31.07.2017

Michael Tillian: “Ziel ist der Erwerb und das Halten von Mehrheiten”

Michael Tillian, nunmehriger Co-Geschäftsführer der neuen Russmedia Digital-Holding, beantwortete dem Brutkasten einige Fragen. Russmedia hatte angekündigt, in den kommenden fünf Jahren 100 Millionen Euro im Digitalbereich zu investieren.
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Michael Tillian: 10 Forderungen zur Unternehmerpolitik
(c) Valerie Voithofer: Michael Tillian

Michael Tillian begann seine Medien-Karriere mit 27 Jahren in der Grazer Styria Media Group, zu der etwa die Tageszeitungen Die Presse und Kleine Zeitung oder das Portal willhaben gehören. Horst Pirker, der damalige CEO, wurde rasch zu seinem Mentor. Mit 31 wurde Tillian Vorstand der Styria Multi Media Gruppe, in der damals alle Zeitschriften der Styria und die Beteiligung am „WirtschaftsBlatt“ enthalten waren. Aus dieser Funktion konnte DLA Piper, eine global agierende Wirtschaftsanwaltskanzlei, Michael Tillian als Anwalt und Managementkapazität für sich gewinnen. Doch der Ruf der Medienwelt ließ nicht lange auf sich warten: Tillian wurde Vorstand der Regionalmedien Austria AG (RMA), einem Joint Venture von Styria und Moserholding mit 127 Gratis-Wochenzeitungen und einer Reichweite von über 3,6 Mio. Lesern in Österreich. Unter der Führung von Tillian wurde die RMA-Gruppe neu strukturiert und auf Wachstum ausgerichtet. In weiterer Folge übernahm Tillian nach Magazinen und Wochenzeitungen die Verantwortung für die nationalen Styria-Tageszeitungen „Die Presse“ und „WirtschaftsBlatt“ als Vorsitzender der Geschäftsführung.

Im Oktober 2014 legte Tillian nach 14 Jahren Tätigkeit für die Styria Gruppe als Manager und Anwalt all seine dortigen Management Funktionen zurück und stieg im Rahmen eines Management-Buy-in als geschäftsführender Gesellschafter in das Technologie- und Medienunternehmen MaxFun Sports ein, um selbst Unternehmer zu werden. Er zog diesen Weg laut Insidern mehreren lukrativen Angeboten aus der Medienwelt vor, übernahm aber einige Beratungs- und Aufsichtsratsmandate im In- und Ausland bei Druck- und Medienunternehmen. Im Mai 2017 beteiligte sich Tillian im Rahmen des Management-Buy-out auch am Brutkasten, dem Medium für digitale Wirtschaft, Startups und Innovation. „Weil ich an das Produkt, den Gründer und sein Team uneingeschränkt glaube und weil das Thema so spannend und zukunftsweisend ist“, sagte Tillian dazu.

Nun wird er der Sprecher der Geschäftsführung der neu gegründeten, wachstumsorientierten Digital-Holding der Vorarlberger Russmedia Gruppe. Diese will in den kommenden fünf Jahren innerhalb Europas 100 Millionen Euro in Digitalunternehmen investieren – der Brutkasten berichtete. Ein Fokus soll dabei auf E-Commerce liegen. Tillian hat mit dem Brutkasten exklusiv über Hintergründe und Pläne der neuen Russmedia Digital-Holding gesprochen.

+++ 100 Mio Euro in 5 Jahren: Voralberger Russmedia startet Investitionsoffensive +++


Russmedia bezeichnet sich als “das progressivste Multi-Nischen-Medienunternehmen Europas”. In der bunten Medienlandschaft ist das eine gewagte Ansage.

Russmedia ist ein internationales Familienunternehmen mit fast 100-jähriger Tradition. Ich erlebe das Unternehmen innovativ, schnell und stark am Puls der Zeit. An 28 Standorten in Europa arbeiten mehr als 1.450 Mitarbeiter. Dabei konzentriert sich das Unternehmen auf regional oder thematisch klar definierte Segmente und agiert mit einem sehr hohen Spezialisierungsgrad äußerst konzentriert und ausdauernd in den jeweiligen Nischen. Unter „Nischen“ verstehen wir übrigens eng definierte Zielgruppen und/oder Tätigkeiten.

Worin liegt die Stärke von Russmedia?

