30.08.2017

Die Wurzeln von Bitcoin (Teil I): Geeks, Punks und Rebellen

Bitcoin ist nicht im luftleeren Raum entstanden. Kryptowährungen sind das Produkt einer Subkultur von digitalen Rebellen, die sich schon vor Jahrzehnten formiert hat.
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(c) Foto: Fotolia/ arrow

Wer ist Satoshi Nakamoto? Eine befriedigende Antwort auf diese Frage ist immer noch ausständig. Der Erfinder von Bitcoin bleibt ein Mysterium. Ist Satoshi ein Mann oder eine Frau? Ist es eine Person – oder sind es mehrere? Steckt gar die NSA dahinter? Ist es alles nur ein grausamer Scherz? Und was passiert mit einer Million Bitcoin, die angeblich auf Wallets liegen, die man diesem Satoshi zuordnen kann?
Es ist gut möglich, dass wir nie Antworten auf diese Frage bekommen werden. Satoshi Nakamoto hat seine Identität mit Sorgfalt geschützt. Das alleine erzählt aber auch eine Geschichte. Jene von Menschen, die viele der Herausforderungen des digitalen Zeitalters früh haben kommen sehen: Der Schutz von Privatssphäre ist eine dieser Herausforderungen. Die Schaffung eines stabilen Geldsystems eine andere. Die Wurzeln von Bitcoin haben zwei Hauptstränge: Den technischen und den ökonomischen. Beide eint eine Philosophie der persönlichen Freiheit und der Unabhängigkeit von staatlichen oder anderweitig zentralistischen Strukturen.

Das erste Whitepaper der Kryptogeschichte

Das Gründungsdokument von Bitcoin ist ein achtseitiges PDF, das Nakamoto im Jahr 2008 auf einem Onlineforum gepostet hat. Das war das erste Whitepaper der Kryptogeschichte. Nakamoto skizziert darin die Grundlagen von Bitcoin: „A Peer-to-Peer Electronic Cash System“ lautet der Titel. Die Idee: So wie Bittorrent es ermöglicht hat, Dateien direkt auszutauschen ohne die Verwendung zentraler Server, sollte Bitcoin die Übertragung von Geld ermöglichen – ohne die Notwendigkeit, Banken oder Zentralbanken einzubeziehen.

Zuerst kam das Misstrauen

Die Implikationen der Idee sind gewaltig. In der entwickelten Welt sollte Bitcoin eine Alternative zum krisenanfälligen Geldsystem der Zentralbanken bieten – und in weniger entwickelten Staaten Menschen Zugang zu Geldgeschäften geben, die kein Bankkonto besitzen. Die Technologie dahinter, die Blockchain, soll für Vertrauen zwischen Marktteilnehmern sorgen, die sich nicht kennen – ohne eine zentrale Clearingstelle zu benötigen. Das Magazin „Economist“ nannte die Blockchain in einer Cover-Story eine „Vertrauens-Maschine“. Ironischerweise ist es aber das Misstrauen, das diese Innovation überhaupt erst ermöglicht hat. Die philosophischen Wurzeln von Bitcoin lassen sich auf das Cypherpunk-Movement zurückverfolgen. Hier landet auch jede ernstgemeinte Suche nach der wahren Identität von Satoshi Nakamoto. Bitcoin ist nicht im luftleeren Raum entstanden und war der erste Versuch, eine neue Währung im Internet zu schaffen. Die Wurzeln der Cypherpunks lassen sich bis in die 1980er-Jahre zurückverfolgen. Das Wort ist eine künstliche Zusammenführung von „Cypher“ und „Punk“, wobei Cypher für einen Verschlüsselungsalgorithmus steht.

Sorge um Privatsphäre

Die Bewegung gab es schon vor der weiten Verbreitung des Internets – aber ihre Inhalte wurden durch das Netz erst mit Bedeutung aufgeladen. In einem Satz: Die Cypherpunks haben sich schon extrem früh um die Wahrung der Privatsshäre im Netz und darüber hinaus gesorgt – und sich mit den Möglichkeiten von Verschlüsselung (Kryptographie) beschäftigt. Wikileaks-Gründer Julian Assange der Bewegung mit einem Buch ein Denkmal gesetzt.

