „Enable Mobility“ in die heutige Zeit zu tragen.

Die Classics-Serie | (c) HMW

Kommen wir nun auf eure neue Modellserie zu sprechen, die ihr hier auf der EICMA ausstellt. Auf der einen Seite habt ihr E-Mobility im Programm, mit der neuen Classics-Serie bietet ihr aber künftig auch Verbrenner an. Wie passt dies zusammen?

Man darf nicht unterschätzen, dass auch im Bereich der Verbrenner enorme Innovation stattfindet. Die Motoren sind heute auf dem neuesten Stand der Technik und haben nichts mehr mit dem lauten, stinkenden Image der Vergangenheit zu tun. Natürlich ist Elektromobilität auf dem Vormarsch, aber sie ist noch lange nicht so etabliert, wie sie sein könnte. Man sieht das am Beispiel von E-Autos: In Österreich wächst die Ladeinfrastruktur zwar schon langsam, aber in anderen Teilen Europas sieht es oft noch ganz anders aus, wodurch viele nach wie vor einen Verbrenner wählen. 

Um Mobilität für alle anzubieten, setzen wir daher auf eine Kombination: Für städtische und stadtnahen Verkehr – das „Interurban“-Segment – bieten wir Elektrofahrzeuge an. Für Pendler aus ländlichen Regionen, die in die Stadt fahren, bieten wir zudem verbrauchsarme, moderne Verbrennermotoren im Kleinsegment. Unser Fokus liegt dabei auf praktischen, komfortablen Fahrzeugen und nicht auf PS-starken Modellen für hohe Geschwindigkeiten.

Die Elektrofahrzeuge sind auf den Alltagspendler ausgelegt und profitieren von einer passenden Ladeinfrastruktur. Wir verwenden herausnehmbare „Bookstyle“-Batterien, die sich auch zu Hause laden lassen. 

Kommen wir zur Produktion zu sprechen. Wie arbeitet ihr aktuell mit euren Produktionspartnern in China zusammen? 

Wir arbeiten mit ausgewählten Produktionspartnern in China zusammen. Es gab zahlreiche Vorgespräche, und die Partnerschaften sind für beide Seiten fest etabliert. Wir haben nicht nur Visitenkarten gesammelt, sondern unsere Partner sorgfältig ausgewählt und bringen dabei viel Erfahrung aus früheren Projekten mit. Uns ist es wichtig, aktiv im Entwicklungsprozess dabei zu sein, und deshalb gibt es viel  Austausch in beide Richtungen. Aktuell ist das Team hier in Wien, wo Workshops stattfinden und offen über zukünftige Entwicklungen gesprochen wird. Die Kommunikation beschränkt sich nicht nur auf WeChat oder E-Mails – der persönliche Austausch ist für uns entscheidend.

FoxE ist Teil der Electrics-Serie | (c) HMW

Was macht ihr aktuell In-House in Europa? 

Bei uns erfolgt das gesamte Branding, Design, Engineering und die Forschung & Entwicklung (R&D) in-house, insbesondere im Bereich des Fahrzeug-Setups, des Testings und der Evaluierung. Das bedeutet beispielsweise, dass wir das komplette Rahmensetup inklusive Sitzposition und Fahrwerk intern entwickeln und dann in Abstimmung mit dem Produzenten umsetzen.

Die Mobilitätsbranche gleicht derzeit für Startups einem Minenfeld. Auch Mitbewerber in Österreich haben mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Was wollt ihr anders machen, um langfristig wirtschaftlich erfolgreich zu sein?

Unser Ansatz basiert auf Diversifizierung – sowohl im Team als auch im Produktportfolio. Wir sehen großes Potenzial, uns in verschiedene Richtungen zu entwickeln: Elektromobilität, das Verbrennersegment mit qualitativ hochwertigen Produkten und als drittes den Bereich Smart Connected Mobility. Besonders in der Forschung und Entwicklung von Smart Mobility und Innovationslösungen sehen wir viel Potenzial, da diese sowohl im Portfolio Plattform-übergreifend, als auch auf einer komplett neuen Fahrzeugarchitektur aufbauen können. Ein aktuelles R&D-Projekt von uns konzentriert sich auf Predictive-Maintenance, Sensorik und Smart Mobility, um Mobilität neu zu gestalten und ideal zu ergänzen.

