02.10.2020

AVCO-Präsident Kinsky: “Es geht um den zukünftigen Wohlstand des Landes”

AVCO-Präsident Rudolf Kinsky spricht im Interview im Vorfeld der AVCO Annual Conference über die aktuelle Lage des VC- und PE-Bereichs in Österreich.
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AVCO-Präsident Rudolf Kinsky zum geplanten Investitionskontrollgesetz
(c) der brutkasten: AVCO-Präsident Rudolf Kinsky
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Voll und ganz zufrieden war die AVCO, die Dachorganisation der österreichischen !!Beteiligungskapital-Industrie, mit der Lage von Venture Capital ( !!VC) und Private Equity ( !!PE) im Land noch nie. Mehrere Forderungen, allen voran die Einrichtung eines staatlich unterstützten Dach-Fonds, bleiben seit Jahren von der Politik unerhört. Dennoch sorgt das Krisenjahr 2020 auch in diesem Bereich für eine außergewöhnliche Situation mit zusätzlichen Herausforderungen.


Das und noch mehr wird Gegenstand der AVCO Annual Conference, die am 8. Oktober online stattfindet – Detailinformationen dazu gibt es hier. Neben inhaltlichem Input bietet diese zahlreiche Vernetzungsmöglichkeiten mit dem Who is Who der Szene.


Bereits im Vorfeld der Konferenz haben wir mit AVCO-Präsident Rudolf Kinsky über die aktuellen Herausforderungen im !!VC- und !!PE-Bereich in Österreich und die Forderungen der Dachorganisation dazu gesprochen.

Zumindest in unserer Berichterstattung beim brutkasten gibt es dieses Jahr mehr Eigenkapital-Investments für Startups, als in den Vorjahren. Hat die Corona-bedingte Notlage vieler Unternehmen hier einen unbeabsichtigten Push gebracht?

Fonds haben Kapitalrunden eingelegt, damit der Runway von Startups verlängert wird und der Krise entgegengesteuert werden kann. Da hat sicherlich auch der Covid-Startup-Hilfsfonds geholfen, der Eigenkapital von Investoren aufgedoppelt hat. Das hat insgesamt 100 Millionen Euro an frischem Kapital für Startups gebracht und war eine richtige, rasche Maßnahme.

Gleich zu Beginn der Krise gab es auch die Diskussion, ob Down-Rounds in der Situation angebracht sind. Wie stehst Du aus heutiger Sicht dazu?

Da fehlt es mir ehrlich gesagt an einer Statistik, um wirklich eine Aussage machen zu können. Ich persönlich habe in den vergangenen Monaten keine Down-Rounds gesehen, aber das ist freilich nur mein unmittelbarer Blickwinkel. Da geht es ja auch um Investments in der Seed-Phase, die nicht unmittelbar an den Marktumständen leiden. Und alles, was mit Digitalisierung, MedTech, Robotics oder ähnlichen Themen zusammenhängt, ist ohnehin eher Krisengewinner.

Apropos: Es gab auch die Kritik, dass der Covid-Startup-Hilfsfonds vielfach von Unternehmen in Anspruch genommen wurde, die durch die Krise gar nicht negativ beeinträchtigt werden…

Ob Steuergelder ausgegeben wurden, wo es gar nicht notwendig war, ist schwer zu beurteilen. Es ist sicher so gewesen, dass jene im Vorteil waren, die schnell und smart gehandelt haben. Aber ich würde sagen: So ist das Leben. Der Topf war eben limitiert.

Man muss jedenfalls bedenken, dass die Funding-Situation eventuell schwieriger wird und es jedenfalls sinnvoll ist, Startups einen längeren !!Runway zu ermöglichen. Das ist sehr wahrscheinlich im Sinne der Steuerzahler und der Wirtschaft. In meinem Umfeld beobachte ich jedenfalls bereits: Viele, die im Angel-Bereich arbeiten und auch Stiftungen halten sich mit Investments schon wieder zurück. Sind momentan vorsichtig. Deshalb sagen wir ja auch, wir brauchen mehr Fonds. Die haben das Kapital bereits aufgenommen und können Startups durch die Krise durchfinanzieren.

