16.10.2024
VERLEIHUNG

ACR-Awards für Desinfektions-Roboter, Kompositzement und Menstruationssicherheit

Insgesamt wurden heuer fünf Preise für besondere Innovationsleistungen vom Austrian Cooperative Research verteilt. Darunter für einen Roboter, der im Gesundheitswesen Oberflächen desinfiziert und an die Entwickler einer Methode um Gärreste aus Biogasanlagen profitabel zu verwerten.
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ACR, ACR Award, ACR-Preis
(c) AEE/Gassner/OFI/ - Die ACR-Awards für Innovation gingen heuer an fünf Preisträger:innen.

Jedes Jahr holt die ACR (Austrian Cooperative Research) zusammen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) KMU-Innovationen vor den Vorhang. Im Rahmen der ACR-Enquete wurden insgesamt fünf Preise vergeben: der ACR Woman Award powered by FFG, der ACR Start-up Preis powered by aws und drei ACR-Innovationspreise.

ACR Woman Award 2024

Gabriele Ettenberger-Bornberg vom ACR-Institut OFI (Österreichisches Forschungsinstitut für Chemie und Technik) ist die Preisträgerin des ACR Woman Award 2024. Im Projekt „RobiDES“ hat sie mit ihrem Team einen autonomen Roboter für die Desinfektion von Oberflächen im Gesundheitsbereich entwickelt.

Aus dem im Rahmen von „COIN KMU-Innovationsnetzwerke“ geförderten Projekt hervorgegangen, ist der Roboter in der Lage, Infektionskeime durch den Einsatz von UV-LED zu inaktivieren. Schließlich kann in medizinischen Einrichtungen nur durch die gründliche Desinfektion von Umgebungsflächen sichergestellt werden, dass sich Infektionen nicht weiter ausbreiten und dafür seien manuelle Maßnahmen nicht immer ausreichend.

ACR
(c) OFI – Gabriele Ettenberger-Bornberg, Preisträgerin des ACR Woman Award 2024.

Insofern schaffe der entwickelte autonome Hygiene-Roboter in mehrfacher Hinsicht Abhilfe: Er reduziert den Zeit- und Arbeitsaufwand und kann auch bei hohem Infektionsrisiko eingesetzt werden. Im Praxistest unter Realbedingungen konnten die Forscher:innen unter der Leitung von Ettenberger-Bornberg zeigen, dass auch die entwickelte Navigationssoftware den speziellen Anforderungen und Rahmenbedingungen im Gesundheitsbereich gerecht werde.

Start-up Preis 2024

Wie Gärreste aus Biogasanlagen profitabel verwertet werden können, untersuchten die Terra Green GmbH und das ACR-Institut AEE INTEC im Projekt „BioProfit“. Für ihre innovativen und nachhaltigen Verfahrenskonzepte erhielten sie den ACR Start-up-Preis 2024.

Betreiber von Biogasanlagen kennen es: Die im Produktionsprozess anfallenden Gärreste sind in mehrfacher Hinsicht problematisch. Während der hohe Wassergehalt Lager- und Transportkosten in die Höhe treibt, kann eine Ausbringung in der Landwirtschaft durch überschüssige Nährstoffe negative Auswirkungen für die Umwelt haben. Zudem entweicht der in den Gärresten enthaltene Kohlenstoff rasch in die Atmosphäre, der für Böden wichtige Kohlenstoff geht verloren.

Geht es nach dem Forscher:innen-Team hinter „BioProfit“, schlummert in den vermeintlichen Abfällen jede Menge ungenutztes Potenzial, das durch richtige Aufbereitung gehoben werden kann.

Die Forscher:innen der ACR-Institute AEE INTEC, GET, ZFE und IWI zeigten gemeinsam mit dem Startup Terra Green und der Brauerei Göss auf, wie Probleme synergetisch in Angriff genommen werden können. Trennt man die Gärreste nämlich in ihre festen und flüssigen Bestandteile auf, kann ihnen ein zweites Leben eingehaucht werden. Während sich aus der Flüssigfraktion ein Stickstoffdüngemittel erzeugen lässt, ist die Feststofffraktion als Ersatz für Torf einsetzbar, dessen Abbau umweltschädlich ist. So entstehen gänzlich neue Produkte mit vielversprechendem Marktpotenzial, während die Gärrestvolumina um mehr als 80 Prozent reduziert würden und mit ihnen auch die Kosten für Lagerung und Transport.

