28.10.2016

Startups – die Anti-Aging-Kur für alte Unternehmen

Immer mehr Unternehmen setzen auf kreative Ideen von außen. Auch Konzern-initiierte Akzeleratoren oder Inkubator-Programme kommen in Mode. „Corporate Innovation“ ist kein Fremdwort mehr. Von Theresa Sophie Breitsching.
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(c) fotolia.com - animaflora

Die Uhr tickt. Viele Unternehmen erkennen bereits, dass sie ihre Geschäftsmodelle in Zeiten der Digitalisierung anpassen und innovativer gestalten müssen. Dabei brauchen sie allerdings oft Hilfe: Festgefahrene Konzernstrukturen sind schwer aufzubrechen, innovative Ideen wachsen aber bei flachen Hierarchien und flexiblen Zugängen schneller. Dass man darauf auch ein Businessmodell bauen kann, hat der risikokapitalgeber Speedinvest erkannt – und selbst ein Startup gestartet. „Das Speedstartstudio, in dem neben Speedinvest auch andere Investoren aus dem Corporate-Bereich investiert sind, dient uns als Company Builder für Unternehmen, die Innovationsthemen lösen wollen“, erklärt Marie-Hélène Ametsreiter. Sie weiß, dass Innovationsthemen innerhalb einer starren Struktur oft nicht umgesetzt werden können. „Oft wissen Corporates sehr genau, was sie tun müssten – aber im eigenen Korsett schaffen sie es nicht, diese Themen umzusetzen und zu adressieren.“

+++ Dossier: Corporate Innovation +++

Unterschiedliche Erfahrungen

Hier setzt das Speedstartstudio an, wo rund 30 Entrepreneure kreativ werden und Auftragsprodukte oder Services für Unternehmen entwickeln können. „Je regulierter ein Corporate ist, desto wichtiger ist es, dass das Startup frei und flexibel agieren kann.“ Damit möglichst wenige Hürden zu überwinden sind, ist der Corporate-Partner Minderheitsanteilseigner in Gemeinschaftsprojekten mit dem Speedstartstudio. Hinzu kommt, dass es sich etablierte Marken oft nicht erlauben können, halb fertige Produkte zu lancieren, um auszutesten, wie potenzielle Kunden darauf reagieren. Ametsreiter hat verschiedene Erfahrungen gemacht: „Es gibt Unternehmen, bei denen funktioniert Innovation nicht von innen heraus, weil man sich selbst im Weg steht.

Innovationsfreudige Risikokultur

Aber es gibt auch immer Ausnahmen, wo eine innovationsfreudige Risikokultur bereits seit vielen Jahren gepflegt wird.“ Eine Lösung, wie man Startups auslagern, aber dennoch an sich binden kann, hat A1 für  ich gefunden. Am A1 Startup Campus in der Treustraße im 20. Wiener Gemeindebezirk sind vor über einem Jahr Startups eingezogen, die Infrastruktur, Know-how und Netzwerk des Telekommunikationskonzerns nutzen sollen. „Beide Seiten profitieren voneinander: Das Startup kann auf Expertise und Netzwerke zugreifen, während das Unternehmen einen direkten Zugang zu Innovationen hat“, meint A1-Technikvorstand Markus Grausam. Dass es junge Unternehmen leichter haben, innovativ zu sein, liegt für Grausam auf der Hand: „Startups haben auch keine Vergangenheit.“

Redaktionstipps

Eine große Konkurrenz

Schwer getroffen hat die Digitalisierung die Bankenbranche. Herkömmliche Banken haben aufgrund der Vielzahl an Fintechs, die in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen sind, mitunter die größten Herausforderungen zu meistern. Vor rund drei Jahren startete die Erste Bank daher den „Erste Hub“ und einen breit gefächerten Change- und Innovationsprozess innerhalb des Konzerns. „Wir wollten die Innovation von innen heraus entstehen lassen, da wir damit unsere Firmenkultur am besten verändern können“, erläutert Erste-Group-Vorstandsmitglied Peter Bosek die Maßnahmen. „In den letzten Jahren hat sich das Umfeld, in dem wir tätig sind, dramatisch gewandelt. Heute konkurrieren wir nicht nur mit anderen Banken, sondern auch mit cleveren, reaktionsschnellen Fintech-Unternehmen, die weltweit aus dem Boden schießen und uns einen Teil unseres Geschäfts abjagen wollen“, so Bosek.

Fehlende Innovation

Die Digitalisierung bietet Unternehmen viele Möglichkeiten, von denen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) profitieren könnten. Allerdings kommen Studien zum Schluss, dass gerade der Mittelstand mit der Industrie 4.0 wenig anfangen kann. Durch fehlende Investitionen bleiben Chancen ungenutzt. Das Speedstartstudio hat durch seinen Sitz in Vorarlberg eine natürliche Nähe zu den dort ansässigen KMU, die auch eine logische Zielgruppe für das Speedstartstudio darstellen. Doch mit dem neuartigen Geschäftsmodell des Studios tut sich der eher konservative Mittelstand schwer.

Nicht die Augen verschließen

Ein Modell, bei dem Risikokapital eingesetzt wird, um neue oder verbesserte Geschäftsprozesse zu entwickeln, ist ungewohnt. „Es ist tatsächlich so, dass wir uns in der Akquise bei den KMU schwergetan haben“, erklärt Speedinvest-Partnerin Ametsreiter. „Die Risikobereitschaft, Geld in die Hand zu nehmen, war nicht groß genug.“ Allerdings: Die Digitalisierung wird auch die KMU vor neue Herausforderungen stellen. Um Chancen und Möglichkeiten zu nutzen, sollte man nicht die Augen davor verschließen. Innovation ist notwendig, um ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufzubauen.

+++ Anteile – die neue Währung +++

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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