11.06.2019

“Artpaper”-Gründer Alexey Chernikov: “Mit side projects gegen Burnout”

Alexey Chernikov, Entwickler der Übersetzer-Apps Mate Translate und Reji, weiß, was einkehrende Routine mit kreativen Köpfen anstellen kann. Er erklärt anhand seines ersten Projekts "Artpaper", welche Vorteile Ablenkung gegenüber Rückzug bringt. Und wie dies auch gegen drohendes Burnout helfen könnte.
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Artpaper, Burnout, Kunst
(c) Twopeople Software - Artpaper-Entwickler Alexey Chernikov und Co-Founder Andrew nutzen Nebenprojekte, um den Kopf frei zu bekommen.

Die Weltgesundheitsbehörde hat Burnout, wie vor kurzem bekannt wurde, als psychische Erkrankung klassifiziert. Im neuen Katalog wird sie nun als Syndrom von “chronischem Stress am Arbeitsplatz” definiert. Die Krankheit tritt laut WHO in drei Ebenen auf: Erschöpfungsgefühl, zunehmende geistige Distanz (oder negative Haltung zum eigenen Beruf) und verringertes Leistungsvermögen. Im Jahr 2022 wird die neue Klassifizierung in Kraft treten. Ein Wiener Unternehmen hat auf seine eigene Art und Weise mit Arbeit an Nebenprojekten (in diesem Fall “Artpaper”) einen Weg gefunden, um verlorene Energien wieder aufzufrischen.

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Nebenprojekte für freien Kopf

Alexey Chernikov ist der Gründer des Wiener Startups Twopeople Software. Bisher ist das Unternehmen durch die Übersetzer-Apps Mate Translate und Reji – letztere wurde sogar auf Product Hunt gefeatured – aufgefallen. Neben der Arbeit am Kernprodukt haben es sich die Gründer zum Ziel gesetzt, mindestens zweimal im Jahr an anderen Projekten zu arbeiten, um den Kopf frei zu bekommen. “Wir haben uns in unserem kleinen Team nach einiger Zeit gelangweilt gefühlt, nur an Mate Translate zu arbeiten”, erklärt Chernikov im Gespräch mit dem brutkasten.

Google motiviert Mitarbeiter zur Kreativität

Daher die Idee, etwas vollkommen anderes zu machen: Der Gründer bringt Beispiele von Unternehmen, die eigens eingerichtete Labore für Nebenprojekte haben, etwa MacPaw. Das Unternehmen gilt als eine der größten Companies, die Mac/iOS-Apps wie “CleanMyMac” entwickeln. Zwei der erfolgreichsten Produkte, “Wallpaper Wizard” oder “Gemini”, sollen aus diesem “Kreativ-Labor” stammen.

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“Man hört, dass auch Google seine Mitarbeiter dazu motiviert, 20 Prozent der Arbeitszeit in Nebenprojekte zu investieren”, sagt Chernikov: “Spaß an der Arbeit gehört dazu, der Gesundheit zuliebe und um die Effizienz hoch zu halten.Wiederkehrende Tätigkeiten könnten selbst bei der interessantesten Aufgabe schnell zum Alltagstrott werden”.

Nicht auf Bali herumliegen

Wenn einen die Routine der Arbeit an dem Unternehmens-Flagschiff auszehrt, wie Chernikov sagt, man sich müde oder ausgebrannt fühle, gebe es ein einfaches Mittel dagegen: Neue Dinge tun. “Man muss sich nicht zur Gänze zurückziehen oder unerreichbar auf Bali herumliegen. Die Lösung ist einfacher und fördert die Kreativität, frischt dein Gehirn auf und lässt die die Freude am arbeiten neu entdecken”, sagt Chernikov .

“Hackathon ohne schlaflose Nächte”

“Artpaper” war der erste Versuch des in Wien ansässigen Startups, etwas abseits ihrer typischen Apps zu entwickeln. “Wir wollten etwas aus Spaß machen und unsere Gedanken woandershin schweifen lassen. Man kann sich das wie einen ein- oder zweiwöchigen Hackathon, ohne schlaflose Nächte, vorstellen”, sagt der Gründer. “Es begann alles mit der Idee meines Co-Founders Andrew vor drei Jahren, als er vorschlug ‘Wallpaper’ aus Galerie- und Museumsarbeiten zu machen”.

Artpaper, Burnout, Kunst
(c) Twopeople Software – Ein Beispiel davon, wie ein Artpaper-Wallpaper auf dem eigenen PC aussieht.

Wallpaper-Alternative mit Artpaper

Beide Founder wollten damals mit “Artpaper” der begrenzten Menge an Standard-Hintergrundbildern, die Leute langweile, eine Alternative entgegensetzen. Deshalb haben der Entwickler und sein Team handverlesene Kunstwerke (ohne Copyright) aus Museen und Galerien weltweit ausgewählt. “Kunst ist etwas, was Menschen schon seit Ewigkeiten schaffen, und doch ist es für die meisten von uns unzugänglich. Wir sehen sie nur in Museen und Galerien”, sagt er.

