10.03.2020

Ein Guide für Startups zum Umgang mit dem Coronavirus

Wie wirkt sich der Coronavirus auf den Umgang mit Teleworking, interne Kommunikation und Hygiene im Betrieb aus. Ein kompakter Guide für Startups.
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Coronavirus
(c) Adobe Stock / amecold

Aufgrund der aktuellen Lage rund um das umgangssprachlich als Coronavirus bekannte SARS-CoV-2, bzw. COVID-19 ist es auch für Unternehmen jeder Größe zunehmend ratsam, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Das gilt auch für Startups, die unter Umständen nun bereits Auswirkungen auf ihre Auftragslage spüren, beziehungsweise Maßnahmen bezüglich Teleworking ergreifen und ihrte Mitarbeiter informieren sollten.

+++Der Coronavirus am Finanzmarkt: Der Schwarze Schwan ist gelandet+++

Einen Überblick über die aktuelle Lage rund um das Coronavirus in Österreich (Stand: 10. März 2020) liefert die folgende Zusammenfassung des ORF.

Abgesagte Events und Geschäftsreisen aufgrund des Coronavirus

Bereits vor der Bekanntgabe der Maßnahmen hatten einzelne Eventveranstalter ihre Großveranstaltungen abgesagt, beziehungsweise auf einen späteren Zeitpunkt verschoben – darunter das von Puls4 organisierte 4gamechangers Festival 2020 und das ANON Summit 2020. Auch zahlreiche kleinere Events wurden bereits an den Vortagen gestrichen – darunter etwa die Geburtstagsparty von The Ventury, die am 13. März hätte stattfinden sollen.

„Wir wollen in keiner Weise Panik schüren, aber wir können auch gewisse Risiken nicht leugnen, die darin bestehen, 100 Menschen auf engem Raum zusammen zu bringen“, heißt es dazu in einer Email von the Ventury: „Nur ein einziger Fall könnte zu einer Quarantäne für alle Teilnehmer führen, und das wollen wir vermeiden. Wir wollen auch unseren Teil dazu beitragen, die Ausbreitung so weit wie möglich zu verlangsamen, damit unser Gesundheitssystem für alle gut funktionieren kann, was in diesem Fall leider bedeutet, dass wir unsere geplanten Feierlichkeiten aufgeben müssen.“

Ähnliches gilt für Geschäftsreisen. Zahlreiche Unternehmen haben die Anweisungen erlassen, dass Geschäftsreisen nur dann unternommen werden sollten, wenn diese zwingend nötig sind. Eine Liste des Gesundheitsministeriums zur Risikobewertung von Veranstaltungen findet sich unter diesem Link.

Sind Schutzmasken ein sinnvolles Mittel gegen den Coronavirus?

Laut Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) sind Einmal-Mundschutzmasken kein wirksamer Schutz gegen Viren oder Bakterien, die in der Luft übertragen werden. Sie können aber dazu beitragen, das Risiko der Weiterverbreitung des Virus durch „Spritzer“ von Niesen oder Husten zu verringern, heißt es unter anderem auf einer speziellen FAQ-Seite der Wirtschaftskammer. Solange die Behörden solche Mundschutzmasken jedoch nicht verordnen, können diese auch nicht gegen den Willen des Arbeitgebers durchgesetzt werden.

Nach derzeitigem Stand gibt es außerdem keine Verpflichtung des Arbeitgebers Mitarbeiter wie Verkäufer, Kellner usw. mit Gesichtsmasken bzw. Handschuhen zu versorgen, heißt es weiters bei der Wirtschaftskammer. Hygienemaßnahmen wie mehrmaliges Händewaschen mit Seife am Tag seien völlig ausreichend. Es gibt außerdem keine Möglichkeit, Gäste zum Tragen einer Gesichtsmaske zu verpflichten. Die Wirksamkeit dieser Maßnahme ist zudem umstritten, weil damit die Ansteckung des Gesichtsmaskentragenden nicht vermieden werden kann, heißt es von der WKO.

Kommunikation als Schlüsselelement

Allgemein sollten Führungskräfte und – falls bei einem Startup bereits vorhanden – HR-Abteilungen einen Fokus auf klare Kommunikation legen, wie unter anderem in einem Beitrag von entrepreneur.com erläutert wird. Die Personalabteilungen sollten Informationen über das Coronavirus zusammenstellen, um einen referenzfähigen Leitfaden für Mitarbeiter zu erstellen, der sie nicht nur über die Virusinfektion aufklärt, sondern auch Wege zu ihrer Vermeidung aufzeigt, heißt es dort.

