19.06.2015

Launch von Health-Tech Startup kiweno: „Jeder der isst, ist potenzieller Kunde“

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© Michael Rottmann. Die Menschen hinter kiweno: Hansi Hansmann, Robert Fuschelberger, Bianca Gfrei, Georg Molzer, Helga Turcanu, Rudi Semrad

Fast jeder ist davon betroffen: Nahrungsunverträglichkeiten gehören zum Alltag dazu. Der eine verträgt keine Milch und bekommt Bauchweh, der andere bekommt einen Ausschlag, wenn er Äpfel isst. „Wir haben zwar genug Lebensmittel aber wir vertragen sie nicht mehr“, meint der Arzt Roland Fuschelberger bei der Pressekonferenz von kiweno. Er ist der medizinische Leiter und Co-Gründer des neuen Health Startups kiweno, das er zusammen mit Bianca Gfrei ins Leben gerufen hat. Bei der Präsentation vor Ort sind auch die namhaften Business Angels, die kiweno mit Know-how und Geldmitteln unterstützen:  Hansi Hansmann, obwohl er nicht mehr investieren wollte (aber bei kiweno musste er dann noch eine Ausnahme machen) und der langjährige CEO der Swatch Group Österreich Rudi Semrad haben sich am Unternehmen beteiligt.

Hier ein Foto von der Pressekonferenz: (von Links: CEO Bianca Gfrei, Hansi Hansmann, Dr. med. Roland Fuschelberger, Rudi Semrad; ©kiweno/Kowacsik) 

vlnr. Bianca Gfrei, Hansi Hansmann, Roland Fuschelberger, Rudi Semrad

„kiweno passt perfekt in mein Portfolio an eHealth- und Tech-Start-ups. Das engagierte Team hat mich mit seinem Business Modell überzeugt. Kaum ein Start-up ist in diesem Maße skalierbar“, begründet der renommierte Business Angel Hansi Hansmann. In seinem Portfolio befinden sich runtastic und mysugr. Zusammen mit Semrad hat Hansmann eine Summe im mittleren sechsstelligen Bereich investiert und dafür 20 Prozent erhalten.

Das Marktpotential ist gigantisch, denn „jeder der isst, ist ein potenzieller Kunde – auch jene ohne Beschwerden können den Test machen“, meint Hansmann. Zweitinvestor Semrad betont überdies, dass es schon sehr viele Vorbestellungen gäbe.

Bianca Gfrei war selbst betroffen. Sie habe sich nicht gut gefühlt und wollte einen Test machen, um zu erfahren, welche Nahrungsmittel sie nicht verträgt. Aber die Prozedur war mehr als umständlich und teuer noch dazu. In einer Arztpraxis kann man mit bis zu 400 Euro dafür rechnen. Der kiweno Test ist online und in ausgewählten Apotheken um 99 Euro erhältlich. „Nachdem die Tests für die meisten Nahrungsmittelunverträglichkeiten keine Kassenleistung sind, handelt es sich hier um eine sehr kostengünstige Methode“, so Fuschelberger.

kiweno testet die Verträglichkeit von 70 häufig verzehrten Nahrungsmitteln mittels weniger Tropfen Blut, die aus der Fingerkuppe entnommen werden. Man bekommt den Selbsttest nach Hause geschickt, piekst sich in den Finger (2 Tropfen Blut genügen), schickt die Probe anschließend ins Labor. Die Auswertung passiert innerhalb weniger Tage und man bekommt eine Benachrichtigung via SMS oder E-Mail. Per App und persönlichem Code wird einem dann das Ergebnis näher gebracht. Das besondere an Kiweno: Man wird mit dem detaillierten Befund nicht alleine gelassen und erfährt ganz konkret, welche Nahrungsmittel man zum Beispiel besser meiden sollte und welche man alternativ zu sich nehmen kann. Darüber hinaus gibt es auch persönlich abgestimmte Ernährungsempfehlungen sowie Gesundheitstipps.

Bis Ende des Jahres wird kiweno weitere Tests launchen. „Mit dem nutriscreen erfährt man, welche Lebensmittel man zumindest für einen gewissen Zeitraum meiden sollte. Die weiteren Tests werden dann Auskunft geben, wovon man mehr benötigt“, verrät Bianca Gfrei. Offizieller Starttermin ist der 23. Juni, Vorbestellungen werden aber schon entgegen genommen.

DerBrutkasten hatte die Möglichkeit Gründerin Bianca Gfrei noch kurz persönlich zu befragen:

Wie bist du denn ins Startup Business gekommen?

Ich war Studentin und hatte eine Zusage für ein Master Stipendium in den USA. Aber bis ich das antreten konnte, musste ich noch zuwarten und in dieser Zeit haben wir dann an der Idee gearbeitet. Es war ursprünglich auch wirklich als reines Projekt gedacht, das aus der eigenen Betroffenheit entstanden ist: Ich habe selber Unverträglichkeiten gehabt und ständig an Bauchschmerzen gelitten. So bin ich auf Doktor Fuschlberger gestoßen, der mich getestet hat und mir zum Ergebnis gleich auch  Therapie-Empfehlungen mitgegeben hat. Nachdem ich diese umgesetzt habe, ist es mir nach kurzer Zeit viel besser gegangen. Daraus hat sich schließlich die Idee entwickelt.

Der Gedanke, ein Startup zu gründen, stand nicht im Fokus? 

Nein! Anfangs war das ein Projekt, an dem wir nebenbei gearbeitet haben. Aber dann haben wir so viel Zuspruch bekommen und das Interesse war so groß…. Wir haben wirklich nicht geplant, dass wir ein Startup oder großes Unternehmen daraus machen. Aber nun nach zweieinhalb Jahren Forschungs- und Entwicklungszeit, plus einem ganzen Testjahr in Apotheken sind wir voll „Startup“ (lacht).