Aus meiner Sicht ist es eine Mischung aus permanenter Suche nach Erneuerung und einer sehr fokussierten Art, Neues höchst effizient und rasch umzusetzen. Eugen Russ ist der Motor des Unternehmens. Er und sein großartiges Team beobachten seit vielen Jahren internationale Best-Practice-Beispiele, um Veränderungen frühzeitig zu erkennen und diese zukunftsgewandt und offen im eigenen Unternehmen zu implementieren. Veränderungen werden als Chance gesehen und ich erlebe das Führungsteam sehr unternehmerisch, exzellenzgetrieben und kämpferisch. Spitzenleistungen werden verlangt und erbracht. Ich glaube ein großer Erfolgsfaktor ist auch die Schnelligkeit, die ich in der Zusammenarbeit im unternehmerisches Denken und Handeln erlebe.

Das internationale Digitalgeschäft soll nun in der Russmedia Digital-Holding gebündelt werden. Was heiß das strategisch für Russmedia und was ist die genaue Aufgabe der Digital-Holding?

Wir haben klare Ziele formuliert und sehen den Erwerb und das Halten von strategischen Beteiligungen, und zwar von Mehrheiten, an digitalen Unternehmen als unsere erste Aufgabe. Unsere Aufgabe wird also das Management und die Führung der bereits vorhandenen Unternehmen bzw. Beteiligungen und die Akquisition, Integration und Führung von neuen strategischen Beteiligungen. Weiters wollen wir auch reine Finanzbeteiligungen eingehen. Die Digital Holding führt also das Beteiligungsmanagement, M&A sowie das strategische und operative digitale Geschäft außerhalb Vorarlbergs und im non-publishing-Bereich mit Schwerpunkt Marktplätze und Aggregatoren. Wir haben klare Wachstumsziele und wollen insbesondere auch international mit Fokus auf Europa wachsen.

“Wir werden nach fünf Jahren ein tolles, erfolgreiches Team und ein ebensolches Portfolio haben und daran werden wir uns auch messen.”

Was wird dabei Ihre Aufgabe sein? Woran werden Sie gemessen?

Ich führe die Digital Holding gesamthaft gemeinsam mit Eugen Russ und Josef Kogler als Geschäftsführer und vertrete das Unternehmen als Sprecher der Geschäftsführung nach außen. Wir werden ein gutes Team aufbauen, die bestehenden Unternehmen entwickeln und zahlreiche Beteiligung an digitalen Unternehmen in ganz Europa erwerben. In das digitale Wachstum sollen in den nächsten fünf Jahren 100 Mio. Euro investiert werden. Wir werden nach fünf Jahren ein tolles, erfolgreiches Team und ein ebensolches Portfolio haben und daran werden wir uns auch messen.

Woher stammen die 100 Millionen Euro?

Diese Mittel sind Eigenkapital und stammen ausschließlich aus der Russmedia Gruppe.

Es wurde auch kommuniziert, dass Russmedia gemeinsam mit Speedinvest einen Spezial-Fonds auflegen wird. Sollen alle 100 Millionen Euro in diesen Spezial-Fonds fließen?

Die Details zum Medien-Fonds werden zu einem späteren Zeitpunkt kommuniziert. Der größte Teil der 100 Millionen Euro werden allerdings nicht in den Fonds fließen sondern werden direkte Investitionen der Russmedia in das nachhaltige digitale Wachstum des Unternehmens sein.

Zur Investitionsstrategie: In welche Geschäftsmodelle oder Technologien will Russmedia investieren?

Der inhaltliche Fokus liegt im Bereich Marktplätze, E-Commerce und Conversational Commerce, sowie Tools und Services, die an diese Themen anschließen. Marktplätze stehen im Zentrum unseres Investmentansatzes. Ziele sind dabei Marktplätze mit einem vertikalen  bzw. Nischen-Fokus, das bedeutet, dass diese Unternehmen ihre Angebote auf Waren oder Dienstleistungen aus Geschäftsfeldern einer Wertschöpfungskette einer bestimmten Branche spezialisieren. Dazu gehören auch „SaaS enabled Marketplaces“. Ein weiteres Zielsegment sind Nischen und vertikale Segmente im Bereich E-Commerce, insbesondere die Verschmelzung von E-Commerce und Marktplatz sowie Conversational Commerce, also die Nutzung von Chat, Messaging, oder anderen Sprachoberflächen, um zu interagieren. Wir haben dabei B2B und B2C im Investmentfokus. Aber unser erster Schritt wird sein, sehr zeitnah ein hervorragendes Team in der Digital Holding aufzubauen, um unsere Vorhaben erfolgreich umzusetzen.

