29.04.2021

AI Austria sieht noch Änderungsbedarf bei geplanten EU-Regeln für künstliche Intelligenz

Die Begutachtungsphase für den Entwurf der EU-Kommission zur Regulierung von künstlicher Intelligenz hat begonnen. Clemens Wasner von AI Austria sieht noch einige kritische Punkte.
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EU-Kommission
Die US-Kommission arbeitet an einem Regelwerk für künstliche Intelligenz. | Foto: Guillaume Périgois/Unsplash

Die Europäische Union will, wie berichtet, ein umfassendes Regelwerk für künstliche Intelligenz ausarbeiten. Ein erster Entwurf dazu war in der Vorwoche veröffentlicht worden. Am Mittwoch hat nun das European AI Forum – ein Zusammenschluss von AI-Verbänden aus unterschiedlichen EU-Mitgliedsstaaten – die EU-Kommission zur Diskussion darüber gealden. An der Debatte mit Kilian Gross, dem Leiter der Artificial Intelligence Policy Development and Coordination Unit der Kommission, war auch AI Austria beteiligt. 

Der heimische Verband sieht bei den geplanten Regeln noch einigen Änderungsbedarf, wie Clemens Wasner von AI Austria gegenüber dem brutkasten erklärte. Das ist durchaus nach Plan: In der nun beginnenden Begutachtungsphase können und sollen Stellungnahmen unterschiedlicher Stakeholder eingebracht werden. Vor 2024 ist nicht damit zu rechnen, dass der Entwurf in Kraft tritt.

Hohe Kosten könnten Hemmschuh für Startups werden

“Kilian Gross hat die Absichten der Kommission grundsätzlich schlüssig erklärt”, sagt Wasner. Nicht alles habe ihn jedoch überzeugt: So hofft die EU-Kommission etwa, dass regulierte, EU-zertifizierte AI-Unternehmen künftig einen Wettbewerbsvorteil haben werden. In der Realität könnte das Regelwerk jedoch zum Hemmschuh für Startups werden – dann nämlich, wenn die mit der Zertifizierung verbundenen Kosten zu hoch seien. Im Vorfeld der Diskussion seien Kosten in der Höhe von 170.000 Euro kolportiert worden: “Aus Startup-Sicht wäre das ein K.O.-Kriterium, denn der Betrag fehlt dann in der Produktentwicklung”, sagt der AI-Experte. Dies betreffe nicht nur Startups, sondern auch viele andere Unternehmen mit beschränkten Ressourcen. 

Anders sieht es bei den großen Playern aus: Diese haben die juristischen Möglichkeiten, um sich zu arrangieren. Wasner verweist dazu auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO): Einer Statistik zufolge hätten 85 Prozent der deutschen Unternehmen von bestimmten Projekten mit Partnern Abstand genommen, weil sie befürchtet hatten, in einer rechtlichen Grauzone zu agieren. “Es könnte eine Situation entstehen, in der Unternehmen sagen: Bevor wir Probleme kriegen, verwenden wir keine künstliche Intelligenz – und der Firmenfokus könnte sich verschieben”, erläutert Wasner.

Nur 20 Prozent der AI-Anwendungen betroffen

Grundsätzlich sieht der Entwurf vor, dass nicht alle Anwendungen von künstlicher Intelligenz reguliert werden – sondern nur jene, die mit einem möglichen Risiko verbunden sind. 80 Prozent der Anwendungen dürften gar nicht unter die Regulierung fallen – etwa Applikationen im Bereich Predictive Maintenance, die in der Industrie prognostizieren, wann bei einer Maschine Instandhaltungsarbeiten durchgeführt werden sollen. Bereiche, die potenziell riskant sein könnte, aber bereits anderweitig reguliert sind – etwa autonomes Fahren oder Anwendungen im medizinischen Bereich – werden ebenfalls von geplanten Regeln nicht umfasst.

Wer entscheidet, ob ein Unternehmen reguliert wird oder nicht, ist noch offen. Den Vorstellungen der EU-Kommission zufolge könnte dies auf Eigeneinschätzungen basieren, die dann von bestimmten Institutionen – etwa den Digital Innovation Hubs der EU – abgesegnet werden müssen. Nicht reguliert wird ein Unternehmen nach jetzigem Stand auch, wenn es keine der im Entwurf definierten AI-Technologien einsetzt. Wasner sieht darin ein mögliches Schlupfloch: “Die Regulierung sollte auf den Anwendungsfall abziehen, die zugrundeliegende Technologie darf keine Rolle spielen”. Konkret heißt das: Ein Modell, das etwa die Kreditwürdigkeit einer Person mittels maschinellem Lernen prognostiziert, würde unter die Regulierung fallen. Würde man jedoch die selbe Anwendung mit anderen Methoden – etwa über ein regelbasiertes System – umsetzen, wäre es nicht betroffen. “Das ist unverständlich, innerhalb des Sachverhaltes sollte man konsistent sein”, sagt Wasner.