Die Kommunikationsstrategie sollte mehrgleisig sein und alle verfügbaren Kommunikationskanäle nutzen. Als Beispiele dafür werden zum Beispiel Emails und Chatgruppen, aber auch analoge Kanäle wie Poster und Post-Its genannt, mit denen die Botschaft an die Mitarbeiter vermittelt werden sollte. Die gesammelten Informationen sollten nur aus glaubwürdigen und verifizierten Quellen stammen, wie etwa der Website des Gesundheitsministeriums.

Unter anderem können dabei die folgenden Punkte gegenüber der Belegschaft kommuniziert werden.

  • Bei Krankheitssymptomen oder Verdacht auf Erkrankung sollten die Mitarbeiter zuhause bleiben und Kontakt mit der Gesundheitshotline 1450 aufmehmen
  • Allgemeine Informationen können bei der Hotline 0800 555 621 erfragt werden
  • Hygienemaßnahmen
    • Täglich mehrmals Händewaschen mit Wasser und Seife oder einem alkoholhaltigen Desinfektionsmittel;
    • Bedecken von Mund und Nase mit einem Papiertaschentuch (nicht mit den Händen) bei Husten oder Niesen;
    • Vermeidung von Kontakt zu kranken Menschen;
    • Reduzierung von Ritualen, die Körperkontakt beinhalten (z.B. Hände schütteln, Umarmungen).
  • Arbeitsorganisatorische Maßnahmen und Hinweise
    • Mitarbeiter sind verpflichtet eine Infektion dem Arbeitgeber sofort bekanntzugeben. Ebenso muss bekanntgeben gegeben werden, ob man unter Quarantäne gestellt wurde (Absonderung gem. § 7 und § 17 Epidemiegesetz).
    • Die Vorgesetzten sollten um erhöhte Sensibilität ersuchen, sollten Erkältungs- oder Krankheitssymptome bei einem selbst auftreten. In diesem Fall ist es wichtig, zuhause zu bleiben und allenfalls im Home Office zu arbeiten (mehr dazu weiter unten).
  • Aufenthalt in Risikogebieten
    • Wer einen Urlaub oder Aufenthalt in einem Gebiet mit hoher Ansteckungsgefahr verbracht hat, sollte dies melden.
    • Kehrt jemand aus einem Risikogebiet zurück und zeigt binnen 14 Tagen Symptome wie Fieber, Atembeschwerden, Husten, so empfiehlt die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES)
      • Zu Hause zu bleiben, die telefonische Gesundheitsberatung unter der Telefonnummer 1450 zur weiteren Vorgangsweise zu kontaktieren und
      • die zuständige Gesundheitsbehörde zu kontaktieren.

Teleworking: Technische und rechtliche Voraussetzungen

Generell helfen zahlreiche modere Kommunikationsmittel dabei, ein ortsungebundenes Arbeiten zu ermöglichen –  dazu zählen Tools wie Slack, Skype oder Google Docs. Die meisten jungen Startups haben schon heute derartige Tools für Remote Work im Einsatz – und wenn dem nicht so ist, so ist nun wohl der beste Zeitpunkt, um über einen Umstieg nachzudenken. Ergänzend dazu sollte geklärt werden, welche Hardware die Mitarbeiter verwenden: Also, ob sie für ihr Teleworking-Arbeit oder gar im Fall einer Quarantäne stets ihren Business-Laptop mit nach hause nehmen oder ob sie im Sinne einer Bring-Your-Own-Device-Policy (BYOD) mit ihren privaten Geräte auf die Server des Unternehmens zugreifen.

Auf rechtlicher Ebene darf ein Arbeitnehmer der Arbeit nicht aus eigenem Antrieb fernbleiben, nur weil er sich vermeintlich vor einer Ansteckung fürchtet, heißt es seitens der WKO. Denn dies stellt eine Verletzung der Dienstpflichten und somit einen Entlassungsgrund dar. Eine Verweigerung der Arbeitsleistung könnte nur dann gerechtfertigt sein, wenn eine objektiv nachvollziehbare Gefahr bestünde, sich bei der Arbeit mit dem Virus anzustecken. Dies könnte dann gegeben sein, wenn es im unmittelbaren Arbeitsumfeld bereits zu einer Ansteckung mit dem Virus gekommen wäre. Das gilt aber nicht für jene Arbeitnehmer, die berufsmäßig mit Krankheiten regelmäßig zu tun haben, wie etwa in Spitälern oder Apotheken.

