11.08.2015

Bei der AAIA nachgefragt: Was muss ein Business Angel eigentlich können?

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Ein Business Angel soll neben Kapital vor allem Erfahrung einbringen.

Silicon Valley war bei den Startup-Erfolgsgeschichten in den letzten Tagen ganz nah: Nicht nur aufgrund des heißen Wetters, das stark an das sonnige San Francisco erinnern ließ, sondern vor allem wegen des Verkaufs des Fitness-Startups Runtastic an Adidas um 220 Millionen Euro – der wohl größte Exit aus Österreich. Solche Geschichten motivieren andere Gründer noch härter an ihrem Produkt zu arbeiten und ermutigen vielleicht jene, die sich bis jetzt nicht in die Selbstständigkeit gewagt haben. Und tatsächlich gibt es für Startup-Gründer online auch einige Gründungs-Tipps und Guidelines. Aber wie sieht es eigentlich mit Tipps für Investoren aus?

Business Angel Johann Hansmann hat sein Gespür für erfolgreiche Startups mit Runtastic wieder unter Beweis gestellt. Er ist unter anderem auch in die Flohmarkt-App shpock, Sprachen-Lernplattform busuu oder Video-Webportal whatchado investiert. Neben seiner Business Angel Tätigkeit ist Hansmann aber auch Präsident der Austrian Angel Investors Association (AAIA), die 2012 von zwei Frauen, Stefanie Pingitzer und Selma Prodanovic, gegründet wurde. Mit Lisa Ittner ist eine weitere Frau als Geschäftsführerin an Board der Interessensvertretung von Business Angels und Angel Investors in Österreich.

Aber, was macht einen guten Business Angel eigentlich aus? Welches “Skillset” muss er mitbringen? Wie oft soll er sich bei den Gründern melden? Und, wann macht ein Business Angel mehr Sinn als ein strategischer Investor? Im Gespräch mit dem Brutkasten haben Pingitzer und Ittner diese Fragen und mehr beantwortet.

+++ Interview mit Lisa Fassl: Für die AAIA ist das Team wichtiger als das Business-Modell +++

Wieso wurde denn die Austrian Angel Investors Association (aaia) gegründet?

Stefanie Pingitzer: Die Idee ist vor rund zweieinhalb Jahren entstanden und zwar durch meine M&A Boutique, die auf Zu- und Verkauf von Mittelstandsunternehmen spezialisiert ist. Auf diese Weise bin ich oft mit jungen Unternehmen konfrontiert worden, die auf der Suche nach einem strategischen Investor waren, obwohl ein Business Angel vielleicht die bessere Wahl für sie gewesen wäre. Über meine damalige Kollegin bin ich auf Selma Prodanovic gestoßen und nachdem ich ihr von der Idee erzählt habe eine Plattform für Business Angel zu gründen, ist sie sofort auf das Projekt aufgesprungen. Beim ersten Kick-Off Event 2012 waren dann bereits 120 Leute dabei, die von der aaia begeistert waren. Als Unterstützer der ersten Stunde waren Business Angel wie Hansi Hansmann, Manfred Reichl oder Boris Nemsic dabei.

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Stefanie Pingitzer, Co-Gründerin aaia

Ein Business Angel ist deswegen die richtige Wahl, weil er nicht nur Geld, sondern auch Erfahrung einbringt?

Stefanie Pingitzer: Ein Business Angel ist für Startups vor allem wegen seines Know-hows und Netzwerks wichtig. Viele Gründer wissen gar nicht, wann sie am Besten mit welchem Partner reden sollten. Es startet meist mit dem Geld von family, friends und fools, aber dann, wenn es professioneller werden soll, ist oft ein Business Angel der bessere Partner, der gleichzeitig auch Mentor ist.

Lisa Ittner: Normalerweise mischt sich ein Angel nicht ins operative Geschäft ein sondern steht den Gründern für strategische Fragen und Finanzierungsrunden als Partner zur Seite. Der Business Angel fungiert eben neben seiner Investor-Funktion als Türöffner, Mentor, Sparring Partner und Devils Advocat.