“Wir streben eine Mischung aus Finanzbeteiligungen mit Exitorientierung und langfristigen, strategischen Investments an.”

Sind die Investitionen langfristig angelegt oder steht kurzfristige Monetisierung im Fokus?

Wir sind zu beidem bereit, wenn die Investition passt. Wir streben eine Mischung aus Finanzbeteiligungen mit Exitorientierung und langfristigen, strategischen Investments an. Wobei bei letzteren unser Schwerpunkt liegen wird, weil es vor allem um den langfristigen, nachhaltigen digitalen Ausbau der Russmedia Gruppe geht.

+++ Business Angel Philipp Kinsky: “Die teuerste Währung eines Gründers sind Anteile” +++

Wird die Holding auch in Startups investieren oder sind größere Tickets geplant?

Wir empfehlen den Startups im pre-seed und seed-Bereich Kontakt mit Speedinvest aufzunehmen. Wir suchen tendenziell eher Unternehmen, die schon etwas weiter sind, also eher Series-A und B Finanzierungen und auch insbesondere strategische Beteiligungen.

Wer ist aus Ihrer Sicht die Konkurrenz?

Alle, die sich im Bereich Marktplätze, E-Commerce und Conversational Commerce, sowie Tools und Services, die an diese Themen anschließen, engagieren und beteiligen wollen, können entweder Mitbewerber oder Partner sein. Wir sind sehr offen dafür, gute und unternehmerische Partner zu sein. Wir streben win-win Konstellationen an und haben den entscheidenden Vorteil äußerst schnell und flexibel entscheiden zu können.

Wo sehen Sie die Russmedia in 10, 20 Jahren?

Ich spreche nur für einen Teil der Russmedia Gruppe, eben für die Digital Holding. Mit ihr wollen wir dann im Bereich Marktplätze, E-Commerce und Conversational Commerce, sowie bei angrenzende Tools und Services in Europa eine starke und führende Rolle spielen. Die Gesamtgruppe soll dann im Digitalen noch weiter sein. M&A, Beteiligungserwerbe und das Eingehen von unternehmerischen Partnerschaften werden ein wesentlicher Teil der Kultur und des unternehmerischen Alltags sein. Ich hoffe es wird uns gemeinsam mit dem Führungsteam gelingen, dass das Digitale und die vorhin genannten Themen Teil des genetischen Codes der Russmedia Gruppe sein werden.

Im Rahmen der Gründung der Digital-Holding hat sich Russmedia an Ihrem Unternehmen MaxFun beteiligt. Was bedeutet Ihr Wechsel für MaxFun?

Ich bleibe Gesellschafter und suche zur Verstärkung einen operativen, marktgetriebenen Geschäftsführer. Im besten Fall mit Erfahrung aus dem Sport- und digitalen Medienbereich. MaxFun Gründer Werner Sallinger bleibt ebenfalls Geschäftsführer und ist weiterhin Motor für die technische Entwicklung und auch am Markt. Dort müssen wir im Vertrieb und in der Internationalisierung aber noch mehr tun und dafür brauchen wir eine starke Person als zusätzliche Verstärkung.

“Es geht dabei um einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag.”

Welche Summe wird Russmedia investieren? Sind Sie mit der Bewertung zufrieden?

Die MaxFun ist stark bewertet und wird mit ausreichend Wachstumskapital ausgestattet, um weiteres Wachstum und eine weitere Internationalisierung zu schaffen. Es geht dabei um einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag. Die neue Konstellation ist eine hervorragende Basis für die weitere Entwicklung der MaxFun.

Was genau macht MaxFun? Was ist das Geschäftsmodell? Worin liegt der USP?