Was ist mit den USA Plänen passiert? 

Zweimal habe ich den USA-Aufenthalt abgesagt… oder vielleicht aufgeschoben. Ich hatte nach dem Master Angebot noch eine Anfrage aus New York, ob ich nicht im Pharma-Consulting arbeiten möchte.

Hier ein Bild von Bianca Gfrei bei der Präsentation des „nutriscreen“: (©kiweno/Kowacsik)

Bianca Gfrei präsentiert den nutriscreen

 

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Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala
Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM AustriaIBMITSVMicrosoftNagarroRed Hat und Universität Graz.


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Jeannette Gorzala sieht das ähnlich: „Bildung und Kompetenz ist das große Thema unserer Zeit und der zentrale Schlüssel.“ Verstehe man etwas nicht, verursache dies Ängste. Bezogen auf KI heißt das: Fehlt das Verständnis für das Thema, setzt man KI nicht ein. Die Opportunitätskosten, KI nicht zu nutzen, seien aber „viel größer“ als das Investment, das man in Bildung und Governance tätigen müssen. „Natürlich ist es ein Effort, aber es ist wie ein Raketenstart“, sagt Gorzala.

IBM-Programm: „Die Angst war weg“

Wie das in der Praxis funktionieren kann, schilderte IBM-Chef Porak mit einem Beispiel aus dem eigenen Unternehmen. IBM lud weltweit alle Mitarbeitenden zu einer KI-Challenge, bei der Mitarbeiter:innen eigene KI-Use-Cases entwickelten, ein – mit spürbaren Folgen: „Die Angst war weg.“ Seine Beobachtung: Auch in HR-Teams stieg die Zufriedenheit, wenn sie KI als Assistenz im Arbeitsablauf nutzen. „Sie können sich auf die komplexen Fälle konzentrieren. KI übernimmt die Routine.“

Microsoft-Chef Erlach warnt auch davor, das Thema zu stark unter Bezug auf rein technische Skills zu betrachten: „Die sind notwendig und wichtig, aber es geht auch ganz viel um Unternehmens- und Innovationskultur. Wie stehen Führungskräfte dem Thema AI gegenüber? Wie steht der Betriebsrat dem Thema AI gegenüber?“, führt er aus.

Venture Capital: „Müssen in Europa ganz massiv was tun“

Soweit also die Unternehmensebene. Einen große Problemstelle gibt es aber noch auf einem anderen Level: Der Finanzierung von Innovationen mit Risikokapital. „An der Stelle müssen wir in Europa ganz massiv was tun“, merkte Ahnert an. Er verwies auf Beispiele wie DeepMind, Mistral oder Hugging Face, hinter denen jeweils europäische Gründer stehen, die aber in den USA gegründet, ihre Unternehmen in die USA verkauft oder zumindest vorwiegend aus den USA finanziert werden.

Der Nagarro-Experte verwies dazu auf eine Studie des Applied AI Institute, für die Startups aus dem Bereich generative KI zu den größten Hürden, mit denen sie es zu tun haben, befragt wurden. „51 Prozent haben Funding genannt. Weit abgeschlagen an zweiter Stelle mit 24 Prozent erst kam die Regulierung und unter 20 Prozent waren Themen wie Fachkräftemangel oder Zugang zu Compute Power.“ Ahnerts Appell: „Bei dem Thema Finanzierung müssen wir was tun, damit wir in der nächsten Welle an der Spitze sind.“

Erlach: Adaption entscheidend

Letztlich sei aber vielleicht gar nicht so entscheidend, wo eine Technologie produziert werde, argumentierte Hermann Erlach von Microsoft. Denn es komme auf die Adaption an: „Vielleicht ist die Diskussion Europa vs. Amerika in Teilbereichen die falsche.“ Die wichtigere Frage sei also: „Wie adaptiere ich diese Technologie möglichst schnell, um meinen Wohlstand zu erhöhen?“

Marco Porak ergänzt: „Ganz, ganz wesentlich ist Mut. Ganz, ganz wesentlich ist unsere kulturelle Einstellung zu dem Thema.“ Man müsse die Chancen sehen und weniger das Risiko. In der Regulatorik könne man dies begleiten, indem man Anreize schafft. „Und ich glaube, wenn wir das als Österreich mit einem großen Selbstbewusstsein und auch als Europa mit einem großen Selbstbewusstsein machen, dann haben wir in fünf Jahren eine Diskussion, die uns durchaus stolz machen wird.“


Die gesamte Folge ansehen:


Die Nachlesen der bisherigen Folgen:

Folge 1: „No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?“

Folge 2: „Was kann KI in Gesundheit, Bildung und im öffentlichen Sektor leisten?“

Folge 3: “Der größte Feind ist Zettel und Bleistift”: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der KI-Praxis”

Folge 4: KI-Geschäftsmodelle: “Wir nutzen nur einen Bruchteil dessen, was möglich ist”

Folge 5: Open Source und KI: “Es geht nicht darum, zu den Guten zu gehören”


Die Serie wird von brutkasten in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung unserer Partner:innen produziert.

No Hype KI

03.02.2025

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Letztlich sei aber vielleicht gar nicht so entscheidend, wo eine Technologie produziert werde, argumentierte Hermann Erlach von Microsoft. Denn es komme auf die Adaption an: „Vielleicht ist die Diskussion Europa vs. Amerika in Teilbereichen die falsche.“ Die wichtigere Frage sei also: „Wie adaptiere ich diese Technologie möglichst schnell, um meinen Wohlstand zu erhöhen?“

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