Welches Skillset muss ein Business Angel mitbringen?

Stefanie Pingitzer: Meist sind es erfahrene Manager oder Unternehmer, oftmals ehemalige Gründer die ihre Firma bereits erfolgreich verkauft haben, die das Interesse und richtige Mindset mitbringen. Business Angels geht es wirklich darum, junge Menschen zu unterstützen. Sie haben Spaß daran, ihr Wissen weiterzugeben und dabei mittelfristig auch noch Geld zu verdienen.

Lisa Ittner: Hansi Hansmann als Super Angel und Präsident der aaia meint immer dazu, dass es nicht nur um einem ‘return on investment’, sondern auch um einen ‘return on fun’ geht.

Gibt es viele Unternehmer, die gerne Business Angel wären, aber nicht wissen, wie sie es anstellen sollen?

Lisa Ittner: Ja und auch diese Gruppe kann die aaia gut unterstützen. Es gibt einige wichtige Regeln, die man als erfolgreicher Business Angel wissen muss, z.B. sollte ein Business Angel niemals mehr Firmenanteile als die Gründer besitzen. Wir merken, dass es vor allem für (ehemalige) Manager großer Konzerne oder Banken nicht so leicht ist sich in die Welt von Startups einzufühlen, es ist eine andere Kultur. Verantwortlichkeiten, Bewertungsansätze, Controlling, Strukturen und oftmals Geschäftsmodelle sind in StartUps oftmals nicht so klar wie bei etablierten Unternehmen.

Apropos, wieso sind Unternehmensbewertungen oft so hoch?

Stefanie Pingitzer: Als M&A Expertin weiß ich, dass extrem hohe Bewertungen oft aus ganz anderen Blickwinkeln zustande kommen und mit klassischen Bewertungsmethoden nicht unterlegt werden können. Oftmals geht es bei Tech Akquisitionen um talentierte Key People wie Programmierer in innovativen Unternehmen, die normalerweise auch Unternehmensanteile besitzen. Sei es Google, Airbnb oder Ebay – große Konzerne wollen oftmals nicht nur die Technologie, sondern meist geht es um das Know-how und Talent der Gründer und Key People, die diese Bewertungen für strategische Investoren rechtfertigen.

Wieso gibt es eigentlich einen “lack of interest” aus Amerika?

Lisa Ittner: Ich denke es liegt zum einen daran, dass wir noch gar nicht genug internationales Aufsehen und Marketing gemacht haben. Auch in Österreich sind Startups erst seit kurzem für die Öffentlichkeit und auch die Politik sexy. Mit dem aktuellen Rückhalt, den wir bekommen, können wir in Zukunft viel bewegen und womöglich auch international als attraktives Gründer- und Unternehmerland wahrgenommen werden. Zum anderen müssen wir noch mehr Erfolgsgeschichten wie Runtastic erzählen.

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Lisa Ittner, Geschäftsführerin aaia

Es gibt viele gute Deals und Ideen in Österreich, aber leider wissen viel zu wenig internationale Investoren davon. Mit der aaia schaffen wir eine Plattform, auf der sich Leute untereinander austauschen können und gute Projekte gemeinsam hebeln können. In gewisser Weise bieten wir auch Startups eine besondere Bühne auf dem Weg zum Erfolg.

Was macht die aaia aus?

Stefanie Pingitzer: Unsere Mitglieder. Bei uns geht es einerseits um den Initialgedanken“ Spirit meets opportunity”, also erfahrene Business Angel treffen auf junge Gründer und erwecken spannende Geschäftsideen zum Leben. Andererseits leben wir das Prinzip “Unternehmer für Unternehmer”, es geht bei uns darum „zu unternehmen“ und nicht nur zu reden.