Wir erbringen automationsunterstützt Dienstleistungen an Sportveranstalter. Wir organisieren das Teilnehmer-Management, insbesondere die Anmeldung und Zahlung sowie die Zeitmessung bei Wettbewerben mit einer neuen Technologie. 2017 wird MaxFun die Zeitmessungen für ca. 350.00-400.000 Läufer in Österreich, Deutschland und Tschechien machen. Weiters betreibt MaxFun mehrere Internetplattformen, auf denen Medien- und Werbeleistungen erbracht werden. Das ist Österreichs führende Laufsportplattform www.maxfunsports.com, weiters unser Shop www.maxfunshop.com sowie unsere digitales Anmeldesystem www.anmeldesystem.com und wir versenden Newsletter. In einem starken Laufsportmonat haben wir ca. 300.000 – 400.000 Visits bzw. etwa 4.200.000 Page Impressions laut Österreichischer Web Analyse (ÖWA) und erreichen ca. 290.000 Newsletter Abonnenten und ca. 37.000 Facebook Fans. Alle unsere User sind Läufer oder Laufsportinteressierte. Wir treffen und begleiten die Zielgruppe ganz genau in einem 360 Grad Modell ohne Streuverlust und haben dabei mehrere analoge und digitale Erlösströme.

Könnten Sie eine Zwischenbilanz ziehen? Sie sind im Herbst 2014 eingestiegen, was hat sich seitdem bei MaxFun getan und was sind die nächsten Schritte?

Wir haben es geschafft ein super Team aufzubauen, konnten die Umsatzerlöse verdreifachen und sind jetzt in drei Ländern tätig. Es ist viel gelungen, aber es bleibt noch mehr zu tun. Wir gehen in die richtige Richtung und können Wachstum und Internationalisierung vorantreiben. All das macht sehr viel Freude und wird uns jetzt mit Russmedia als Investor und Partner noch besser gelingen.

Nach Ihrem Buy-In ist Ihr Kontakt in die Medienwelt erhalten geblieben. Sie sind Berater und Aufsichtsrat und haben sich unlängst auch am Brutkasten beteiligt. Sind Sie mit dem „Medienvirus“ angesteckt?

Ja, eindeutig, das lässt mich nicht mehr los und begeistert mich immer wieder aufs Neue.

Sie wurden mehrmals als Geschäftsführer für mehrere große Medienunternehmen im In- und Ausland kolportiert. Womit konnte Sie nun Eugen Russ überzeugen?

Eugen Russ ist Visionär und Vorreiter in unserer Branche. Einer der Chancen sucht und sie verwertet. Wir beide sind Vorarlberger und unser Arbeitsstil ist ähnlich. Es gibt großes wechselseitiges Vertrauen und die Aufgabe, eine Digitalholding in dieser Größe aufbauen zu können, ist alles andere als alltäglich. Ich fühle mich als Mitunternehmer in der Russmedia Gruppe und partizipiere auch unternehmerisch. Es ist kein Abgehen vom Weg als Unternehmer sondern eine Bereicherung auf diesem Weg mit neuen Chancen in einem äußerst unternehmerischen Umfeld und gemeinsam mit hervorragenden Leuten.

Wenn Sie Ihre Manager-Karriere mit dem Unternehmertum vergleichen: Wo liegen die Unterschiede?

Der große Unterschied ist, dass sich Chancen und Risiken viel unmittelbarer auswirken. Und als Unternehmer ist man oft ganz alleine. In einer kleinen Struktur mit allen Problemen unmittelbar konfrontiert, dafür auch sehr schnell und flexibel.

“Demut und Mut liegen so nah beieinander, ich empfinde den Grat zwischen Erfolg und Scheitern als Unternehmer viel schmaler.”

Sind Sie nach Ihrem unternehmerischen Weg ein besserer Manager? Was konnten Sie bei MaxFun dazulernen?

Ich habe sehr viel gelernt, vor allem als kleine Einheit ohne Stäbe und größere Strukturen alles hinzukriegen. Finanzierung, Teamaufbau, interne Abläufe, Markt, behördliche Bürokratie, etc. Ein echter Hindernislauf mit vielen positiven und negativen Überraschungen ganz unmittelbar. Demut und Mut liegen so nah beieinander, ich empfinde den Grat zwischen Erfolg und Scheitern als Unternehmer viel schmaler.

Drei Tipps an aufstrebende Gründer?

Erstens: Es wagen und mutig ausprobieren. Zweitens: Konzentriert dahinter bleiben, sich nicht vom Weg abbringen lassen, immer wieder das Positive suchen und sich selbst immer wieder neu erfinden. Drittens: Es rentiert sich jedenfalls, so oder so – die Learnings sind unbezahlbar. Es macht sehr viel Spaß und es macht uns stärker!

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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