12.03.2019

2Min2Mio: fernöstliche Saucen, Flatulenzen-Filter und codende Kinder

Die sechste Folge der aktuellen Staffel von "2 Minuten 2 Millionen" bot Gründer, die sich Gedanken über Blähungs-Gerüche machen, thailändische Kulinarik importieren und Pensionisten als Arbeiter beziehungsweise Kinder als Programmierer im Blick haben.
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(c) Gerry Frank - Acodemy-Gründerinnen Anna Relle und Elisabeth Weißenböck möchten Kinder zum Programmieren animieren.

Der erste Pitch des Abends in der sechsten Folge der aktuellen Staffel von “2 Minuten 2 Millionen” kam von Klaus und Tochter Anna Fuchs. Ihr Startup Chok Chai vereint Saucen, Gewürze und Pasten aus Thailand unter einer Dachmarke.  Zudem zeigt sich das Duo sozial engagiert. Das Unternehmen unterstütz aktiv kranke, missbrauchte und hilflose Kinder in Österreich und Thailand. Für die Vorstellung ihrer Idee haben die Gründer die thailändisch-stämmige Köchin Sasimas Süss mit ins Studio geholt. Sie forderten 100.000 Euro für 20 Prozent Beteiligung.

+++ Benu: 2Min2Mio-Deal wegen weiterer Interessenten noch nicht durch +++

Chok Chai bei Merkur Hoher Markt erhältlich

Die Umsätze der letzten drei Jahre betrugen bei Chok Chai 40,000, 70,000 und 100,000 Euro. Der Vertrieb der Produkte passiert über den Online-Shop, Werbemittelpartner und Einzelhandel, wie etwa beim Merkur Flagship Store am Hohen Markt in Wien. Von den Investoren stieg überraschend Hans Peter Haselsteiner als erster aus. Der Wunschinvestor des Duos ist für sein soziales Engagement bekannt. Er nannte die Idee “großartig” und wünschte dem Duo viel Glück.

Startup-Ticket für die Gründer

Während Wein-Guru Leo Hillinger sich auf Kostproben freute, schaltete sich Markus Kuntke ein, der für BIPA, Merkur und BILLA bei “2 Minuten 2 Millionen” mit dabei ist und “Startup-Tickets” (maßgeschneidertes Coaching von Verkaufs- und Marketingprofis der REWE-Group) verteilt. Kuntke hellte die Stimmung der Gründer nach Haselsteiners Ausstieg auf und lud sie zur Kooperation ein.

Überraschende Wende beim Deal

Das benötigte Kapital stand indes noch auf der Kippe. Mediashop-Chefin Katharina Schneider hatte eine Idee im Kopf. Sie überlegte beim Verkauf von Küchengeräten auf ihrem Kanal an ihre Kunden die Saucen als Geschenke zu verteilen. Allerdings bot sie nur 20,000 Euro für zehn Prozent Anteile, da der Fokus ihrerseits auf der vertrieblichen Seite und nicht beim Cash-Investment liege. Auch Leo Hillinger hatte ein Angebot: 100,000 für 25,1 Prozent Beteiligung. Er wollte sowohl Schneider als auch Martin Rohla mit ins Boot holen. Nach kurzer Beratung entschieden sich die Gründer zur allgemeinen Überraschung nur für den Deal mit der Fernseh- Marketing-Expertin.

Mit Struktur gegen Flatulenzen

Der zweite Auftritt des Abends bei “2 Minuten 2 Millionen” brachte einen Einwegpofilter, der Blähungen geräusch- und geruchlos machen soll. Oxxxo von Leopold Trimmel arbeitet dabei gegen Flatulenz-Gerüche mit einer spezielle Gewebestruktur. Ein persönliches Erlebnis auf einer Zusammenkunft hatte dem gelernten Bäcker die Idee zu seinem Startup geweckt. Das seit 2018 patentierte Produkt wird im Anus eingesetzt und entfernt sich auf natürlichem Weg wieder selbst. Trimmel forderte 300,000 Euro für 30 Prozent der noch zu gründenden Firma.