„Das neue Verfahrenskonzept ermöglicht es, das große stoffliche Potenzial des Gärrestes optimal zu nutzen und damit eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu etablieren“, sagt Christian Platzer, Projektleiter am AEE INTEC.

ACR-Innovationspreis 2024

Dem ACR-Institut VÖZ und der Salzburg Wohnbau GmbH ist beim Bau der Volksschule Adnet mit der Entwicklung einer CO2-reduzierten Zementsorte ein großer Schritt Richtung Nachhaltigkeit in einer sehr energieintensiven Branche gelungen. Für das Forschungsprojekt „Neue Kompositzemente“ erhielten sie den ACR-Innovationspreis 2024.

Kaum eine Branche ist derzeit so gefordert, ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren, wie die Zementindustrie. Allein in Österreich werden jährlich rund vier Millionen Tonnen des Baustoffs hergestellt und in erheblichem Ausmaß CO2-Emissionen freigesetzt. Zumindest derzeit noch. Denn die Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ), Mitglied des ACR-Forschungsnetzwerks, hat den Handlungsbedarf erkannt und 2022 eine Roadmap zur Erreichung der CO2-Neutralität bis zum Jahr 2050 veröffentlicht.

Mit diesem Ziel vor Augen entstand das Projekt „Neue Kompositzemente“, in dem Zement-Rezepturen erforscht und auf ihre Praxistauglichkeit getestet wurden.

Hinter dem etwas sperrigen Namen „CEM II/C“ versteckt sich eine neue Zementsorte, die den CO2-Fußabdruck herkömmlicher Rezepturen um 25 Prozent verringern soll, aber sonst wie gewohnt verwendet werden kann. Ein entscheidender Erfolgsfaktor war dabei vor allem der industrieweite Schulterschluss.

Zement
(c) VÖZ – Cornelia Bauer, Projektleiterin bei der VÖZ.

„Wir haben in der gesamten Branche gemeinsam an einem Strang gezogen“, sagt Cornelia Bauer, Projektleiterin bei der VÖZ. „So haben sich österreichweit alle Zementhersteller am Forschungsprojekt beteiligt und in ihren Werken großtechnische Mahlversuche durchgeführt.“

Innovationspreis 2024 Teil 2

Im Projekt „PVReValue“ gelang dem Österreichischen Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFI) und der Circulyzer GmbH gemeinsam mit einem Konsortium die Grundlage zur nahezu vollständigen Kreislaufführung alter PV-Module. Dafür erhielten sie ebenfalls den ACR-Innovationspreis 2024.

Photovoltaik-Anlagen sind gekommen, um zu bleiben. Bereits 2022 überschritt die weltweit installierte Leistung die 1000-GW-Marke und auch in Österreich hat sich der Wert von 2020 bis 2023 auf 7,8 GW nahezu vervierfacht. Zunehmend dringlich wird damit auch die Frage, wie mit PV-Modulen umgegangen wird, die das Ende ihres Lebenszyklus erreichen.

In der Regel sind die Module etwa 20 bis 30 Jahre im Einsatz, relevante Abfallströme befinden sich derzeit also noch auf sehr geringem Niveau. In den nächsten Jahren werden diese aber beträchtlich ansteigen und müssen entsprechend behandelt werden. Eine bevorstehende Mammutaufgabe, die das Projektkonsortium von „PVReValue“ erkannt hat. OFI und die Circulyzer GmbH untersuchen daher gemeinsam mit weiteren Forschungs- und Unternehmenspartnern, wie eine möglichst ganzheitliche Kreislaufführung von PV-Modulen gelingen kann.

„Wir möchten 95 Prozent der Materialien recyceln können“, erklärt Anika Gassner, Projektleiterin am OFI, das ambitionierte Ziel. Die wohl größte Hürde auf dem Weg dorthin liegt in der Vielzahl an Materialien, die in einem PV-Modul verbaut sind, und an der erheblichen Vielfalt der am Markt erhältlichen PV-Module. Umso wichtiger sei in einem ersten Schritt daher die Analyse der enthaltenen Materialien.