Wir wissen nur wenig über Satoshi Nakamoto, Bitcoins Nummer eins. Aber wir können die Nummer zwei klar diesem Cypherpunk-Movement zuordnen. Der im August 2014 verstorbene Informatiker Hal Finney hatte im Jänner 2009 von Nakamoto die allererste Bitcoin-Transaktion erhalten. Finney hat aber bis zu seinem Tod abgestritten, dass er selbst hinter dem Pseudonym stehen könnte.

Ursprungsland New Jersey

Von acht Fußnoten in Nakamotos Whitepaper sind drei den Wissenschaftlern Stuart Haber und Scott Stornetta gewidmet. In den berühmten Bell-Labs in New Jersey haben diese beiden bereits 1991 die theoretischen Grundlagen einer Blockchain entwickelt. Sie haben sich damals die Frage gestellt, wie man die Änderungen eines digitalen Dokuments oder einer Datei zweifelsfrei dokumentieren und nachvollziehen könnte. Sie konnten bereits ahnen, dass wir in nicht allzuferner Zukunft immer mehr bisher physisch vorhandene Güter nur noch digital handeln werden: Musik etwa.

Redaktionstipps

Der Widerhall dieser Arbeit nach fast drei Jahrzehnten ist erstaunlich. Jetzt, da Bitcoin sich etabliert hat, wird die Blockchain-Technologie bereits in unzähligen Bereichen getestet. So ist zum Beispiel die Luxusindustrie sehr daran interessiert, die Herkunft und die Lieferketten ihrer Produkte lückenlos zu dokumentieren um gegen Fälschungen vorzugehen. Und das ist nur eines von hunderten Beispielen. Landwirtschaft, Diamanten, Energie, Grundbuch, etc. Die Liste an möglichen oder bereits getesteten Einsatzbereichen für diese dezentral verwaltete Datenbank namens Blockchain scheinen fast unendlich.

8 Jahre ohne erfolgreichen Hack

Haber und Stornetta waren freilich keine Cypherpunks im klassischen Sinne, sie waren Wissenschaftler, vielleicht würde man sie heute Geeks nennen. Aber ihre Arbeit bildet auch die Basis für die Blockchain hinter Bitcoin und anderen Kryptowährungen. Und sie hat sich bewiesen, sagt der amerikanische Wissenschaftler David Yermack von der NYU in einem Vortrag: „Bitcoin operiert jetzt seit mehr als acht Jahren, ohne einen erfolgreichen Hack oder Angriff erlebt zu haben. Es ist tatsächlich überraschend wie resistent sich Bitcoin in einer Welt gezeigt hat, in der Finanzsstrukturen ständig kom­pro­mit­tie­rt werden. Mir wurden erst vor einer Woche zwei Kreditkarten gehacked.“

Grundlage des Cypherpunk-Movements

Zurück zum Whitepaper: Nakamoto bezieht sich in der Folge auch auf frühe Versuche, privates Geld im Internet zu etablieren. Einer der wichtigsten Wegbegleiter von dem, was später Bitcoin wurde, war der US-amerikanische Computerwissenschaftler David Chaum. Er hatte bereits Anfang der 1980er-Jahre ein Paper verfasst, das ein „sicheres digitales Cash-System“ versprach. Anfang der 1990er-Jahre gründete er das Unternehmen DigiCash und versuchte, seine Idee am Markt zu etablieren.Seine Arbeit gilt als grundlegend für die Entwicklung des Cypherpunk-Movements und auch für die Etablierung weiterer Vorläufer von Bitcoin. Einer davon war „B-Money“ vom Entwickler Wei Dai. Auch er wird von Nakamoto direkt zitiert. Erstaunlicherweise abwesend in dem Whitepaper zu Bitcoin ist aber Nick Szabo, der ebenfalls schon mehrfach bestreiten musste, hinter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto zu stehen. Der Amerikaner mit ungarischen Wurtzeln Szabo hat im Jahr 1998 einen Mechanismus für eine dezentrale digitale Währung entwickelt. Ihr Name: „Bit Gold“.

Bitcoin und Gold: Brüder im Geiste

Szabos Idee wurde nicht implementiert, „Bit Gold“ hat es nie gegeben. Aber die Ähnlichkeiten zwischen „Bit Gold“ und Bitcoin sind sehr auffällig – nicht zuletzt weil Szabo sich sehr stark an den Charakteristika des echten Edelmetalls Gold orientiert hatte: „Ich habe veruscht die Sicherheit und Vertrauenseigenschaften von Gold so gut wie möglich im Cyberspace zu imitieren. Die wichtigste darunter war, dass Gold keine zentrale Autiorität für die Abwicklung von Transaktionen benötigt“, sagte Szabo dazu im Jahr 2012.