Nun ist der Hilfsfonds seit Monaten ausgeschöpft, der angekündigte Runway-Fonds ist scheinbar “stecken geblieben”. Wie siehst du die aktuelle Finanzierungslage der heimischen Startups – auch in Anbetracht der wieder verschärften Corona-Maßnahmen?

Es wäre sicherlich – nach allem was wir aus dem Markt hören – wesentlich mehr Nachfrage für den Hilfsfonds da gewesen. Da hat man sich verschätzt bzw. standen nicht mehr staatliche Mittel zur Verfügung.

Aus unserer Sicht ist der !!Runway-Fonds – von der wenigen Information, die wir darüber haben – nicht sinnvoll. Hier soll ein Direktfonds mit einer staatlichen Garantie bestückt werden, mit einem Hebel von lediglich 1:2. Das lädt gerade dazu ein, schlechte Investments zu machen, selbst mit den besten Intentionen. Wenn das Geld privater Investoren sorgfältig investiert wird, braucht es keine Staatsgarantie. Außerdem hat die aws mit Kapitalgarantien in der Vergangenheit schlechte Erfahrung gemacht.

Wesentlich zielgerichteter wäre der von der AVCO entwickelte Dachfonds für die jetzige Situation geeignet. Damit wäre mit etwa 1:20 eine wesentlich höhere Hebelung einer Garantie – als einmalige Initialzündung – zu erreichen und es würde frisches institutionelles Kapital in den österreichischen Kapitalmarkt fließen

Der Dachfonds bzw. Fund of Funds ist seit Jahren eine der zentralen Forderungen der AVCO. Tut sich da irgendwas?

Leider haben wir dafür bis jetzt von der Regierung keine Unterstützung bekommen. Es wäre natürlich gerade jetzt genau das richtige Konzept. Hier geht es, wie gesagt, um eine einmalige Garantie über 50 Millionen Euro, aber 1,2 Milliarden Euro kommen dabei auf Zielfonds-Ebene heraus. Das wäre eine reine Initialzündung mit starker Umwegrentabilität – weil es nur eine Garantie ist, die zu einem AA+ Rating führt, und das Kapital nicht aktiv bereitgestellt werden müsste.

Der von der AVCO vorgeschlagene Fund of Funds wäre als Vehikel ideal für österreichische institutionelle Investoren, quasi ein Starter Kit, für das sie nicht viel Analyse machen müssen und unkompliziert investieren können. Das ginge etwa auch für kleine regionale Versicherungen. Der Dachfonds hätte volkswirtschaftlich einen großen Effekt und wäre wegen der breiten Streuung sicher profitabel. Und es geht dabei ja nicht nur um Startups, sondern auch um KMUs und Mittelstand – auch die brauchen mehr !!Eigenkapital.

Doch wie gesagt fehlt uns in der Regierung bislang noch der richtige Ansprechpartner. Und das, obwohl Kanzler Sebastian Kurz und etwa auch Innovationsministerin Leonore Gewessler durchaus sagen, es brauche mehr privates Kapital. Es fehlen aber in den involvierten Ministerien offenbar die personellen Kapazitäten. Es gibt einige wenige wirklich gute Ansprechpartner, aber die haben keine Zeit. Es ist einfach nicht auf der Prioritätenliste. Zu unserem vom bmdw vorgeschlagenen Entwurf eines Wagniskapitalfondsgesetzes haben wir etwa seit einem Jahr kein Feedback bekommen.

Es gibt da sicher auch die Frage der Kompetenzabgrenzung. Die Koordination zwischen den Ministerien scheint nicht immer so gut, wie sie sein sollte. Doch das zu kritisieren bringt letztlich gar nichts. Die Stärkung des Eigenkapitals ist in vieler Munde und wenn dann einmal doch der Bundeskanzler sagt, dass das jetzt Priorität ist, dann wird es auch passieren.

Was sind weitere Maßnahmen für den VC- und PE-Bereich, die in der aktuellen Situation aus Sicht der AVCO sinnvoll wären?

Die systemische Bedeutung von Wagnis- und Privatkapital hat Österreich bisher verschlafen. Es geht schlicht um den zukünftigen Wohlstand des Landes.