Lisa Ittner: Weiters liegt uns das Capacity Building unserer Community stark am Herzen. Wir unterstützen mit Vorträgen und praxisbezogenen Tipps und Tricks unser Netzwerk. Dabei legen wir Wert auf einen “Macher Spirit” und nicht nur Theorie. Unsere Mitglieder sind alles unternehmerisch denkende Menschen, die etwas bewegen wollen, erfolgreich sind und der Gemeinschaft etwas zurückgeben wollen.

Gibt es eine Guideline wie sehr sich ein Business Angel einbringen soll?

Stefanie Pingitzer: Das ist von Gründer zu Gründer verschieden. Es gibt kein Patentrezept was ein Business Angel alles zu tun hat. In Wirklichkeit hängt es stark von der Gründerpersönlichkeit und der Chemie zwischen Gründern und Angel ab. Es ist wie in jeder Partnerschaft, jeder braucht was anderes, wichtig ist nur, dass sich die richtigen finden. Das war übrigens für uns auch eine große Motivation zum Start der aaia. Wir glauben daran, dass es für Gründer möglich sein muss über die Plattform der aaia den für sie besten Business Angel zu finden. Das ist eine der wichtigsten Erfolgsfaktoren von Startups: Top Gründerteam und Top Angels. Dann kann ja quasi auch nichts mehr schiefgehen.

Lisa Ittner: Wir unterstützen alle unsere Mitglieder aber natürlich auch StartUps wo wir nur können. Wir sind ein Netzwerk in dem es total “menschelt”. Unsere neuen Mitglieder kommen auf Empfehlung von bestehenden Mitgliedern, es entwickeln sich Freundschaften, die weit über das Geschäftliche hinausgehen. Von Anfang an haben wir unser Netzwerk auf Vertrauen aufgebaut. Gemeinsam wollen wir die Gründerlandschaft in Österreich unterstützen und Österreich mit neuen innovativen Unternehmen versorgen, auch über die Grenzen hinaus.

Wie kann man sich als Startup an euch wenden?

Lisa Ittner: Die Startups melden sich über Empfehlung oder über unsere Website www.aaia.at. Wenn Projekte gut sind, gibt es bei uns einen klaren Prozess. Die Auswahlkriterien für gute Projekte beginnen bei der professionellen Aufbereitung der Unterlagen, spannender Business Case bis zur attraktiven Business Opportunity. Und vor allem das Gründerteam muss überzeugen. Traut man ihnen zu, das Unternehmen zum Erfolg zu führen? Kennen sie den Markt und die Mitbewerber? Wenn ja, wird das konkrete Projekt an unsere Mitglieder ausgesandt – zusammen mit den Originalunterlagen. Unsere Business Angel treten dann direkt bei Interesse mit den Gründern in Kontakt. Wir involvieren uns nach dem Kontaktherstellen normalerweise nicht mehr und freuen uns wenn unsere Vernetzung zu einem Investment und einer Partnerschaft führt.

Wie finanziert sich die aaia? Und wie kommen Mitglieder dazu?

Lisa Ittner: Wir sind eine non-profit Organisation und sind rein über Mitgliedsbeiträge finanziert. Wir verdienen an der Vernetzung von Angels mit Startups nichts, weil wir der Meinung sind, dass jeder Euro in das Startup fließen sollte. Neue Mitglieder kommen meist über das Netzwerk und über Empfehlung, im besten Fall von mindestens zwei bestehenden Mitgliedern. Für unser Netzwerk ist es essentiell die Qualität unserer Mitglieder auf höchstem Niveau zu halten. Viele unserer Mitglieder wollen auch anonym bleiben und wollen nicht öffentlich als Business Angel aufscheinen. Somit stehen bei uns Vertrauen, Verschwiegenheit und Integrität an oberster Stelle.

Wie ist denn die “Frauenquote” bei der aaia? Es ist eine Seltenheit gleich drei Frauen involviert zu sehen…

Lisa Ittner: Circa 15 Prozent unserer Mitglieder sind bei uns Frauen. Das ist keine schlechte Zahl und sie ist stetig am Wachsen. Das ist eine unserer Erfolgskomponenten.

Sind Sie selbst in Startups investiert?