Subtiles Lernen und Big in China

Aus diesem Grund haben die Entrepreneure diese Mac-App erstellt, die eine zufällige Arbeit aus der Galerie als Hintergrundbild in Intervallen festlegt. “So sieht man nicht nur immer etwas Neues auf dem Desktop, sondern kann auch sein künstlerisches Wissen auf subtile Weise vergrößern”, sagt Chernikov.

Chernikov ist mit geringen Erwartungen in das neue Projekt gestartet. Der Spaß stand im Vordergrund, zusätzlich hat er viel über Kunst gelernt. Eines Tages merkte er schließlich, dass die App in China plötzlich populär wurde. “Es scheint, die in ‘Artpaper’ verfügbaren Werke, die zum größten Teil die westliche Kultur darstellen, sind für chinesische Benutzer noch schwerer zugänglich als für uns. Mit ‘Artpaper’ haben sie hunderte Kunstwerke direkt vor sich”.

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Eine Idee, die scheitert…

Die App schaffte es damals sogar auf die Titelseite des Apple App-Stores, was beinahe einen Schock bei den Gründern ausgelöst hätte. Und eine neue Idee gebar, die aber bald scheiterte: “Irgendwann dachten wir, es wäre cool, Kunstwerke nicht nur auf dem Desktop zu sehen. Wir boten an, mit ein paar Klicks jedes Kunstwerk von ‘Artpaper’ als gedrucktes Exemplar bestellen zu können. Wir druckten es auf eine Leinwand, rahmten es ein, bedeckten es mit Lack und lieferten es vor die Tür. Wir haben dafür vor dem Einrichten des gesamten Druckprozesse der App eine Schaltfläche hinzugefügt, auf die Benutzer bei Interesse klicken konnten”, erklärt Chernikov.

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(c) privat – Das gedruckte Bild, das von Chernikovs Bruder gekauft wurde.

Nur zwei Käufer gefunden

In einer einmonatigen Testphase waren für diese Idee virtuelle Bestellungen im Rahmen von 4000 US-Dollar eingetrudelt. “Aufgeregt haben wir ‘Artpaper Orders’ gestartet, wurden aber relativ bald negativ überrascht. Reale Bestellungen gingen nicht wirklich ein. Nur zwei Leute haben es erworben. Zwei andere – mein Bruder und mein Mitbegründer – bewahren ihre Kopien ebenfalls noch zu Hause auf. Wir mussten dieses Feature also vor eineinhalb Jahren herunterfahren”, erinnert sich Chernikov.

Der Gründer schätzt, dass 110 Euro inklusive Versand den Usern wohl zu teuer waren, oder es zu langweilig gewesen wäre, bloß ein Kunstwerk daheim zu haben. “Der Wettbewerbsvorteil von ‘Artpaper’ besteht eigentlich darin, Hunderte von Werken zur Hand zu haben”, sagt er.

Gesamtumsatz gestiegen, als es billiger wurde

Nun sind die Kunstwerke “nur” im App-Store verfügbar. “Wir haben ein wenig mit dem Preis experimentiert. Zum Beispiel sind wir von 30 auf zehn Euro gesunken. Obwohl der Erlös damit aus einem einzelnen Verkauf geringer ist, ist der Gesamtumsatz gestiegen. Weil sich das offenbar mehr Nutzer jetzt leisten können, insbesondere in China”, denkt Chernikov. Nun entfallen auf ‘Artpaper’ monatliche Einnahmen in Höhe von 2000 Euro bei sehr geringem Wartungsaufwand, lässt man uns wissen.

Promo-Video von “Artpaper”

Geist frisch halten und Geld verdienen

Nebenprojekte sind, wie dieses Beispiel zeigt, nicht nur eine Möglichkeit, sich von einer tristen Alltagsroutine und einem geplagten Kopf ablenken zu lassen, sondern wie Chernikov sagt, ein guter Routinebrecher und eine erstaunliche Gelegenheit zum Experimentieren: “Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als würde man von dem Kernprodukt des Startups abgelenkt werden. In Wirklichkeit hilft es, den Geist zu erfrischen, Kreativität zu fördern und manchmal auch eine zusätzliche Einnahmequelle zu schaffen”, sagt Chernikov.


⇒ Twopeople Software

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Storebox-CEO und Cofounder Johannes Braith | Foto: brutkasten

Die neue EU-Kommission steht. Hierzulande laufen dagegen nach wie vor die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS mit ungewissem Ausgang. Währenddessen kommt nicht nur Österreich nicht aus der Rezession heraus und auch die Prognosen bleiben tendenziell negativ. Begleitet wird das Szenario von einer Häufung an dramatischen Appellen und Forderungen nach umfassenden Änderungen in der Wirtschaftspolitik.

Wie steht es wirklich um Österreich und die EU? Was sind nun die drängendsten Maßnahmen? brutkasten geht diesen Fragen gemeinsam mit führenden Köpfen der heimischen Innovationsszene nach.