Das neue Gold

Wer jetzt vorspult und im Jahr 2017 CNBC oder Bloomberg anschaltet, wenn es um Bitcoin geht, wird sich an diese Zeilen erinnert fühlen. „Bitcoin ist das neue Gold“ – so wird die Digitalwährung gerne beschrieben und vermarktet. Und tatsächlich sind die Ähnlichkeiten zwischen Bitcoin und dem Edelmetall auffällig. Beide sind nur sehr begrenzt vorhanden. Beide werden (inzwischen) von einem großen Markt als wertvoll akzeptiert. Beide kommen durch „Abbau“ (Mining) in die Welt – nur dass das im Fall von Bitcoin von Computern durchgeführt wird, die Rechenaufgaben lösen. Es ist evident, dass Nakamoto genau wie Szabo vor ihm versucht hat, die ökonomischen Eigenschaften von Gold zu imitieren – und technische Vorteile wie weltweite Übertragung in Sekundenschnelle hinzuzufügen. Das ist auch der Grund dafür, warum die vorherrschenden Ökonomen sich bis heute schwer tun, Bitcoin einzuordnen. Gold selbst spielt in den Lehrbüchern der Universitäten schon lange keine Rolle mehr, obwohl es aktuell so teuer und beliebt ist wie nie zuvor in der Geschichte. Folgerichtig ist auch die Vorstellung einer Währung, die ohne Zentralbank auskommt, aus der Sicht der modernen Ökonomie fast ein Sakrileg. Dadurch ist eine amüsante Situation entstanden: Die frühen Bitcoin User sind den Ökonomen in Sachen Theorie um vieles voraus, wenn es um Kryptowährungen geht. In Sachen Praxis sowieso.

Im Archiv graben

Als die Experten der Europäischen Zentralbank EZB sich 2012 erstmals mit Bitcoin beschäftigt haben, konnten sie in den vorherrschenden Denkrichtungen schlicht und einfach keine befriedigende ökonomische Erklärung für die Grundlagen und den Erfolg von Bitcoin finden. Sie mussten in den Archiven graben und landeten dabei ausgerechnet im Wien der vorletzten Jahrhundertwende. Dorthin werden wir in Teil II vorstoßen, wenn wir die Frage klären, was Bitcoins ökonomische Wurzeln mit Wien und Österreich zu tun haben.

Disclaimer: Dieser Beitrag entstand in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) der Republik Österreich. 

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KI in Europa: „Müssen aggressiv reingehen, um unseren Wohlstand zu halten“

Was braucht es, damit Österreich und Europa bei künstlicher Intelligenz nicht zurückfallen? Diese Frage diskutierten Hermann Erlach (Microsoft), Marco Porak (IBM), Peter Ahnert (Nagarro) und Jeannette Gorzala in der vorerst letzten Folge der brutkasten-Serie "No Hype KI".
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Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala
Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM AustriaIBMITSVMicrosoftNagarroRed Hat und Universität Graz.


Wo stehen wir wirklich, was die Adaption von künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft angeht? Diese Frage zu beantworten war eines der Ziele der Serie „No Hype KI„, die brutkasten anlässlich des zweijährigen Bestehens von ChatGPT gestartet hat. Die ersten fünf Folgen beleuchten unterschiedliche Aspekte des Themas und lieferten eine Bestandsaufnahme.

Im Staffelfinale, der sechsten Folge, war der Blick dann in Richtung Zukunft gerichtet. Dazu fanden sich die Österreich-Chefs von Microsoft und IBM, Hermann Erlach und Marco Porak, sowie Nagarros Big Data & AI Practice Lead für Central Europe, Peter Ahnert, und KI-Expertin Jeannette Gorzala, die auch Mitglied des KI-Beirats der österreichischen Bundesregierung ist, im brutkasten-Studio ein.