Stefanie Pingitzer: Ich habe meine eigenen Beteiligungen, wobei ich damit generell gerne und bewusst nicht in der Öffentlichkeit stehe. Dabei muss ich jedoch gleich sagen, dass ich nicht in New Economy StartUps investiert bin. Ich persönlich liebe Unternehmen mit langer Tradition und bin somit in Unternehmen investiert, die einst Marktführer oder Vorreiter waren, allerdings schon vor einigen Jahrzehnten. Diese alten traditionellen Geschäftsmodelle mit frischem Leben und der New Economy zu verbinden und transformieren zu lassen, das lässt mein Herz höher schlagen.

In meinem Alter bin in einem Stadium, in dem ich noch so viel selbst umsetzen will. Ich lebe frei nach dem Motto „Yesterday is history, tomorrow is mystery and today is a gift“ oder wie mein Schatzi mich zitieren würde „wer rastet der rostet“.

Was ist der nächste logische Schritt der aaia?

Lisa Ittner: Wir befinden uns in der Regionalisierung. Nach Kärnten im Vorjahr sind wir heuer bereits in der Steiermark, Oberösterreich und auch in Tirol unterwegs. Wir sehen noch großes Potential. Viele Mitglieder reisen auch extra aus den Bundesländern zu unseren monatlichen Veranstaltungen nach Wien. Außerdem sind viele Industrieunternehmen an unseren Aktivitäten und der Zusammenarbeit mit Business Angels interessiert und wollen sich einbringen. Unser klares Ziel ist: Ende 2016 wollen wir flächendeckend in ganz Österreich vertreten sein.

Vielen Dank.

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Rituale, Rituale der Startup-Welt, Ritual, Howard, Factinsect, Hadia, Storebox, Instahelp, monkee, Dental Armor, Coinpanion
(c) Hello Again/zVg/Hadia/Die Abbilderei/Storebox/schon nice gmbh/Victor Malyshev - (o.v.l.) Franz Tretter von Hello Again, Romana Dorfer von Factinsect, Anna Lauda von Hadia, Bernadette Frech von Instahelp/ Johannes Braith von Storebox, Saad Wohlgennannt von Dental Armor und Martin Granig von monkee.

Dieser Artikel ist im brutkasten-Printmagazin von Dezember 2024 erschienen. Eine Download-Möglichkeit des gesamten Magazins findet sich am Ende dieses Artikels.


Ein Pythonkopf aus Stein ragt aus der Dunkelheit hervor. In Kreisen angeordnete, farbenfrohe Speerspitzen verzieren den kalten Höhlenboden; manche davon stammen aus Hunderte Kilometer entfernten Gegenden. Am Ende der Höhle erstreckt sich ein kleiner, versteckter Raum, der Platz für eine Person bietet; üblicherweise versteckt sich ein Schamane darin und spricht zu seinem Stamm, sodass es scheint, die steinerne Schlange selbst lasse donnernde Worte erklingen.

Diese Verehrung des majestätischen Reptils fand vor rund 70.000 Jahren in der Kalahari-Wüste am Fuße der Tsodilo Hills im heutigen Botswana statt. Dies hat im Jahr 2012 die Archäologin Sheila Coulson herausgearbeitet und, so heißt es, damit das älteste wissenschaftlich belegte Ritual der Welt entdeckt.

Seitdem haben sich Rituale in Gesellschaften im Großen und Kleinen gehalten und weiterentwickelt – von religiösen Gepflogenheiten über politisches Zeremoniell bis hin zu privaten, sich wiederholenden Gewohnheiten sind sie in tausendfacher Weise etabliert. Das Küssen des Balls im Sport, das Aufstehen mit dem „richtigen Fuß“, Salz über die Schulter werfen, auf Holz klopfen, Dinge nicht verschreien, Braut und Bräutigam nicht vor der Hochzeit sehen, zu bestimmten Jahreszeiten fasten, den Jahreswechsel laut feiern oder die zum Ritual gewordene Morgen-Rou­tine wiederholen.