Auch darf der Arbeitnehmer nicht die Zusammenarbeit mit bestimmten Personen verweigern, außer diese Personen zeigen Symptome. Verweigert werden können nur Tätigkeiten, die nicht im Arbeitsvertrag vereinbart wurden. Ein unbegründetes Verweigern der (Zusammen-) Arbeit stellt eine Arbeitsverweigerung dar, mit allen arbeitsrechtlichen Konsequenzen, heißt es von der WKO.

Zugleich darf aber auch der Arbeitgeber nicht einseitig Teleworking anordnen, grundsätzlich muss Homeoffice stets zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ausdrücklich vereinbart werden. Eine Anordnung durch den Arbeitgeber ist jedoch möglich, wenn eine diesbezügliche Vereinbarung im Arbeitsvertrag bereits enthalten ist oder sich darin eine sogenannte Versetzungsklausel findet, wonach man einseitig an einen anderen als den ursprünglich vereinbarten Arbeitsort versetzt werden kann, heißt es von der WKO: Der Arbeitgeber hat dann die allenfalls anfallenden Kosten (zB für Internet, Handy) zu übernehmen.

Kompensation für entgangene Umsätze

Was machen Startups, denen aufgrund des Coronavirus Aufträge wegbrechen? Grundsätzlich gibt es keine öffentliche finanzielle Abfederung zur Liquiditätsüberbrückung bei Umsatzrückgängen aufgrund äußerer Einflüsse, heißt es dazu seitens der WKO: Eine Ausnahme stellt der Verdienstentgang dar, der durch eine Betriebsbeschränkung oder eine Betriebsschließung entstanden ist, die aufgrund einer Verordnung nach § 20 Abs. 4 Epidemiegesetz verfügt wurde.

Steuerpflichtige Personen können bis zum 30.9. des betreffenden Jahres die Herabsetzung der Einkommensteuer-Vorauszahlungen beantragen, wenn das voraussichtliche Einkommen für das jeweilige Jahr niedriger ist. Der Antrag muss eine Begründung enthalten, in welcher die verminderte Gewinnerwartung aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Lage (z. B. Aufstellung der Umsatzeinbrüche aufgrund von Covid-19) dargelegt wird.

Muster-Download des Antrags: Antrag auf Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung

Die Sozialversicherung für Selbständige (SVS) unterstützt Unternehmer mit der Ratenzahlung und Stundung der Beiträge (mehr dazu im nachfolgenden Tweet), und von der AWS gibt es eine Überbrückungsgarantie (mehr dazu unter diesem Link).

Evaluierung der Umsätze und Kosten

Und schlussendlich macht es die aktuelle (Wirtschafts-)Lage für viele Unternehmen nötig, ihre eigene wirtschaftliche Situation zu evaluieren. Hierzu gibt es einen sehr aufschlussreichen Beitrag von Sequoia Capital auf der Plattform medium.com. Zum Beispiel sollte festgestellt werden, wie hoch die eigenen Rücklagen sind, um eine etwaige Durststrecke zu überstehen. Auch könnte sich die aktuelle Lage auf das Fundraising auswirken, und bei so manchen Unternehmen könnte es auch zu Umsatzeinbrüchen kommen.

Dies bedeutet auf der anderen Seite, dass auf der Ausgabenseite der Rotstift angesetzt werden muss – etwa, indem bei den Marketinginvestitionen die Latte für den ROI höher angesetzt wird. Auf HR-Ebene wiederum sollte darauf geachtet werden, ob die Effizienz des Teams zusätzlich erhöht werden kann. Die Experten von Sequoia Capital halten es in dieser Hinsicht mit Charles Darwin: Denn überlebt haben nicht jene Tierarten, die die stärksten oder intelligentesten waren – sondern jene, die sich am Besten anpassen konnten.

Selbiges gilt auch für Unternehmen.

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Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala
Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM AustriaIBMITSVMicrosoftNagarroRed Hat und Universität Graz.


Wo stehen wir wirklich, was die Adaption von künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft angeht? Diese Frage zu beantworten war eines der Ziele der Serie „No Hype KI„, die brutkasten anlässlich des zweijährigen Bestehens von ChatGPT gestartet hat. Die ersten fünf Folgen beleuchten unterschiedliche Aspekte des Themas und lieferten eine Bestandsaufnahme.