Keine Ausnahmen für Staaten bei Deep Fakes

Trotz der Kritikpunkte sieht AI Austria das Vorhaben grundsätzlich aber positiv: “Es wird überall auf der Welt vergleichbare Regulierungen geben und viele Punkten im Entwurf sind reparierbar”, sagt Wasner. Gegenüber dem im Vorfeld geleakten Papier hält er etwa für positiv, dass der tatsächliche Entwurf bei Deep Fakes nun keine Ausnahmen mehr für Staaten vorsieht, solche zu verbreiten, wenn es im öffentlichen Interesse ist: “So eine Szenario gibt es eigentlich nicht, daher ist das aus bürgerrechtlicher Perspektive die wichtigste Änderung gegenüber der geleakten Version”, erläutert der AI-Experte.

Auch würden die Regulierung Themen wie etwa Bias in Datensätzen erst griffig: “Durch die Zertifizierung wird eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema entstehen”. Der Mehrwert für die Bürger sei gegeben, aber es sei wichtig, dass es flankierende Maßnahmen gebe – etwa, dass Datensätze ohne Bias zur Verfügung gestellt werden. Die Kommission hat angekündigt, mittels Public-Private-Partnerships (PPP) 20 Mrd. Euro in künstliche Intelligenz investieren zu wollen: “Dieses Geld könnte man unter anderem auch dafür verwenden”, schlägt Wasner vor.

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v.l. Die beiden Founding Partner Laurenz Sim- bruner und Lukas Püspök | (c) Tina Herzl

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Ein Link zum Download findet sich am Ende des Artikels.

Spätestens mit dem Sieg von Donald Trump bei den US-Wahlen und der angekündigten Rückkehr seiner „America First“-Politik ist die Debatte über die Technologiesouveränität in Europa neu entfacht. Unter dem Motto „Drill, baby, drill!“ hat Trump zudem angekündigt, die Förderung fossiler Energieträger wie Öl und Gas massiv ankurbeln zu wollen. Gleichzeitig ist Europa in zentralen Industrien wie der Solar- und Batterietechnologie stark von China abhängig. Angesichts dieser Herausforderungen stellt sich die Frage, welche Marktchancen europäische Climate-Tech-Startups im geopolitischen Spannungsfeld zwischen den USA und China künftig haben.

Diese Frage beleuchten wir aus Investorensicht im Gespräch mit Lukas Püspök und Laurenz Simbruner – sie sind Founding Partner des Wiener Venture-Capital-Fonds Push, der gezielt in Health-Tech- und Climate-Tech-Startups investiert. Püspök leitet zudem das gleichnamige Familienunternehmen, das einer der größten Windkraftbetreiber Österreichs ist.


Wie schätzt ihr die aktuelle Finanzierungslage für Startups aus Investorensicht ein?

Laurenz Simbruner: Die erwartete deutliche Verbesserung bei Dealchancen blieb 2024 aus. Viele hatten die Hoffnung, dass der Markt wieder stärker anzieht, aber das war eher eine vorsichtige Prognose als Realität. Stattdessen erlebten wir ein Jahr, das stark im Zeichen selektiver Investments stand – Flight to Quality und ein klarer Fokus auf Unit Economics und den Weg zur Rentabilität. Besonders Top-Teams und Serial Entrepreneurs hatten es beim Fundraising leichter. Im Bereich Climate-Tech war weiterhin Finanzierung da, vor allem von neueren Fonds, die bereits 2021 und 2022 geraist wurden. Doch auch hier gab es erste Anzeichen von Ernüchterung.

Wie äußern sich diese Anzeichen der Ernüchterung im Climate-Tech-Sektor?

Lukas Püspök: Noch vor zwei Jahren waren die Erwartungen hoch – viele Pitch Decks gingen von extremen Energiepreisen aus, und selbst kleine Einsparungen durch Softwarelösungen wurden als äußerst wertvoll angesehen. Heute sind die Energiepreise in Europa zwar leicht erhöht, aber weitgehend normalisiert. Das führt zu einer gewissen Normalisierung der Nachfrage nach spezifischen Lösungen. Doch der Megatrend Climate-Tech bleibt intakt: Lösungen im Kampf gegen die Klimakrise sind weiterhin dringend notwendig, und das Potenzial für neue Technologien ist groß. Besonders Boom-Technologien wie Batterien bleiben gefragt. Allerdings erschweren die wirtschaftliche Situation in Europa und der geopolitische Druck zwischen China und den Vereinigten Staaten die Entwicklungen in der Clean-Tech- und Climate-Tech-Branche.