Im Schichtaufbau betrachtet, besteht jedes PV-Modul aus drei verschiedenen Fraktionen: der Solarglasscheibe, den Solarzellen mit metallischen Leiterbahnen (meist aus Silber und Kupfer) und der mehrlagigen, polymeren Rückseitenfolie. Um die wertvollen Materialien verwerten zu können, trennen die Forscher:innen die komplexen Materialverbunde durch mechanische und thermische Verfahren erst einmal in ihre Bestandteile auf. Das ermöglicht es in Folge, die entstehenden Fraktionen zu charakterisieren und für eine weitere Verwertung aufzubereiten.

ACR-Innovationspreis 2024 Teil 3

Auch beim letzten ACR-Preis war erneut das Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFI) beteiligt und hat ein Methoden-Set zur Sicherheitsbewertung von Menstruationsprodukten entwickelt, das in eine entsprechende ISO-Norm einfließen soll.

Fast die Hälfte der Bevölkerung ist regelmäßig auf sie angewiesen, angemessene Sicherheitsbestimmungen lassen aber weiter auf sich warten. Während in der EU viele Bereiche bis ins kleinste Detail reglementiert sind, unterliegen Menstruationsprodukte wie Tampons und Binden nur sehr oberflächlichen Auflagen. Und das, obwohl hinlänglich bekannt ist, dass das Vaginalgewebe sehr durchlässig und damit besonders anfällig für toxische Chemikalien und Reizstoffe ist.

Aus dieser Sicherheitslücke heraus ist bei OFI das Projekt „LEIFS“ (Let it flow safely) entstanden. Mit der Lebensmittelversuchsanstalt (LVA) und dem Industriewissenschaftlichen Institut (IWI) holte man noch zwei weitere ACR-Institute ins Boot, um gemeinsam ein klares Ziel zu verfolgen: Erstmals einheitliche Methoden zur Sicherheitsbewertung von Menstruationsartikeln zu schaffen und damit den Grundstein für eine internationale Standardisierung zu legen, wie es sie etwa für Medizinprodukte bereits gibt.

Denn, mögliche Gesundheitsrisiken, die von Menstruationsartikeln ausgehen, sind vielfältig und bisher kaum untersucht. So könne eine Belastung der Produkte mit Pestiziden, Schwermetallen oder toxischen Kohlenwasserstoffverbindungen keineswegs ausgeschlossen werden. Bei Mehrwegartikeln kämen durch die Reinigung, Lagerung und Wiederverwendung zusätzliche potenzielle Gefahrenquellen hinzu.

Um Anforderungen an verschiedene Produktgruppen ganzheitlich abbilden und entsprechende Bewertungsparameter festlegen zu können, wurden hierbei relevante Stakeholder wie Hersteller, Behörden und Beratungsstellen von Anfang an in das Projekt einbezogen. Bei den anschließenden chemischen, mechanischen und biologischen Testungen stellte das Projektteam durch In-vitro-Versuche außerhalb lebender Organismen zudem sicher, dass keine Tiere zu Schaden kommen.

Ein Teil der Methoden konnte in Anlehnung an bestehende Normen, etwa für Medizinprodukte, entwickelt werden, wobei das überaus empfindliche Vaginalgewebe entsprechende Adaptionen erforderlich machte. Die entstandenen Teststrategien sind für verschiedene Anwendungsfälle adaptierbar: „Je nach Produkt setze ich unterschiedliche Bausteine zusammen, um möglichst viele Risiken und Sicherheitsaspekte abzudecken“, beschreibt Elisabeth Mertl, Projektleiterin am OFI, die Vorgehensweise.

Nun stehe Herstellern und Laboren ein „universell anwendbares Methoden-Set“ zur Risikobewertung zur Verfügung, das für Menstruationsprodukte unabhängig von ihrer Verwendungsart und den enthaltenen Materialien eingesetzt werden könne.