Wir brauchen für unsere Volkswirtschaft und Unternehmen querbeet mehr Eigen- bzw. Risikokapital. Nur leider fehlt es an den Kapitalmarktstrukturen und Rahmenbedingungen, aber vor allem an professionellen Kapitalverteilern. Wir haben keine extern gefundeten PE-Fonds und neben der Speedinvest nur eine Handvoll von aufstrebenden aber kleineren !!VC-Fonds. Es ist eine traurige Situation.

Wir glauben aber, dass sich Wien bzw. Österreich zu einem Dreh- und Angelpunkt für !!VC- und !!PE-Fonds mit regionaler Ausstrahlung entwickeln könnte. Das wäre ein echtes Standort-Thema und wir könnten dem Monopolisten Luxemburg als Fonds-Domizil ernsthafte Konkurrenz machen. Für Fonds unter 250 Millionen Euro ist Luxemburg einfach viel zu teuer. Dadurch würde sich ein Preis-Schirm anbieten, unter dem man einen Markt in Österreich entwickeln könnte. Nur braucht das Land dazu einen wettbewerbsfähigen Rechts- und Steuerrahmen. Das zuvor erwähnte, vom “AVCO Tax and Legal Committee” entworfene Wagniskapitalgesetz könnte das leisten. Aber es gibt, wie gesagt, nicht einmal Feedback dazu.

Könnte sich Österreich mit den richtigen Maßnahmen also aus der Krise einen Vorteil gegenüber anderen Ländern verschaffen?

Die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber unseren Nachbarn hängt unmittelbar mit der Entwicklung eines funktionierenden Kapitalmarktes zusammen. Wir würden uns wünschen, dass die Politik uns besser unterstützt und mit mehr Vision und Mut zur Durchsetzung ans Werk ginge. Die Prioritäten sollten endlich auf die Ermöglichung von marktgerechten Finanzierungen und die Deregulierung von Unternehmensgründungen etc. ausgerichtet werden. Eine einfachere Gesellschaftsform mit der Ermöglichung der Mitarbeiterbeteiligung – wie gerade in Arbeit – geht allerdings schon in die richtige Richtung.

Anschlussfinanzierungen und größere Investments in KMU bzw. den Mittelstand kommen heute ausschließlich aus dem Ausland. Damit verlieren wir die Kontrolle über unsere schnell wachsenden Unternehmen mit der Gefahr, auch einen Großteil der Wertschöpfung aus der Hand zu geben.

Abschließend: Wie optimistisch oder pessimistisch bist Du im Hinblick auf die kommenden Monate?

Vorsichtig optimistisch aus Prinzip, weil wir durch die Krise den Stellenwert von privatem !!Eigenkapital zu erkennen scheinen, aber aus der Erfahrung der letzten Jahre leider eher pessimistisch. Wir bräuchten im Finanzwesen eine Systemveränderung, aber leider sitzt die Trägheit tief in der DNA des Landes.

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Rituale, Rituale der Startup-Welt, Ritual, Howard, Factinsect, Hadia, Storebox, Instahelp, monkee, Dental Armor, Coinpanion
(c) Hello Again/zVg/Hadia/Die Abbilderei/Storebox/schon nice gmbh/Victor Malyshev - (o.v.l.) Franz Tretter von Hello Again, Romana Dorfer von Factinsect, Anna Lauda von Hadia, Bernadette Frech von Instahelp/ Johannes Braith von Storebox, Saad Wohlgennannt von Dental Armor und Martin Granig von monkee.

Dieser Artikel ist im brutkasten-Printmagazin von Dezember 2024 erschienen. Eine Download-Möglichkeit des gesamten Magazins findet sich am Ende dieses Artikels.


Ein Pythonkopf aus Stein ragt aus der Dunkelheit hervor. In Kreisen angeordnete, farbenfrohe Speerspitzen verzieren den kalten Höhlenboden; manche davon stammen aus Hunderte Kilometer entfernten Gegenden. Am Ende der Höhle erstreckt sich ein kleiner, versteckter Raum, der Platz für eine Person bietet; üblicherweise versteckt sich ein Schamane darin und spricht zu seinem Stamm, sodass es scheint, die steinerne Schlange selbst lasse donnernde Worte erklingen.

Diese Verehrung des majestätischen Reptils fand vor rund 70.000 Jahren in der Kalahari-Wüste am Fuße der Tsodilo Hills im heutigen Botswana statt. Dies hat im Jahr 2012 die Archäologin Sheila Coulson herausgearbeitet und, so heißt es, damit das älteste wissenschaftlich belegte Ritual der Welt entdeckt.