Der Megatrend Climate-Tech bleibt intakt.

Laurenz Simbruner: Interessant ist auch die Entwicklung bei den Investitionsvolumina: Nach einem Anstieg über drei Quartale gab es zuletzt wieder einen Rückgang. Besonders Deals im Bereich künstliche Intelligenz ziehen hier Aufmerksamkeit auf sich, da viele Mega-Rounds ein Drittel des Investitionsvolumens in Anspruch nehmen. Unsere beiden Bereiche Klima und Gesundheit bleiben jedoch noch immer unter den Top-Verticals. Der Fokus im Climate-Tech-Bereich verschiebt sich hin zu echten Herausforderungen der Energiewende und Industrie. ESG-Monitoring oder reine Energiemonitoring-Lösungen reichen nicht mehr aus – es geht darum, die großen Probleme anzugehen. Beispielsweise spielt die Steuerung zwischen Energieproduzenten, Speichern und Abnehmern eine zentrale Rolle, und hier kann Software Effekte erzielen.

Lukas Püspök: Die Komplexität im Energiebereich steigt enorm, die neue Energiewelt ist wesentlich vielschichtiger und dynamischer als früher. Das schafft ein ideales Umfeld für neue Technologieunternehmen, die mit ihrer Agilität und Innovationskraft Lösungen bieten können, die traditionelle Akteure oft nicht schnell genug umsetzen. In diesem Feld ergeben sich fast zwangsläufig große Wachstumschancen für neue Technologieunternehmen. Die Herausforderungen und Möglichkeiten sind so groß, dass es fast nicht anders kommen kann.

Welche Chancen bestehen für Startups im Energiebereich angesichts der dominanten Marktposition Chinas im Hardwarebereich?

Lukas Püspök: Ja, tatsächlich sind die meisten wesentlichen Technologien mittlerweile fest in chinesischer Hand. Bei Wärmepumpen könnte Europa noch eine kleine Chance haben, aber auch hier zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei den Wechselrichtern: Vor einigen Jahren hatten auch die europäischen Hersteller noch eine gewisse Relevanz am Weltmarkt, heute spricht jedoch fast jeder nur noch über Huawei und ein paar andere, die ihre Dominanz klar ausbauen konnten.

Diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren nicht einfach aufhalten lassen. China hat ein enormes Production-Know-how aufgebaut. Die Unternehmen dort sind in Forschung und Entwicklung sowie im Bau großer Produktionsanlagen extrem stark geworden. In Europa wird es sehr schwierig, dieses Niveau schnell zu erreichen.

Die USA gehen einen anderen Weg: Mit dem Inflation Reduction Act fließt viel Kapital in den Aufbau von Produktionskapazitäten, was den USA möglicherweise Vorteile verschafft. In Europa fehlen vergleichbar starke Investitionsanreize und langfristige Strategien, wie sie in China und den Vereinigten Staaten umgesetzt werden.

Historisch gesehen sind industrielle Erfolge eng an günstige Energiepreise gebunden.

Das bedeutet jedoch nicht, dass es für europäische Startups im Energy-Tech-Bereich keine Chancen gibt. Es gibt zahlreiche Felder, in denen sie erfolgreich sein können – von der Ausgleichsenergie über das Energiekostenmanagement bis zur Batterieoptimierung und Implementierung, um nur ein paar zu nennen. Hier bieten sich viele Möglichkeiten zur Wertschöpfung.

Wenn jedoch jemand in Europa eine neue Solarzelle entwickeln möchte, ist Skepsis angebracht, ob eine solche Entwicklung hier wirklich konkurrenzfähig in die Massenproduktion gehen kann. Deshalb liegt unser Fokus ohnehin nicht auf Hardware. Sie kann zwar eine Rolle spielen, aber der Hauptwert sollte immer aus der Softwarekomponente kommen – auch wenn das im Energy-Tech-Bereich manchmal herausfordernd ist.

Welchen Investitionsfokus verfolgt Push im Energiebereich?

Lukas Püspök: Unser Fokus liegt immer auf Asset-Light-Ansätzen, selbst bei Projekten mit Hardwarekomponenten. Wir sind offen, auch Hardware anzusehen, aber der wesentliche Wert wird in Europa öfter durch Software geschaffen, seltener durch herausragende Hardwareentwicklung und Produktion.