Wir möchten flexibel bleiben und nicht zu einseitig agieren, da der Markt oft nicht nur eine Richtung zulässt. Der gesamte Prozess, von der Supply Chain über die Customer Journey bis zum Customer Service, ist entscheidend – zum Beispiel in der klar strukturierten Ersatzteil-Logistik. Uns ist es wichtig, Partnerschaften auf Augenhöhe zu etablieren, die eine starke Grundlage für R&D, Produktion und Ersatzteil-Logistik bis hin zum Kunden bieten.

Dabei haben wir einen klaren Vorteil durch unser Brand-Building: HMW ist als Marke neu aufgestellt und steht jetzt für Qualität und Markenidentifikation.

Tradition trifft auf E-Mobilität | (c) HMW

Welche Strategie wollt ihr im Vertrieb verfolgen?

Wir befinden uns in der Evaluierungsphase und haben sorgfältig ausgewählt. Es gab bereits sehr vielversprechende Gespräche. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir noch nicht viele Details preisgeben, aber durch die Erfahrung im Gründerteam beobachten wir den Markt genau und ziehen daraus unsere Schlüsse. Wir wissen also gut, mit wem wir sprechen.

Wann ist der Marktstart für die neue Classics-Serie geplant?

Der Launch der Classics ist für Anfang nächsten Jahres geplant. Wir sind dabei teilweise von Vertriebspartnerschaften abhängig, da die Nachfrage das genaue Datum beeinflussen kann. Die Electrics-Serie ist bereits jetzt verfügbar, und die Classics sind für Anfang 2025 vorgesehen – was ja nur noch zwei Monate entfernt ist. Lange dauert es also nicht mehr.

Wie habt ihr euch in der Vergangenheit finanziert und plant ihr derzeit eine Funding-Runde?

Die Entwicklung der Classics und Electrics-Serien sowie das gesamte Brand Development wurden über die Gesellschafter und Eigenmittel finanziert. Wir sind stolz, dass wir dank der FFG nun die Möglichkeit haben, auch im Bereich Innovation voll durchzustarten. Wir haben ein Forschungsprojekt initiiert, das uns ermöglicht, in den Bereichen Smarte Komponentenentwicklung, Predictive Maintenance, Machine Learning und modernste Technologie umfassend zu arbeiten und diese Kompetenzen inhouse aufzubauen.

Besonders erfreulich ist, dass wir für das Projekt ein starkes Team in den Bereichen Machine Learning und Elektrotechnik aufstellen konnten – ein Bereich, in dem einige Hersteller aktuell Schwierigkeiten haben. Unser Team hat bereits Test-Setups durchgeführt, um Sensorik und Komponenten am Fahrzeug selbst zu erproben. Damit wollen wir in diesem Segment zügig Fortschritte machen.

Parallel dazu haben wir eine Investorenrunde gestartet und suchen nach potenziellen Partnern. Dabei legen wir großen Wert auf Partnerschaften, die unseren Spirit teilen, um sicherzustellen, dass ein Investment unseren Weg nicht komplett verändert, sondern ergänzt und stärkt.

Welche Wachstumsziele verfolgt ihr für 2025? 

Für 2025 planen wir, in allen drei Segmenten voll voranzuschreiten: maximaler Marktstart im Bereich Electrics, den Launch der Classics und die Weiterentwicklung des Innovationsprojekts. Gerade bei Letzterem werden wir auch das Team weiter verstärken und haben bereits vielversprechende Leads und Kapazitäten ausgebaut. Unser Hauptmarkt liegt allerdings außerhalb Österreichs, was unser Wachstum beeinflusst und uns auch in der Standortplanung fordert.

Wir suchen aktiv nach Investoren und gleichzeitig nach größeren Räumlichkeiten sowie noch vielseitigeren Testmöglichkeiten. Unser Ziel ist nachhaltiges Wachstum, statt einen riskanten und und undurchdachten „Hockeystick“ anzustreben. Wir möchten solide aufgestellt in alle drei Richtungen wachsen und die Profitabilität in den jeweiligen Bereichen dynamisch, aber realistisch erreichen.


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