Spiritualität und Ordnung

All dies lässt sich komprimiert und per Definition in zwei Bedeutungen unterteilen: in eine spirituelle Handlung und in ein „wiederholtes, immer gleichbleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung“. Exakt diese Ordnung (also die zweite Definition) ist es, die auch manchen Startup-Gründer:innen dabei hilft, den stressigen Joballtag zu bewältigen, Klarheit zu schaffen und Erfolge zu erreichen.

Sohlen und Poster

So zeigt sich etwa Johannes Braith vom österreichischen Scaleup Storebox als großer Anhänger davon, sich klare Ziele zu setzen und diese zu visualisieren.

„Dabei halte ich es für wichtig, einerseits eine große Vision zu definieren und diese in kleinere Meilensteine herunterzubrechen“, sagt er. „Diese verhältnismäßig kleinen Meilensteine sind leichter zu erreichen, greifbarer und man kann entsprechend auch früher Erfolge verbuchen. Das Wichtigste ist, konstant dranzubleiben. Erfolg ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“

Das Visualisieren definierter Ziele wurde bereits früh als Ritual bei Storebox eingeführt: Im Office des Logistikunternehmens prangen Vision und Werte als Poster an der Wand und OKRs (Objectives and Key Results) werden in Echtzeit mittels Soll/Ist-Vergleich auf Bildschirmen angezeigt.

Zudem gibt Braith noch eine weitere Besonderheit aus seiner Ritualwelt preis: „Habe ich ein Etappenziel für mich definiert, schreibe ich es mir auf die Sohlen meiner Schuhe“, sagt er. „Das hilft mir, mich daran zu erinnern, dass jeder kleine Schritt zählt.“

Der Knopf des Erfolgs

Franz Tretter, Gründer des Kundenbindungs-Startups Hello Again, nutzt Rituale dazu, um Ziele und Kultur in seinem Team zu verankern. Dazu gehört ein „Global Success Button“, der bei jedem neuen Kunden gedrückt wird, mit anschließender Feier im Büro. Mitarbeiter:innen, die remote arbeiten oder unterwegs sind, werden per Mail oder Smartphone ebenso informiert; „einfach, damit man Bescheid weiß“, sagt Tretter.

Auch etwas namens „Howard 1000“ gehört zum regelmäßigen Ritual des Linzer Teams dazu. Dabei handelt es sich um eine Wand bestehend aus 1.000 Kästchen mit einer besonderen Bedeutung. „Wir haben diese aufgebaut, als wir 120 Kunden hatten. Mit jedem Kunden, den wir gewonnen haben, haben wir ein Logo hinzugefügt und haben nun knapp 900 Kästchen voll“, erklärt Tretter.

Und zu guter Letzt sind bei Hello Again die „Compliment Cards“ ein weiteres internes Ritual: „Wertschätzung ist total wichtig bei uns“, erklärt Tretter. „Wir haben eigene Kärtchen beim Eingang, da schreibt man gelegentlich etwas Nettes drauf und legt es am Abend Kollegen auf den Tisch. Die freuen sich am nächsten Morgen.“

An diesen beiden Beispielen bemerkt man bereits eine kleine Gemeinsamkeit, die zwischen den Zeilen mitschwingt: Wiederkehrendes, etwas Konstantes ist nicht bloß eine Orientierungshilfe für Startup-Gründer:innen, sondern kann als einer von mehreren Bausteinen eines spezifischen Mindsets gesehen werden; eines Mindsets, das von einem ruhigen Leadership-Skill zeugt und deutlich zeigt, dass manchmal das wilde Gefüge in einem selbst sowie auch das Äußere, das sich unter Mitarbeitenden am Arbeitsplatz entwickelt, gepflegt werden muss.

Gemeinschaft fördern

Das weiß auch Anna Maria Lauda von Hadia, einem Wiener Verein, der weibliches Unternehmertum in Afghanistan fördert. Ihr hilft eine tägliche zehnminütige Meditation, den Tag entschleunigt, entspannt und fokussiert zu beginnen.