„Der Hype ist weg und das ist eine gute Sache“

Eine der Erkenntnisse der Serie: Unternehmen und Institutionen verabschieden sich von überschwänglichen Erwartungen und sehen sich stattdessen an, wie KI tatsächlich in der Praxis eingesetzt wird. „Der Hype ist weg und das ist eine gute Sache, weil jetzt kann man auf den Use Case gehen“, sagt Hermann Erlach, General Manager von Microsoft Österreich, im Videotalk. Er vergleicht den aktuellen Reifegrad von KI mit dem Beginn einer langen Reise: „Wenn ich so eine Reise angehe, dann brauche ich ein Ziel, einen Plan und Mitreisende. Alleine macht das wenig Spaß.“

Auch Marco Porak, General Manager von IBM in Österreich, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Er sieht das abgelaufene Jahr als eine Phase der Erkenntnis. Den Status Quo bei KI in Österreichs Unternehmen beschreibt er im Talk folgendermaßen: „Wir haben allerorts sehr viel ausprobiert, sind vielleicht da und dort auf die Nase gefallen“. Gleichzeitig habe es auch „schöne Erfolge“ gegeben. Für Porak ist klar: „Die Frage der Stunde lautet: Wie machen wir jetzt von hier weiter?“

AI Act: „Jetzt müssen wir ins Tun kommen“

Ein großes Thema dabei ist der AI Act der EU. Jeannette Gorzala, Gründerin von Act.AI.Now, plädiert für eine pragmatische Haltung gegenüber der EU-Verordnung: „Der AI-Act ist ein Faktum, er ist da. Jetzt müssen wir ins Tun kommen.“ Sie sieht in dem Regelwerk einen Wegweiser: „Wir müssen die entsprechenden Kompetenzen aufbauen und die Möglichkeiten nutzen, die diese Regulierung bietet. Das ist der Reiseplan, den wir brauchen.“

Auch Marco Porak sieht den AI Act positiv: „Er hat nicht die Algorithmen reguliert, sondern gesagt, was wir in Europa gar nicht wollen, etwa Sozialpunktesysteme oder Gesichtserkennung in Echtzeit.“ So entstehe für Unternehmen im globalen Wettbewerb ein Vorteil, wenn sie ihre KI-Anwendung nach europäischen Maßstäben zertifizieren lassen: „Das ist wie ein Gütesiegel.“

„Müssen positiv aggressiv reingehen, um unseren Wohlstand zu halten“

Hermann Erlach von Microsoft bezeichnet den Ansatz des AI Act ebenfalls als „gut“, betont aber gleichzeitig, dass es jetzt auf die Umsetzung von KI-Projekten ankomme: „Wir haben eine Situation, in der jedes Land an einem neuen Startpunkt steht und wir positiv aggressiv reingehen müssen, um unseren Wohlstand zu halten.“

Peter Ahnert sieht dabei auch ein Problem in der öffentlichen Wahrnehmung: KI werde tendenziell nicht nur zu klein gedacht, sondern meist auch in Zusammenhang mit Risiken wahrgenommen: „Es werden die Chancen nicht gesehen.“ Woran liegt es? „Zu einem erheblichen Teil daran, dass noch zu wenig Bildung und Aufklärung an dem Thema da ist. In Schulen, in Universitäten, aber auch in Unternehmen und in der öffentlichen Hand.“ Hier müsse man ansetzen, sagt der Nagarro-Experte.

Jeannette Gorzala sieht das ähnlich: „Bildung und Kompetenz ist das große Thema unserer Zeit und der zentrale Schlüssel.“ Verstehe man etwas nicht, verursache dies Ängste. Bezogen auf KI heißt das: Fehlt das Verständnis für das Thema, setzt man KI nicht ein. Die Opportunitätskosten, KI nicht zu nutzen, seien aber „viel größer“ als das Investment, das man in Bildung und Governance tätigen müssen. „Natürlich ist es ein Effort, aber es ist wie ein Raketenstart“, sagt Gorzala.

IBM-Programm: „Die Angst war weg“

Wie das in der Praxis funktionieren kann, schilderte IBM-Chef Porak mit einem Beispiel aus dem eigenen Unternehmen. IBM lud weltweit alle Mitarbeitenden zu einer KI-Challenge, bei der Mitarbeiter:innen eigene KI-Use-Cases entwickelten, ein – mit spürbaren Folgen: „Die Angst war weg.“ Seine Beobachtung: Auch in HR-Teams stieg die Zufriedenheit, wenn sie KI als Assistenz im Arbeitsablauf nutzen. „Sie können sich auf die komplexen Fälle konzentrieren. KI übernimmt die Routine.“

Microsoft-Chef Erlach warnt auch davor, das Thema zu stark unter Bezug auf rein technische Skills zu betrachten: „Die sind notwendig und wichtig, aber es geht auch ganz viel um Unternehmens- und Innovationskultur. Wie stehen Führungskräfte dem Thema AI gegenüber? Wie steht der Betriebsrat dem Thema AI gegenüber?“, führt er aus.