Seitdem haben sich Rituale in Gesellschaften im Großen und Kleinen gehalten und weiterentwickelt – von religiösen Gepflogenheiten über politisches Zeremoniell bis hin zu privaten, sich wiederholenden Gewohnheiten sind sie in tausendfacher Weise etabliert. Das Küssen des Balls im Sport, das Aufstehen mit dem „richtigen Fuß“, Salz über die Schulter werfen, auf Holz klopfen, Dinge nicht verschreien, Braut und Bräutigam nicht vor der Hochzeit sehen, zu bestimmten Jahreszeiten fasten, den Jahreswechsel laut feiern oder die zum Ritual gewordene Morgen-Rou­tine wiederholen.

Spiritualität und Ordnung

All dies lässt sich komprimiert und per Definition in zwei Bedeutungen unterteilen: in eine spirituelle Handlung und in ein „wiederholtes, immer gleichbleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung“. Exakt diese Ordnung (also die zweite Definition) ist es, die auch manchen Startup-Gründer:innen dabei hilft, den stressigen Joballtag zu bewältigen, Klarheit zu schaffen und Erfolge zu erreichen.

Sohlen und Poster

So zeigt sich etwa Johannes Braith vom österreichischen Scaleup Storebox als großer Anhänger davon, sich klare Ziele zu setzen und diese zu visualisieren.

„Dabei halte ich es für wichtig, einerseits eine große Vision zu definieren und diese in kleinere Meilensteine herunterzubrechen“, sagt er. „Diese verhältnismäßig kleinen Meilensteine sind leichter zu erreichen, greifbarer und man kann entsprechend auch früher Erfolge verbuchen. Das Wichtigste ist, konstant dranzubleiben. Erfolg ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“

Das Visualisieren definierter Ziele wurde bereits früh als Ritual bei Storebox eingeführt: Im Office des Logistikunternehmens prangen Vision und Werte als Poster an der Wand und OKRs (Objectives and Key Results) werden in Echtzeit mittels Soll/Ist-Vergleich auf Bildschirmen angezeigt.

Zudem gibt Braith noch eine weitere Besonderheit aus seiner Ritualwelt preis: „Habe ich ein Etappenziel für mich definiert, schreibe ich es mir auf die Sohlen meiner Schuhe“, sagt er. „Das hilft mir, mich daran zu erinnern, dass jeder kleine Schritt zählt.“

Der Knopf des Erfolgs

Franz Tretter, Gründer des Kundenbindungs-Startups Hello Again, nutzt Rituale dazu, um Ziele und Kultur in seinem Team zu verankern. Dazu gehört ein „Global Success Button“, der bei jedem neuen Kunden gedrückt wird, mit anschließender Feier im Büro. Mitarbeiter:innen, die remote arbeiten oder unterwegs sind, werden per Mail oder Smartphone ebenso informiert; „einfach, damit man Bescheid weiß“, sagt Tretter.

Auch etwas namens „Howard 1000“ gehört zum regelmäßigen Ritual des Linzer Teams dazu. Dabei handelt es sich um eine Wand bestehend aus 1.000 Kästchen mit einer besonderen Bedeutung. „Wir haben diese aufgebaut, als wir 120 Kunden hatten. Mit jedem Kunden, den wir gewonnen haben, haben wir ein Logo hinzugefügt und haben nun knapp 900 Kästchen voll“, erklärt Tretter.

Und zu guter Letzt sind bei Hello Again die „Compliment Cards“ ein weiteres internes Ritual: „Wertschätzung ist total wichtig bei uns“, erklärt Tretter. „Wir haben eigene Kärtchen beim Eingang, da schreibt man gelegentlich etwas Nettes drauf und legt es am Abend Kollegen auf den Tisch. Die freuen sich am nächsten Morgen.“

An diesen beiden Beispielen bemerkt man bereits eine kleine Gemeinsamkeit, die zwischen den Zeilen mitschwingt: Wiederkehrendes, etwas Konstantes ist nicht bloß eine Orientierungshilfe für Startup-Gründer:innen, sondern kann als einer von mehreren Bausteinen eines spezifischen Mindsets gesehen werden; eines Mindsets, das von einem ruhigen Leadership-Skill zeugt und deutlich zeigt, dass manchmal das wilde Gefüge in einem selbst sowie auch das Äußere, das sich unter Mitarbeitenden am Arbeitsplatz entwickelt, gepflegt werden muss.

