Warum fällt es europäischen Startups so viel schwerer zu skalieren als US-amerikanischen? Geht es nach den Initiator:innen der im Herbst vergangenen Jahres gestarteten EU-Inc-Petition (brutkasten berichtete), ist die Fragmentierung in Europa das zentrale Problem – nicht nur jene des Markts, sondern auch und vor allem jene der rechtlichen Bedingungen.
Einer der Initiatoren ist der Österreicher Andreas Klinger, der unter anderem CTO der US-Plattform Product Hunt war und seit Jahren, zunächst mit Remote First Capital, seit dem Vorjahr mit Prototype Capital, als Investor tätig ist. „Europa hat historisch immer starke Unternehmen hervorgebracht. In den vergangenen 20 Jahren kommen aber alle neuen globalen Player aus den USA“, sagt Klinger. Er führt das auf den Faktor Risikokapital zurück, das in den USA bekanntlich deutlich besser verfügbar ist als am alten Kontinent.
„Müssen uns der Realität stellen, dass jedes einzelne Land in Europa zu klein ist“
Für Klinger ist klar: „Wenn wir einen Platz aufbauen wollen, wo neue, innovative Sachen starten können, müssen wir uns der Realität stellen, dass jedes einzelne Land in Europa dafür zu klein ist. Zusammen können wir aber die Scale erreichen, die so wichtig für Startups ist.“ Die in der Petition vorgeschlagene EU Inc soll als pan-europäische Gesellschaftsform unter anderem das länderübergreifende Investieren deutlich vereinfachen – und damit zu einer von Beginn an besseren Finanzierungssituation für Startups sorgen.
Vorschlag für „28th Regime“ von EU-Kommission für Ende 2025 angekündigt
Unterzeichnet wurde die Petition von mehr als 16.000 Personen, darunter viele der größten Namen in der europäischen Startup- und Scaleup-Welt. Und sie zeigte Wirkung: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen griff das Thema auf. Die EU-Kommission kündigte einen Entwurf bis Ende 2025 an. Unter dem Titel „28th Regime“ soll ein EU-Rechtsrahmen geschaffen werden, der EU-weit einheitliche Regeln für Unternehmen bringt. Von der Leyen sprach dabei nicht nur vom Unternehmensrecht und der Gesellschaftsform, sondern etwa auch von Insolvenzrecht, Arbeitsrecht und Besteuerung – ein Vorschlag, der deutlich weiter geht als jener der Initiative EU Inc.
Von der Leyen ging weiter als Initiative EU Inc
Entsprechend blieb man dort auch bei aller Freude über von der Leyens Enthusiasmus vorsichtig. „Wir haben von Beginn an gesagt, wir wollen Arbeitsrecht und Besteuerung nicht als Teil der EU Inc. Wir wollen das nicht anfassen“, sagt Klinger. Denn in diesen Feldern erwartete man besonders große Widerstände in den europäischen Ländern. Stattdessen sollte der Vorschlag zur paneuropäischen Gesellschaftsform ein „MVP“ (Minimum Viable Product) werden, um die Chance auf Umsetzung zu maximieren.
„Europe risks Europe-ing itself out of the opportunity“
Und tatsächlich zeigen sich diese erwarteten Widerstände bereits jetzt, Monate bevor der Entwurf der Kommission überhaupt steht – wenn er denn zum angekündigten Zeitpunkt kommt. Sie kommen in Form eines für viele unerwarteten vorauseilenden Gegenvorschlags von EU-Parlamentarier:innen daher. Entstanden ist dieser unter Federführung des deutschen EU-Mandatars René Repasi (SPD). Und er erhitzt die Gemüter bei europäischen Startups und ihren Interessenvertretungen.
„Europe risks Europe-ing itself out of the opportunity“ schreibt die Initiative EU Inc dazu plakativ auf ihrer LinkedIn-Page. Denn mit der (Anm. hypothetischen) Umsetzung dieses Vorschlags würde Brüssel „das genaue Gegenteil“ der vorgeschlagenen EU Inc erreichen. Startup-Vertretungen aus der gesamten EU, darunter AustrianStartups, stimmen in gesonderten Statements zu. Ein gemeinsamer offener Brief von EU Inc mit der Initiative Allied for Startups und dem European Startup Network geht weiter in die Tiefe.
„28th Regime“ als Richtlinie statt Verordnung?
Was ist das Problem? Größter Stein des Anstoßes ist, dass der Vorschlag der Parlamentarier:innen das „28th Regime“ als Richtlinie (directive) und nicht als Verordnung (regulation) vorsieht. „Das Ziel ist es ja, einen gemeinsamen Standard zu schaffen. Das bedeutet, es muss in allen EU-Ländern eins zu eins gleich sein, was mit einer Richtlinie, die jedes Land gesondert umsetzt, nicht möglich ist. 27 einzelne Regulierungen haben wir bereits und brauchen wir nicht nochmal“, meint Andreas Klinger und fügt an: „Macht es richtig oder macht es gar nicht“.
Starke Kritik gibt es im offenen Brief und von den Interessenvertretungen auch an der Auswahl der Institutionen, Unternehmen und Personen, die von den Parlamentarier:innen für den Vorschlag befragt wurden: Hier seien Startups und deren Vertretungen kaum zu Wort gekommen, während etwa Notariaten und Verbänden etablierter Unternehmen eine gewichtige Stimme gegeben worden sei. Entsprechend spiegle der Vorschlag die Prioritäten traditioneller Unternehmen und nicht jene von Startups und Scaleups wider.
„Veraltetes Verständnis“ und „zutiefst fehlgeleiteter Ansatz“
Ganz konkret wird im offenen Brief auch die „Überbetonung“ von sogenannten „Killer-Acquisitions“, also Übernahmen kleinerer Unternehmen durch Konzerne bekrittelt. Dies deute auf ein „veraltetes Verständnis von Märkten und Wettbewerb“ hin. Weiters wird das im Vorschlag explizit vorgebrachte Ziel, Verlegungen von Unternehmenssitzen zu verhindern, als „zutiefst fehlgeleiteter Ansatz“ bezeichnet. Anstatt das beste Umfeld zu schaffen, damit Unternehmen Europa freiwillig wählen, impliziere dies den Versuch, sie gewaltsam festzuhalten, was den Prinzipien eines offenen, wettbewerbsorientierten Marktes zuwiderlaufe.
„Es stellt sich natürlich die Frage, warum dieser Vorschlag so vorgebracht wird“, sagt Andreas Klinger. „Entweder, Player wie Banken und Notariate haben ihren Einfluss geltend gemacht, weil sie von der Fragmentierung der EU leben, oder es wurde aus Angst, dass viele der EU-Inc-Vorschläge nicht durchs Parlament kommen würden, vorauseilend eine extrem abgeschwächte Version erstellt.“ Aber, so der Investor: „Man kann da keine 80-Prozent-Lösung machen.“
„Kein ‚crazy request‘, sondern ein Kernproblem“
Doch Klinger räumt ein, dass der nun vorgebrachte Vorschlag auch etwas Gutes habe. Zum einen würde er vielleicht die Kommission „wachrütteln“. Und, so der EU-Inc-Initiator: „Wir hatten von Beginn an Angst, dass wir im Prozess extreme Nuancen ausverhandeln müssen. Auf dem Level, dass das eigentliche Problem überhaupt nicht verstanden wird, lässt sich leichter diskutieren.“ Denn die vereinheitlichte Gesellschaftsform sei eben kein „crazy request“, sondern ein Kernproblem, das gelöst werden müsse.