11.08.2021

Europäisches Forum Alpbach: Das passiert bei der Seminarwoche

Von 18. bis 24. August 2021 findet am Europäischen Forum Alpbach (EFA) die Seminarwoche für Studierende statt. Was steht heuer am Programm und wie funktioniert eine Seminarwoche in Zeiten der Pandemie? Der brutkasten hat bei EFA-Vorstandsmitglied Katja Gentinetta nachgefragt.
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Katja Gentinetta
Katja Gentinetta | Foto: Benjamin Hofer

Das Europäische Forum Alpbach (EFA) startet auch dieses Jahr mit der Seminarwoche – noch bevor sich Prominenz aus Politik und Wirtschaft in dem Tiroler Bergdorf einfinden, treffen Studierende aus unterschiedlichen Ländern zusammen, um Seminare zu den großen Themen unserer Zeit zu besuchen. Wie das gesamte EFA wird auch die Seminarwoche iin diesem Jahr sowohl digital als auch analog abgehalten.

Der brutkasten hat bei EFA-Vorstandsmitglied Katja Gentinetta nachgefragt, wie das neue Format genau funktioniert und was dieses Jahr bei der Seminarwoche am Programm steht. Gentinetta ist eine politische Philosophin aus der Schweiz. Seit über 10 Jahren arbeitet sie als selbständige Publizistin, Universitätsdozentin und in strategischen Führungspositionen.

brutkasten: Die Seminarwoche ist seit mehr als 75 Jahren das wissenschaftliche Herzstück des EFA. Für alle, die noch nicht mit ihr vertraut sind – was ist die Seminarwoche und wie funktioniert sie?

Katja Gentinetta: Es waren tatsächlich vor allem Studenten die – als sie nach dem Zweiten Weltkrieg den Kontinent in Trümmern sahen – ihre friedliche Vision von Europa nicht nur in Gedanken, sondern auch in Taten umgesetzt sehen wollten. Seither gibt es die Seminarwochen und seit jeher sind sie für junge Menschen Quelle der Inspiration und Kreation.

In der Seminarwoche geht es um den interdisziplinären Diskurs. Dieser ist aber nur ein Teil eines umfangreichen, kreativen Austausches. Anregungen kommen auch aus der Kunst, der Musik, der Bewegung und vor allem aus der unerwarteten Konfrontation von Themen.

Heute bildet die Seminarwoche den jährlichen Auftakt des Forums. Die Studierenden entscheiden sich bereits im Vorhinein für bestimmte Themenblöcke, die vor Ort behandelt werden. Am Vormittag steht die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Hauptthemen des Forums im Mittelpunkt, am Nachmittag betätigen sich die jungen Leute auf unterschiedlichste Art und Weise kreativ und handlungsorientiert – so entsteht Raum für neue Ideen, aber auch für die persönliche Entwicklung.

Wird die Seminarwoche diesmal anders abgehalten als in den Jahren vor der Pandemie?

Die Grundidee ist natürlich gleich, aber es gibt einige Veränderungen. Zum Beispiel ist die Zahl der Teilnehmenden vor Ort aufgrund der aktuellen Situation stark limitiert. Um dennoch Stipendiatinnen und Stipendiaten aus der ganzen Welt eine Teilnahme zu ermöglichen, wurden die Seminare geteilt: Zwölf Seminare finden vor Ort statt, neun Seminare werden ausschließlich digital abgehalten. Wie während des gesamten Forums stehen auch während der Seminarwoche die Themen „Securing Our Future”, „The Climate Opportunity” und „The Financing of Europe’s Future” im Mittelpunkt.

Neu ist auch, dass im Vorfeld der Seminarwoche sogenannte Challenges stattgefunden haben. Dabei wurden konkrete Fragen wie zum Beispiel „Europe might be the best place to live. How can Europe become one of the best places to innovate?” oder “What European future do we want and how can we overcome the existing internal divides?” gestellt.

Ziel war es dabei, junge Leute zu motivieren, innovative Lösungsansätze für die Zukunft Europas zu entwickeln. Schließlich wurden sieben Top Teams ausgewählt, die vor Ort in Alpbach nun im Austausch mit Expertinnen und Experten ihre Ideen weiterentwickeln und am Ende des Forums vorstellen werden. Denn es ist uns besonders wichtig, dass wir nicht nur diskutieren, sondern vor allem auch anpacken.

Was kann man den drei Themenblöcken genau erwarten?

Die drei genannten Themenblöcke behandeln durchwegs große europäische Herausforderungen: Wie können wir die Zukunft Europas sichern? Wie können wir die Klimakrise als Chance wahrnehmen und nachhaltig Veränderungen bewirken, so dass auch Generationen nach uns noch auf einem lebenswerten Planeten leben? Und natürlich die große Frage: Wie soll das alles finanziert werden?