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Ramin Hasani: „Eigentlich war der Nobelpreis mein Ziel“

Von der TU Wien ging KI-Forscher Ramin Hasani in die USA. Dort gründete er ein Startup, das heute mit zwei Milliarden Dollar bewertet ist. Was kann Europa daraus lernen?
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Ramin Hasani, CEO und Co-Founder von Liquid AI. | © Luke Liu

Mehrere Jahre forschte Ramin Hasani an der Technischen Universität (TU) Wien im Bereich künstliche Intelligenz. Schon während seines Doktoratsstudiums wurde das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) auf ihn aufmerksam. Nach seinem Abschluss ging er ganz in die USA – und hat dort mit Liquid AI ein KI-Unternehmen mitgegründet, das nur zwei Jahre nach seiner Gründung mit 2,2 Mrd. US-Dollar bewertet wird. Mit Mathias Lechner gehört ein zweiter Österreicher zum Gründungsteam des MIT-Spinoffs, das eine Alternative zu den derzeit dominierenden KI-Ansätzen von OpenAI oder Google liefern will. Im Interview mit brutkasten spricht Hasani über seinen Werdegang, die Zukunft von KI und erläutert, was Europa bräuchte, damit auch hier ähnliche Erfolgsgeschichten geschrieben werden könnten.


Dieser Text ist zuerst als Cover-Story im brutkasten-Printmagazin von Juni 2025 “Neue Welten” erschienen. Eine Download-Möglichkeit des gesamten Magazins findet sich am Ende dieses Artikels.


Kein Produkt. Kein Geschäftsmodell. Kein Pitchdeck. Nicht einmal ein Unternehmen war gegründet. Und trotzdem ging Ramin Hasanis Inbox Anfang 2023 mit Angeboten von Investor:innen über. Es waren nicht bloß Gesprächsangebote; teilweise schickten die potenziellen Geldgeber komplette Term Sheets, fertig zur Unterschrift. Mit substanziellen Investmentangeboten. Aber warum wollten Venture-Capital-Gesellschaften aus dem Silicon Valley dem Mittdreißiger, der keinen Track Record als Unternehmer hatte, Millionenbeträge nachwerfen?

Ramin Hasani ist CEO und Co-Founder von Liquid AI. | © Luke Liu

Beginnen wir von vorne: Nach seinem Bachelor in Elektrotechnik an der Firdausi-Universität in Maschhad im Iran ging Hasani nach Italien. In Mailand begann er ein Masterstudium, ebenfalls in Elektrotechnik. Das war 2012. Zu dieser Zeit wurde in den USA der Grundstein für den heutigen KI-Hype gelegt – der auf künstlichen neuronalen Netzen basierende und als „Deep Learning“ bezeichnete Ansatz wurde populär. Hasani beschäftigte sich damals aber noch mit einem völlig anderen Thema: mit analogen und digitalen Schaltungen.

„Ich schrieb gerade meine Masterarbeit, da kam dieser Physik-Professor auf mich zu und sagte: ‚Ich möchte neuronale Netze, die wie Gehirne funktionieren, auf einen Chip bringen‘“, erinnert sich Hasani im Gespräch mit brutkasten. Anders formuliert: Mathematik, die beschrieb, wie Neuronen im Gehirn Signale verarbeiten, sollte als Basis für Schaltkreise dienen. „Das fand ich unglaublich faszinierend“, erinnert sich Hasani. Er begann also, Chips zu bauen, die die Funktionsweise des Gehirns nachahmten, und merkte: Der Ansatz hatte Potenzial über die Masterarbeit hinaus. Nach seinem Abschluss suchte er also nach Doktoratsprogrammen, in denen er diese Forschung vertiefen konnte. Fündig wurde er in Wien.

Von Mailand nach Wien

2015 kam Hasani nach Österreich und begann an der Technischen Universität Wien (TU) ein Doktoratsstudium der Informatik. Dort traf er Professor Radu Grosu. „Er sagte mir, dass er KI-Systeme bauen will, diesmal Software und keine Chips – und zwar inspiriert vom Gehirn eines Wurms“, erinnert sich Hasani. Die Rede war vom Fadenwurm Caenorhabditis elegans: Sein transparentes Gewebe und relativ überschaubares Nervensystem hatte Wissenschaftler:innen bereits ermöglicht, detaillierte Einblicke in die Funktionsweise dieses Organismus zu erhalten.