„Dadurch kann ich klarere Prioritäten setzen und produktiver arbeiten“, sagt sie. „Früher lag mein Schwerpunkt vor allem auf individuellen Praktiken wie dem Selbstmanagement und der strikten Zeitplanung durch To- do-Listen. Doch im Laufe meiner Reise als Gründerin habe ich erkannt, dass Flexibilität und der wertvolle Austausch mit dem Team genauso entscheidend sind. Heute schätze ich Rituale, die nicht nur den persönlichen Fokus stärken, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl fördern.“

Daher veranstaltet Lauda wiederkehrende Onlinemeetings mit ihren Weberinnen in Afghanistan. „Regelmäßige Check-ins mit den Frauen sind inspirierend und motivierend. Allzu leicht verliert man in der Hektik des Alltags den Bezug zu den Menschen, für die man arbeitet. Und diese Gespräche erinnern mich daran, was unser gemeinsames Ziel ist und wie viel wir schon erreicht haben“, sagt sie.

Saad Wohlgenannt, Gründer und CEO des Zahn-Startups Dental Armor und der Kryptobörse Coinpanion, hatte im Lauf der Zeit verschiedene Rituale, die er jedoch mittlerweile fast alle ab- gelegt hat; darunter eine wöchentliche „Rückschau“, um zu überlegen, was er besser machen könnte, oder Journaling (Anm.: Blick nach innen mit schriftlicher Aufzeichnung, was in einem vorgeht).

Heute plant er an jedem Geburtstag, was er im kommenden Jahr erreichen möchte. Meistens setzt sich der Founder dabei ein monetäres Ziel für sein Business sowie ein paar persönliche Ziele, wie etwa einen neuen Sport zu erlernen, ein Land zu bereisen oder ein bestimmtes Problem zu lösen.

„Die wichtigsten Rituale, die mir langfristig helfen, meine Ziele zu erreichen, haben meistens den Effekt, mich kurzfristig vom Arbeiten abzuhalten“, sagt er. „Zum Beispiel beginne ich meinen Tag mit ein paar Mobility-Übungen, Liegestützen, Klimmzügen und einer kalten Dusche – erst danach schaue ich in meine E-Mails und starte richtig durch. Ab 20.30 Uhr ist mein Handy auf ‚Nicht stören‘, und dann bin ich nur noch schwer erreichbar.“

Drei und nicht mehr

Romana Dorfer beschäftigt sich mit ihrem Startup Factinsect damit, die Fülle an Fake News im Netz aufzulösen und User:innen gesicherte Informationen zur Verfügung zu stellen. Sie selbst hat sich früher oft viele, unspezifische und große Ziele vorgenommen, die jedoch innerhalb eines Tages kaum zu erreichen waren. Dabei waren Fortschritte nur schwer messbar und am Ende des Tages wurde kein Ziel erledigt, wie sie gesteht. Dadurch ist oft das Gefühl entstanden, wenig erreicht zu haben.

Heute greift sie maximal auf drei Vorhaben pro Tag zurück. „Der Vorteil ist, dass ich fast immer alle Ziele für den Tag erreiche und dadurch meine Motivation steigt. Meistens arbeite ich dann noch an weiteren Themen“, sagt Dorfer.

Bei Martin Granig, Gründer der Spar-App monkee und Vater einer siebenjährigen Tochter, sehen die Morgen oftmals chaotisch aus. Um dem entgegenzuwirken, hat er eine Morgenroutine entwickelt: „Ich stehe meist 30 Minuten früher auf. Das gibt mir die Gelegenheit, mich in Ruhe im Bad fertig zu machen“, sagt er. „Während des Zähneputzens mache ich ein paar Übungen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen, bevor ich Frühstück für meine Tochter und Kaffee für meine Frau und mich zubereite. So habe ich noch ein paar ruhige Momente für mich, bevor der Trubel beginnt.“

Am Ende seines Arbeitstags führt der Gründer einen kurzen Check-in durch und klärt für sich, was er heute schaffen möchte, was er tatsächlich geschafft hat und was er noch anpassen muss.