(c) Gerry Frank – Mit seiner Idee eines Po-Ventils zur Bekämpfung von Blähungs-Gerüchen konnte Gründer Leopold Trimmel keinen Investor überzeugen.

Kein “Zapferl” für Hillinger

Die Jury zeigte sich teils amüsiert, teils interessiert an der Klassifizierung des Produkts. Der Gründer selbst meinte, er würde es im Hygiene-Bereich sehen. Fehlende Studien und ein kein Prototyp sorgten jedoch für Kritik seitens der Investoren. Zudem meinte Hillinger, dass für ihn bereits ein “Zapferl” ein Problem gewesen sei und stieg aus. Schneider empfahl eine Kickstarter-Kampagne, um zu sehen, wie der Markt reagiert. Der enttäuschte Gründer blieb ohne Deal.

Silver Ager Thema bei “2 Minuten 2 Millionen”

Den dritten Auftritt des Abends legten Klaudia Bachinger und Carina Roth mit ihrem Startup WisR hin. Dabei handelt es sich um eine Online-Recruitingplattform für Silver Ager, also ältere Arbeitnehmer und Pensionisten. Dort werden projektbasierte Teilzeit und saisonale Arbeit vermittelt und Pensionisten auf Arbeitssuche mit den passenden Jobangeboten verbunden. Die Gründerinnen wollten für elf Prozent 400.000 Euro haben.

Media-Budget-Angebot von SevenVentures

Das Social Impact Startup, das vorhandene Investoren und Mitgründer Martin Melcher als Unterstützung hinter den Kulissen hatte, erregte die Neugier von Florian Gschwandtner, der rechtliche Fragen zur Pension und Arbeitserlaubnis stellte. Mitten in der Diskussion schaltete sich Daniel Zech im Namen von SevenVentures ein, der heuer wieder Media-Budget an Startups verteilt. Er bot 400.000 Euro TV-Werbebudget für zehn Prozent Anteile.

Angebote abgelehnt

Hillinger verstand zwar die stimmige Thematik des Unternehmens, hatte aber, wie schon so oft Probleme mit der Firmenbewertung. Schneider nannte sie gar utopisch. Nichtsdestotrotz bot Florian Gschwandtner, wie er es nannte, 100,000 Euro “smartes Geld” für zehn Prozent und stellte sein breites Netzwerk in Aussicht. Das Gründer-Duo zog sich zur Beratung zurück. Haselsteiner und der Runtastic-Gründer, der sich darin unnachgiebig zeigte, erwarteten, dass Bachinger und Roth verhandeln würden. Beide wurden aber eines Besseren belehrt. Die Founderinnen lehnten sowohl Gschwandtners als auch Zechs Angebot ab, machten aber dem Juror ein Gegenangebot.

(c) Gerry Frank – WisR-Gründerinnen Klaudia Bachinger und Carina Roth zeigten sich in der Verhandlunsgrunde kämpferisch.

Runtastic-Gründer ins Boot holen

Sie luden Gschwandtner ein, sich an der zukünftigen Finanzierungsrunde – mit einem zehnprozentigem Discount – zu beteiligen, da sie seine Expertise und sein Netzwerk gut gebrauchen könnten. Gschwandter stimmte den Verhandlungen zu. Wie es nach der Sendung mit WisR weiterging, kann man hier nachlesen.

Eine Schule fürs Programmieren

Acodemy hieß das nächste Startup, dass bei “2 Minuten 2 Millionen” vorgestellt wurde. Gründerinnen Anna Relle und Elisabeth Weißenböck bieten Kurse an, in denen Kinder spielend Programmieren lernen. Das Wiener Unternehmen unterrichtet bereits über 300 Kinder. Die Gründerinnen benötigte für ihren Rollout 180.000 Euro für zehn Prozent Anteile.

