05.12.2024
KI

Klartext AI: Wiener KI-Startup vereinfacht Finanzverträge

Mit dem bevorstehenden EU Accessibility Act steht die Finanzwelt vor einer großen Herausforderung: Verträge und Dokumente barrierefrei zu gestalten. Das Wiener KI-Startup Klartext AI will genau hier ansetzen und mit einem innovativen Sprachmodell eine verlässliche Lösung bieten.
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Das vierköpfige Team von Klartext AI.
Klartext AI CO-Gründer Bernhard Landrichter, Christian Kaindl, Ruben Hetfleisch und COO Daniel Toth mit Bruno (c) Klartext AI

Wenn am 28. Juni 2025 der EU Accessibility Act (EAA) in Kraft tritt, sind Unternehmen, Banken, Versicherungen sowie öffentliche Stellen dazu verpflichtet, Verträge, Webseiten und Dokumente, barrierefrei zu gestalten. Auch für das österreichische Finanzwesen kommen einige Challenges auf. 

Eine mögliche Lösung bietet das erst wenige Monate alte KI-Startup Klartext AI. Mit seinem KI-basiertem Sprachmodell hat sich Co-Gründer Ruben Hetfleisch das Ziel gesetzt, Finanzdokumente barrierefrei zu gestalten. Anders als bisherige KI-Sprachmodelle, will Klartext AI eine hundertprozentig Vertrauenswürdige Lösung beim Vereinfachen von Dokumenten ermöglichen – denn etwas anderes erlauben Verträge in der Judikatur nicht.

brutkasten hat Klartext AI CO-Gründer Ruben Hetfleisch zusammen mit Co-Geschäftsführer Daniel Toth getroffen und über die bevorstehenden Hürden des österreichischen Finanzwesens geredet.

Die beiden Unternehmer haben bereits bei Fraunhofer Austria zusammenarbeiteten – ein etablierter Forschungspartner für die österreichische Industrie. Zusammen mit Co-Gründer Bernhard Landrichter und Christian Kaindl, welche 2021 bereits das Legal-Tech-Startup GesetzeFinden.at gründeten (brutkasten berichtete), hat Klartext AI zwei weitere erfahrene Gründer an Board.

Ziel ist die Lesbarkeit für alle

Über die Gründung von Klartext AI sagt Ruben Hetfleisch: “Jeder und jede soll in der Lage sein, einen Kontovertrag abzuschließen. Wir wissen alle, dass Verträge zum Teil sehr komplex geschrieben sind, vor allem wenn man an die AGBs denkt, die sich eigentlich niemand wirklich durchliest. Genau diese komplexen Dokumente wollen wir vereinfachen.” 

Motivation hinter dem Projekt fand er, wie auch sein Kollege Daniel Toth, im Zuge eines freiwilligen sozialen Jahrs, beziehungsweise eines Zivildienstes, bei welchem sich die beiden vor allem mit den Themen der sozialen Barrieren und Inklusion beschäftigten.

Kurz nach der Unternehmensgründung Anfang dieses Jahres standen verschiedene Banken, Versicherungen aber auch das Sozialministerium in Österreich und das deutsche Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Gespräch. “Die Lösung ist natürlich auch für öffentliche Behörden sehr interessant”, sagt Hetfleisch.

Seit Daniel Toth dann Ende des Sommers dazugestoßen ist, “nahm das Ganze auch so richtig Fahrt auf”, meint Hetfleisch. Man konzentriere sich von da an vor allem auf das Finanzwesen.

Obwohl es als Startup verältnismäßig schwierig ist mit Banken und Versicherungen in Verbindung zu treten, konnte sch Klartext AI Ende November eine Kooperation mit dem österreichischen Wirtschaftsprüfer PwC sichern.

“Es braucht eine verlässliche Lösung”

“Jeder kennt es, man verändert den Prompt ganz wenig und das Ergebnis ist maßgeblich anders. Das können wir bei Banken und Regularien einfach nicht gebrauchen. Und genau diese Verlässlichkeit mit dem flexiblen Ansatz der Sprachmodelle zu verknüpfen, da liegt die eigentliche Krux”, sagt Hetfleisch. Um diese zu Überwinden, haben sich die Unternehmer mit Linguist:innen zusammengeschlossen, ergänzt Toth, damit ihr System auch auf den Regeln der Expert:innen basiert.

Im Gegensatz zu bekannteren Sprachmodellen, will Klartext AI ein Tool entwickeln, das nicht nur sprachlich flexibel agiert, sondern auch hundertprozentige Konsistenz bietet. Die KI soll demnach nicht nur die Sprache vereinfachen, sondern auch Texte auf Einhaltung vorgegebener Normen prüfen – eine Abgrenzung zu bisher existierenden Tools.

Obwohl sowohl Hetfleisch als auch Toth Erfahrungen bei Fraunhofer mit sich bringen, sehen sie ihr Startup nicht als klassisches Forschungsstartup. “Bislang erfolgte die Finanzierung aus eigenen Mitteln. Unser Ziel ist es, jetzt aber stark in die Akquise zu gehen, gerade mit unserem neuen Partner PwC. Allerdings würden wir es auch nicht ausschließen Investor:innen zu nehmen”, meint Hetfleisch.

Im Gespräch seien aktuell schon Interessent:innen. Allerdings möchte man noch auf den nächsten großen technologischen Schritt warten.

“Banken werden extremen Druck haben”

Mit Blick auf das Ende Juni 2025 in Kraft tretende EAA und die Sanktionen bei Nichteinhaltung des neuen Barrierefreiheitgesetzes, sagt Hetfleisch, dass die Banken extrem Druck haben werden.

Das kommende Jahr wird deshab auch für Klartext AI entscheidend. Bis Ende 2025 sieht der Jungunternehmer jedoch ein fertiges, skalierbares Produkt, welches in unterschiedlichen Szenarien skalierbar ist. “Ich sehe uns in einem Jahr schon vor der Welle, die dann bei den Banken und Versicherungen einbrechen wird, die die Barrierefreiheit am Ende so schnell wie möglich umsetzen müssen, bevor die großen Strafen kommen”, meint Hetfleisch.

Neben der anstehenden Arbeit, sieht auch Toth hierbei eine riesen Chance in der Skalierung: “Ab nächsten Juni erwarten wir uns, dass unsere Position fruchtbar wird. Unser Ziel war nicht ein junges Startup zu sein, das eine Idee verfolgt, sondern am Ende auch Arbeitgeber in einem Unternehmen zu sein, das sich maßgeblich weiterentwickelt.”

Am Ende des Gesprächs kommt auch noch einmal die soziale Motivation der beiden Unternehmer durch. Hetfleisch hofft, dass die bevorstehenden Themen der Barrierefreiheit nicht nur unter dem Inklusionsgedanken abgestempelt werden, sondern für die gesamte Bevölkerung betrachtet werden, und auch Verträge für alle zugänglicher gemacht werden können.

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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