Im Staffelfinale, der sechsten Folge, war der Blick dann in Richtung Zukunft gerichtet. Dazu fanden sich die Österreich-Chefs von Microsoft und IBM, Hermann Erlach und Marco Porak, sowie Nagarros Big Data & AI Practice Lead für Central Europe, Peter Ahnert, und KI-Expertin Jeannette Gorzala, die auch Mitglied des KI-Beirats der österreichischen Bundesregierung ist, im brutkasten-Studio ein.

„Der Hype ist weg und das ist eine gute Sache“

Eine der Erkenntnisse der Serie: Unternehmen und Institutionen verabschieden sich von überschwänglichen Erwartungen und sehen sich stattdessen an, wie KI tatsächlich in der Praxis eingesetzt wird. „Der Hype ist weg und das ist eine gute Sache, weil jetzt kann man auf den Use Case gehen“, sagt Hermann Erlach, General Manager von Microsoft Österreich, im Videotalk. Er vergleicht den aktuellen Reifegrad von KI mit dem Beginn einer langen Reise: „Wenn ich so eine Reise angehe, dann brauche ich ein Ziel, einen Plan und Mitreisende. Alleine macht das wenig Spaß.“

Auch Marco Porak, General Manager von IBM in Österreich, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Er sieht das abgelaufene Jahr als eine Phase der Erkenntnis. Den Status Quo bei KI in Österreichs Unternehmen beschreibt er im Talk folgendermaßen: „Wir haben allerorts sehr viel ausprobiert, sind vielleicht da und dort auf die Nase gefallen“. Gleichzeitig habe es auch „schöne Erfolge“ gegeben. Für Porak ist klar: „Die Frage der Stunde lautet: Wie machen wir jetzt von hier weiter?“

AI Act: „Jetzt müssen wir ins Tun kommen“

Ein großes Thema dabei ist der AI Act der EU. Jeannette Gorzala, Gründerin von Act.AI.Now, plädiert für eine pragmatische Haltung gegenüber der EU-Verordnung: „Der AI-Act ist ein Faktum, er ist da. Jetzt müssen wir ins Tun kommen.“ Sie sieht in dem Regelwerk einen Wegweiser: „Wir müssen die entsprechenden Kompetenzen aufbauen und die Möglichkeiten nutzen, die diese Regulierung bietet. Das ist der Reiseplan, den wir brauchen.“

Auch Marco Porak sieht den AI Act positiv: „Er hat nicht die Algorithmen reguliert, sondern gesagt, was wir in Europa gar nicht wollen, etwa Sozialpunktesysteme oder Gesichtserkennung in Echtzeit.“ So entstehe für Unternehmen im globalen Wettbewerb ein Vorteil, wenn sie ihre KI-Anwendung nach europäischen Maßstäben zertifizieren lassen: „Das ist wie ein Gütesiegel.“

„Müssen positiv aggressiv reingehen, um unseren Wohlstand zu halten“

Hermann Erlach von Microsoft bezeichnet den Ansatz des AI Act ebenfalls als „gut“, betont aber gleichzeitig, dass es jetzt auf die Umsetzung von KI-Projekten ankomme: „Wir haben eine Situation, in der jedes Land an einem neuen Startpunkt steht und wir positiv aggressiv reingehen müssen, um unseren Wohlstand zu halten.“

Peter Ahnert sieht dabei auch ein Problem in der öffentlichen Wahrnehmung: KI werde tendenziell nicht nur zu klein gedacht, sondern meist auch in Zusammenhang mit Risiken wahrgenommen: „Es werden die Chancen nicht gesehen.“ Woran liegt es? „Zu einem erheblichen Teil daran, dass noch zu wenig Bildung und Aufklärung an dem Thema da ist. In Schulen, in Universitäten, aber auch in Unternehmen und in der öffentlichen Hand.“ Hier müsse man ansetzen, sagt der Nagarro-Experte.

Jeannette Gorzala sieht das ähnlich: „Bildung und Kompetenz ist das große Thema unserer Zeit und der zentrale Schlüssel.“ Verstehe man etwas nicht, verursache dies Ängste. Bezogen auf KI heißt das: Fehlt das Verständnis für das Thema, setzt man KI nicht ein. Die Opportunitätskosten, KI nicht zu nutzen, seien aber „viel größer“ als das Investment, das man in Bildung und Governance tätigen müssen. „Natürlich ist es ein Effort, aber es ist wie ein Raketenstart“, sagt Gorzala.