Die “vierte Grundfähigkeit”

Mit ihrem Motto, Programmieren als “vierte Grundfähigkeit” neben Lesen, Schreiben und Rechnen, fanden sie in Gschwandtner einen Fürsprecher. Besonders beeindruckend: Während des Pitches hatte die Schülerin Helena in der kurzen Zeit ein Spiel in der Programmiersprache “Scratch” vor laufender Kamera erstellt. Feriencamps, Workshops und 40 laufende Kurse brachten dem Startup 2018 bisher einen Umsatz von 200,000 Euro ein.

Aus eins mach zwei

Während Haselsteiner sich schwer tat, für sich selbst ein lukratives Geschäftsmodell bei Acodemy zu erkennen, lobte er die Idee und dachte über andere Wege der Unterstützung für die Gründerinnen nach. Gschwandtner sah das ähnlich, wusste aber um die Zukunftsträchtigkeit des Programmierens. Er bot zuerst 50,000 Euro für fünf Prozent und versuchte Haselsteiner wieder zu aktivieren. Der wiederum sah selbst diese Bewertung zu hoch und meinte, er hätte gern zehn Prozent für 50,000 Euro. Schlussendlich boten die Juroren von “2 Minuten 2 Millionen” gemeinsam 100.000 Euro für jeweils zehn Prozent Firmenanteile.

Zurück zum Ursprung

Das Duo zeige sich nach langer Beratung umso mehr überzeugt von seinem Konzept und lehnte Haselsteiners Offerte ab, brachte aber Gschwandtners Erstangebot wieder ins Spiel. Jener bestand auf eine Überprüfung der Firmenzahlen und schlug mit Relle und Weißenböck ein.

Mit Kashmir den DACH-Raum erobern

Den Abschluss der Sendung bildete Matthias Gebauer mit seinem Startup Direct Cashmere. Der ehemalige Fußballer der Wacker Innsbruck Jugend musste seine Sportkarriere aufgrund einer Verletzung ad Acta legen. Nun bietet er mit einem Produzenten in der Mongolei den direkten Verkauf von Kashmir-Pullovern von echten Nomaden ohne Zwischenhändler an. Vertrieben wird das Kleidungsstück über einen Online-Shop. Er wollte für 15 Prozent 180.000 Euro haben, um der größte Kashmir-Produzent im DACH-Raum zu werden.

“Verhandlungs-Hin-und-Her”

Nach Anprobe-Sessions und der Fragerunde stieg Haselsteiner als erster aus. Er sah kein Geschäftsmodell und eine zu hohe Bewertung. Schneider riet, die Pullover zu branden, investierte aber nicht, da sie nicht im Fashion-Markt daheim sei. Gschwandtner sah das Potential für E-Commerce und meinte, die Webseite gehöre optimiert. Rohla fand den Ansatz des Gründers zur großen Transparenz gut und bot für 25,1 Prozent 100,000 Euro. Gebauer wartete mit 20 Prozent für 120,000 Euro als Gegenvorschlag auf. Inklusive eines Mitspracherechts im Vertrag. Der Investor kämpfte jedoch um mehr Anteile und wollte 25 Prozent für die geforderten 120,000 Euro haben. Dieser Deal ging dann durch.


⇒ Chok Chai

⇒ Oxxxo

⇒ WisR

⇒ Acodemy

⇒ Direct Cashmere

⇒ Puls4/2Min2Mio

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Am diesjährigen Global Leaders Summit haben wir mit der dänischen Founderin Ida Tin gesprochen. Wie sie zur Mother of Femtech wurde und warum sie glaubt, Europa fehle die Vision.
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Ida Tin, Co-Founderin von Clue (c) Valerie Maltsev

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Ein Link zum Download findet sich am Ende des Artikels.

Bunte Hosenanzüge, gepaart mit hohen Absätzen, Sneakers, langen Locken und eleganten Kurzhaarschnitten – beim diesjährigen Global Leaders Summit, organisiert von the female factor und unterstützt von der Stadt Wien, gleicht das Publikum einem bunten Bällebad. An diesem ungewöhnlich warmen September­donnerstag füllt sich das Wiener Rathaus mit über 500 weiblichen Führungskräften aus 50 Nationen.