Doch interessant daran ist vor allem ein weiterer Aspekt: Der Wurm weist 78 Prozent genetische Ähnlichkeit mit dem Menschen auf. Hasanis Interesse war geweckt: „Wenn wir etwas über das Nervensystem dieses Wurms herausfinden, können wir vieles davon direkt auf den Menschen übertragen“, sagt er. Sein Doktorat widmete Hasani daher der Idee, künstliche neuronale Netze nach dem Vorbild des C.-elegans-Gehirns zu entwickeln. Schritt für Schritt wollte er dieses in Software nachbauen und so neue, evolutionär erweiterbare KI-Modelle entwerfen.

Bereits im ersten Jahr an der TU Wien entwickelte Hasani gemeinsam mit Professor Grosu die ersten Versionen dieser KI. Dies sorgte innerhalb der Uni für Aufmerksamkeit. Zahlreiche Studierende wollten ebenfalls mitarbeiten. Einer davon: Mathias Lechner, der im Sommer 2016 an Hasanis Bürotür an der TU Wien klopfte. Er beeindruckte Hasani rasch: „Mathias ist der fähigste Computerprogrammierer, den ich in meinem ganzen Leben getroffen habe. Ich weiß, wie man Code schreibt, aber er kann wirklich exzellenten Code schreiben.“ Hasani betreute Lechners Masterarbeit. Gemeinsam entwickelten sie den wurminspirierten Ansatz weiter, den sie „Liquid Neural Networks“ nannten. Daraus entwickelte sich eine enge Partnerschaft, die Jahre später zur Gründung von Liquid AI führen sollte.

Von Wien ans MIT

Die gemeinsame Arbeit des Duos sorgte aber schon deutlich früher für Aufmerksamkeit. 2017 erhielten Hasani und Lechner eine Einladung ans renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) – und zwar von Daniela Rus, der Direktorin des dortigen Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory (CSAIL). Dort nutzten sie ihre Liquid Neural Networks für Drohnen, Roboterarme und medizinische Vorhersagen. Hasani studierte fortan parallel an der TU Wien und am MIT. Sein Doktorat schloss er 2020 mit summa cum laude ab und übersiedelte dauerhaft in die USA. In den drei Jahren zuvor hatte er abwechselnd in Wien und in Boston gelebt.

Ab Dezember 2021 folgte für Hasani ein Abstecher in die Finanzbranche zum Vermögensverwalter Vanguard. Als Principal AI Scientist bei der US-Investmentgesellschaft lernte Hasani eine völlig neue Seite der KI-Praxis kennen. „Mein Team und ich mussten plötzlich nicht nur forschen, sondern unsere Lösungen auch in einem hochsensiblen Finanzumfeld anwenden“, erinnert er sich. Innerhalb weniger Monate wuchs sein Verantwortungsbereich: Aus einem Team von anfänglich drei Personen formte er eine rund 20-köpfige Gruppe, die sich auf Zeitreihenanalysen und Portfolio-Optimierungen spezialisiert hatte.

Von Vanguard zur Gründung von Liquid AI

Parallel dazu forschte Hasani weiter am MIT – und entwickelte den vom Fadenwurm inspirierten Ansatz weiter. Im November 2022 gelang ein Durchbruch: Hasani, Lechner und weitere Kolleg:innen veröffentlichten in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Nature Machine Intelligence“ ein Paper, in dem eine seit 1907 offene Differentialgleichung erstmals in geschlossener Form gelöst wird. Die Gleichung beschreibt, wie zwei reale Neuronen Informationen austauschen. Bis dahin mussten Forscher:innen jeden Zeitschritt numerisch simulieren – rechenaufwendig und kaum skalierbar. „Als wir sie geschlossen gelöst haben, konnten wir von 19 auf Hunderttausende Neuronen springen“, erklärt Hasani.

Die Skalierbarkeit machte Liquid Neural Networks erstmals für anspruchsvolle Aufgaben wie autonome Fahrzeuge, Edge-Geräte oder zeitkritische Finanzanalysen nutzbar. Kurz: Die mathematische Eleganz der Lösung eröffnete den praktischen Weg von der Laboridee zur industrietauglichen KI-Plattform.