Laurenz Simbruner: Das liegt auch daran, dass wir als Tech-Investoren darauf achten, wie leicht Folgefinanzierungen gesichert werden können. Bei reinen Hardware-Investments stoßen wir auf Widerstände: Rund drei Viertel der potenziellen Investoren sagen bei „Hardware only“ Nein. Das erhöht das Risiko, dass eine Anschlussfinanzierung scheitert oder man alternative Finanzierungsquellen wie strategische Investoren oder Family Offices anstreben muss.

Was muss Europa tun, um im Energiebereich Technologiesouveränität zu erlangen?

Lukas Püspök: Europa kann nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn es langfristige, klare Policies ähnlich wie die anderen großen Wirtschaftsräume umsetzt. China hat mit seinen Fünfjahresplänen schon vor Langem begonnen, grüne Technologien und Batterien strategisch zu fördern, und unterstützt seine Unternehmen auf vielen Ebenen. Die USA setzen auf den Inflation Reduction Act, der klare Impulse für die Industrie bietet. Im Vergleich dazu wirkt Europa mit seinen Initiativen wie dem Green Industrial Deal fast zurückhaltend und politisch fragmentiert, was große Schritte erschwert.

Wir brauchen diese Klarheit in der europäischen Politik, um unsere Industrie zu halten und wettbewerbsfähige, günstige Energie zu sichern. Historisch gesehen sind industrielle Erfolge eng an günstige Energiepreise gebunden, und auch für Europa ist der massive Ausbau erneuerbarer Energien alternativlos. Manche Stimmen sprechen sich zwar für mehr Kernenergie aus, aber der gänzlich fossilfreie Ausbau bleibt das Ziel; besonders, da Europa keine großen natürlichen Ressourcen besitzt. Wir müssen so viel wie möglich selbst in Europa erneuerbar produzieren.

Der Fokus im Climate-Tech-Bereich verschiebt sich hin zu echten Herausforderungen der Energiewende und Industrie

Donald Trump hat die US-Wahlen gewonnen und setzt sich für fossile Energieträger ein. Inwiefern ist das eine Gefahr für den europäischen Climate-Tech-Sektor?

Lukas Püspök: Die aktuellen Entwicklungen in den USA stellen für den europäischen Climate-Tech-Sektor aus meiner Sicht keine allzu große Gefahr dar. Wenn die USA erneut aus dem Klimaabkommen austreten und die Schiefergas- und Schieferölproduktion steigern, wird dies zwar Auswirkungen haben, doch Europa wird weiterhin konsequent auf Zukunftstechnologien setzen. Diese klare Haltung stärkt das europäische Ökosystem und zeigt eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber globalen politischen Veränderungen. Insgesamt halte ich den Wahlausgang für die Klimabemühungen für sehr bedauerlich – für die Chancen der europäischen Climate-Tech-Unternehmen aber nicht für eine fundamentale Gefährdung.

Laurenz Simbruner: Viele Climate-Tech-Lösungen dienen primär der Kostenreduktion und der Produktivitätssteigerung. Der Kundennutzen steht dabei im Vordergrund, z. B. durch geringeren Verbrauch oder höhere Effizienz. Die Entscheidung für solche Innovationen ist oft wirtschaftlich motiviert und nicht rein ideologisch. So spielt auch in den USA der wirtschaftliche Nutzen eine entscheidende Rolle – und erneuerbare Technologien wie Photovoltaik setzen sich langfristig durch, wenn sie wirtschaftlich sinnvoll sind.

Lukas Püspök: Letztlich zeigt sich: Technologien setzen sich dauerhaft nur dann durch, wenn sie einen entsprechenden Kundennutzen bringen. In vielen Fällen sind aber Anschubfinanzierungen notwendig, um Technologien wie Photovoltaik zu etablieren und günstige, nachhaltige Lösungen weltweit zu fördern. Der große Photovoltaikboom auf österreichischen Dächern begann weniger aus Umweltgründen oder weil plötzlich jeder grünen Strom wollte; vielmehr wollen wir uns im Lichte der hohen Kosten und der Abhängigkeit von Importen wirtschaftlich absichern. Dieses Prinzip zeigt sich auch in den USA: Zwar könnte man mehr Öl und Gas fördern, und in gewissem Umfang wird das leider auch passieren, aber in vielen Fällen ergeben andere Energieformen wirtschaftlich mehr Sinn. Auch die USA werden PV, Windkraft und Batterien weiter stark ausbauen, hauptsächlich, weil sie in der Stromproduktion zu fast konkurrenzlos günstigen Technologien geworden sind.


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