Beim Europäischen Forum Alpbach sind wir davon überzeugt, dass wir diese Fragen nur gemeinsam und interdisziplinär lösen können. Es braucht ein Umdenken, ein Voranschreiten, denn so, wie wir die Probleme heute angehen, werden wir nicht ans Ziel kommen. Die Probleme können auch nicht allein von Managern, Politikerinnen oder Technologieexperten behandelt werden – sie alle müssen miteinander sprechen. Und eben auch mit den jungen Menschen, denn diese tragen letztlich die Konsequenzen aus den Handlungen und Entscheidungen von heute. Für diese Zusammenarbeit wollen und können wir mit der Seminarwoche einen Betrag leisten.

Die Seminarwoche am EFA ist unter anderem auch für ihre hochkarätigen Vortragenden bekannt. Welche sind dieses Jahr dabei – können Sie uns ein paar Beispiele nennen und uns einen kleinen Einblick ins Programm geben?

Es gibt viele spannende Programmpunkte und auch Persönlichkeiten: Charly Kleissner zum Beispiel. In „Thinking Big While Doing Good“ wird er mit den jungen Menschen das Thema angehen, wie wir uns in Europa zukünftig ökonomisch und finanziell aufstellen müssen, um erfolgreich in die Zukunft zu gehen. Astrid Hopfensitz wiederum beschäftigt sich mit ihren Stipendiatinnen und Stipendiaten damit, wovon Entscheidungen abhängig sind – auf individueller, aber auch auf kollektiver Ebene. „Wie werden Menschen mobilisiert?“, ist die große Frage im Seminar „Why we Do What we Do.” Wir haben auch sehr viele junge Vortragende, die noch mehr Inspiration und Motivation in die Woche einbringen werden.

In den handlungsorientierten Seminaren am Nachmittag wiederum konfrontieren zum Beispiel junge Musikstudierende die Teilnehmenden mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen. Beide verlassen ihren üblichen Aktionsraum und das wirkt sehr inspirierend. Ähnlich arbeiten wir mit Kadetten der Militärakademie Wiener Neustadt zusammen und außerdem gibt es auch ein eigenes Chorseminar – bei dem es gar nicht wichtig ist, wie groß das eigene musikalische Talent ist, sondern was man gemeinsam daraus macht.

Sie haben bereits den besonderen Aufbau der Seminarwoche angesprochen – wissenschaftliche Seminare am Vormittag und künstlerisch-praktische Seminare am Nachmittag. Warum wurde dieser Ansatz gewählt und was ist die Stärke dieses Aufbaus?

Es ist eben genau diese Kombination aus fachlichem Input und Diskussion auf der einen sowie Kreativität und Handeln auf der anderen Seite, die große Energien freisetzt. Wissen wird auf unterschiedlichen Ebenen vernetzt und neue Ideen entstehen. Auch für die Persönlichkeitsentwicklung sind diese Aspekte sehr wichtig.

Die Ideen, die für die einzelnen Tracks in der Seminarwoche erarbeitet werden, werden dann auch in die verschiedenen Symposien eingebunden. In der Seminarwoche wollen wir die jungen Teilnehmenden auf den Austausch ihrer Ideen und Anliegen mit den Referentinnen und Experten des Forums vorbereiten.

Für wen ist die Seminarwoche geeignet? Was muss ich mitbringen, damit ich von der Seminarwoche am meisten profitieren?

An der Seminarwoche nehmen Personen teil, die sich gerne aktiv an der Lösung von aktuellen Herausforderungen beteiligen möchten. Wichtig sind vor allem Offenheit für neue Sichtweisen und Bereitschaft zu gesellschaftlichem Engagement. Die Teilnehmenden haben unterschiedlichste Hintergründe – geographisch, kulturell, disziplinär – die sie in die Woche einbringen. Am meisten profitiert, wer neue Ansätze zulässt, die eigene Meinung erweitert und dadurch die eigene Persönlichkeit weiterentwickelt.

Wer hat die Möglichkeit, an der Seminarwoche teilzunehmen?

Aufgrund der limitierten Anzahl wurden die Plätze in diesem Jahr ausschließlich an Stipendiatinnen und Stipendiaten vergeben, die sich im Vorfeld für eine Teilnahme bewarben. Aus mehr als 1.000 Bewerbungen wurden junge Personen aus der ganzen Welt ausgewählt, die sich nun bald im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach treffen werden – analog und digital.

Wenn ich an der Seminarwoche teilgenommen habe – mit welchen Eindrücken werde ich nach Hause fahren?

Unser Ziel ist es, dass alle, die an der Seminarwoche teilgenommen haben, inspiriert, selbstbewusst und voll Tatendrang nach Hause fahren. Sie sollen erkennen, dass jede und jeder von ihnen etwas bewegen kann. Diese jungen Menschen sind die Zukunft und sie können diese selbst mitgestalten. Dieser Eindruck wird bleiben und soll zu gemeinsamen Lösungen führen.

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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