Das Paper stieß dementsprechend auf starke Resonanz – nicht nur in der Fachwelt, auch bei potenziellen Investoren. Das war 2023; und nun sind wir bei der eingangs erwähnten Situation angelangt, in der Hasanis Postfach überquoll. Angesichts der zahlreichen Angebote standen er und sein Partner Lechner nun vor einer Entscheidung, von der sie so nie gedacht hatten, sie treffen zu müssen. Beide hatten sich langfristig immer in der Wissenschaft gesehen. „Mein Ziel war es eigentlich, einen Nobelpreis zu erhalten“, sagt Hasani. Doch durch das enorme Interesse von Investor:innen ergab sich nun eine neue Möglichkeit: Wollten sie den Schritt ins Unternehmertum gehen?

Rasch war klar: Die Antwort darauf lautete Ja. Hasani verließ Vanguard nach einem Jahr und acht Monaten – obwohl der Vermögensverwalter ihn mit einem „verrückten Angebot“ noch umstimmen wollte. „Ich habe gemerkt, dass wir mit unseren Liquid Neural Networks noch viel mehr erreichen können, wenn wir sie als eigenständige Lösung entwickeln“, erläutert Hasani seine Motivation. Gemeinsam mit Lechner, MIT-Professorin Daniela Rus und einem weiteren MIT-Forscher, Alexander Amini, gründete Hasani am 30. März 2023 Liquid AI am MIT-Standort in Massachusetts. Hasani fungiert als CEO, Lechner ist Chief Technology Officer (CTO).

Mit seinem Ansatz will das Unternehmen eine Alternative zu anderen Grundlagenmodellen entwickeln, wie sie etwa von OpenAI, Google oder Meta veröffentlicht werden. Diese basieren auf der sogenannten Transformer-Architektur. Der Ansatz von Liquid AI soll kompaktere Modelle ermöglichen, die weniger energieintensiv sind. So sollen sie direkt auf Maschinen, in Autos oder auf Smartphones laufen können. Anders formuliert: Sie sollen ähnlich breite KI-Fähigkeiten bieten, sich gleichzeitig aber leichter lokal anpassen und betreiben lassen.

Bewertung von 50 Millionen Dollar schon zum Start

Die erste Finanzierungsrunde folgte unmittelbar nach der Gründung, im April 2023: Fünf Millionen Dollar bei einer Bewertung von 50 Millionen Dollar – und das ganz ohne klassisches Pitch-Deck. Doch angesichts der ambitionierten Ziele und des kapitalintensiven Geschäfts mit Large Language Models (LLMs) und KI-Forschung war klar, dass mehr Geld nötig sein würde. Innerhalb weniger Monate folgte deshalb schon die nächste Finanzierungsrunde, bei der weitere 46 Millionen Dollar flossen. Das Team nutzte dieses Kapital, um die Software weiterzuentwickeln, Personal einzustellen und erste strategische Partnerschaften einzugehen.

Parallel dazu nahm Liquid AI bereits Kontakt zu potenziellen Großkunden und Industriepartnern auf. Durch diese Gespräche kristallisierte sich immer mehr heraus, wie vielseitig die Liquid Neural Networks einsetzbar sind – von generativer KI im Edge-Bereich bis zu hoch spezialisierten Analysen in der Medizin oder bei Finanzdienstleistern. Rasch arbeitete Liquid AI mit großen Namen wie AMD, Samsung oder Shopify zusammen.

Liquid-AI-CEO Ramin Hasani lebt in New York. | © Luke Liu

250 Millionen Dollar für die weitere Entwicklung

Mit den Erkenntnissen aus den Pilotprojekten, den wachsenden Beziehungen zu globalen Unternehmen sowie dem Feedback aus den ersten Implementierungen startete Liquid AI die nächste große Finanzierungsrunde. Im Dezember 2024 nahm das Unternehmen dann 250 Millionen Dollar auf. Bewertet wurde das noch nicht einmal zwei Jahre alte Startup dabei mit 2,2 Milliarden Dollar.

