27.07.2017

Wiener Stadtwerke: Chat-Dienst Grape für 9000 Mitarbeiter

Mit den Wiener Stadtwerken gewinnt das Wiener Startup Grape einen weiteren Großkunden. Die Pilotphase ist abgeschlossen, nun folgt der Rollout auf rund 9000 Mitarbeiter der elf Tochterunternehmen.
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Grape, TEC, WhatsAPP
(c) Grape - Die beiden Gründer Felix Häusler und Leo Fasbender möchten mit ihrer App Firmen-Chats erobern und können nun ein strategisches Investment vorweisen.

“Wir hatten einen Pilotversuch mit 50 Mitarbeitern geplant. Aber Grape funktioniert noch wesentlich besser, als wir erwartet hatten. Nach einem dreiviertel Jahr nutzen es bei uns bereits rund 500 Mitarbeiter”, erzählt Rainer Kegel, CIO der Wiener Stadtwerke. Bereits Mitte 2016 startete die Kooperation mit dem Wiener Startup Grape. Im Herbst begann dann das Pilotprojekt mit Mitarbeitern der elf Tochterunternehmen des Großkonzerns, der sich im Besitz der Stadt Wien befindet und zu dem unter anderem Wien Energie und die Wiener Linien gehören. Nun ist der Pilotversuch abgeschlossen. “Wie bei einem Großkonzern üblich, sind jetzt noch einige Nacharbeiten zu erledigen, aber dem geplanten Rollout auf 9000 Mitarbeiter steht nichts mehr im Wege”, sagt Kegel. In der Endausbaustufe sollen bis zu 15.000 Mitarbeiter des Konzerns den Chat-Dienst nutzen – das sind fast alle Angestellten.

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Sicherheit: Eigene Server statt Cloud

Grape erfreut sich bei Institutionen und Konzernen immer größerer Beliebtheit, weil es im Gegensatz zu vergleichbaren Chat-Diensten nicht Cloud-basierend ist. Bei den maßgeschneiderten Lösungen des Wiener Startups wird die Kommunikation auf den internen Servern des Kunden gespeichert. “Die Wahl Donald Trumps hat dieses Thema für Konzerne und Institutionen noch spannender gemacht”, sagt Grape Co-Founder und COO Leo Fasbender im Gespräch mit dem Brutkasten. Er erzählt von einem brisanten Fall: “In einem österreichischen Ministerium wurde ein sehr sicheres Mail-System eingeführt. Weil es aber mit vielen Passwortabfragen und Sicherheitschecks extrem kontraintuitiv ist, nutzen die Mitarbeiter für die interne Kommunikation nun hauptsächlich WhatsApp.” Vertrauliche Informationen lägen dadurch auf US-Servern des Mutterkonzerns Facebook. Dem Ministerium habe man natürlich ein Angebot unterbreitet, sagt Fasbender.

(c) Grape: Das Team

Natural Language Processing überzeugt

Für die Wiener Stadtwerke war natürlich nicht nur der Sicherheitsaspekt für die Wahl des Chat-Service ausschlaggebend. “Erstens fasst Grape die gesamte Projektkommunikation aus unterschiedlichen Kanälen zusammen. Man hat dadurch einen Überblick und das spart sehr viel Zeit”, erklärt Rainer Kegel. Zweitens habe ihn vor allem die Natural Language Processing-Technologie von Grape überzeugt, die aber gegenwärtig noch nicht implementiert sei. Das Tool filtert dabei automatisch relevante Informationen aus dem Chat heraus. “Wenn irgendwo in einer von unzähligen langen Mails am Tag ein ToDo steht, besteht die Gefahr, dass man es überliest. Grape filtert automatisch Task, Ort und Zeit heraus und und zeigt es einem an”, sagt Kegel. Den Grund dafür, dass schon während des Pilotversuchs so viele Mitarbeiter überzeugt wurden, sieht er in der Vereinfachung vieler Kommunikations-Vorgänge. “Es ist wie beim Smartphone. Zuerst konnten sich die meisten nicht vorstellen, das es einen großen Mehrwert bringt. Als es dann da war, wollten alle eines haben”, sagt Kegel.

“Zwei Drittel der weltweiten Großkonzerne betreiben ‘Kommunikation 1.0’. Sie nutzen zu 100 Prozent E-Mails. Aber jetzt gibt es eine Aufbruchsstimmung, die uns nutzt”

Fokus auf den deutschen Markt

Die Kooperation bedeutet für Grape einen weiteren großen Schritt. Andere Großunternehmen wie etwa die Austria Presse Agentur (APA) nutzen den Dienst bereits seit einiger Zeit. “Zwei Drittel der weltweiten Großkonzerne betreiben ‘Kommunikation 1.0’. Sie nutzen zu 100 Prozent E-Mails. Aber jetzt gibt es eine Aufbruchsstimmung, die uns nutzt”, sagt Leo Fasbender. Man habe derzeit mit einigen weiteren Großkunden Pilotprojekte laufen. Bei ein paar sei man bald soweit, mehr kommunizieren zu können. “In Österreich sind wir jetzt schon sehr gut ausgebreitet. Nun fokussieren wir stark auf den deutschen Markt”, sagt der Grape-Co-Founder. Mit zwei international Tätigen deutschen Anwaltskanzleien habe man etwa bereits Projekte. Gespräche führe man derzeit auch mit zwei deutschen Krankenhäusern.

Fünf große Verticals

“Im Health Care-Sektor sehen wir sehr großes Potenzial. Die Implementierung ist aber bei den vorhandenen Strukturen sehr kompliziert”, sagt Fasbender dazu. Den Gesundheitbereich macht er als einen von fünf entscheidenden Verticals für Grape aus. Dazu kommen Utility-Unternehmen wie die Wiener Stadtwerke, Firmen im Rechtsbereich, wie die genannten Anwaltskanzleien und Medien-Unternehmen wie die APA. Besonders viel Potenzial sieht Fasbender aber im fünften Vertical, der öffentlichen Verwaltung. Das oben genannte Ministerium sei dabei nur ein Beispiel. “Es gibt hier insgesamt ein riesiges Einsparungspotenzial durch Zeitersparnis, das natürlich auch für den Steuerzahler relevant ist”, erklärt er. Auch in diesem Bereich gebe es bereits Pilotprojekte und Gespräche.

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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