Is this how a leader looks like?

Mittendrin ragt die dänische Founderin Ida Tin aus der Menge. In einem grau-weiß gestreiften Blazer und mit elegantem Hair-Updo setzt sie kontrollierte Schritte auf den roten Teppich, der Besucher:innen den Weg ins Rathaus markiert. Links und rechts stehen weiß bezogene Stehtische, vor einer türkisen Fotowall tummeln sich Hosenanzüge. „This is how a leader looks like“ steht auf der Fotowand.

„Schriftstellerin“ ist die Berufsbezeichnung, die aus diverser Berichterstattung rund um die dänische Gründerin hervorgeht. In ihrem ersten Buch schrieb sie über Motorradreisen. In Dänemark wurde es zum Bestseller. Ihre Geschichte ist eine, die von vielen gehört und gelesen gehört – denn Ida heißt heute „Mother of Femtech“.

Mother of Femtech

Ida wurde im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro geboren und war einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Lebens auf dem Motorrad unterwegs. Mit ihren Eltern und ihrem Bruder hat sie so mehrere Länder der Welt bereist.

Zusammen mit ihrem Vater ­arbeitete sie später für Moto Mundo, einen ­ Motorrad-Reiseveranstalter. In den frühen 2000ern organisierte sie Motor­radtouren durch Vietnam, die USA, Kuba, Chile oder die Mongolei; 2009 erschien ihr besagtes Buch „Direktøs“, in dem sie von ihren Reiseerfahrungen erzählt.

Weil auf Reisen kein Tag ist wie der andere, stand Ida vor einem Problem: Woher weiß sie, wann ihre Monats­blutung kommt? Händisch mitzuschreiben ging nicht, am Motorrad war kaum Platz. Sie brauchte etwas Handliches; etwas, das immer dabei ist. Und etwas, das selbst mitdenkt.

Ida kam auf eine Idee – ­ wenige Jahre später startete sie eine der weltweit ersten Tracking-Apps für Frauengesundheit. Ida gründete Clue als App für menstruierende Personen im Jahr 2012 in Berlin, gemeinsam mit Hans Raffauf, Moritz von Buttlar und Mike LaVigne. Über die Jahre wurde Clue zu einer der berühmtesten Apps unter Menstruierenden. Damit schuf Ida eine technologische Lösung zur Verbesserung von Frauengesundheit – eine Femtech-Lösung.

Forgive me, but I think there is a little bit of a lack of vision for Europe.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Zurück am Global Leaders Summit höre ich Ida zu, wie sie auf der Global Stage des Großen Festsaals im Wiener Rathaus spricht. Ida setzt ihre Worte gezielt; im Trubel des Summits sticht sie nicht mit Lautstärke hervor, sondern mit Präsenz. Ohne ihre Stimme zu heben, finden Idas Worte ihren Weg durch die Geräuschkulisse des Festsaaltreibens. Sie spricht von einer Reform unseres Ökosystems.

„Let’s invite men into our world“ und „Sense your body, pay tribute to your mental health“ sind nur zwei der Aussagen, die man selten von Gründer:innen im Business-Kontext hört. Mit dem Aufbau ihres Unternehmens hat sie den Begriffen „Gründung“ und „Unternehmensführung“ eine neue Bedeutung verliehen. Sie hat sie menschlicher gemacht.

Nach dem Panel bleibt Zeit für ein kurzes Interview. Wieder schafft es Ida, mit bewusst gesetzten Wortkombinationen eine wichtige Message zu kommunizieren: „Wir müssen aufpassen, was wir als erfolgreich betrachten. Früher war Erfolg Geld, ein hoher Return on Investment; noch größere Finanzierungsrunden. Doch wenn wir ehrlich sind, ist der eigent­liche Reichtum unsere Gesundheit.“

Wie ein System funktioniert

Unverkennbar geht es in unserem Gespräch nicht nur um Geld: „Mehrere Studien zeigen, dass Investitionen in die Gesundheit von Frauen die Wirtschaft ankurbeln. Erst dieses Jahr hat McKin- sey einen Report herausgebracht, der zeigt: Wir würden uns jedes Jahr eine Billion Dollar sparen, wenn die Gesundheitsbedürfnisse von Frauen an- gemessen erfüllt würden.“