Gemeinschaft fördern

Das weiß auch Anna Maria Lauda von Hadia, einem Wiener Verein, der weibliches Unternehmertum in Afghanistan fördert. Ihr hilft eine tägliche zehnminütige Meditation, den Tag entschleunigt, entspannt und fokussiert zu beginnen.

„Dadurch kann ich klarere Prioritäten setzen und produktiver arbeiten“, sagt sie. „Früher lag mein Schwerpunkt vor allem auf individuellen Praktiken wie dem Selbstmanagement und der strikten Zeitplanung durch To- do-Listen. Doch im Laufe meiner Reise als Gründerin habe ich erkannt, dass Flexibilität und der wertvolle Austausch mit dem Team genauso entscheidend sind. Heute schätze ich Rituale, die nicht nur den persönlichen Fokus stärken, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl fördern.“

Daher veranstaltet Lauda wiederkehrende Onlinemeetings mit ihren Weberinnen in Afghanistan. „Regelmäßige Check-ins mit den Frauen sind inspirierend und motivierend. Allzu leicht verliert man in der Hektik des Alltags den Bezug zu den Menschen, für die man arbeitet. Und diese Gespräche erinnern mich daran, was unser gemeinsames Ziel ist und wie viel wir schon erreicht haben“, sagt sie.

Saad Wohlgenannt, Gründer und CEO des Zahn-Startups Dental Armor und der Kryptobörse Coinpanion, hatte im Lauf der Zeit verschiedene Rituale, die er jedoch mittlerweile fast alle ab- gelegt hat; darunter eine wöchentliche „Rückschau“, um zu überlegen, was er besser machen könnte, oder Journaling (Anm.: Blick nach innen mit schriftlicher Aufzeichnung, was in einem vorgeht).

Heute plant er an jedem Geburtstag, was er im kommenden Jahr erreichen möchte. Meistens setzt sich der Founder dabei ein monetäres Ziel für sein Business sowie ein paar persönliche Ziele, wie etwa einen neuen Sport zu erlernen, ein Land zu bereisen oder ein bestimmtes Problem zu lösen.

„Die wichtigsten Rituale, die mir langfristig helfen, meine Ziele zu erreichen, haben meistens den Effekt, mich kurzfristig vom Arbeiten abzuhalten“, sagt er. „Zum Beispiel beginne ich meinen Tag mit ein paar Mobility-Übungen, Liegestützen, Klimmzügen und einer kalten Dusche – erst danach schaue ich in meine E-Mails und starte richtig durch. Ab 20.30 Uhr ist mein Handy auf ‚Nicht stören‘, und dann bin ich nur noch schwer erreichbar.“

Drei und nicht mehr

Romana Dorfer beschäftigt sich mit ihrem Startup Factinsect damit, die Fülle an Fake News im Netz aufzulösen und User:innen gesicherte Informationen zur Verfügung zu stellen. Sie selbst hat sich früher oft viele, unspezifische und große Ziele vorgenommen, die jedoch innerhalb eines Tages kaum zu erreichen waren. Dabei waren Fortschritte nur schwer messbar und am Ende des Tages wurde kein Ziel erledigt, wie sie gesteht. Dadurch ist oft das Gefühl entstanden, wenig erreicht zu haben.

Heute greift sie maximal auf drei Vorhaben pro Tag zurück. „Der Vorteil ist, dass ich fast immer alle Ziele für den Tag erreiche und dadurch meine Motivation steigt. Meistens arbeite ich dann noch an weiteren Themen“, sagt Dorfer.

Bei Martin Granig, Gründer der Spar-App monkee und Vater einer siebenjährigen Tochter, sehen die Morgen oftmals chaotisch aus. Um dem entgegenzuwirken, hat er eine Morgenroutine entwickelt: „Ich stehe meist 30 Minuten früher auf. Das gibt mir die Gelegenheit, mich in Ruhe im Bad fertig zu machen“, sagt er. „Während des Zähneputzens mache ich ein paar Übungen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen, bevor ich Frühstück für meine Tochter und Kaffee für meine Frau und mich zubereite. So habe ich noch ein paar ruhige Momente für mich, bevor der Trubel beginnt.“

Am Ende seines Arbeitstags führt der Gründer einen kurzen Check-in durch und klärt für sich, was er heute schaffen möchte, was er tatsächlich geschafft hat und was er noch anpassen muss.