Investor:innen setzten also große Hoffnungen in Liquid AI. Wie aber funktioniert das Geschäftsmodell des Unternehmens? Im Wesentlichen basiert es auf drei Softwaremodulen, wie Hasani erklärt. Diese ermöglichen Unternehmen eine individuelle Nutzung der Liquid Neural Networks. Zunächst gibt es eine Pre-Training-Komponente, mit der sich komplett neue KI-Systeme von Grund auf entwickeln lassen. Anschließend erlaubt das Fine-Tuning-Modul, bereits vorhandene und vortrainierte Modelle zu personalisieren und an spezifische Use Cases anzupassen. Abschließend liefert die Serving-Komponente alles Notwendige für den reibungslosen Betrieb der KI – egal, ob sie in großen Rechenzentren, auf firmeneigenen Servern oder direkt in Geräten wie Autos, Industrieanlagen oder Smartphones eingesetzt wird.

Auf diese Weise vermarktet Liquid AI seine Technologie hauptsächlich über jährliche Lizenzgebühren und Serviceverträge, die je nach Anwendungsfeld und Datenvolumen kalkuliert werden. Darüber hinaus arbeitet das Unternehmen eng mit Industriepartnern zusammen, um maßgeschneiderte KI-Lösungen zu erstellen, die sich nahtlos in existierende Infrastrukturen integrieren lassen.

Dieser Ansatz ermöglicht es Kunden, generative und hochgradig energieeffiziente KI-Systeme in ihren eigenen Prozessen zu etablieren, ohne auf große Rechenzentren angewiesen zu sein. Gleichzeitig profitiert Liquid AI durch den Verkauf seiner Softwarelizenzen und Beratungsleistungen sowie den Zugang zu strategischen Partnern, die das Wachstum des Unternehmens weiter vorantreiben.

„Wir haben das Talent, aber uns fehlen die anderen Teile des Puzzles“

Was aber bedeutet es für Europa, wenn Menschen wie Hasani und sein Co-Founder Lechner den Kontinent verlassen, um in den USA aus ihrer Forschung milliardenschwere Unternehmen zu bauen? „Wir haben in Europa das Talent, aber uns fehlen die anderen Teile des Puzzles“, sagt Hasani, der 2022 die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten hat. Er verweist darauf, dass „mehr als die Hälfte aller grundlegenden Ideen in der KI aus Europa stammen“. Trotzdem sei hier kein Tech-Ecosystem entstanden wie im Silicon Valley. Woran liegt es also? Ein wesentlicher Faktor ist laut Hasani das Fehlen einer starken Technologieplattform in Europa, die wie ein Fundament für neue KI-Anwendungen dienen könnte. „Wir brauchen eine Plattform, auf der man schnell Lösungen aufbauen kann – so wie man heute Anwendungen auf ChatGPT aufsetzt“, erläutert Hasani. „Aktuell sind wir gezwungen, Plattformen und Tools aus den USA oder China zu nutzen.“ Für eine eigenständige europäische KI-Infrastruktur fehle es an großen Unternehmen, die entsprechende Services und Rechenressourcen unkompliziert zur Verfügung stellen.

Neben der technologischen Basis ist für Hasani vor allem das Finanzierungsklima entscheidend. „Im Silicon Valley wird in Träume investiert – dort zählt die Vision, auch wenn noch nicht klar ist, wie der Business Case am Ende aussieht“, betont er. Europa hingegen sei wesentlich risikoscheuer und setze vor allem auf Ideen, deren wirtschaftliche Verwertbarkeit bereits sichtbar ist. „Das verlangsamt den Prozess enorm, insbesondere wenn man KI-Startups aufbauen möchte, die oft jahrelang forschen müssen, bevor sich die kommerziellen Anwendungsmöglichkeiten zeigen“, erläutert Hasani.