Ida zeigt in unserem Interview, dass sie das Thema bewegt: „Frauengesundheit ist teuer, gar keine Frage. Aber wir wissen mittlerweile auch: Wenn es Frauen gut geht, geht es ihren Unternehmen gut, ihren Familien und schließlich auch der Gesellschaft. Viel­fältige Teams begünstigen integrative Unternehmen, bringen weniger Voreingenommenheit und tatsächlich bessere Geschäftsergebnisse.“

Als ob das nicht schon selbsterklärend genug wäre, betont Ida mit einem Kopfnicken: „Wenn wir also Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.“

“Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und engstirnig.”

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Gesundheit!

Dass das in der Corporate-Bubble schwierig umzusetzen ist, weiß Ida. Auch alle bunten Hosenanzüge, die sich zum Global Leaders Summit im Wiener Rathaus versammelt haben, wissen es. Dass nicht tatenlos zugesehen werden darf, wie Frauen, ihre Gesundheit und ihr Potenzial im Unternehmertum vernachlässigt werden, weiß auch jede vor Ort.

„Wir wissen doch alle, dass man mehr Perspektiven in Führungsebenen bringt, wenn man Frauen dort reinsetzt. Wenn man sie einfach machen lässt und niemanden zu formen versucht. Wir leben in einer Kultur, vor allem in der Tech-Szene, in der wir Menschen formen. Du stellst jemanden an, du formst dir deine Arbeitskraft so, wie du sie willst, drückst sie in interne Strukturen. Du etablierst Arbeitsmodelle, die sich nach 40 Wochenstunden richten und Menschen gesundheitlich belasten. Und nicht selten endet das im Burnout. Ich denke, wir müssen uns in dieser Hinsicht mehr am Gesundheitsaspekt unserer Arbeit orientieren. Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“, so Ida.

Wenn wir Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Langsam lasse ich mir Idas Worte durch den Kopf gehen. „Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“ Ja, der Satz kommt wahrlich aus dem Mund einer der erfolgreichsten Founder:innen unserer Zeit. Das ist das Mindset jener Unternehmerin, die mit ihrer Tracking-App den Begriff Femtech prägte und den Grundstein für eine ganze Branche schuf. Sogar Apple war von Idas Technologie begeistert und bat um Zusammenarbeit.

Idas Mindset kommt nicht von irgendwo: „Meine Eltern waren ein Beispiel für Menschen, die genau das taten, was sie wirklich gerne machten; auch, wenn das in den Augen mancher als verrückter kleiner Traum schien. Mit ihrem Traum haben sie sich immerhin ihren Lebensunterhalt verdient. Und ich denke, wenn einem als Kind die Chance gegeben wird, die Welt zu sehen, bekommt man ein Gefühl dafür, wie viele Realitäten es da draußen gibt; und wie viele Dinge miteinander verknüpft sind.“

Der Mangel an Vision

Stichwort Verknüpfung: Sollten wir nicht zuerst anfangen, auf nationaler Ebene zu denken, bevor wir uns die ganze Welt vorknöpfen? Ida sieht das anders:

„Wie soll ein kleines, noch so starkes Land in einem schwachen Europa überleben? Wenn es zu politischen Unruhen auf europäischer Ebene kommt, sind wir alle verwundbar. Wenn die Wirtschaft in Europa zusammenbricht, werden auch einzelne Staaten zusammenbrechen. Es macht keinen Sinn, in nationalen Einheiten zu denken. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns in Zukunft versorgen können. Wir müssen ein bisschen mehr an unseren Planeten denken. Ich glaube, es mangelt an einer Vision für Europa; und an gutem Storytelling.“

Der neue Erfolg

Ida redet Klartext über Tatsachen, die eigentlich jeder kennt, aber niemand wirklich wahr­ haben möchte. Mit einem weiteren Kopfnicken teilt sie Lösungsansätze:

„Wenn wir unsere Wirtschaft in etwas Nachhaltiges verwandeln wollen, müssen wir Erfolg neu definieren. Zurzeit feiern wir Investments, wir feiern finanzielle Rendite. Wir feiern Unicorns. Aber die Welt verlangt nach einer mehrdimensionalen Vorstellung von Erfolg.“

Ida meint: sich selbst nach eigenen Maßstäben als erfolgreich zu bezeichnen; Gesundheit als Erfolg zu bezeichnen. Und: „Unternehmen aufzubauen, in denen Menschen gesund sein können, in denen Menschen offen queer sein können, in denen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenkommen; in denen man sie nicht zwingt, Alkohol zu trinken – und in denen eine integrative Kultur geschaffen wird.“

Wir brauchen weniger

Mit Clue hat Ida genau das versucht, und zwar mit einem der wohl umstrittensten New-Work-Themen unserer Zeit: der Vier-Tage-Woche. „Wir haben gesehen, dass unsere Leute an vier Tagen in der Woche genauso viel geleistet haben wie an fünf.“

Ida bot ihrem Team neben vier Arbeitstagen damit auch drei freie Tage, die Möglichkeit für Side Projects und mehr Zeit für Sport, Familie und Ruhe. „Viele hatten das Gefühl, dass ihr Leben eine ganz neue Qualität gewonnen hat. Und zusätzlich gibt es auch eine Menge an Studien und Daten, die zeigen, dass das funktioniert“, so Ida.

Wie in Island

So wie in Island, wo seit 2020 51 Prozent der Arbeitnehmenden reduzierte Wochenarbeitszeiten von 35 bis 36 Stunden bei gleichem Lohn wie zuvor hatten. Heute soll der Anteil noch etwas höher liegen, heißt es von einer Studie des britischen Autonomy Institute und der isländischen Association for Sustainability and Democracy (Alda). Im vergangenen Jahr soll die Wirtschaft Islands um fünf Prozent gewachsen sein – damit verzeichnet der Staat eine der höchsten Wachstumsraten in Europa.

In Idas Office gab es an den vier Arbeitstagen außerdem schuhfreie Zonen, einen Meetingraum ohne Tisch sowie Schwimm- und Fitnessstunden für ihre Mitarbeiter:innen. „Es sind die kleinen Dinge, die die Leute zusammen und zum Lachen bringen. Irgendwann hatten wir sogar eine Vorstandssitzung im tischlosen Raum.“

Kannst du acht Stunden am Tag sitzen?“ Ida reißt mich aus meinem kurzen Tagtraum. „Ich kann es nicht!“, wirft sie hinterher. „Auch jeder Sportler weiß, dass man Erholung braucht, um Höchstleistung zu erbringen. Warum sollte man das als arbeitender Mensch also vernachlässigen?“

Die Planeten-Perspektive

Nach fast 40 Minuten werden wir von zwei bunten Hosenanzügen unterbrochen. Die Zeit für das Interview ist um, das nächste steht an. Eine Frage fehlt uns aber immer noch: Wie lässt sich unsere Gesellschaft nun nachhaltig umbauen?

„Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und sie macht uns engstirnig. Niemand auf diesem Planeten muss exorbitant viel besitzen. Alles über einem bestimmten Betrag könnte in Klimafonds fließen, in Sozialprojekte, in die gerechte Verteilung von Vermögen. Die Monopolisierung von Reichtum schafft ein großes demokratisches Problem; und schließlich auch ein Problem für Innovation.“

Was uns Ida sagen will: Man kann keine Gesellschaft aufrechterhalten, in der zu wenige zu viel und zu viele zu wenig haben. „Ich wünsche mir, dass wir an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Manchmal frage ich mich: Warum haben wir nicht eine gemeinsame Marke für unseren Planeten? Einen gemeinsamen Plan mit einer gemeinsamen Perspektive. Das wäre etwas, das uns in unserem Tun sicherlich einiges an Klarheit und Ambition geben würde.“

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