„Das hilft mir, mein Time-Boxing im Kalender zu optimieren, gerade für die Aufgaben, die zwar wichtig sind, aber erst in der Zukunft anstehen“, erklärt er. „Ich habe gelernt, dass es notwendig ist, solche Dinge bewusst zu planen, bevor sie von den dringenden, aber weniger wichtigen Aufgaben verdrängt werden.“

Raus aus der Bubble

Für Granig gibt es zudem noch ein persönliches Highlight der Woche: Freitagabend-Basketball. „Das mag zwar kein typisches Gründer-Ritual sein, aber für mich ist es essenziell. Es hilft mir, Stress abzubauen, den Kopf frei zu bekommen und in einer entspannten Atmosphäre mit Freunden zu lachen. Danach starte ich erfrischt ins Wochenende – und am Montag wieder voller Energie in die neue Woche“, so der Tiroler, der früher oft von „dringenden Dingen“ stark getrieben war, die dazu führten, dass wichtige strategische Aufgaben oftmals zu kurz kamen.

„Man arbeitet in so einem Fall zu viel ‚in the business‘ statt ‚on the business‘“, sagt er. „Heute habe ich meine Timeboxing-Routine deutlich verbessert, damit genau diese wichtigen Dinge nicht untergehen. Früher musste ich auch keine Rücksicht auf Familie und Kind nehmen. Das hat sich natürlich geändert, und ich musste Wege finden, trotz all der Verantwortung auch noch Zeit für mich zu schaffen. Daher meine Morgenroutine und mein Freitagabend-Basketball. Dort geht es einfach nur ums Spielen und um entspannte Gespräche über deutlich unkompliziertere Dinge als Startups, Karriere oder Business. Das tut gut und gibt mir Energie.“

Ankerpunkte fürs Wesentliche

Ähnlich ergeht es Instahelp-Founderin Bernadette Frech. Für die Gründerin des Grazer Health-Startups sind Rituale bewusste Ankerpunkte, um den Fokus auf dem Wesentlichen zu halten – im Beruf wie im Privatleben.

„Eines der wichtigsten Rituale habe ich mit meinen Kindern: Jeden Morgen beginnen wir den Tag mit einer vollen Minute Umarmung, ohne Worte, nur Nähe. Das stärkt unsere Bindung und gibt uns einen liebevollen Start in den Tag“, sagt Frech. „Abends reflektieren wir gemeinsam: Beim Rückenkraulen sprechen wir über Belastendes, bei der kitzligen Fußmassage teilen wir schöne oder lustige Momente und bei der Kopfmassage besprechen wir, wofür wir dankbar sind und was uns gut gelungen ist.“

Ambition vs. Balance

Auch bei ihr haben sich Rituale über die Jahre verändert und sich immer wieder ihren Lebensumständen angepasst. Früher, als berufliche Ambitionen im Vordergrund standen, hatten Frechs Rituale viel mit persönlicher Effizienz und beruflicher Zielerreichung zu tun. Heute, als dreifache Mama und Unternehmerin, haben sich die Prioritäten verschoben.

„Es geht mir jetzt viel stärker darum, eine Balance zwischen Karriere und Familie zu finden, ohne den Fokus auf meine eigene mentale Gesundheit zu verlieren“, erklärt sie. Das Ritual mit ihren Kindern sei ein Beispiel dafür, wie sich Rituale an neue Lebensphasen anpassen.

„Früher hätte ich vielleicht nicht gedacht, dass eine Umarmung am Morgen oder ein Ritual vor dem Schlafengehen so kraftvoll sein könnten. Heute sind es genau diese Momente, die mich erden und mir und meinen Kindern Energie geben“, erzählt sie. „Was sich jedoch nie geändert hat, ist meine wöchentliche psychologische Beratung. Sie ist seit Jahren eine Konstante, die mich sowohl beruflich als auch persönlich auf Kurs hält, auch wenn sich die Themen im Laufe der Zeit wandeln.“

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