Storebox-Co-Founder und -CEO Johannes Braith sieht im brutkasten-Interview auch Chancen, die die Krise biete, formuliert aber konkrete Maßnahmen, die dazu nun auf politischer Seite ergriffen werden müssten.


brutkasten: Düstere Prognosen und drastische Appelle stehen aktuell in der Wirtschaftsberichterstattung an der Tagesordnung. Wie beurteilst Du die Situation? Ist sie wirklich so dramatisch?

Johannes Braith: Ich beobachte die Großwetterlage natürlich laufend. Allerdings halte ich es für gut, wenn man sich in seinen daily Operations als Founder nicht zwangsläufig beunruhigen lässt. Gerade Startups sind es gewohnt Krisen zu managen bzw. mit ihnen umzugehen. In manchen Fällen kann dadurch sogar etwas Positives entstehen. Denn Krisen erzwingen oft Veränderungen, welche wiederum oft Chancen beinhalten.

Aber natürlich finde ich es beunruhigend, dass wir, was unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa angeht, so dramatisch den Anschluss verlieren. Ich hoffe, dass der steigende Schmerz dazu führt Regulierungen abzubauen und ein neues Selbstverständnis hinsichtlich Wirtschaft, Startups und Technologie einkehrt.

Welche gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen sollten in Österreich möglichst schnell umgesetzt werden? Was muss unbedingt ins Regierungsprogramm?

Das Thema ist leider ziemlich mühsam, da sehr, sehr gute Vorschläge seit langer Zeit am Tisch liegen, die allerdings nicht umgesetzt wurden. Ein wichtiger Punkt ist es bestimmt, Risikokapitalgeber zu incentivieren – Stichwort Beteiligungsfreibetrag.

Noch wichtiger wäre es allerdings die Steuern auf Arbeit deutlich zu reduzieren. Wir sind in einer Zeit, in der wir die Extrameile gehen müssen. Das sollte auch belohnt werden. Man könnte z.B. Überstunden steuerlich freistellen, Pensionisten incentivieren, wenn sie in der Rente arbeiten möchten – eventuell gänzlich steuerfrei, oder man kann über Modelle nachdenken, mit denen man Vollzeitarbeit nicht nur ermöglicht (Kinderbetreuung) sondern eventuell auch belohnt.

Generell stelle ich mir die Frage, wie Menschen den Sinn in ihrer beruflichen Tätigkeit wieder zurückerlangen können. In vielen Gesprächen und Beobachtungen sehe ich, dass die Leistungebereitschaft extrem abgenommen hat. Ob das immer durch politische Maßnahmen geheilt werden kann, bezweifle ich. Ich halte viel von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Und was sollte die neue EU-Kommission unbedingt sofort angehen?

Regulierung massiv abbauen. Ich bin mit Storebox mittlerweile in sechs Ländern und mehr als 200 Städten operativ tätig. Es kann ja nicht sein, dass wir gefühlt hunderte unterschiedliche Regulierungen vorfinden, die das Prosperieren von Unternhemen extrem erschweren.

Was wären konkret für euch als Scaleup die wichtigsten Schritte auf nationaler und EU-Ebene?

Die Lohnkosten senken, Regulierungen massiv reduzieren und die Zuwanderung hochqualifizierter Personen massiv erleichtern.

Was bräuchte es, damit die Wiener Börse bzw. zumindest eine europäische Börse für einen IPO eines Scaleups wie Storebox attraktiv ist?

Große Anschlussfinanzierungen müssen in Europa mit europäischem Kapital getätigt werden, um ab einer gewissen Stage als logischen Schritt einen IPO auch in einem europäischen Heimatmarkt zu forcieren.

Aktuell wird nicht nur im Zusammenhang mit Börsengängen die Standortattraktivität stark diskutiert. War Abwanderung aus Europa für euch jemals ein Thema?

Aktuell noch nicht. Ich lebe sehr gerne in Österreich und sehe nicht alles nur negativ. Wir leben in einem tollen Land mit vielen Möglichkeiten, toller Infrastruktur und einigermaßen stabilen Verhältnissen. Die Verwaltung dieses Zustands wird allerdings nicht ausreichen. Es muss gestaltet werden, um den Standort attraktiv zu halten.

Bitte eine Prognose: Abhängig von den Entscheidungen, die in nächster Zeit getroffen werden – was ist das Worst- und was das Best-Case-Szenario für Europa?

Das Worst-Case-Szenario: Die EU zerfällt in unterschiedliche Lager, weil es nicht möglich war, Interessen zu alignen und die großen Hebel zu betätigen. Geopolitisch wäre das eine absolute Katastrophe!

Das Best-Case-Szenario: Die Wettbewerbsfähigkeit wird durch radikale Maßnahmen wieder hergestellt. Die Menschen spüren eine deutliche Entlastung, haben Perspektiven und glauben an eine bessere Zukunft. Europa wächst weiter zusammen und bleibt ein starker und wichtiger globaler Player.

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