Venture Capital: „Müssen in Europa ganz massiv was tun“

Soweit also die Unternehmensebene. Einen große Problemstelle gibt es aber noch auf einem anderen Level: Der Finanzierung von Innovationen mit Risikokapital. „An der Stelle müssen wir in Europa ganz massiv was tun“, merkte Ahnert an. Er verwies auf Beispiele wie DeepMind, Mistral oder Hugging Face, hinter denen jeweils europäische Gründer stehen, die aber in den USA gegründet, ihre Unternehmen in die USA verkauft oder zumindest vorwiegend aus den USA finanziert werden.

Der Nagarro-Experte verwies dazu auf eine Studie des Applied AI Institute, für die Startups aus dem Bereich generative KI zu den größten Hürden, mit denen sie es zu tun haben, befragt wurden. „51 Prozent haben Funding genannt. Weit abgeschlagen an zweiter Stelle mit 24 Prozent erst kam die Regulierung und unter 20 Prozent waren Themen wie Fachkräftemangel oder Zugang zu Compute Power.“ Ahnerts Appell: „Bei dem Thema Finanzierung müssen wir was tun, damit wir in der nächsten Welle an der Spitze sind.“

Erlach: Adaption entscheidend

Letztlich sei aber vielleicht gar nicht so entscheidend, wo eine Technologie produziert werde, argumentierte Hermann Erlach von Microsoft. Denn es komme auf die Adaption an: „Vielleicht ist die Diskussion Europa vs. Amerika in Teilbereichen die falsche.“ Die wichtigere Frage sei also: „Wie adaptiere ich diese Technologie möglichst schnell, um meinen Wohlstand zu erhöhen?“

Marco Porak ergänzt: „Ganz, ganz wesentlich ist Mut. Ganz, ganz wesentlich ist unsere kulturelle Einstellung zu dem Thema.“ Man müsse die Chancen sehen und weniger das Risiko. In der Regulatorik könne man dies begleiten, indem man Anreize schafft. „Und ich glaube, wenn wir das als Österreich mit einem großen Selbstbewusstsein und auch als Europa mit einem großen Selbstbewusstsein machen, dann haben wir in fünf Jahren eine Diskussion, die uns durchaus stolz machen wird.“


Die gesamte Folge ansehen:


Die Nachlesen der bisherigen Folgen:

Folge 1: „No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?“

Folge 2: „Was kann KI in Gesundheit, Bildung und im öffentlichen Sektor leisten?“

Folge 3: “Der größte Feind ist Zettel und Bleistift”: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der KI-Praxis”

Folge 4: KI-Geschäftsmodelle: “Wir nutzen nur einen Bruchteil dessen, was möglich ist”

Folge 5: Open Source und KI: “Es geht nicht darum, zu den Guten zu gehören”


Die Serie wird von brutkasten in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung unserer Partner:innen produziert.

No Hype KI

03.02.2025

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Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala
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Auch Marco Porak, General Manager von IBM in Österreich, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Er sieht das abgelaufene Jahr als eine Phase der Erkenntnis. Den Status Quo bei KI in Österreichs Unternehmen beschreibt er im Talk folgendermaßen: „Wir haben allerorts sehr viel ausprobiert, sind vielleicht da und dort auf die Nase gefallen“. Gleichzeitig habe es auch „schöne Erfolge“ gegeben. Für Porak ist klar: „Die Frage der Stunde lautet: Wie machen wir jetzt von hier weiter?“

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Auch Marco Porak sieht den AI Act positiv: „Er hat nicht die Algorithmen reguliert, sondern gesagt, was wir in Europa gar nicht wollen, etwa Sozialpunktesysteme oder Gesichtserkennung in Echtzeit.“ So entstehe für Unternehmen im globalen Wettbewerb ein Vorteil, wenn sie ihre KI-Anwendung nach europäischen Maßstäben zertifizieren lassen: „Das ist wie ein Gütesiegel.“