IBM-Programm: „Die Angst war weg“

Wie das in der Praxis funktionieren kann, schilderte IBM-Chef Porak mit einem Beispiel aus dem eigenen Unternehmen. IBM lud weltweit alle Mitarbeitenden zu einer KI-Challenge, bei der Mitarbeiter:innen eigene KI-Use-Cases entwickelten, ein – mit spürbaren Folgen: „Die Angst war weg.“ Seine Beobachtung: Auch in HR-Teams stieg die Zufriedenheit, wenn sie KI als Assistenz im Arbeitsablauf nutzen. „Sie können sich auf die komplexen Fälle konzentrieren. KI übernimmt die Routine.“

Microsoft-Chef Erlach warnt auch davor, das Thema zu stark unter Bezug auf rein technische Skills zu betrachten: „Die sind notwendig und wichtig, aber es geht auch ganz viel um Unternehmens- und Innovationskultur. Wie stehen Führungskräfte dem Thema AI gegenüber? Wie steht der Betriebsrat dem Thema AI gegenüber?“, führt er aus.

Venture Capital: „Müssen in Europa ganz massiv was tun“

Soweit also die Unternehmensebene. Einen große Problemstelle gibt es aber noch auf einem anderen Level: Der Finanzierung von Innovationen mit Risikokapital. „An der Stelle müssen wir in Europa ganz massiv was tun“, merkte Ahnert an. Er verwies auf Beispiele wie DeepMind, Mistral oder Hugging Face, hinter denen jeweils europäische Gründer stehen, die aber in den USA gegründet, ihre Unternehmen in die USA verkauft oder zumindest vorwiegend aus den USA finanziert werden.

Der Nagarro-Experte verwies dazu auf eine Studie des Applied AI Institute, für die Startups aus dem Bereich generative KI zu den größten Hürden, mit denen sie es zu tun haben, befragt wurden. „51 Prozent haben Funding genannt. Weit abgeschlagen an zweiter Stelle mit 24 Prozent erst kam die Regulierung und unter 20 Prozent waren Themen wie Fachkräftemangel oder Zugang zu Compute Power.“ Ahnerts Appell: „Bei dem Thema Finanzierung müssen wir was tun, damit wir in der nächsten Welle an der Spitze sind.“

Erlach: Adaption entscheidend

Letztlich sei aber vielleicht gar nicht so entscheidend, wo eine Technologie produziert werde, argumentierte Hermann Erlach von Microsoft. Denn es komme auf die Adaption an: „Vielleicht ist die Diskussion Europa vs. Amerika in Teilbereichen die falsche.“ Die wichtigere Frage sei also: „Wie adaptiere ich diese Technologie möglichst schnell, um meinen Wohlstand zu erhöhen?“

Marco Porak ergänzt: „Ganz, ganz wesentlich ist Mut. Ganz, ganz wesentlich ist unsere kulturelle Einstellung zu dem Thema.“ Man müsse die Chancen sehen und weniger das Risiko. In der Regulatorik könne man dies begleiten, indem man Anreize schafft. „Und ich glaube, wenn wir das als Österreich mit einem großen Selbstbewusstsein und auch als Europa mit einem großen Selbstbewusstsein machen, dann haben wir in fünf Jahren eine Diskussion, die uns durchaus stolz machen wird.“


Die gesamte Folge ansehen:


Die Nachlesen der bisherigen Folgen:

Folge 1: „No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?“

Folge 2: „Was kann KI in Gesundheit, Bildung und im öffentlichen Sektor leisten?“

Folge 3: “Der größte Feind ist Zettel und Bleistift”: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der KI-Praxis”

Folge 4: KI-Geschäftsmodelle: “Wir nutzen nur einen Bruchteil dessen, was möglich ist”

Folge 5: Open Source und KI: “Es geht nicht darum, zu den Guten zu gehören”


Die Serie wird von brutkasten in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung unserer Partner:innen produziert.

No Hype KI

03.02.2025

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Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala
Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM AustriaIBMITSVMicrosoftNagarroRed Hat und Universität Graz.


Wo stehen wir wirklich, was die Adaption von künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft angeht? Diese Frage zu beantworten war eines der Ziele der Serie „No Hype KI„, die brutkasten anlässlich des zweijährigen Bestehens von ChatGPT gestartet hat. Die ersten fünf Folgen beleuchten unterschiedliche Aspekte des Themas und lieferten eine Bestandsaufnahme.