Hasani über Europa: „Das Potenzial ist enorm“

Was braucht es also, um diesen Kreislauf zu durchbrechen? Hasani plädiert für mehr Risikokapital und eine mutigere Investitionskultur. „Wir brauchen Kapital in einer Größenordnung, die es erlaubt, auch große Projekte anzugehen“, erklärt er. Dass es in Europa durchaus viele talentierte Entwickler:innen gibt, sieht er als Chance: „Wenn sie die richtigen Bedingungen vorfinden, müssen sie nicht ins Silicon Valley abwandern, sondern können hier neue Unternehmen gründen. Das Potenzial ist enorm.“

Zugleich fordert er mehr politische Unterstützung, um solche Ökosysteme strategisch aufzubauen. Staatliche Förderungen seien zwar vorhanden, aber oft zu bürokratisch und zu gering, um mit den internationalen Tech-Giganten mithalten zu können. „Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem Startups wachsen und sich entfalten können. Das beginnt bei der Infrastruktur, setzt sich in schnellen Genehmigungsverfahren fort und endet bei der internationalen Vernetzung“, fasst Hasani zusammen.

„Modelle, die weit über menschliches Können hinausgehen“

Dass es im KI-Bereich in den kommenden Jahren zu einer rasanten Entwicklung kommt, davon ist Hasani jedenfalls überzeugt. Den Begriff AGI (Artificial General Intelligence), der häufig verwendet wird, um eine KI zu beschreiben, die intellektuelle Aufgaben auf einem ähnlichen oder höheren Niveau als ein Mensch erledigen kann, sieht er zwar eher kritisch – „das ist im Grunde ein kommerzieller Begriff“, sagt er; „stattdessen nenne ich es lieber ein ‚sehr leistungsfähiges KI-System‘.“ Damit meint Hasani eine Technologie, die das kollektive menschliche Wissen in bestimmten Bereichen übertreffen kann. Seinen Prognosen zufolge könnten wir „bereits Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres erste Modelle sehen, die in einzelnen Bereichen weit über menschliches Können hinausgehen“.

In der längerfristigen Perspektive, so Hasani, könnten solche „sehr leistungsfähigen KI-Systeme“ bis etwa 2027 in nahezu allen wissenschaftlichen Disziplinen stärker sein als die besten menschlichen Expertinnen und Experten. Er ist überzeugt, dass gut regulierte KI erhebliche Vorteile bringen kann – ob in Medizin, Forschung, Fertigung oder Verkehr.

Gleichzeitig betont Hasani, wie wichtig es sei, KI-Systeme niemals unkontrolliert agieren zu lassen. „Wir müssen sicherstellen, dass KI ein Werkzeug bleibt und nicht aus eigenem Antrieb handelt“, unterstreicht er. Aus seiner Sicht liegt der Schlüssel darin, dass Menschen Ziele und Grenzen definieren und die Systeme überwachen. Nur so könne KI im Sinne der Gesellschaft wirken, ohne sich jemals zu verselbstständigen. „Ich bin immer vorsichtig optimistisch, was die Weiterentwicklung dieser Systeme angeht.“

„Sehen Wien als potenziellen Standort für einen neuen Hub“

Wie geht es nun mit Liquid AI weiter? In den kommenden Monaten möchte Liquid AI seine Liquid Neural Networks in noch mehr Anwendungsbereiche bringen und zugleich die Entwicklung neuer generativer Modelle beschleunigen. „Wir wollen sicherstellen, dass unsere Technologie echten Mehrwert in der Praxis schafft – von der Medizin bis zur Finanzbranche“, betont Hasani. Dank der jüngsten Kapitalrunden kann das Unternehmen weitere hoch qualifizierte Talente anwerben und die eigenen Produkte auf die Bedürfnisse internationaler Großkunden zuschneiden.

Auch geografisch plant Liquid AI den nächsten großen Schritt. „Wir möchten unsere Präsenz in Europa ausbauen und sehen Wien als potenziellen Standort für einen neuen Hub“, erklärt
Hasani. Entschieden ist zwar noch nichts, die Nähe zu exzellenten Forschungseinrichtungen und das wachsende Interesse an KI-Anwendungen in der Region seien aber ideale Voraussetzungen, um Forschung und Produktentwicklung vor Ort weiter voranzutreiben. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könnte, auch selbst wieder zurückzukehren, um wieder in Österreich zu leben, antwortet Hasani ohne Zögern: „Ja, zu 100 Prozent.“ Vielleicht dann ja sogar doch noch als Nobelpreisträger.


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