„Das hilft mir, mein Time-Boxing im Kalender zu optimieren, gerade für die Aufgaben, die zwar wichtig sind, aber erst in der Zukunft anstehen“, erklärt er. „Ich habe gelernt, dass es notwendig ist, solche Dinge bewusst zu planen, bevor sie von den dringenden, aber weniger wichtigen Aufgaben verdrängt werden.“

Raus aus der Bubble

Für Granig gibt es zudem noch ein persönliches Highlight der Woche: Freitagabend-Basketball. „Das mag zwar kein typisches Gründer-Ritual sein, aber für mich ist es essenziell. Es hilft mir, Stress abzubauen, den Kopf frei zu bekommen und in einer entspannten Atmosphäre mit Freunden zu lachen. Danach starte ich erfrischt ins Wochenende – und am Montag wieder voller Energie in die neue Woche“, so der Tiroler, der früher oft von „dringenden Dingen“ stark getrieben war, die dazu führten, dass wichtige strategische Aufgaben oftmals zu kurz kamen.

„Man arbeitet in so einem Fall zu viel ‚in the business‘ statt ‚on the business‘“, sagt er. „Heute habe ich meine Timeboxing-Routine deutlich verbessert, damit genau diese wichtigen Dinge nicht untergehen. Früher musste ich auch keine Rücksicht auf Familie und Kind nehmen. Das hat sich natürlich geändert, und ich musste Wege finden, trotz all der Verantwortung auch noch Zeit für mich zu schaffen. Daher meine Morgenroutine und mein Freitagabend-Basketball. Dort geht es einfach nur ums Spielen und um entspannte Gespräche über deutlich unkompliziertere Dinge als Startups, Karriere oder Business. Das tut gut und gibt mir Energie.“

Ankerpunkte fürs Wesentliche

Ähnlich ergeht es Instahelp-Founderin Bernadette Frech. Für die Gründerin des Grazer Health-Startups sind Rituale bewusste Ankerpunkte, um den Fokus auf dem Wesentlichen zu halten – im Beruf wie im Privatleben.

„Eines der wichtigsten Rituale habe ich mit meinen Kindern: Jeden Morgen beginnen wir den Tag mit einer vollen Minute Umarmung, ohne Worte, nur Nähe. Das stärkt unsere Bindung und gibt uns einen liebevollen Start in den Tag“, sagt Frech. „Abends reflektieren wir gemeinsam: Beim Rückenkraulen sprechen wir über Belastendes, bei der kitzligen Fußmassage teilen wir schöne oder lustige Momente und bei der Kopfmassage besprechen wir, wofür wir dankbar sind und was uns gut gelungen ist.“

Ambition vs. Balance

Auch bei ihr haben sich Rituale über die Jahre verändert und sich immer wieder ihren Lebensumständen angepasst. Früher, als berufliche Ambitionen im Vordergrund standen, hatten Frechs Rituale viel mit persönlicher Effizienz und beruflicher Zielerreichung zu tun. Heute, als dreifache Mama und Unternehmerin, haben sich die Prioritäten verschoben.

„Es geht mir jetzt viel stärker darum, eine Balance zwischen Karriere und Familie zu finden, ohne den Fokus auf meine eigene mentale Gesundheit zu verlieren“, erklärt sie. Das Ritual mit ihren Kindern sei ein Beispiel dafür, wie sich Rituale an neue Lebensphasen anpassen.

„Früher hätte ich vielleicht nicht gedacht, dass eine Umarmung am Morgen oder ein Ritual vor dem Schlafengehen so kraftvoll sein könnten. Heute sind es genau diese Momente, die mich erden und mir und meinen Kindern Energie geben“, erzählt sie. „Was sich jedoch nie geändert hat, ist meine wöchentliche psychologische Beratung. Sie ist seit Jahren eine Konstante, die mich sowohl beruflich als auch persönlich auf Kurs hält, auch wenn sich die Themen im Laufe der Zeit wandeln.“

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