Im Staffelfinale, der sechsten Folge, war der Blick dann in Richtung Zukunft gerichtet. Dazu fanden sich die Österreich-Chefs von Microsoft und IBM, Hermann Erlach und Marco Porak, sowie Nagarros Big Data & AI Practice Lead für Central Europe, Peter Ahnert, und KI-Expertin Jeannette Gorzala, die auch Mitglied des KI-Beirats der österreichischen Bundesregierung ist, im brutkasten-Studio ein.

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Auch Marco Porak, General Manager von IBM in Österreich, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Er sieht das abgelaufene Jahr als eine Phase der Erkenntnis. Den Status Quo bei KI in Österreichs Unternehmen beschreibt er im Talk folgendermaßen: „Wir haben allerorts sehr viel ausprobiert, sind vielleicht da und dort auf die Nase gefallen“. Gleichzeitig habe es auch „schöne Erfolge“ gegeben. Für Porak ist klar: „Die Frage der Stunde lautet: Wie machen wir jetzt von hier weiter?“

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Auch Marco Porak sieht den AI Act positiv: „Er hat nicht die Algorithmen reguliert, sondern gesagt, was wir in Europa gar nicht wollen, etwa Sozialpunktesysteme oder Gesichtserkennung in Echtzeit.“ So entstehe für Unternehmen im globalen Wettbewerb ein Vorteil, wenn sie ihre KI-Anwendung nach europäischen Maßstäben zertifizieren lassen: „Das ist wie ein Gütesiegel.“

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Hermann Erlach von Microsoft bezeichnet den Ansatz des AI Act ebenfalls als „gut“, betont aber gleichzeitig, dass es jetzt auf die Umsetzung von KI-Projekten ankomme: „Wir haben eine Situation, in der jedes Land an einem neuen Startpunkt steht und wir positiv aggressiv reingehen müssen, um unseren Wohlstand zu halten.“

Peter Ahnert sieht dabei auch ein Problem in der öffentlichen Wahrnehmung: KI werde tendenziell nicht nur zu klein gedacht, sondern meist auch in Zusammenhang mit Risiken wahrgenommen: „Es werden die Chancen nicht gesehen.“ Woran liegt es? „Zu einem erheblichen Teil daran, dass noch zu wenig Bildung und Aufklärung an dem Thema da ist. In Schulen, in Universitäten, aber auch in Unternehmen und in der öffentlichen Hand.“ Hier müsse man ansetzen, sagt der Nagarro-Experte.

Jeannette Gorzala sieht das ähnlich: „Bildung und Kompetenz ist das große Thema unserer Zeit und der zentrale Schlüssel.“ Verstehe man etwas nicht, verursache dies Ängste. Bezogen auf KI heißt das: Fehlt das Verständnis für das Thema, setzt man KI nicht ein. Die Opportunitätskosten, KI nicht zu nutzen, seien aber „viel größer“ als das Investment, das man in Bildung und Governance tätigen müssen. „Natürlich ist es ein Effort, aber es ist wie ein Raketenstart“, sagt Gorzala.

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Erlach: Adaption entscheidend

Letztlich sei aber vielleicht gar nicht so entscheidend, wo eine Technologie produziert werde, argumentierte Hermann Erlach von Microsoft. Denn es komme auf die Adaption an: „Vielleicht ist die Diskussion Europa vs. Amerika in Teilbereichen die falsche.“ Die wichtigere Frage sei also: „Wie adaptiere ich diese Technologie möglichst schnell, um meinen Wohlstand zu erhöhen?“

Marco Porak ergänzt: „Ganz, ganz wesentlich ist Mut. Ganz, ganz wesentlich ist unsere kulturelle Einstellung zu dem Thema.“ Man müsse die Chancen sehen und weniger das Risiko. In der Regulatorik könne man dies begleiten, indem man Anreize schafft. „Und ich glaube, wenn wir das als Österreich mit einem großen Selbstbewusstsein und auch als Europa mit einem großen Selbstbewusstsein machen, dann haben wir in fünf Jahren eine Diskussion, die uns durchaus stolz machen wird.“


Die gesamte Folge ansehen:


Die Nachlesen der bisherigen Folgen:

Folge 1: „No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?“

Folge 2: „Was kann KI in Gesundheit, Bildung und im öffentlichen Sektor leisten?“

Folge 3: “Der größte Feind ist Zettel und Bleistift”: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der KI-Praxis”

Folge 4: KI-Geschäftsmodelle: “Wir nutzen nur einen Bruchteil dessen, was möglich ist”

Folge 5: Open Source und KI: “Es geht nicht darum, zu den Guten zu gehören”


Die Serie wird von brutkasten in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung unserer Partner:innen produziert.

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