„Müssen positiv aggressiv reingehen, um unseren Wohlstand zu halten“

Hermann Erlach von Microsoft bezeichnet den Ansatz des AI Act ebenfalls als „gut“, betont aber gleichzeitig, dass es jetzt auf die Umsetzung von KI-Projekten ankomme: „Wir haben eine Situation, in der jedes Land an einem neuen Startpunkt steht und wir positiv aggressiv reingehen müssen, um unseren Wohlstand zu halten.“

Peter Ahnert sieht dabei auch ein Problem in der öffentlichen Wahrnehmung: KI werde tendenziell nicht nur zu klein gedacht, sondern meist auch in Zusammenhang mit Risiken wahrgenommen: „Es werden die Chancen nicht gesehen.“ Woran liegt es? „Zu einem erheblichen Teil daran, dass noch zu wenig Bildung und Aufklärung an dem Thema da ist. In Schulen, in Universitäten, aber auch in Unternehmen und in der öffentlichen Hand.“ Hier müsse man ansetzen, sagt der Nagarro-Experte.

Jeannette Gorzala sieht das ähnlich: „Bildung und Kompetenz ist das große Thema unserer Zeit und der zentrale Schlüssel.“ Verstehe man etwas nicht, verursache dies Ängste. Bezogen auf KI heißt das: Fehlt das Verständnis für das Thema, setzt man KI nicht ein. Die Opportunitätskosten, KI nicht zu nutzen, seien aber „viel größer“ als das Investment, das man in Bildung und Governance tätigen müssen. „Natürlich ist es ein Effort, aber es ist wie ein Raketenstart“, sagt Gorzala.

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Microsoft-Chef Erlach warnt auch davor, das Thema zu stark unter Bezug auf rein technische Skills zu betrachten: „Die sind notwendig und wichtig, aber es geht auch ganz viel um Unternehmens- und Innovationskultur. Wie stehen Führungskräfte dem Thema AI gegenüber? Wie steht der Betriebsrat dem Thema AI gegenüber?“, führt er aus.

Venture Capital: „Müssen in Europa ganz massiv was tun“

Soweit also die Unternehmensebene. Einen große Problemstelle gibt es aber noch auf einem anderen Level: Der Finanzierung von Innovationen mit Risikokapital. „An der Stelle müssen wir in Europa ganz massiv was tun“, merkte Ahnert an. Er verwies auf Beispiele wie DeepMind, Mistral oder Hugging Face, hinter denen jeweils europäische Gründer stehen, die aber in den USA gegründet, ihre Unternehmen in die USA verkauft oder zumindest vorwiegend aus den USA finanziert werden.

Der Nagarro-Experte verwies dazu auf eine Studie des Applied AI Institute, für die Startups aus dem Bereich generative KI zu den größten Hürden, mit denen sie es zu tun haben, befragt wurden. „51 Prozent haben Funding genannt. Weit abgeschlagen an zweiter Stelle mit 24 Prozent erst kam die Regulierung und unter 20 Prozent waren Themen wie Fachkräftemangel oder Zugang zu Compute Power.“ Ahnerts Appell: „Bei dem Thema Finanzierung müssen wir was tun, damit wir in der nächsten Welle an der Spitze sind.“

Erlach: Adaption entscheidend

Letztlich sei aber vielleicht gar nicht so entscheidend, wo eine Technologie produziert werde, argumentierte Hermann Erlach von Microsoft. Denn es komme auf die Adaption an: „Vielleicht ist die Diskussion Europa vs. Amerika in Teilbereichen die falsche.“ Die wichtigere Frage sei also: „Wie adaptiere ich diese Technologie möglichst schnell, um meinen Wohlstand zu erhöhen?“

Marco Porak ergänzt: „Ganz, ganz wesentlich ist Mut. Ganz, ganz wesentlich ist unsere kulturelle Einstellung zu dem Thema.“ Man müsse die Chancen sehen und weniger das Risiko. In der Regulatorik könne man dies begleiten, indem man Anreize schafft. „Und ich glaube, wenn wir das als Österreich mit einem großen Selbstbewusstsein und auch als Europa mit einem großen Selbstbewusstsein machen, dann haben wir in fünf Jahren eine Diskussion, die uns durchaus stolz machen wird.“


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Die Nachlesen der bisherigen Folgen:

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Folge 4: KI-Geschäftsmodelle: “Wir nutzen nur einen Bruchteil dessen, was möglich ist”

Folge 5: Open Source und KI: “Es geht nicht darum, zu den Guten zu gehören”


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